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Ich war echt gut drauf, aber echt besoffen, als ich Vero in die Arme stolperte. Noch so ein Grund warum Aurel und ich meistens im Suicide rumhingen – weil er es nicht tat.

„Mit dir hab ich ja gar nicht gerechnet", sagte er und nippte an seiner Mische. „Wie geht's?"

„Super", erwiderte ich und schwankte zur Seite, als mich irgendwer anrempelte. „Ey, wegen dings ... der Mutprobe. Was is'n jetz'?"

„Gute Frage", erwiderte er. „Komm, wir setzen uns und quatschen darüber."

Ich schaute mich kurz nach Aurel um, sah aber nur verschwommene Lichter und Farben und folgte Vero in die Sitzecke, in der noch mehr Rottenmitglieder zusammensaßen. Auch Daniel war da. Nicht weniger besoffen als ich hing er in der Couch und grinste mich an, was in mir den starken Drang auslöste ihn zu umarmen. Stattdessen begann ich bei Rosalie, die mir am nächsten saß, und ging die Reihe durch. Nur Vero ließ ich aus.

„Du bist drauf, oder?", fragte Lilja lachend, während sie mich in die Arme schloss.

„Biss'n", grinste ich und irgendwie fühlte es sich verdammt gut an hier zu sein. Diese Leute waren meine Familie, auf die ich mich immer verlassen konnte. Die Menschen, zu denen ich immer gehen konnte.

„Mach ma' Platz", sagte Daniel und schob Isabell zur Seite, damit ich mich neben ihn setzen konnte. Mit einem breiten Lächeln quetschte ich mich zwischen die zwei und umarmte Daniel besonders lang.

„Also, Janko", holte Vero sich meine Aufmerksamkeit zurück. Fuck, da war ja noch was. Ich löste mich von Daniel und schaute ihn an. „Du hast die Mutprobe nicht bestanden, aber du bist auch nicht durchgefallen. Bullen sind quasi 'ne Naturgewalt, dafür kannst du nichts. Und du hast verschüttet." Er warf Daniel einen langen Blick zu und Daniel, dessen Augen verdammt glasig waren, zeigte ihm seinen schwankenden Mittelfinger.

Vero lachte, streckte ihm die Faust hin und Daniel schlug ein. Eher daneben, aber scheiß drauf, ich würde wahrscheinlich auch nicht treffen.

„Und was heißt das jetz'?", fragte ich.

„Ich werde mir eine neue Mutprobe für dich überlegen. Und die musst du bestehen, scheiß auf Naturgewalten, alles klar?"

Ich nickte. Das würde 'n Klacks werden. Diesmal würde ich vorher nicht kiffen und einfach durchziehen. Kein Problem. Wäre ich nicht stoned as fuck gewesen hätte ich es auch locker auf diesen Kran geschafft.

„Wir haben gar nicht auf meinen Geburtstag angestoßen", grinste ich, denn das war eigentlich auch eine Tradition. Nach bestandener Mutprobe gingen alle zusammen saufen.

„Stimmt. Ich hol uns 'ne Runde", sagte Lilja, stand auf und ging zur Theke rüber.

„Eigentlich kommt das Anstoßen auch erst nach bestandener Prüfung", grinste Vero.

„Schaff ich locker", grinste ich und streckte meinen Arm hinter Daniel auf der Lehne der Couch aus.

„So locker wie letztes Mal?", grinste der.

„Fresse", lachte ich und gab ihm einen Schlag auf den Hinterkopf.

„Diesmal wird nicht geschummelt", sagte Vero und zog ein Zigarettenpäckchen aus seiner Hemdtasche.

„'s war doch nicht geschummelt, 's war Teamwork. Dafür sind wir doch 'ne Gruppe", erwiderte ich und grinste ihn an. Das hatte echt verdammt relevant geklungen.

„Guter Punkt, aber bei der Mutprobe geht es um was anderes. Es geht darum zu beweisen, dass wir auch alleine mit schwierigen Situationen klarkommen und die Gruppe dafür nicht brauchen. Nur so können wir einander eine Bereicherung sein, wenn wir uns nicht auf der Hilfe der anderen ausruhen, verstehst du?"

Ich starrte ihn einen Augenblick lang an, während die Bedeutung seiner Worte langsam durch mein Hirn sickerte.

Ja. Ja, das machte Sinn.

Ich nickte.

„Sehr gut. Und deshalb musst du deine Mutprobe alleine verstehen. Weil du jetzt erwachsen bist, Verantwortung für dich übernehmen musst. Das machen jetzt nicht mehr wir für dich."

Sowas ähnliches hatte auch die Fotze aus'm Heim gesagt. Ich musste jetzt Verantwortung für mein Leben übernehmen, auf eigenen Beinen stehen. Konnte mich nicht mehr in den ach so sicheren Wänden des Heims davor verstecken. Dass ich nichts hatte auf dem ich aufbauen konnte war ihr egal. Immerhin lag das jetzt in meiner Verantwortung.

