7. Tattoos

Scheiße, was machen wir hier? Ich seufzte. »Ich weiß es nicht«, flüstere ich in die Dunkelheit hinein.

Mir ist kalt und heiß zugleich. Heiß, weil es Sommer ist und ich eine dicke Decke umschlinge und kalt, weil ich mich an einem Ort befinden, indem ich eigentlich nicht sein sollte. Um genauer zu sein; in einer gottverdammten Villa. Und das nicht mal alleine. Meine Großmutter (die nicht meine Großmutter ist) schläft ein paar Zimmern weiter von mir entfernt und dann noch mein Onkel. Der Bruder meiner Schwester, Alec Grey.

Ich wusste Anfangs nicht, das noch jemand hier sein sollte und das es dazu noch eine verwandte Person ist. Mein Onkel. Irgendwie gruslig noch mehr Familie zu haben, als angenommen. Zu meiner Verteidigung, ich dachte, ich wäre der einzige lebende McCartney. Oder besser gesagt, der einzige lebende Grey.

Ich wünschte, ich könnte die Begegnung von Alec und mir auslöschen. Dieses Ereignis war ... peinlich. Und komisch. Und irgendwie witzig. Zumindest für mich. Für ihn muss es beschissen und seltsam gewesen sein. Man erlebt ja nicht alle Tage, wie dein verschwundener Neffe frisch aus der Dusche kommt und dann einen selbst ins Gesicht schlägt.

»Verdammt! Was sollte das?«, war das erste, was er mit seiner wirklich tiefen Stimme zu mir gesagt hat. »Wer sind Sie?«, fragte ich und hielt meine Hände hoch, um nochmal zuschlagen zu können. »Alec. Mein Gott, ich wohne hier. Und ...« Er wischt sich das Blut, das aus seiner Nase kommt, weg, ehe er weiter spricht. »Gibt deine Hände runter, Marco.« Ich hab ihn verwundert angesehen. Woher wusste er, wer ich war und wieso zur Hölle behauptet er, er würde hier wohne? Mein erster Gedanke war dann, das Penelope ernsthaft nur scheiße ausgespuckt hat und sie in echt eine Sugar-Mommy ist, nachdem ihr super reicher Ehemann ins Gras gebissen hat.

Innerlich habe ich dann Panik bekommen. Ich hatte keine Lust auf eine Sugar-Mommy. Schon gar keine, die meine Vergangenheit dazu benutzt, um mich um den Finger zu wickeln. Natürlich habe ich ihr das alles nicht richtig abgekauft. Würde ich so schnell vertrauen, genug Glaube habe und viel Hoffnung besitzen, würde ich es nicht so lange in dieser beschissenen Welt überleben.

Vertrauen, Glaube und Hoffnung wird einen kaputt machen. Es ist der Untergang mancher Menschen. Es wäre auch mein Untergang gewesen. Nur war ich schlau und hab an diesen Sachen aufgegeben. Hätte ich Vertrauen an jeden Menschen, der mir über den Weg läuft, wird mein Vertrauen irgendwann ausgenutzt. Wenn ich an alles glaube, was ich höre, wäre ich dumm und wenn ich noch Hoffnung hätte, wäre ich enttäuscht worden.

Nachdem ich meine Hände runtergenommen hatte, erklärte er mir, das er mein Onkel sei und das er mit Penelope und mit seiner Tochter Nelia hier leben würden. Erstmal haute es mich aus den Socken, das ich noch eine Cousine habe, die hier in dem Haus lebt. Und gleichzeitig wurde ich sauer, weil Penelope mir nicht sofort etwas davon gesagt hat.

Als er meine Cousine erwähnt hat und das sie und er hier wohnen, habe ich ihm im Flur stehengelassen und bin nur mit einem Badetuch um meine Hüften durch das ganze Haus gerannt, um zu Penelope zu gelangen. Ich fand sie dann in ihrem Zimmer, wo sie gerade eines ihrer Bediensteten aufforderte irgendwelche Sachen herauszutragen.

