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Ich saß vor Aurels Wohnungstür auf dem Boden und die Luft im Flur war verdammt stickig. Der Schmerz hämmerte gegen meine Stirn, mein Mund schmeckte nach Kotze und der Gestank von meinem eigenen Schweiß stieg mir in die Nase. Und er roch noch verdammt stark nach Alkohol.
Wie lange konnte Aurel eigentlich unterwegs sein? Ich entsperrte mein Handy, aber er hatte nicht zurückgeschrieben. Seufzend steckte ich es wieder weg. Draußen war es bestimmt weniger stickig, dafür knallte da die Sonne vom Himmel und es war so hell, so verfickt hell. Hier war schon besser. Hier brauchte ich mich nicht bewegen.
Ich ließ eine Minute verstreichen, dann holte ich mein Handy wieder raus und öffnete den Gruppenchat mit dem Namen Rotte. Seit gestern hatte niemand reingeschrieben, kein Hinweis darauf, wo ich stand. Scheiße. Als nächstes durchsuchte ich meine Kontakte nach Tessa, fand sie aber nicht, dann öffnete ich Instagram.
tessa lämmle
Mir wurden mehrere Profile mit ähnlichen Namen vorgeschlagen, aber ihres fand ich nicht.
Die Hitze drückte mir auf den Magen und mir war schon wieder schlecht. Gehörte das zum Erwachsen sein dazu? Ständig nur zu leiden?
Ich lehnte den Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. Irgendwann würde Aurel schon auftauchen.
Um siebzehn Uhr hatte ich keinen Bock mehr zu warten und außerdem einen riesen Durst. Stinkend und durchgeschwitzt lief ich unter der knallenden Nachmittagssonne durch und fuhr mit der U-Bahn in die Innenstadt, wo ich mir zuerst eine Flasche Wasser kaufte und zur Hälfte vernichtete, und dann durch die Straßen zog. Bald erreichte ich das Theater und lief am Haupteingang vorbei in die enge Seitenstraße. Daniel hing hier oft in den Fensternischen rum, weil hier nur verdammt selten jemand vorbeikam. Ich erblickte seinen roten Hoodie in der zweiten Nische.
„Hey, Baby", sagte ich grinsend, während ich an ihn herantrat, aber als ich sein Gesicht erblickte, verging mir das Grinsen. „Scheiße, Mann, was ist passiert?" Daniels Augen waren gerötet, aber nicht etwa vom Kiffen, nein. Er hatte geheult. Helle Tränenspuren zogen sich durch die leichte Schmutzschicht in seinem Gesicht und da klebte eine verdammte Menge Blut überall. Ich ging neben ihm auf die Knie, aber er verschränkte die Arme ein wenig enger und wich vor meiner Berührung zurück.
„Das war Vero", flüsterte er mit verstopfter Nase.
„Scheiße! Wieso?"
„Weil ich dir geholfen hab. Mit dem Wodka." Er wandte den Blick ab und schaute auf das vergitterte Kellerfenster, vor dem er hockte.
Fuck. Deswegen hatte sich das so falsch angefühlt. Im Grunde war doch klar gewesen, dass Daniel mir nicht helfen durfte. War doch der Sinn dieser verschissenen Mutprobe. Dass man sich bewies und nicht seine Teamfähigkeit.
„Fuck, Daniel. Zeig doch mal." Ich griff vorsichtig an sein Kinn und drehte seinen Kopf in meine Richtung. Das Blut klebte fast überall, ich konnte gar nicht erkennen, was eine Wunde war und ob es vielleicht schlimmer aussah, als es war. Am meisten schmerzten mich seine Tränen, die er nur meinetwegen vergossen hatte. Hätte ich mir nicht die Birne weggekifft, würde es Daniel jetzt gut gehen.
Er schaute mir in die Augen, während ich seine Wunden betrachtete.
„Tut mir leid", sagte ich und er zuckte mit den Schultern und entwand sich meinem Griff.
„Passt schon", murmelte er, aber seine geröteten Augen sprachen vom Gegenteil.
