Sonntag, 30. April 1848

Vater war ungewöhnlich gut gelaunt, als er heute nach Hause kam. In letzter Zeit zieht er immer ein verdriessliches Gesicht, wenn er in den Pub geht und ein noch verdriesslicheres, wenn er wieder zurück kommt, doch nicht heute.

Heute hörte ich ihn von Weitem pfeifen und er winkte Dolly und mir fröhlich zu, als er an der Küche vorbei ging.

Mir war, als läge sein Blick ungewöhnlich lange auf mir, doch ich kam nicht dazu, ihn zu fragen, was ihn so fröhlich gestimmt hatte. Er verschwand zu schnell in seinem Studierzimmer, nachdem er Mutter auf die Wange geküsst hatte.

Der Rest des Abends verlief friedlich, doch ich traute diesem Frieden nicht und ich sollte recht behalten.

Beim Abendessen hatten wir endlich Gelegenheit, Vater zu fragen, wo seine gute Laune denn herrühre. Ich will versuchen, das Gespräch so genau wie möglich wiederzugeben.

"Das kann ich euch sagen, meine Lieben", sagte er und schnitt sich ein grosses Stück Sonntagsbraten ab. "Ich habe heute im Pub Bill Gladstone getroffen und dabei sehr gute Neuigkeiten erfahren."

"Was denn für Neuigkeiten, Vater?", fragte Dolly nach, ganz wie Vater es von ihr erwartete.

"Nun, Bills Jüngster - Eugene heisst der Bursche - hat offenbar seine Probleme mit den lieben Damen. Ist wohl schüchtern oder sowas. Also hab ich ein bisschen nachgehakt und - siehe da! - Eugene ist nur ein paar Jahre älter als unsere Amanda."

Bei diesen Worten schwante mir bereits Übles und ich währe am liebsten unter den Tisch gesunken.

"Also habe ich vorgeschlagen, dass Eugene doch einmal hier bei uns vorstellig wird und Amanda kennen lernt! Ich will nicht mehr William J. Hale heissen, wenn sie ihn nicht davon überzeugen kann, dass sie die Richtige für ihn ist."

Er wandte sich an mich.

"Er wird hin und weg von dir sein, Liebes. Wirst sehen, er macht dir in null komma gar nichts einen Antrag. Den musst du dann nur noch annehmen."

Seine Augen funkelten vor Begeisterung. Ich hingegen habe das Gefühl, kalkweiss gewesen zu sein.

"Ich möchte das aber nicht!", wollte ich sagen, aber Vater unterbrach mich.

"Amanda", sagte er scharf. "Wir haben nun wirklich oft genug darüber geredet. Du wirst dich von deiner besten Seite zeigen und dafür sorgen, dass Eugene Gladstone dir einen Antrag macht, den du annehmen wirst. Das ist weder eine Bitte noch ein Vorschlag. Anderenfalls kannst du gleich deine Koffer packen und sehen, wo du bleibst!"

Sein Ton war so endgültig, dass ich glaube, das Herz bliebe mir stehen.

Der Appetit war mir gänzlich vergangen und ich bat darum, den Tisch verlassen zu dürfen. Wenigstens diesen Wunsch respektierte Vater.

Ich zog mich in mein Zimmer zurück und konnte nicht anders, als zu weinen. Es war wie ein Krampf, der mich schlotternd auf dem Bett zusammenbrechen liess.

Kurz darauf kam Mutter herein und nahm mich tröstend in den Arm.

"Ich weiss, dass es schwierig für dich ist, Amy", sagte sie leise, während sie mein Haar streichelte. "Aber du darfst deinem Vater nicht grollen. Er will doch nur, dass du gut versorgt bist. Eugene Gladstone ist eine gute Partie, er würde sicher gut für dich sorgen und Vater müsste sich keine Sorgen darum machen, was aus dir wird, wenn er einmal nicht mehr ist."

"Aber ich liebe ihn nicht. Und ich werde ihn auch niemals lieben."

"Aber das weisst du doch noch gar nicht, Amy. Lern ihn doch erst einmal kennen. Ich bin sicher, er ist ein wundervoller, junger Gentleman."

"Dann soll er einer wundervollen, jungen Dame mit Interesse den Hof machen, aber nicht mir. Ich will das nicht, Mutter. Ich will nicht einfach nur irgendjemanden heiraten, nur um eine Ehefrau zu sein. Ich will Liebe, keine Ehe nur um der Ehe willen."

Es stimmte nicht ganz, was ich Mutter sagte. Natürlich will ich Liebe, welches junge Mädchen wünscht sich nicht, zu lieben und geliebt zu werden, aber noch mehr will ich Freiheit.

Ich will nicht meine ganze Zeit mit dem organisieren des Haushalts verbringen, so wie Mutter und der Gedanke, ein Kind aus meinem angeschwollenen Leib ins Leben zu pressen, erscheint mir fürchterlich. Schlimmer ist eigentlich nur der Gedanke daran, wie dieses Kind in meinen Leib kommen wird.

Nein!

Ich will barfuss durch Wiesen laufen und durch Wälder streifen und malen und gehen, wohin es mir gefällt. Ich will lieben dürfen, wen ich liebe, aber all das könnte ich Mutter doch nicht sagen.

"Ach, Amy", seufzte sie als Antwort. "Kind, das weiss ich doch. Aber Liebe ist nicht das wichtigste auf der Welt. Du musst auch an deine Zukunft denken. Dein Vater würde keine Ruhe finden, stündest du nach seinem Tod auf der Strasse. Du brauchst und verdienst die Sicherheit, die Eugene Gladstone dir bieten könnte. Noch mehr, als du Liebe verdienst und brauchst.

Versprich mir, dass du den jungen Mann wenigstens kennenlernen wirst. Wenn du dann einen guten Grund hast, ihn abzuweisen, wird dein Vater sicher damit einverstanden sein. Aber du kannst einfach nicht erwarten, dass die Welt sich nach deinen Wünschen richtet, besonders, wenn du die Sache mit so vielen Vorurteilen angehst."

Mit diesen Worten stand sie auf und liess mich allein.

Nun gut. Ihr zuliebe werde ich Eugene Gladstone kennenlernen. Wir werden ja sehen, was daraus wird.

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