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M A N I A C
L O V E
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[Im Hier und Jetzt]
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Kleiner Finger, Ringfinger, Mittelfinger, Zeigefinger, Daumen, Kleiner Finger, Ringfinger, Mittelfinger, Zeigefinger, Daum...
"Jolina! Es nervt...hör auf damit", reißt mich die tiefe Stimme meines besten, abgöttisch heißen aber leider Gottes auch super schwulen Freundes aus meiner kleinen Fingerchoreographie, die ich bis eben noch aufgrund meiner wahrscheinlich unerträglichen Nervosität auf meiner Stuhllehne ausgeübt habe.
"Sorry", murmel ich nur und versuche krampfhaft meine Finger unter Kontrolle zu bringen.
"Mein Gott, was ist eigentlich los mit dir? Du bist schon den ganzen Tag so abwesend und komisch drauf.", stellt er mit gerunzelter Stirn fest.
Gerade als ich ihm antworten wollte, hält mich jedoch das liebliche Gebimmel der Stundenklingel davon ab und verkündet mir und circa 30 anderen Schülern, dass die 90 Minuten der Hölle endlich vorbei waren.
Aber mal ehrlich. Physik? Wer braucht das jemals wieder? Wenn es nach mir gehen würde, sollte mal einer das Schulfach Kochen und Backen oder so einführen. Ich kann mich noch gut daran erinnern als ich einmal einen Blaubeerkuchen für Jay zum Geburtstag backen wollte und die Blaubeeren dann im Ofen auf den Boden des Kuchens gesunken und verbrannt sind. In die Küche hat mich seitdem keiner mehr gelassen und mein Image als miserabelste Köchin werde ich wohl auch so schnell nicht wieder los. Aber hey, dafür kann ich die verdammte Ferderkonstante eines Federspannmessers ausrechnen. Versteht mich nicht falsch, ich bin gut in der Schule. Das ändert aber nichts daran, dass ich sie nicht mag.
Mochte. Vergangenheitsform!, fügt meine innere Stimme zusätzlich hinzu.
Das hin- und herwedeln der Hand meines besten Freundes vor meinem Gesicht holt mich aus meiner innerlichen Beschwerde an das Schulministerium zurück in die Realität.
"Huhu. Noch da? Also was ist nun los?"
Verärgert schlage ich seine immernoch vor meinem Gesicht herumfuchtelnde Hand weg.
"Jay, lass das! Wegen dir fang ich wieder an zu schielen!"
"Omg-"
Er fängt an zu lachen.
"-du sahst so niedlich aus als kleines Kind mit deinem Biene Maya Anti-Schiel-Pflaster oder wie auch immer diese Dinger heißen."
Ich starre ihn mit einem emotionslosen Blick an, während er sich noch immer mit zusammengekniffenen Augen krümmt vor Lachen. Wahrscheinlich hat er eines dieser hässlichen Bilder mit mir als Kind darauf vor Augen. So ein Idiot. Na warte, Rache ist Blutwurst.
"Ich kenne da noch jemanden, der ziemlich bescheuert aussah als Kind mit seinen Segelohren, die aussahen wie die von Dumbo dem Elefanten", funkel ich ihn teuflisch an.
Sein Lachen verebbt augenblicklich, was mich zum Grinsen bringt.
"Dumbo der Elefant ist voll süß.", kontert er zurück. Ich muss lachen.
"Ich weiß, aber du bist kein Elefant. Bei dir sah es einfach nur zum wegschmeißen aus."
"Ja aber schau, was aus mir geworden ist...", sagt er schließlich und gestikuliert überlegen an sich hinunter. Dabei lässt er betont seinen Bizeps aufzucken. Er wusste, dass er wiedereinmal eine unserer alltäglichen Neckereien gewonnen hatte.
"Jaja...Jayden Anthony Dixon ist der heißeste Typ der Schule blablabla und alle Mädchen fahren auf ihn ab. Zu blöd nur, dass er schwul ist", zwinker ich ihm zu.
"Ohhh traurig, dass du niemals Chancen bei mir haben wirst Kleines?", zieht er mich neckerisch auf.
"Pff, wenn du nicht schwul wärst bräuchtest du dir nicht einmal Hoffnungen bei mir machen. Und nenn mich nicht Kleines - es kann ja nicht jeder 1,90 Meter groß sein"
Zugegebenermaßen, ja, Jay ist ziemlich attraktiv und als er mir damals vor zwei Jahren unter enormer Angst erzählte, dass er schwul sei, war das für mich ehrlich gesagt zunächst ein enormer Schock, weil ich niemals damit gerechnet hätte, dass mein bester Freund, der wahrscheinlich letzte Gentleman auf dieser Erde, auf Männer steht. Aber nachdem ich ihn damals vermutlich fünf Minuten mit offenem Mund angestarrt habe, nahm ich ihn sofort in die Arme und habe ihm um die eintausend mal gesagt, wie stolz ich auf ihn sei. Darüberhinaus hätte ich mir niemals was mit ihm vorstellen können. Ich meine der Junge ist wie ein Bruder für mich.
