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Es war zweiundzwanzig Uhr, als ich das nächste Mal gegen Aurels Tür hämmerte und diesmal machte er auf.
„Na endlich, du Wichser", sagte ich und schob mich an ihm vorbei ins Innere der Wohnung.
„Ich freu mich auch dich zu sehen, komm doch rein."
„Fresse." Ich ging ins Badezimmer, schloss die Tür ab und zog mir eilig meine Klamotten aus, um mich unter die Dusche zu stellen und endlich den Schweiß und den Gestank von meinem Körper zu waschen. Ich benutzte Aurels Duschgel und sein Handtuch, kam mit dem Ding um die Hüften zu ihm ins Wohnzimmer und holte frische Klamotten und meine Zahnbürste aus der Sporttasche, die noch dort stand wo ich sie zurückgelassen hatte. Aurel chillte auf der Couch und rauchte Gras durch seinen spießigen Vaporizer.
„Wie war's gestern?", fragte er, während ich an ihm vorbei zurück ins Bad ging.
„Frag nicht", sagte ich über die Schulter, putzte mir die Zähne und zog mich an.
Besser.
Ich schmiss mich zu Aurel auf die Couch, auf dem Fernseher lief irgendein beschissener Cartoon.
„Krieg ich was?", fragte ich mit Blick auf den Vaporizer.
„Wenn du 'n Zehner hast."
„Dein Ernst, Alter?"
„Von irgendwas muss ich meine Miete ja zahlen."
Ich seufzte und ließ mich tiefer in die Couch sinken.
„Kannst dir Bier aus'm Kühlschrank nehmen wenn du willst."
„Wie großzügig."
„Werd' nicht frech", sagte Aurel deutlich und ich wusste, dass jetzt Klappe halten angesagt war, wenn ich nicht wieder in dem beschissenen Flur landen wollte. Eine Weile schaute ich einfach den sinnentleerten Cartoon, dann holte ich mir das Bier aus dem Kühlschrank und knibbelte das Etikett ab, während ich es Schluck für Schluck trank.
„Wo kann ich eigentlich pennen?", fragte ich, als Aurel nach dem Zähneputzen wieder ins Wohnzimmer kam, den Fernseher ausschaltete und das Fenster öffnete. Die Luft draußen war immer noch aufgeheizt, kein kühler Luftzug vertrieb die drückende Hitze, die in den vier Wänden herrschte.
„Auf'm Boden", sagte er.
Klasse.
„Hast du 'n Kissen?" Eine Decke brauchte bei dem Wetter eh kein Mensch.
„Nee." Aurel zog sich sein T-Shirt und die Hose aus und legte sich auf die Couch, während ich meine Tasche heranzog und es mir mit ihr als Kopfkissen zwischen Couchtisch und Fernsehschrank auf dem harten Boden bequem machte. Wenigstens ein Dach über dem Kopf.
In dieser Nacht träumte ich von meiner Mutter. Davon, wie sie mir mit acht Jahren immer noch Gute-Nacht-Geschichten erzählt hatte, wie sie an meinem Bett gesessen hatte, wenn ich krank war, und wie sie stolz gewesen war. Sie hatte immer geglaubt, dass ich was aus mir machen würde, sie hatte an mich geglaubt. Das hat nach ihr nie wieder jemand getan und wahrscheinlich haben sie auch recht damit. Denn ich hatte nichts aus mir gemacht, verdammt. Ich hatte nichts.
Was würde meine Mutter sagen, wenn sie mich heute sehen könnte? Wäre sie immer noch stolz auf mich?
Ich träume auch von Tessa. Davon, wie sie mich so in den Arm nahm, wie meine Mutter es früher getan hatte. Wie sie mir über den Rücken strich und mir sagte, dass alles gut werden würde. Ich hasste es, wenn Leute das taten. Mama hatte das oft gesagt, aber es war nicht alles gut, oder?
Auch Vero tauchte in meinem Traum auf. Mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht riss er Tessa mit bloßer Hand das Herz raus und ließ mich mit klopfendem Herzen aufwachen.
Ich setzte mich auf. Aurel pennte noch und sein Schwanz hing an der Seite aus seiner Boxerhorts. Geiler Anblick am Morgen. Konnte gar nicht besser beginnen. Ich ließ meine Stirn auf mein Knie sinken und seufzte. Die Sonne schien durchs offene Fenster rein und heizte die stehende Luft noch weiter auf, aber wenigstens war mir weder schlecht, noch schwindelig, noch hatte ich Kopfschmerzen. Ein Fortschritt.
Wann sich Vero wohl melden würde?