»Oh ... Hey, Marco. Was brauchst du?« Sie hat an mir herunter gesehen und nickte, als würde sie verstehen. »Kleidung, stimmt. Kleidung habe ich dir schon besorgt. Alles in deinem ...«
»Wieso hast du mir nichts gesagt?«, unterbrach ich sie. »Was gesagt?«
»Das mein Onkel und meine Cousine in diesem Haus leben.« Sie lachte auf. »Du glaubst mir ja nicht mal, das ich deine Großmutter bin, also wäre diese Information überflüssig gewesen.«
»Ich glaube dir zwar nicht, aber dennoch hätte ich gerne gewusst, das da mehr Menschen sind, damit ich keinem die Nase blutig schlage!«

Verwirrt kräuselte sich ihre Stirn. »Wen hast du geschlagen?«
»Alec.«
»Wieso?«
»Er hat mich erschrocken.« Sie öffnete ihren Mund kurz, schloss ihn dann wieder. Bis sie sich umdrehte und irgendwas aus ihrem Schrank rausnahm und belustigt sagte: »Notiz an mich; erschrecke auf gar keinen Fall Marco, wenn du keine blutige Nase haben willst.«

Ich hatte drauf nichts mehr gesagt. Bin einfach in mein Zimmer gerannt und habe mich umgezogen. Eine schwarze Jogginghose und einen dunkelgrauen Pullover. Schön mal etwas anderes anzuhaben. Fühlt sich irgendwie ... befremdlich und bequem an. Ich sah auch frischer aus und fühlt mich frischer, als ich in die Spiegel geschaut habe.

Meine braunen Haare sind länger geworden. Aber nicht zu lang, das ich sie hinten wie ein Pferdeschwanz tragen könnte. Der Schmutz in meinem Gesicht und an meinem ganzen Körper ist weg. Wie auch der Dreitagebart, den ich rasiert habe. Eigentlich mag ich es, einen Bart zu tragen, aber damit sehe ich älter aus, als ich es bin. Weil auch der Schmutz an meinem Körper weg ist, sieht es so aus, als wäre meine Tattoos frisch und saubern.

Da alles dreckig war, litten auch meine geliebten Tattoos darunter.

Mein erstes Tattoo bekam ich im Gefängnis. Es war eine kleine Rose auf meinem Handgelenkt. Das Tattoo war für Charlie. Die Frau, die ich wirklich geliebt habe und die wegen mir sterben musste. Weiße Rosen waren ihre Lieblingsblumen, deshalb ließ ich es mir stecken. Im Knast kam das komisch an, weil alle entweder schon Tattoos hatten oder sich wirklich krasse hier stechen ließen.

Diese kleine Rose sorgte für viel Wind und versorgte mich mit Respekt und auf der anderen Seite Spott und Belustigung. Viele waren erstaunt und hatten Respekt, weil ich trotz meiner jetzigen Situation an die kleinen und schönen Dinge hielt (was ich persönlich nicht sagen würde) und der Rest verspottete mich, wegen der selben Sache. Ich wurde wegen diesem Tattoo sogar zusammengeschlagen und vergewaltigt.

Wie grausam Menschen wirklich sein können, sieht man erst im Gefängnis.

Nach der Rose kamen weitere Tattoos und irgendwann wurde es zur Tradition, das ich mir was stechen ließ, sobald ich verprügelt oder vergewaltigt wurde. Am Ende wurden es einige Tattoos. Natürlich habe ich mir auch Tattoos wegen anderen Gründen stechen lassen. Zum Beispiel mochte ich Messer schon immer, also habe ich mir ein Messer stecken lassen, wo drunter »Bist du sicher?« steht. Das ist das letze, was ich meine Opfer frage.

»Bist du sicher?«, frage ich ihn leise. Eine kleine Träne löst sich aus seinen großen ozeanblauen Augen. »Ja.« Er schnieft. »Bitte tu es einfach«, flüstert er und sah zu wie das Leben langsam aus seinen Augen entwich, als ich zustach.

Das Tattoo befindet sich auf meinem rechten Unterarm.

Aber jetzt, wo ich wach im Bett liege, die Dunkelheit den ganzen Raum mit seiner Schönheit und der Unsicherheit umhüllt, kann ich an nichts anderes denken als morgen. Morgen wird mich so viel erwarten. Penelope hat mir erklärt, das wir morgen Haare schneiden und färben gehen würden, da ja als Mörder ziemlich bekannt bin. Besonders da ich jung bin und für die meisten Frauen dezent attraktiv und interessant bin, müsste ich mich ändern. Meine Haare werden schwarz gefärbt und gekürzt. Meiner Meinung nach wird es keine große Veränderung sein aber es macht mich trotzdem nervös.

Das Gute dabei ist, ich darf mir ein neues Tattoo stechen lassen. Plus ich darf mein Lippenpiercing behalten. Den Piercing habe ich mir auch im Gefängnis machen lassen.

Was man alles im Gefängnis machen kann ist echt krank.

Übermorgen werde ich dann auch anfangen zu arbeiten. Penelope hat zwar gemeint, ich könnte mit der Arbeit noch warten, weil sie ihr Angebot nicht ändern würde, aber ich möchte so schnell wie möglich arbeiten und genug verdienen, um abzuhauen. Es ist zwar cool hier in dieser gigantischen Villa, aber ich fühle mich nicht ganz wohl mit Menschen zu leben, die sich als deine Familie ausgeben.

