13
„Zahlen, bitte", hörte ich Tessa sagen. Mein Kopf lag auf dem Tisch, eine Weile schon. War eigentlich ganz bequem hier. „Hast du Geld dabei?"
„Nee", murmelte ich.
„Dein scheiß Ernst?", fragte sie. „Komm mal hoch jetzt!" Sie griff in mein Haar und zog daran, um meinen viel zu schweren Kopf aufzurichten. „Janko!"
„Is' ja gut." Als ob ich jetzt mehr Erfolg damit hatte meinen Kopf zu heben. Ich versuchte es, drückte ihn hoch und spürte eine unangenehme Feuchte an meiner Wange. Ekelhaft. Ich wischte sie mit meinem Ärmel ab und schaute von Tessa zu dem Barinhaber, die beide ihre auffordernden Blicke auf mich gelegt hatten. „Hä?", fragte ich.
„Du wolltest zahlen", sagte Tessa.
„Ah ja." Ich schob die Hand in meine Taschen und stieß auf das Kleingeld, das von meinem Job übrig geblieben war. Ich schob dem Kerl solange Ein- und Zwei-Euro-Stücke hin, bis er zufrieden aussah. Keine Ahnung, ob es genug oder zu viel gewesen war, war mir ehrlich gesagt auch scheiß egal.
„Einen schönen Abend noch", wünschte der Mann in dem Moment, in der sich ein lautstarkes Rülpsen den Weg aus meiner Kehle bahnte und mir einen ekelhaften Geschmack auf die Zunge legte.
Tessa hakte sich bei mir unter, als wir nach draußen liefen. Wahrscheinlich weil sie sonst nicht mehr geradeaus laufen konnte.
„Bin ich 'ne gute Stütze?", fragte ich sie. Die Worte lagen mir schwer auf der Zunge und stießen gegen meine Zähne, als sie aus meinem Mund purzelten.
Tessa lachte. Sie lachte wie früher. Fuck, da kam mir fast die Kotze hoch.
„Du bis' ja süß", meinte sie. Das nahm ich mal als ja.
Die schwüle Nachtluft schmeckte nicht gut.
„Schafft du's allein nach Hause?", fragte Tessa.
Die Lichter der Laternen zogen Schlieren durch die dunklen Straßen und irgendwie sah alles hier ziemlich unbekannt aus.
„Sicher!", sagte ich überzeugt. Ich blickte in Tessas lächelndes Gesicht.
„War schön", meinte sie und zog mich in eine Umarmung.
„Wir wiederholen das!"
„Klar, wieso nicht?"
„Super!"
Sie ließ mich los und ging mit so kräftigen Schritten davon, dass sie die Straße erschütterte. Ich schwankte ein Stück zur Seite, da war plötzlich der Bordstein zu Ende und ich stürzte gefühlte Kilometer tief, bis meine Füße den Asphalt der Straße erreichten.
Scheiße, Mann. Heute war ein verrückter Tag. Heute war so verschissen viel passiert.
Ein lautes Hupen ertönte.
„Ey, du Wichser, geh von der Straße runter!", brüllte jemand und als ich mich umdrehte, erblickte ich einen Kerl in einem weißen Mercedes, der seine Faust aus dem Fenster streckte. So'n richtig alter Sack.
„Du Hurensohn, halt die Fresse!", rief ich, machte einen Schritt auf seine Karre zu und holte mit meinem Fuß aus. Wollten wir doch mal sehen wie weit der seine Schnauze noch aufriss, wenn ich dem erstmal 'ne ordentliche Delle in seine Dreckskarre getreten hatte.
Als nächstes fuhr ein Schmerz durch meinen Ellbogen und ich erblickte den Kühlergrill sehr nah vor meinen Augen.
„Runter von der Straße, scheiß Besoffski!", rief der alte Sack.
Fuck, Mann.
Ich ließ den Kopf auf den Asphalt sinken und zog meinen Ellbogen zu mir heran, um einen Blick darauf zu erhaschen. Er verschwamm vor meinen Augen wie ein verwackeltes Bild von 'ner beschissenen Handykamera.
„Ey, is' Daniel bei dir?", brüllte ich in mein Handy.
„Junge, es ist mitten in der Nacht. Daniel ist nicht bei mir."
Ich legte wieder auf, tippte auf das nächste Rottenmitglied in der Messengergruppe und wählte die Nummer. Lauschte dem Freizeichen, während ich durch die dunklen Straßen lief und der Horizont schon vom nächsten Morgen sprach. Dunkel zumindest. Ha-ha.
„Ey, is' Daniel bei dir?", rief ich. Die Wände der hohen Gebäude um mich herum warfen meine Stimme zurück und ließen sie in einem Hinterhof verhallen.
„Nein."
Ich hatte fast die gesamte Liste durchtelefoniert, als ich endlich Erfolg hatte.
„Ja, er ist bei mir. Und wir haben gepennt bis gerade eben."
„Scheiße, geil", grinste ich. „Ey, wer bis' du nochmal?"
„Du hast doch mich angerufen." Es war definitiv 'n Weib.
„Ja, Alter, aber hab ich halt vergessen. Sag ma' kurz."
Rosalie sah irgendwie nicht erfreut aus, als sie mir im Morgengrauen die Tür öffnete. Unter ihrem wirren Haar starrten ihre Augen mich ablehnend an, aber zu ihr wollte ich auch gar nicht. Ich schob sie zur Seite und trat ein.