Ich nahm mein Handy in die Hand, aber es war aus, also steckte ich es an den Strom. Der Akku begann zu laden und ich holte mir ein trockenes Stück Toast aus der Küche, um meinen Hunger zu stillen. Ich startete das Handy, während ich darauf herumkaute. Überprüfte meine Nachrichten.
Lilja
noch stress mit den bullen gehabt? 09:43
Marek
Wo wonst du jz? 08:31
Rotte
14 Mitglieder
Giso: Jemand bock auf saufen? 00:20
Isabell: Bock ja aber muss morgen früh raus 00:21
Vero: Komm zu aram, wir sind schon seit 18 dran 00:36
Giso: Untwerwegs 00:38
Wie hatte Veros Tag ausgesehen? Kurz Daniel zusammenschlagen und dann mit Aram entspannt saufen?
Bei aurel, schrieb ich Marek und Ne an Lilja.
Am Nachmittag gingen Daniel und ich zu den Schließfächern am Bahnhof, wo er seine Klamotten aufbewahrte. Eine Sporttasche ähnlich der meinen nur mit noch weniger Inhalt. Wir packten Badehose, Handtuch und Duschgel ein, dann fuhren wir mit der U-Bahn zum Freibad und kletterten an einer von Büschen und Bäumen verdeckten Stelle über den Zaun.
„Als erstes geh ich duschen", sagte Daniel, schnappte mir die Tasche weg und eilte zum Duschhäuschen rüber, während ich mir mein T-Shirt über den Kopf zog und über die Liegewiese ging. Das hier war das bessere Freibad, nicht das asoziale, bei dem der Eintritt für den ganzen Tag zwei Euro kostete und wo man das Gras unter all dem Müll nicht mehr sehen konnte.
Ich setzte mich in den Schatten einiger Bäume und ließ meinen Blick über die Eltern mit ihren Kindern schweifen, die Pärchen und die alten Leute. Es dauerte bestimmt zwanzig Minuten bis Daniel wieder auftauchte, das Haar frisch gewaschen, Oberkörper frei und den schmuddeligen roten Hoodie überm Arm. Er lächelte mich an.
„Hast du auch dran gedacht deinen Schwanz zu waschen?", grinste ich, als er sich neben mich setzte.
„Klar doch."
„Auch unter der Vorhaut?"
„Immer."
Er zog sein Handtuch aus der Tasche und breitete es neben mir aus, dann streckte er sich darauf aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Seine Haut war verdammt weiß, nur ein schwarzer Schriftzug auf seinen Rippen hob sich davon ab.
Zwischen Welt und Einsamkeit
ist das rechte Leben.
Nicht zu nah und nicht zu weit
will ich mich begeben.
Friedrich Rückert
Keine Ahnung, was diese Worte mir sagen sollten, aber Daniel hatte auch Gedichte geschrieben. Damals, als er noch mit mir im Heim gelebt hatte. Irgendwann hatte Faisal das Heft geklaut und in Stücke gerissen, woraufhin ich seine Fresse genauso kaputt geschlagen hatte. Und der Bulle dann meine.
Ich zog mein Handtuch aus der Tasche und breitete es neben Daniels aus, dann legte ich mich neben ihn und rollte mich auf die Seite, um ihn ansehen zu können.
„Was denkst du? Wegen der Rotte. Bin ich raus?"
Daniel drehte sich ebenfalls auf die Seite.
„Ich glaub nicht. Ich glaub du kriegst 'ne neue Aufgabe."
Ich nickte. Ja, wahrscheinlich.
„Wie geht's dir?" Ich betrachtete den Bluterguss unter seinem Auge.
„Passt schon. Dir?"
„Ja." Außer dass mein Nacken wehtat nach der Nacht auf dem Boden. „Gehen wir schwimmen?"
„Klingt gut."
Daniel rappelte sich auf und hielt mir die Hand hin, dann ließ er sie nicht los, bis wir das Schwimmbecken erreichten. Vom Rand sprang er mit einem Kopfsprung hinein und ich folgte. Das kalte Wasser kühlte meinen erhitzten Körper und spülte für ein paar Stunden die ganzen Sorgen aus meinem Kopf. Daniel und ich bespritzten uns mit Wasser, drückten uns gegenseitig runter und er schubste mich vom Zehn Meter Turm, ehe er hinterher sprang und fast auf mir landete. Außer Atem fanden wir uns schließlich am Beckenrand im Schatten wieder, die nassen Haare aus dem Gesicht gestrichen und mit Wassertropfen auf der Haut. Ich lehnte mit dem Rücken an der Wand, Daniel war vor mir und hielt sich links von mir am Rand fest. Seine Augen waren so hellblau wie der Sommerhimmel, über den nur ein paar Schleierwolken zogen.
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