Die Rotte setzte mich nicht vor die Tür. Sie wollten nur sehen, dass ich ihnen auch was zurückgeben konnte und das ging voll klar. Immerhin hatten sie mir schon verdammt viel gegeben.

„Sorry", brachte ich hervor und versuchte Vero in die Augen zu schauen. Klappte nicht so gut, war aber auch echt dunkel hier.

„Ist nicht schlimm", sagte Vero brüderlich und ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen.

Lilja kam mit einem Tablett voller Shots zurück und reichte es herum bis jeder sich ein Pinnchen genommen hatte.

Vero schob sich seine Zigarette hinters Ohr, stand auf und hob sein Pinnchen in die Luft.

„Auf Janko. Darauf, dass er schon achtzehn Jahre in dieser gottverdammten Eiswüste von Gesellschaft überlebt hat."

„Auf Janko", wiederholten alle im Chor und die laute Musik ging in ihren Stimmen unter. Wir reckten unsere Pinnchen in die Höhe und kippten sie dann gemeinsam hinunter.


Ich war viel zu besoffen zum Küssen. Oder vielleicht war auch nur Daniel zu besoffen dafür. Keine Ahnung, irgendwie kuschelten wir nur statt uns zu küssen, aber daran was zu ändern wäre auch viel zu anstrengend. Ich ließ meine Arme einfach um seinen Körper geschlungen und meinen Kopf auf seiner Schulter liegen. Daniel tat dasselbe – gar nichts.

„Wen erblicken meine Augen denn da?", klang Veros Stimme an mein Ohr. „So mutig hab ich dich gar nicht in Erinnerung."

„Mutig?" Aurel. „Weil ich mich zu dir und deiner kleinen Kindergartengruppe vortraue?" Er lachte.

„Ja. Bei einem Schisser wie dir kann man das schon als Mut auslegen."

„Komm mal klar, Vero. Ich bin nur wegen Janko hier. Auf deine hässliche Fresse verzichte ich immer noch gerne."

Halt du lieber deine hässliche Fresse, Alter. Es stand mir äußerst wenig klar vor Augen, aber dass das hier eine beschissene Situation für mich war, war mir klar.

„Wegen Janko?", wiederholte Vero interessiert.

„Er pennt bei mir."

„Ach." Bestimmt drehte er sich gerade zu mir. „Ey, Janko." Einfach liegen bleiben. Einfach nicht reagieren. „Janko!"

Jemand fasste mir ins Gesicht.

„Die sind voll weg, ich glaube, du kriegst keine Antwort mehr." Isabell.

„Ey, Janko, ich hau nach Hause ab. Wenn du mitwillst, dann jetzt", vernahm ich Aurels Stimme, aber ich blieb weiter gegen Daniel gelehnt sitzen. Keine Ahnung ob ich überhaupt fähig gewesen wäre die Augen zu öffnen oder aufzustehen. Aber ich wollte es auch nicht herausfinden.


Jemand rappelte an meiner Schulter. Scheiße, sollte er mal lassen.

Ich behielt die Augen geschlossen.

Wieder Rappeln.

„Janko! Daniel! Wir gehen jetzt."

Geh doch, mir doch scheiß egal. Ich wischte mir Sabber von der Wange, auf der ich lag, und bettete mein Gesicht auf meine Hand.

„Wie hart kann man sich eigentlich abschießen?"

Noch mehr Hände zogen an mir herum.

„Janko! Daniel!"

Lasst mich in Ruhe.

Ungemütlich wurde es, als irgendein Wichser auf die Idee kam mich hinzustellen. Keine fremde Person sollte eine andere hinstellen, wirklich nicht. Ins Gesicht geschlagen werden mochte ich übrigens auch nicht.

„Janko, jetzt komm mal klar!" Das war eine andere Stimme. Eine viel tiefere.

Komm du mal klar, andere Leute einfach hinstellen ist ein richtig seltsamer Move. Außerdem war der Boden komisch. Schwankte so.

Ich lehnte an jemandem und öffnete die Augen, um zu sehen, wo ich überhaupt war und wieso mir der Schlaf verwehrt wurde, aber da waren nur Lichter und Farben und Dunkelheit und alles war so unscharf, als wäre es mit einer verdammt schlechten Kamera aufgenommen worden.

„Lass mich pennen", sagte ich, aber die Worte verkanteten sich in meinem Mund und blieben an meiner Zunge kleben.

„Was?"

„Schlafen!" Klappte irgendwie auch nicht besser.

„Hat irgendwer verstanden, was er sagen will?"

„Wer nimmt die beiden jetzt mit nach Hause? Am besten irgendwer, der sie auch schleppen kann."

„Komm, Janko, du kannst doch noch laufen. So voll bist du nicht."

Die Wärme, an der ich lehnte, verschwand, dann schlug ich plötzlich hart auf.

„Oh."

„Bist du bescheuert?"

Liegen war tausend Mal besser als stehen. Liegen war schön. Ich seufzte und streckte mein Bein aus. Zeit zum Weiterschlafen.

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