14
Es konnte noch nicht lange hell draußen sein, aber es war dafür schon echt sehr hell. Ich kniff die Augen zusammen, als Daniel und ich auf die Straße stolperten, die von geschäftigen Leuten in Autos gefüllt wurde. Die Konturen der Welt hatten wieder etwas an Festigkeit gewonnen, mein Gang aber nicht. Daniel zog mich an sich, ehe ich gegen eine am Straßenrand geparkte fette Karre stolpern konnte.
„Haben wir überhaupt gepennt?", fragte ich und schluckte den bitteren Speichel in meinem Mund runter.
„Ich hab die ganze Nacht gepennt", lachte Daniel und zog mich den Bürgersteig hinab. „Du vielleicht 'ne Stunde oder so."
Ich stöhnte auf und fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. Stolperte neben Daniel her, während ich versuchte, den pochenden Schmerz aus meinem Kopf zu verbannen und diesem Zustand zwischen verkatert und noch besoffen zu entkommen.
„Wenn du dich nächstes Mal volllaufen lässt, nimmst du mich aber mit", lachte Daniel.
Die Kotze kroch meine Speiseröhre hoch und ich stieß auf, behielt die Flüssigkeit aber drin.
„Red' nich' drüber, ohne Spaß jetz'."
Wir liefen die Straße runter.
„Hast du eigentlich Hunger?", fragte Daniel, als wir einen Kiosk passierten, der frisch geschmierte Brötchen und Kaffee anbot.
Ich drehte ihm den Kopf zu.
„Seh' ich so aus?"
„Ein bisschen vielleicht?"
„Du willst nur was zu Essen bei mir schnorren."
Daniel setzte einen unschuldigen Blick auf, aber irgendwie hatte er das nicht so drauf. Er wirkte nicht wie ein armer, hungriger Junge, sondern wie ein Drogenopfer auf der Suche nach dem nächsten Schuss. Vielleicht hatte ers deshalb so schwer auf der Straße.
Ich schob meine Hand in die Hosentasche und ertastete dort noch ein paar Münzen.
„Na komm, bisschen Kohle hab ich noch", meinte ich und wir bogen in den Laden mit den schmutzigen Fliesen, der von einer Fliegenkolonie bevölkert wurde. Ich zahlte Daniel einen Kaffee und zwei Brötchen, während ich für mich nur eine Flasche Cola bestellte. Wenigstens kam die aus der Kühlung, weshalb ich sie mir gegen die Stirn drückte, nachdem ich meinen Durst gestillt hatte. Kohlensäure war keine gute Idee gewesen. Ich schloss die Augen, um nicht mitanzusehen zu müssen, wie Daniel die Brötchenhälften herunterschlang.
Nachdem Daniel gefrühstückt und ich meinen Magen nochmal in das schäbige, verdreckte Kioskklo entleert hatte, begaben wir uns in den Park und legten uns dort in den Schatten eines Baumes, der uns vor den Strahlen der Vormittagssonne schützte. Ich bettete meinen Kopf auf seinem Bauch und er strich mir sanft durch das Haar. Zu so früher Stunde hingen hier noch keine Studenten herum, nur ein paar Jogger, ein paar Mütter mit ihren Kindern oder Menschen, die ihren Hund ausführten.
„Ich hab übrigens die Mutprobe bestanden", erzählte ich.
„Echt jetzt? Wann?" Daniel kraulte mich mit gleichmäßigen Bewegungen und ich schloss die Augen. Sperrte die Bilder von Menschen aus, die ihr Leben im Griff hatten, während mich schon wieder ein verdammter Kater fickte.
„Letzte Nacht. Da war so'n Kerl, der hat Vero noch Geld geschuldet. Für 'ne Waffe, die er von ihm bekommen hat. Das hab ich dann besorgt." Mein Magen grummelte und ich legte mir eine Hand auf den Bauch.
„Was genau macht Vero eigentlich?", fragte Daniel. Sein Bauch hob und senkte sich sanft bei jedem seiner Atemzüge.
„Keine Ahnung." Irgendwas Illegales. Bei der Aktivitätenwahl war er bestimmt variabel. Ich drehte mich ein wenig mehr auf die Seite. „Ich bin jedenfalls froh die Scheiße hinter mir zu haben." Ich legte meine Hand auf Daniels Oberschenkel ab und bettete meinen Kopf ein wenig bequemer. Gleichmäßig hämmerte der Schmerz gegen meine Schläfen.