"Okey dokey Kleines. Wirst du mir nun sagen, was mit dir los ist oder nicht?"
"Nicht wenn du mich weiterhin Kleines nennst und außerdem weißt du ganz genau was los ist."
Inzwischen hatten wir all unsere Sachen schon in unseren Rucksäcken verstaut und maschieren nun regelrecht hinaus aus der Dynastie des Teufels, der Hölle alias der Schule. Jay schlendert um genau zu sein, ich rennne regelrecht, da er einen Schritt macht währen ich drei machen muss. Ich bin nicht klein, stolze 166 cm um genau zu sein, aber im Vergleich zu Jayden bin ich ein Zwerg.
"Es ist wegen deinem Geburtstag oder?", fragt er vorsichtig.
Ich nicke nur knapp.
"Lass das nicht wieder an dich ran. Lass dir von ihnen nicht dein Leben versauen. Lass das nicht zu. Das hast du nicht verdient.", plappert er sofort los.
"Ich weiß!", stöhne ich gelangweilt aus und verdrehe dabei die Augen, wobei ich das 'weiß' bedacht extra in die Länge ziehe.
"Du wirst 18, verdammt und das nur einmal in deinem Leben. Vegas steht fest, Baby. Das wird cool, ganz sicher. Schon allein weil ich mitkomme.", zwinkert er, wodurch er sich einen spielerischen Schlag auf seine Brust von mir einfängt.
Er mag vielleicht ein Idiot sein, aber er scheitert niemals darin, mir ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern.
"Au", heult er theatralisch los. Ich werfe ihm den Hast-du-dir-verdient-Blick zu.
"Hast du heimlich trainiert? Hast nen ganz schön festen Schlag bekommen."
Scheinheilig zucke ich mit den Schultern und atme die nach Regen duftende Luft Londons ein.
Endlich raus aus diesem Höllengebäude. Und das für immer. Fragt mich nicht, warum wir an unserem letzten offiziellen Schultag Physik hatten.
Viel schlimmer ist jedoch, dass Mr. Hoyer, das Physikarschloch und leider Gottes auch unser Tutor der letzten beiden Jahre, wirklich richtigen Unterricht mit uns gemacht hat und das obwohl er genau wusste, dass weder einer mitarbeiten geschweige denn zuhören würde.
"Apropos Training. Du kommst doch heute Nachmittag oder?"
Wieder zucke ich mit den Schultern.
"Keine Ahnung. Eigentlich schon. Heute ist Freitag, das heißt das Rotbiest ist mit der Aufsicht dran."
Jay nickt nur.
"Vielleicht ist sie ja heute nicht so, ich mein wir haben jetzt Ferien und du morgen Geburtstag." Grinsend wirft er mir einen Seitenblick zu.
"Jap, Holst du mich dann ab?", frage ich ihn als wir vor dem großen Backsteingebäude mit dem nicht übersehbaren Schild an der Hauswand mit der Aufschrift
《Heim am Hampstead Heath Park Londons》ankommen.
"Klar, kann ich machen. Und vergiss nicht zu packen-", ruft er noch im weitergehen. "-Wir fahren danach nur noch mal kurz bei uns vorbei und dann geht es los."
"Jaja Dad. Bis später Idiot "
"Ey das hab ich gehört", beschwert er sich.
"Das solltest du auch", schreie ich noch hinterher, bevor ich dann entgültig die Tür hinter mir zuziehe.
"Herrgott nochmal Jolina. Schrei hier nicht so rum."
Ich seufze. Das Rotbiest.
"Mrs. Red, ich freue mich auch überschwänglich sie an so einem wunderschönen Tag zu sehen und wollte lediglich, dass Sie wissen, dass ich da bin."
Falsch grinse ich sie an. Ich bezweifle, dass sie die Ironie bemerken würde.
"Ein einfaches 'Hallo, ich bin da' in einer angemessenen Lautstärke hätte es auch getan Jolina"
"Dann haben Sie sich den falschen Beruf ausgesucht. Ich mein wie wahrscheinlich ist es, dass der Lärmpegel in einem Kinderheim wie auf einer Beerdigung ist. Richtig, die Wahrscheinlichkeit beträgt 0 % und das weiß sogar ich und Sie wissen genau wie schlecht ich in Mathematik bin." Damit verschwand ich in meinem Zimmer.
"Darüber reden wir nochmal, Fraülein", schreit sie durch die Tür.
"Aber Mrs. Red schreien Sie doch nicht so rum. Das ist ja unerträglich.", äffe ich sie von eben nach, bevor ich mir meine Kopfhörer in die Ohren stecke.
Musik an, Welt aus!
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