✨ those magic changes
[HARRY]
{LOS ANGELES, CA - HEUTE}
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Louise fährt mir ein letztes Mal durch die Haare, bevor sie einen Schritt zurück tritt und mich prüfend mustert. Sie runzelt die Stirn, wirkt unzufrieden und irgendwie kritischer, als sonst. "Lou, du sollst hier nicht zu Picasso mutieren. Ich wollte nur kürzere Haare. Bitte, danke." Seufzend will ich aufstehen, doch meine langjährige gute Freundin drückt mich flink und bestimmt in den Sitz zurück. "Ich hab die Spitzen hinten nicht gerade abgeschnitten, also hinsetzen." Ganz die Mama ist ihr Ton streng, erzieherisch und doch noch liebevoll. Sie möchte sicherlich nur, dass man mich auf den sozialen Netzwerken nicht als neues Meme-Futter benutzt aber es ändert nichts daran, dass es mich nicht nervt. "Geh' doch einfach nochmal deine Setlist durch, bis dahin bin ich auch fertig", schlägt sie vor, doch ich entscheide mich dagegen. Ich kenne meine Songs und ihre Texte, kenne die Reihenfolge und weiß, was ich den Menschen dort draußen erzählen soll und möchte. Ich weiß, warum Anton dieses Charity-Event ins Leben gerufen hat und werde mich ganz brav bei ihm dafür bedanken, dass ich ein Teil jenes sein darf. Fertig, aus. Mehr Klimmbimm und Theater werde ich sicherlich nicht veranstalten.
Meine Kopfhörer ins Handy fummelnd, überlege ich, was ich schauen möchte und entscheide mich kurzerhand einfach für den 1989er Klassiker 'Hör mal, wer da spricht!' , der kürzlich auf Netflix erschienen ist. Es ist kein bildender Film, vielleicht ist er auch nicht wirklich gut produziert, aber für meine Zwecke reicht es. Er soll mich ablenken und mich unterhalten, denn immerhin dauert es noch eine ganze Stunde, bis ich endlich auf die Bühne darf.
Camila Cabello ist vor mir an der Reihe, sie wird zusammen mit Anton auftreten, so viel verrät mir das aufgeregt hüpfende Nervenbündel. Während die Sängerin Halsey von der Bühne schreitet, herrscht um mich herum eifriges Gewusel. Auch Anton sprintet einmal kurz an mir vorbei. Ich höre viele Stimmen durcheinander reden, verstehe nicht, wieso ich zwanzig Minuten hinter der Bühne warten soll. Dieser Trubel wäre mir unter normalen Umständen einfach zu viel. Normalerweise würde ich mich nun verkriechen, sei es nur auf die Toilette. Aber normalerweise handelt es sich auch nicht um ein riesiges Charity-Event auf welchem zahlreiche Sänger und Sängerinnen einige Songs zum Besten geben und jeglicher Erlös -seien es Ticket-Verkäufe oder der Verkauf von Merchandise - gespendet wird.
"Es kann doch nicht so schwer sein, Himmel nochmacl, wer verliert denn bitte ein Keyboard?!" - "Los, los, los, raus mit euch!" - "Anton, dein Voco-Dingens muss noch angeschlossen werden"- "Gib halt her, ich mach das selber!" - "Entspann dich mal, Bruder!"
Das Stimmen-Wirrwarr macht mich völlig kirre. Es fällt mir unglaublich schwer den ganzen Mist zu verarbeiten, ich bemerke nicht, dass Camilla an mir vorbei huscht, bemerke Antons Bruder Arkadi nicht und eigentlich kann es mir auch egal sein wer oder was um mich herum wuselt. Solange meine Gitarre funktioniert, bin ich glücklich.
In diesem Moment bin ich unheimlich froh, als ich spüre, wie mein Handy vibriert. So kann ich mich getrost verdünnisieren, immer hin weiß ich, dass ich noch gute zehn Minuten hinter der Bühne stehen werde, bis überhaupt irgend etwas voran geht.
"Harry, ich hab' neue Termine für dich."