Auch wenn sich herausstellen würde, das sie wirklich meine Familie sind, das selbe Blut wie ich besitzen, würde ich mich noch unwohler fühlen.

Die erste Nacht und du willst jetzt schon abhauen? Bitter lache ich leise auf. »Willst du etwa, das wir hier bleiben?« Keine Antwort, war ja klar. Seufzend schlage ich die Decke zur Seite und stehe vom Bett auf. So leise wie mir nur möglich ist tapse ich über den mit besetzen Fußboden mit Teppich, zur Tür. Vorsichtig öffne ich sie und setze einen Fuß in den Gang. Als ich im Flur stehe schließe ich die Tür und gehe auf die Treppen zu, die am anderen Ende des Gangs ist.

Gott sei dank muss ich nicht an Penelopes Zimmer vorbei. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mal in welchem Zimmer Alec und Neira schlafen. Ist mir auch eigentlich egal.

Mein Ziel ist die Küche, die im Erdgeschoss ist. Überaus vorsichtig schleiche ich die Treppe herunter und bekomme bei jedem kleinen Geräusch einen halben Herzinfarkt. Im Gefängnis musste man immer wachsam sein. Selbst beim schlafen. Vorausgesetzt man konnte schlafen. Ich jedenfalls hab nie wirklich lange oder richtig geschlafen. Jedes noch so kleine Geräusch ließ mich in Panik geraten.

Besonders wenn man neu war und sich noch keinen Respekt bei den Häftlingen und den Gefängniswärtern einholen konnte musste man auf der Hut sein. Solange du keinen Respekt erlangen konntest warst du noch mehr in Gefahr, als man es sowieso schon ist.

Die Häftlinge spielen gerne Spiele. Sie schüchtern die Neuen ein und warten bis einer heulend einknickt. Daraus werden sogar Wetten geschlossen. Der Gewinner bekommt den Opfer, der eingeknickt hat. Keiner durfte diese Person anrühren, bis auf den Gewinner selbst und der konnte mit seinem Opfer tun, was ihm gerade lieb war. Wenn das Opfer sich bei den Gefängniswärtern und dem Direktor des Gefängnis gewandt hat, galt es automatisch für den Tod des Opfers. Es war sozusagen eine Freikarte für alle die, die ihre Mordlust zu lange in Schach gehalten haben.

Wenn das Opfer ausspuckt, durften ihn alle töten und den Gefängniswärtern war es teilweise egal, da sie dafür von außerhalb ordentlich bezahlt wurden. Schlussendlich ist es nicht mal ihr Job uns am Leben zu erhalten. Ihre einzige Aufgabe besteht darinnen uns dort zu behalten wo wir sein müssten. Was bedeutete, das wir dort sterben mussten.

Aber man musste nicht ein ausgewähltes Opfer sein, um das erleben zu müssen, was ein Ausgewählter durchleben muss.

Die Häftlinge, die bevor einem selbst da war, waren die alten Haie. Die Neuankömmlinge sind die kleinen Fische und jeder Hai begnügte sich an den kleinen Fischen. Lange. Aber selbst die alten Haie, die untereinander noch ein Hühnchen zu rupfen hatten, taten sich das gegenseitig an.

Als kleiner Fisch ist man Frischfleisch für die. Sie können machen was sie wollen. Sie können dich vergewaltigen, dich demütigen und schlagen so lange sie wollen, wie sie wollen, wann sie wollen und wo sie wollen.

Ohne Respekt und gnadenlose Härte überlebt es keiner hier.

Und auch wenn ich jetzt nicht mehr in diesem grauenvollen Ort bin, so ist es nicht gerade besser hier. Eingesperrt in einem wunderschönen Albtraum und die Sinne wie immer geschärft. Hier mag es mir gut gehen aber ich bin umgeben von Lügner und Lügner gab es sehr wenige im Knast. Natürlich lügt jeder. Selbst die Häftlinge. Besonders wenn man sie fragte, ob sie schuldig seien. »Nein«, war immer die Antwort und doch wusste jeder, das es eine Lüge war. Aber wenigstens tat keiner so, als wären sie deine lang verlorene Familie. Oder sie taten auch nicht so, als würden sie einen mögen. Sie sagten und taten das, worauf sie Lust hatten.

