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„Du sieht aus wie'n richtiger Draufgänger", meinte ich, streckte die Hand aus und strich über die Prellung an Daniels Wange.

„Gefällt dir das?", lächelte er.

„Du gefällst mir immer", sagte ich, legte meine Hand an seinen Rücken und zog ihn an mich. Schaute in seine Augen, die so gut zu dem Himmel hinter ihm passten.

„Du mir auch", sagte Daniel. Er kam noch ein wenig näher und stellte seine Füße auf die Kante, auf der auch ich stand, sein eines Bein zwischen meine. Er schloss die Augen, ich schloss die Augen, dann legte er seine Lippen auf meine und ich schmeckte Chlor. Meine Zunge ertastete die Kruste auf seiner Lippe, dann seine Zunge. Ich legte meinen Arm um ihn und drückte ihn gegen mich, während er seine Hand an meine Seite legte. Für ein paar kostbare Momente küssten wir uns, dann lösten wir unsere Lippen wieder und er lehnte sich an mich, gab sich meiner Umarmung hin. Ich strich über seinen Rücken, spürte die einzelnen Wirbel unter meinen Fingern, genau wie seine Rippen.

Warum Daniel im Heim gelandet war, wusste ich nicht, er hatte nie darüber gesprochen. Ich wusste nur, wieso er von dort wieder abgehauen war. Am Anfang war ich angepisst gewesen, weil er mich einfach alleine ließ, aber dann hatte ich's doch verstanden. Ihm ging's nicht gut, aber irgendwie schon besser als im Heim, wo ihn jeder Möchtegern-krasse-Kerl gequält hatte, weil Daniel eben sensibel war und nicht krass.


Wir lagen noch lange in der Sonne, gingen duschen, als unsere Körper vollständig getrocknet waren und Daniel wusch seine Klamotten in der Dusche mit Duschgel, während ich in der Tür seiner Kabine lehnte und aufpasste, dass ihm dabei niemand auf den Sack ging. Wir überwanden den Zaun und liefen nebeneinander die Straße runter, ein seichter Sommerwind strich durch unsere feuchten Haare und trocknete sie mit rasender Geschwindigkeit.

„Saufen wir noch?", fragte ich.

„Wenn du ausgibst."

Wir aßen Döner, bevor wir im Supermarkt billigen Wein kauften und uns damit in den Stadtpark setzten. Einfach auf die Wiese, zwischen all die Leute mit ihren guten Leben. Zwischen die ganzen Studenten mit ihren Wohnungen und ihren Zukunftsaussichten.

Daniel trank und reichte mir das Tetrapak.

„Aurel ist manchmal ein Wichser", sagte ich und trank einen Schluck. „Der hat mir gestern nichts von seinem Gras abgegeben. Wollte mir nur was verticken."

„Ich würd mich eh zwei Mal überlegen ob ich bei ihm wohne", meinte Daniel ohne mich anzusehen.

Ich trank noch einen Schluck.

„Nur weil er Stress mit Vero hat?"

Daniel nickte.

„Tut mir echt leid, dass er dir auf die Schnauze gehauen hat, aber ich penn bestimmt nicht auf der Straße wegen dem."

Daniel senkte den Blick auf die Wiese und ich verzog das Gesicht. Toll gemacht, Janko.

„Ey, so war das nicht gemeint."

„Passt schon", sagte er. „Wahrscheinlich würde ich auch eher bei ihm pennen als auf der Straße."

Meistens schlief er bei irgendwem aus der Rotte, auch bei Vero hatte er schon gepennt. Ich würde ihn ja mitnehmen, aber das fänd Aurel wahrscheinlich ziemlich ungeil. Der war sowieso paranoid as fuck.

Daniel trug jetzt ein schwarzes T-Shirt statt seines roten Pullis, der nass in meiner Tasche lag. Sein blondes Haar sah so weich aus wie Welpenfell und ich streckte die Hand aus, um hindurchzustreichen. Er nahm mir den Wein ab.

„Hast du Schiss?", fragte er.

„Wovor?"

„Der nächsten Aufgabe."

Ich zuckte mit den Schultern, während da wieder dieser Druck auf meinem Magen war.