Mit einem einfachen 'Hm' erteile ich Lance Provenza die Erlaubnis, mich in Grund und Boden zu quasseln. Der 59 jährige war eigentlich schon auf dem Besten Weg sich seine Rente so gemütlich, wie möglich zu machen, als ich auf ihn traf. Und tja, was soll ich sagen: Der 163 Zentimeter große Kanadier ist das Beste, was mir passieren konnte! Nachdem ich mit meinem alten Manager, dem Business-Schwein schlecht hin, ordentlich ins Klo gegriffen habe, nahm ich Lance mit Kusshand. Schon alleine sein spezieller Musikgeschmack, sein präzises Ohr und seine aufgeweckte Art , machten ihn mir direkt sympatisch. Spätestens als ich hörte, wie man ihn nur aufgrund seines, für die Musikbranche hohen, Alters abgesägt hatte, hatte er mein Herz erobert. Von seinem hohen Erfahrungsschatz und den grandiosen George-Michael-Anekdoten mal abgesehen. Dass er als erster wusste, wen George Michael begehrte, wusste bisher niemand. Zumindest niemand, dem Provenza nicht vertraute und dies war ein erschreckend kleiner Kreis an Menschen.
"- Also nochmal von vorne: Wir schicken dich zu Kimmel, Fallon und natürlich zu Corden - nicht dass er noch anfängt zu weinen, wenn du nicht kommst. Das Hotel in Jamaica habe ich bekommen, genau wie das Studio aber über deine erste LA Show müssen wir uns unterhalten. Wir können nur kleiner oder viel, viel größer werden. Diese Aasgeier von Veranstaltern wollen tatsächlich 60/40 zu ihren Gunsten machen. So einen Käse machen wir nicht!" "Genau!" pflichte ich ihm bei und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Dass er manchmal zu leichtem Chaos neigt, macht ihn nur liebenswerter. Immerhin bringt der 'Opi' auch alles wieder in Ordnung, was er irgendwie, nach eigenen Aussagen, in den Sand gesetzt hat und alleine dafür muss man ihn einfach gern haben. Er ist erfrischend ehrlich und vor allen Dingen selbstkritisch. Er sieht ein, wenn etwas nicht so läuft, wie es soll und diese Qualität geben viele am Eingang zum Rampenlicht leider ab.
"Harry, wo bleibst du!" Antons Stimme schallt hektisch und nervös durch den kleinen Aufenthaltsraum hinter der Bühne. Er ist mein Zeichen, mich zu verkrümeln. Flink bitte ich Lance deshalb mir einfach alles in unseren synchronisierten Handy-Kalender einzutragen, erkundige mich noch eben bei ihm, ob seine Tochter ihre College-Prüfungen überlebt hat, und lege schließlich auf, nachdem der stolze Vater dies bejaht hat. Bevor er mir mehr berichten kann und die halbe Abschlussarbeit seines Engels rezitiert, lege ich auf, lasse mich verkabeln und betrete zusammen mit Anton die Bühne. Aufgrund der Tatsache, dass meine Schlagzeugerin mit einer Lungenentzündung im Londoner Krankenhaus an Langeweile stirbt, erklärte er sich im Vorfeld bereit ihren Part zu übernehmen. "Bereit?" fragt er und als ich nicke, legt er los. Er ist ein wirklich guter Schlagzeuger und auch, wenn er Meinung nach, nicht im Entferntesten an die Qualitäten meiner guten Freundin heran kommt, trägt er uns sicher durch 'Kiwi' hindurch. Auch 'Woman', meinen zweiten Song des heutigen Tages, spielt er fehlerfrei und auch wenn ich zu Beginn noch mäßig begeistert war, erfüllt es mein Herz mit dieser speziellen Wärme, wenn ich sehe, wie die Masse mitgeht. Arme fliegen, Hände klatschen, Haare wehen. Nicht alle aber eine große Masse singt mit und unwillkürlich legt sich ein breites Grinsen auf meine Lippen. Es lässt sich partout nicht abschrauben und auch wenn es nicht geplant war, beschließe ich das Set zu ändern.