„Ich bin auch froh", hörte ich seine Stimme in weiter Ferne. Ich fasste seinen Oberschenkel fester, er sollte nicht verschwinden. Er sollte bei mir bleiben. Ich merkte noch wie mein Griff sich wieder löste, dann rückte meine Übelkeit in den Hintergrund und schließlich verschwanden auch die Kopfschmerzen in weicher Watte.
Als ich die Augen wieder aufschlug, pochte der Schmerz nicht mehr gegen meine Schläfen. Er steckte noch dumpf in meinem Hinterkopf und ein schales Gefühl der Übelkeit hing noch in meinem Magen, aber es war definitiv besser.
Ich leckte mir ein wenig Sabber aus dem Mundwinkel, während ich langsam die Augen öffnete. Die Wiese lag in einem satten grün vor mir, durchzogen von kleinen weißen Gänseblümchen. Vögelchen hüpften herum, landeten oder flogen davon, weiter hinten spielten ein paar Kinder Fußball. Die Sonne schien von einem wolkenlosen blauen Himmel herab und hatte unseren Schattenplatz unter dem Baum schon fast vollständig mit ihrem Licht geflutet.
Langsam brachte ich meinen Körper in eine aufrechte Position und drehte mich zu Daniel um. Gleichmäßig hob und senkte sich sein Bauch, seine Augen waren geschlossen, die eine Hand lag mit der Handfläche nach oben in einer unbequem aussehenden Position nahe seinem Kopf, der zur Seite gekippt war. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Ich streckte mich, drehte meinen Kopf erst nach rechts, bis es in meinem Nacken knackte, dann nach links. Kein Knacken. Verdammt. Dann legte ich mich auf die Seite neben Daniel in die Wiese, schloss die Augen und genoss den seichten Wind, der mir durchs Gesicht strich. Die Luft war warm, aber nicht stickig.
Eigentlich war heute ein ganz guter Tag.
„Hey", lächelte ich, als Daniel die Augen aufschlug. Auch er lächelte verschlafen.
„Hey", erwiderte er und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Gähnte und streckte sich ein wenig, ehe er wieder in derselben Position verharrte.
Eigentlich war es überhaupt nicht mein Ding über meine Gefühle zu reden, aber Daniel wusste wie es war sich von seinen Emotionen begraben zu fühlen. Von all dem Scheiß, der uns tagein, tagaus begegnete und vor dem wir nicht davon rennen konnten. Den wir vielleicht kurzzeitig mit Alkohol und anderen Drogen aus unserem Bewusstsein schwemmen konnten, der aber zurückkam, darauf konnte man sich verlassen.
„Glaubst du, deine Eltern sind stolz auf dich?", fragte ich, obwohl das irgendwie ein beschissener Einstieg ins Gespräch war. Ich hatte keine Ahnung was mit Daniels Eltern war und eigentlich brauchte ich es auch gar nicht wissen. Der traurige Schatten, der sich über seine Augen legte, bestätigte meine Sorge. „Vergiss es, darauf wollte ich gar nicht hinaus. Eigentlich ... eigentlich geht's mehr darum, dass ich nur Scheiße mache. Weiße, wenn ich mal Geld hab, versauf ich's. Ich mach nichts außer mich abzuschießen oder verkatert rumzuhängen."
„Und eigentlich willst du deine Eltern stolz machen?", fragte Daniel und schaute mir in die Augen. Ich nickte langsam. „Die sind tot. Die können nicht mehr stolz oder enttäuscht sein."
„Ja, schon klar ... Ach, keine Ahnung, das war bescheuert." Vielleicht war Daniel doch nicht so verständnisvoll.
„Nein ... Wenn du reden willst ...", erwiderte er und unsere Blicke trafen sich. Wir schauten uns an, keiner sagte was und trotzdem wurden tausend Worte gesprochen.
„Schon gut", sagte ich sanft. Er sollte nicht denken, dass es seine Schuld war, dass er scheiße reagiert hatte. Daniel nahm sowas mit, das wusste nicht. Es sollte sich nicht noch jemand wegen mir scheiße fühlen, wenn ich das tat, reichte das schon.
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