Ich würde Vero gerne dafür auf die Fresse hauen. Wirklich. Aber ich würde es nicht tun, das war mir klar. Er war nicht einer von denen, die andere die Drecksarbeit für sich machen ließen, weil sie im Grunde nichts drauf hatten. Er war derjenige, der zuschlug. Wir waren mal auf derselben Schule gewesen bis er geflogen war, weil er einen Lehrer ins Krankenhaus geprügelt hatte.
Trotzdem würde sich meine Faust in seiner Visage verdammt gut anfühlen.
„Hast du Hunger oder so? Komm, ich lass was springen", sagte ich und schaute ihn fast bittend an. Fühlte sich scheiße an so'n schlechtes Gewissen.
Daniel zuckte mit den Schultern.
„Komm schon, du hast immer Hunger", sagte ich.
Er schaute mich an und krabbelte dann aus der Nische. Ich machte ihm Platz, stand auf und zog ihn auf die Füße. Legte meinen Arm um seine Schultern, während wir zum nächsten Fast-Food Imbiss gingen, wo Daniel sich im Badezimmer das Blut aus dem Gesicht wusch, während ich uns Burger, Pommes und Cola besorgte. Als er sich zu mir an den Tisch setzte, erkannte ich eine Platzwunde auf seiner Stirn und eine nur kurz darunter auf seiner Augenbraue. Das Jochbein war angeschwollen und verfärbte sich blau, die Lippe war aufgeplatzt.
„Ist deine Nase noch ganz?", fragte ich.
„Glaub schon", sagte Daniel und fasste mit zwei Fingern an seinen Nasenrücken. Er bewegte sie vorsichtig hin und her und griff sich dann einen der Burger, den er aus seinem Papier packte und dann einen großen Bissen davon abbiss.
Ich aß nur zwei der labberigen Brötchen mit den pappigen Buletten und dem matschigen Salat drin, die übrigen vier überließ ich Daniel und schob mir stattdessen einzelne Pommes in den Mund.
„Hast du eigentlich auch so'n Kater?", fragte ich.
Er nickte kauend.
„Kurz nachdem du weg warst, hat's mich richtig umgehauen", sagte er, nachdem er geschluckt hatte. „Ich hab bei Isabell gepennt, weil die mich so nicht allein lassen wollte."
„Oho", grinste ich, obwohl ich genau wusste, dass da nichts lief. „Ich hatte nur'n Date mit den Bullen."
„Hab's so halb mitbekommen. Mussten uns plötzlich echt schnell verpissen und ich hab's erst gar nicht richtig gecheckt."
Ich steckte mir eine Pommes in den Mund und saugte einen Schluck Cola durch den Strohhalm.
„Fand eigentlich gar nicht so schlecht, dass die aufgetaucht sind. Ich war so am Arsch. Ich hab denen noch vor die Füße gekotzt."
Jetzt grinste Daniel, was auch mich zum Lächeln brachte.
„Ohne Scheiß?"
„Ja. Dann haben die mich mit in'ne Zelle genommen." Ich schaute mich schnell um. „Aber war eigentlich gar nicht so scheiße, weil ich hätte es eh nicht mehr nach Hause geschafft, glaube ich. Und nachher wäre ich Vero in die Arme gelaufen oder von dem scheiß Kran gefallen."
„Dann wär ich echt traurig gewesen."
„Ja?"
„Ja."
„Obwohl du wegen mir aufs Maul bekommen hast?"
„Ich will nicht sagen, dass du's wert bist, du bist nämlich ein ziemlicher Idiot, aber ja. Trotzdem. Wer kauft mir sonst Essen?" Er lächelte und jetzt war es wahrscheinlich wirklich nicht mehr so schlimm. Hungrig sah die Welt immer schlimmer aus. Genauso wie sie nüchtern nie so schön war, wie in anderen Zuständen.
„Weißt du eigentlich ... Also, hat Vero vielleicht was gesagt? Wegen mir?"
Daniel stopfte sich das letzte Burgerstück in den Mund und spülte es mit Cola runter, ehe er antwortete.
„Nein, keine Ahnung. Aber er hat sich die Aufnahmen jedenfalls schon angeschaut, deswegen wusste er ja, dass ich dir geholfen habe." Er zuckte mit den Schultern und ich nickte. „Er meldet sich."
„Ja." Das tat er immer. Man brauchte sich keine Sorgen zu machen, dass Vero einen vergaß. Das tat er nicht. Nie.
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