„Kennst du zufällig 'Only Angel'?" frage ich Anton, während Adam ein geniales Gitarrensolo hinlegt. „Wat?" fragt er mit deutschem Akzent und schaut mich panisch an. „Ach egal, sage ich und versuche mein Glück. Wenn es bei den 5 Seconds of Summer Jungs geklappt hat, vielleicht habe ich ja auch mehr Glück, als Verstand. „LA, wie geht's euch?" frage ich und ernte lautes Geschrei. „Sehr schön! Ich habe ein kleines Experiment vor", wieder werde ich angeschrien und kann nicht anders, als zu lachen. „Vorher eine Frage: Wer kennt denn meinen Song 'Only Angel'?" Diese Frage ist eigentlich überflüssig, ich bin mir sicher, wenn sie den Text zu 'Kiwi' kennen, ist dieser Song nicht an ihnen vorbei gegangen. Natürlich wird das Geschrei lauter und einige Hände schnellen in die Höhe, als wären wir in der Schule. „Hat denn jemand Lust und das Talent, mich auf dem Schlagzeug zu begleiten?" Wieder schnellen tausende Arme nach oben, das Geschrei ist groß und doch stechen mir nur zwei Menschen ins Auge. Sie stehen in der zweiten Reihe.
Eine ältere Dame redet unverzüglich auf einen Mann ein, der sich strickt zu wehren scheint. Krampfhaft versucht sie seinen Arm in die Höhe zu kriegen, doch er bleibt stur. Das besondere an ihnen? Sie heben den Altersdurchschnitt in dieser Halle auf ein Vielfaches. Vielleicht sind sie sogar älter, als Lance.
„Sie hier vorne, in dem roten Hemd." Erschrocken sieht er mich an, während die Damen neben ihm stolz drein blickt. Sind das Tränen in ihren Augen? „Genau Sie", grinse ich, als er verblüfft auf sich selbst zeigt.
Es braucht einige Überzeugungsarbeit, ich bin mir sicher, ich überziehe meine Zeit und wer auch immer nach mir an der Reihe ist, läuft gerade Amok. Aber es ist mir egal. Die Art, wie seine Frau – so stellt es sich später heraus – ihn ansieht, als er auf Antons Stuhl Platz nimmt, ist es mir alle Male wert. Dicke Krokodilstränen kullern ihre Wange hinab, als sie ihren 65 jährigen Mann nach einem genialen Auftritt mit extra Zugabe seinerseits wieder in die Arme schließt. Das Ehepaar ist seit unfassbaren 47 Jahren verheiratet und dieser Fakt jagt mir fast schon eine Gänsehaut den Rücken herunter.
Denn sie bestätigt mich darin, was schon seit über acht Wochen in meinem Kopf herum geistert. Nie hatte ich den Mut dazu, doch diese beiden hier zu sehen, ihre Liebesgeschichte heruntergebrochen erzählt zu bekommen und das vor hunderttausend Menschen, die ihnen zujubeln, bestätigt mich darin.
Ich muss mit ihr sprechen.
Doch vorher habe ich einen letzten Song in petto. „Für diesen Song bitte ich euch, nehmt alles vor, was irgendwie leuchtet und hört zu. Lasst mich diese Geschichte erzählen."
'From the dinig table' ist wohl einer der persönlichsten Songs auf meinem Album und genau deshalb bitte ich um Ruhe.
Niemals hätte ich vermutet, diese zu bekommen. Immer wieder kommt es vor, dass diese Bitte von Künstlern ignoriert wird. Immer wieder hört man einige Schreie, Rufe oder Jubel. Doch heute nicht.
Vielleicht ist es die Magie von Christine und Karl, ich weiß es nicht, doch ich bekomme das Gefühl, würde ich meinen Mund halten, könnte ich in dieser riesen Halle eine Stecknadel fallen hören. Gerührt, übersät mit einer fetten Gänsehaut und den Tränen nahe beende ich meinen Auftritt, bedanke mich bei Anton, der wieder zurück auf die Bühne kommt und ganz cool ein paar Tränchen wegzublinzeln versucht und verabschiede mich von der LA-Menge.