„Krieg ich schon hin."

Wir leerten beide Tetrapaks und Daniel lehnte sich in meinen Arm. Ich mochte es, wenn er mir nah war. War ein schönes Gefühl und das nicht nur weil ich sonst niemanden hatte.


Spät am Abend trennten sich unsere Wege. Ich fuhr zurück zu Aurels Wohnung und traf ihn wenige Meter vorm Wohnhaus, wo er mich mit einem Handschlag begrüßte.

„Hast Glück, ich wollte gerade los, aber ich kann dich noch eben reinlassen", sagte er.

„Wohin?", fragte ich, während wir nebeneinander durch die einsetzende Dunkelheit zu seinem Plattenbau zurückmarschierten.

„Feiern. Kommst du mit?"

„Klar."

Ich hängte Daniels und meine nassen Sachen im Wohnzimmer auf den Wäscheständer und machte mich dann mit Aurel wieder auf den Weg zurück in die Stadt, oder besser gesagt in das Industriegebiet daneben.

In der U-Bahn rückte Aurel nah an mich heran und zeigte mir ein Tütchen mit bunten Pillen, die er in seiner Handinnenfläche verbarg.

„Bock? Ich geb aus", sagte er mit einem Grinsen auf den Lippen.

„Als ob nicht", sagte ich und streckte die Hand aus.

Aurel schüttelte mir eine Pille auf die Handfläche und ich legte sie mir auf die Zunge, schluckte sie runter und spürte ein vorfreudiges Kribbeln in meinen Gliedmaßen, obwohl das Zeug noch gar nicht wirkte. Genau das richtige nach diesem beschissenen Geburtstag und nach Veros beschissener Aktion.

Im Industriegebiet angekommen stellten wir uns in die Schlange vor einem Club namens Suicide. Aurels Lieblingsladen, weil er sich hier abschießen und trotzdem noch ein Vermögen machen konnte. Die Leute im Suicide waren ganz verrückt nach Drogen und er kannte den Türsteher, weshalb er keine Gefahr lief gefilzt zu werden.

Heute allerdings stand ein anderer Kerl am Eingang und hielt uns auf, als wir an der Reihe waren. Er musterte Aurel.

„Du kommst hier nicht rein", sagte er.

Jetzt kribbelten meine Arme und Beine wirklich, was nur bedeuten konnte, dass das Emma gleich seine Wirkung entfalten würde.

„Was soll der Scheiß, wer bist du überhaupt? Wo ist Erol?"

„Ich bin der Kerl, der dir den Abend versaut", erwiderte der Türsteher und bedeutete uns zur Seite zu kommen, damit die beiden Mädels hinter uns durchkonnten.

„Ich bin jedes Wochenende hier", sagte Aurel.

„Von jetzt an nicht mehr."

„Warum nicht?"

Der Kerl sollte uns einfach reinlassen, verdammt. Ich wollte feiern, tanzen, Musik hören, bunte Lichter, scheiß egal. Jedenfalls nicht aufgeputscht durch das düstere Industriegebiet laufen.

„Du hast dich mit den falschen Leuten angelegt."

Aurel schaute ihn einen Moment an, dann seufzte er tief.

„Sag nicht, du lässt mich wegen diesem Hurensohn Vero hier nicht rein."

„Okay, ich sag's nicht."

Aurel verdrehte die Augen.

„So ein Hurensohn, echt jetzt. Komm, Janko, wir hauen ab, gibt bessere Clubs."

Gab es nicht, aber ich wandte mich trotzdem ab. Wir liefen an der Schlange vorbei.

„Du suchst dir echt die falschen Freunde aus", rief jemand und nach kurzer Suche erblickte ich Tessa, die geschminkt und mit gemachten Haaren noch heißer aussah, als auf der Wache. Scheiße.

„Meine Freunde haben bloß die falschen Feinde", erwiderte ich. „Wir sollten mal was trinken gehen."

„Sollten wir", stimmte sie zu. „Dann zeig ich dir mal wie richtiges Gras schmeckt", meinte sie mit Blick auf Aurel.

„Halt die Fresse", sagte der und zeigte Tessa den Mittelfinger, sie lachte.

„Wir sehen uns, Janko."

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