„Sei wenigstens leise", zischte sie, griff an meine Schultern und schob mich den Flur runter und dann nach links in ein Zimmer voller Plüschtiere auf halbnackter Rapper an den Wänden. Und Daniel auf einer Matratze auf dem Boden. Verpennt blinzelte er mich an. Verdammt, sah das süß aus.
„Hey, Baby", grinste ich und ließ mich neben ihn fallen. Versuchte ihn zu umarmen, aber irgendwie war die Decke im Weg. „Ey, nimm das ma' weg, Mann."
„Flüstern!", zischte Rosalie und schloss die Zimmertür.
„Ja, ja."
Daniel zerrte an der Decke herum.
„Geh ma' runter, du liegst drauf."
Der hatte Wünsche.
„Zieh halt fester", sagte ich.
Er setzte sich auf, zog fester und noch fester und ich rechnete schon damit ein Ratschen zu hören, als die Decke plötzlich unter mit wegflutschte und ich endlich meine Arme um Daniels dürren Körper legen konnte. Ihn an mich ziehen konnte.
„Gute Nacht", murrte Rosalie.
„Ich muss dir was erzählen", murmelte ich und Daniel drehte sich zu mir um. Auch sein Gesicht war unscharf und verwackelt, also schloss ich die Augen.
„Scheiße, Mann, ich werd' von deiner Fahne schon fast besoffen", erwiderte er und schon spürte ich seine Zunge in meinem Mund. Meine Hand wanderte seinen Körper hinab auf seine Hüfte, wo ich über seinen spitzen Knochen strich. Was auch immer ich hatte erzählen wollen, hatte Zeit. Da war eh nichts mehr in meinem Kopf. Nur noch Daniels Zunge in meinem Mund, seiner warmer Körper in meinen Armen und seine warmen Finger, die er unter mein Shirt schob.
Jemand rüttelte an mir. Sehr, sehr brutal.
„Aufstehen!", hörte ich eine unnachgiebige Stimme und vermutete, dass sie mich damit meinte.
Scheiße.
Ein pulsierender Schmerz bearbeitete meine Schädeldecke. Ich hatte noch nicht mal die Augen geöffnet, aber dass dieser Tag beschissen werden würde, stand außer Frage. In meinem Mund war die Wüste ausgebrochen und in meinem Magen rumorte es. Irgendwer rekelte sich in meinem Arm. Scheiße, war das ...? Ich öffnete mein Auge nur einen Spaltbreit, nur genug, um kurzes, blondes Haar vor mir zu erblicken. Nicht Tessa, gut.
„Steht jetzt auf, verdammt!"
Daniel bewegte sich und wollte unter meinem Arm wegkriechen, aber ich zog ihn eng an meinen Brustkorb.
„Janko!"
„Fresse", nuschelte ich. Warum konnte mich kein Wichser auf der Welt mal schlafen lassen? Scheiße.
„Ich muss jetzt zur Schule und ihr zwei haut ab."
Vorsichtig öffnete ich die Augen ein wenig weiter und erblickte Rosalies Papierkorb unter dem Schreibtisch, der sich nicht weit weg von mir befand. Eigentlich war er nur eine Armlänge weit weg und als ich mich aufrichtete, war ich verdammt froh darum, ihn mit einem Griff bei mir haben zu können. Keine Sekunde später verteilte ich meinen Mageninhalt über Taschentücher, zusammengeknülltes Papier und Verpackungen von Süßigkeiten.
„Ich muss echt los."
„Soll ich schneller kotzen oder was?", fragte ich und spuckte den ekelhaften Geschmack aus.
„Ja, bitte."
Ich hob die Augenbrauen und der Schmerz pochte noch heftiger gegen meine Stirn.
„Komm, kannst auch draußen kotzen. Ich geh eben pissen, dann hauen wir ab", sagte Daniel zu mir. Leichtfüßig verschwand er auf dem Flur und ich blieb alleine mit Rosalie zurück, die die Arme vor der Brust verschränkte und einen Rucksack auf dem Rücken trug.
„Ich verpass noch die Bahn wegen dir."
„Dann hättest du mich halt fünf Minuten früher wecken sollen, meine Fresse", zischte ich und beugte mich über den Mülleimer, als die Übelkeit wieder meinen Magen zusammenzog.
„Hab ich ja versucht", erwiderte sie und seufzte tief. „Warum schießt du dich eigentlich jedes Mal so ab?" Da war so etwas wie Sorge in ihrer Stimme, aber eigentlich klang sie nur genervt.
„Warum verpisst du dich nicht einfach?"
„Weil ich hinter euch abschließen muss, deshalb."
Ich nickte. Spuckte nochmal.
Daniel kam zurück und packte mich unter den Achseln.
„Komm schon, wir gehen irgendwohin wo's schön ist und kurieren da deinen Kater", sagte er und bemühte sich, mich auf die Füße zu kriegen. Ich stützte mich auf dem Rand des Mülleimers ab, der gefährlich schwankte, als ich mich abstieß. Daniel legte seinen Arm um mich und schleppte mich an Rosalie vorbei in den Flur, sie folgte uns auf den Fuß und schloss hinter uns die Tür ab.
„Schönen Tag, Jungs", meinte sie, schob sich an uns vorbei und sprang die Treppen runter.
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