„Harry, das war klasse! Du bist unter den Top drei Trends auf Twitter! Und wenn ich mich nicht irre, hat sie es auch gesehen..."
Als ich draußen am Hintereingang der Halle stehe und Lance' Sprachnachricht abspiele, jagt es mir wieder einen Schauer über den Rücken. Ob er Recht hatte? Noch bevor ich meine Antwort an ihn getippt habe, bekomme ich einen Screenshot geschickt. Tatsächlich. '@emma_mcrae gefällt @hs_newsUS Beitrag'.
Sie hat den Beitrag gesehen. Sie hörte 'From the dining table'; ihren Song. Ob sie gesehen hat, wie mir die Mimik entglitten ist? Wie meine sauber aufgebaute Fassade bröckelte?
Ich muss es heraus finden.
Und so fasse ich einen Entschluss, den ich hoffe, nicht zu bereuen.
Auf meinem Weg zu ihrer Wohnung; wäre Louise nicht, hätte ich nicht einmal gewusst, dass sie umgezogen war, halte ich bei einem klassischen Liqour Store, packe eine Wodka-Flasche in eine Papiertüte und bezahle mit einem Autogramm. Mehr möchte der Besitzer nicht haben, also beschließe ich ihm die zwanzig Dollar in die Kaffeekasse zu stecken. „Schönen Abend, Mr. Tomlinson", ruft er mir nach und ich muss mich schwer beherrschen. Wenn er jetzt mit meinem Autogramm nach Hause zu seiner Tochter kommt und ihr berichtet, er habe Louis Tomlinson getroffen, möchte ich lieber nicht in seinen Schuhen stecken. Grinsend setze ich mich wieder in meinen Wagen und steuere ihn durch den dichten LA Verkehr. Hin und wieder nehme ich einen Schluck, wohl wissend, dass ich mich nicht nur strafbar mache.
Ohne zusätzlichen Mut werde ich es niemals schaffen.
Als ich schließlich, irgendwann, mitten in der Nacht, vor dem kleinen Backsteinhaus stehe, geht mir der Arsch ganz schön auf Grundeis. Die Flasche ist deutlich leerer geworden und ich werde den Wagen wohl oder übel stehen lassen müssen. Mit zittrigen Händen betätige ich die Klingel. Mein Herz klopft mir bis zum Halse und ich schaue bewusst weg. Ich kann mein Spiegelbild, welches durch die nebenstehende Laterne in der gläsernen Scheibe perfekt zu sehen ist, nicht ertragen.
Es dauert lange, ewig lange. Mein Puls rast.
Gerade, als ich auf dem Absatz kehrt machen will, höre ich, wie ein Schlüssel im Schlüsselloch herumgedreht wird. Reflexartig werfe ich den Alkohol neben mich auf die Wiese.
Langsam und quietschend öffnet sich eine Tür.
Sie trägt eine schlabberige Jogginghose, ihre Haare sind zu einem unordentlichen Knoten auf ihrem Kopf zusammen gebunden und ihr Shirt ist viel zu groß. Es ist mein Shirt, das bemerke ich sofort.
„Ich würde gerne mit dir reden", bringe ich nur krächzend hervor, schlucke schwer und erwarte, dass sie mir die Tür vor der Nase zuschlägt.
Doch stattdessen lächelt sie sanft: „Das wird auch Zeit, meinst du nicht?"
Vorsichtig geht sie einen Schritt zur Seite und lässt mich erneut in ihr Leben.
Und dieses Mal werde ich es nicht versauen, nur weil ich es nicht ertragen kann, mich selbst im Spiegel anzusehen und einem fremden gegenüber zu stehen.
✨
I have never heard that song before but if I don't hear it anymore
It's still familiar to me, sends a thrill right through me
'Cause those chords remind me of the night that I first fell in love to
Those magic changes my heart arranges
A melody that's never the same, a melody that's calling your name
It begs you please, come back to me
Please, return to me, don't go away again, oh make them play again
The music I wanna hear is once again, you whisper in my ear
[the end]
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