In dieser Villa ist es anders. Ich bin eingesperrt mit Menschen, die behaupten das selbe Blut in sich zu tragen, wie ich es tue. Und obwohl mir bewusst war, das Penelope verrückt und einsam ist habe ich trotzdem das Angebot genommen, also werde ich jetzt keinen Rückzieher machen. Ich brauche sowieso Geld, um mir eine eigene Bleibe zu suchen und dann zu verschwinden und da sie mir einen grandiosen Job mit genügen Geld anbietet wird es nicht lange dauern bis ich von hier verschwinde.

Am Ende der Treppen angekommen bleibe ich stehe und halte den Atem an. Ich muss sicher gehen, das ich keinen geweckt habe. Da ich nichts höre - was schon gruslig ist - gehe ich weiter in Richtung Küche. Es ist gerade mal so hell, das ich weiß, wo ich mich gerade befinde. Nach langem rumtasten finde ich den Lichtschalter und mache das Licht an.

Für eine Sekunde bleibt mein Herz stehen, als ich ein kleines Mädchen vor mir stehen habe, das mir ein Buttermesser entgegen hält. Ich starre sie stumm an, unbeeindruckt nebenbei. Sekunden vergehen und dann lässt sie das weiche Messer sinken und atmet erleichtert aus. »Du hättest mich warnen können, Arschloch«, ist das erste was sie zu mir sagt. Ich lache auf. »Entschuldige, kleines, aber ich bin derjenige, der mit einem Buttermesser gedroht wird. Nicht du.« Sie verdreht ihre grünbraunen Augen und setzt sich auf eines der Stühle, die da rumstehen. Ohne weiter auf mich zu achten schnappt sie sich die halbaufgegessene Torte und isst sie seelenruhig weiter.

Mit schiefgelegtem Kopf betrachte ich sie. Sie hat kurzes braunes Haar, das superglatt und glänzend im strahlendem Weiß der Küchenlampe wirkt. Sie trägt einen dunkelbraunen Pullover und eine graue Jogginghose, die viel zu groß für sie sein müsste.

Grinsend gehe ich auf den Kühlschrank zu, öffne ihn und betrachte den Inhalt. »Nelia?«, sage ich und hole eine geöffnete Yoghurtschokolade heraus. Ich wusste sofort, das sie es ist. Das einzige Kind, das hier lebt, soweit ich weiß. Würde mich nicht wundern, wenn es mehr von diesen armen Dingern gebe. »Was?«, schnauzt sie mich auf der Stelle an. »Hat er dir wehgetan, oder wieso bist du so mies gelaunt, Cousinchen?« Wieder steigt dieses seltsame Gefühl in mir auf.

Durch die überdimensionalgroße Kleidung die sie trägt, konnte ich nur daraus ausschließen, das es Jungskleidung ist und ihre Laune deutet auch darauf hin, das irgendetwas passiert ist. Oder sie ist von Grund auf so. Schmunzelnd schließe ich den Kühlschrank und lehne mich daran an. Während ich mir ein Stück Schokolade in den Mund schiebe beobachte ich wie Nelias Züge von entnervt zu verletzt und sprachlos wandert. Dann aber ist sie wütend. »Arschloch«, murrt sie mit vollem Mund, steht sauer auf und verschwindet stampfend.

Schade um den Kuchen. »Ja, schade um den Kuchen.«

Wie ironisch unser Zusammentreffen doch war. Muss wohl an der Familie liegen, die mit schlechten Starts verflucht wurde.

Mit Schokolade im Mund und an meinen Händen schalte ich das Licht aus und gehe wieder in meinem Zimmer. Dort angekommen werfe ich die Schokolade auf dem Bett und öffne das Fenster. Die kühlende Nachtluft überflutet meinen Zimmer und der Schweiß an meinem Körper verschwindet nach einer Zeit. Ich setze mich auf der Fensterbank und sehe in den Himmel hinauf.

Es ist lange her, als er starb und doch habe ich ihn nicht vergessen. Ich weiß nicht mehr ganz, wie er aussieht, aber seine Stimme spukt jeden Tag in meinem Kopf herum. Ich höre sie immer. Sie leitet mich, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Er ist immer präsent. Als wäre seine Seele, seine Stimme und alles was ihn ausmacht an mich übertragen worden, als er sich vor meinen Augen in die Tiefe stürzte.

»Ich vermisse dich, mein Freund«, sage ich gen Himmel und erhalte dieses eine Mal keine Antwort.

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Tut mir echt leid, das dieses Kapitel der reinste Chaos ist. Ich hab wieder Schule und fühle mich jetzt schon unmotiviert und unter Druck gesetzt. Ich hoffe dennoch, das es euch gefallen hat und das ihr mir dieses verwirrende Kap verzeiht.

Bis in zwei Wochen, mi caramelitos<3

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