3. Jagd
Oh, verdammt.
Das müssen Ameers kleine Püppchen sein. Seine Gang. Wer anderes kann es nicht sein. Ich mein, ich kenne niemanden hier, also wer sollte es sonst sein? Höchstwahrscheinlich haben sie herausgefunden, dass ich Ameer getötet habe. Wundert mich eigentlich, dass es so lange gedauert hat.
Zu deren Verteidigung, ich hab es so aussehen lassen als wären wir Quitt und ihn dann ein Jahr später getötet. Sozusagen haben wir uns ein Jahr in Ruhe gelassen, was mein Plan war, damit sie nicht sofort checken, das Marco McCartney einen der bekanntesten und mächtigsten Drogenbosse, Ameer Saliviati, getötet hat.
Dennoch hatte ich früher erwartet das sie es herausfinden. Ameer hat zwar viele Feinde, aber sie hätten wissen müssen das ich in irgendeiner Verbindung zu seinem Mord stehe.
Jedenfalls hatte ich jetzt zwei Optionen. Die erste war einfach wegrennen. Die zweite ist, den Befehl zu folgen und einfach in diese verdammte Limousine zu steigen. Wenn ich wegrenne, könnten sie mich trotzdem fangen. Schließlich haben sie eine Auto und ich bin zu Fuß unterwegs. Wahrscheinlich sind sie auch bewaffnet, also könnten sie mich auch gut auf offener Straße erschießen. In die Limousine zu steigen würde dasselbe Ende haben, wie wenn ich einfach wegrennen würde. Sie würden mich in diesem Auto erschießen, oder irgendwo anders hinfahren, um mich dann dort zu erschießen.
Beide enden mit meinem Tod. Nicht, das ich den Tod nicht willkommen heißen, ich freue mich sogar schon riesig auf den Sensenmann, aber ich bin gerade erst entlassen worden. Ein bisschen von der Welt erfahren wird mir schon nicht schaden, bevor mein Leben zu Ende geht.
So impulsiv und leichtsinnig, wie ich bin, hatte ich die erste Option gewählt.
»Vergiss es«, hatte ich noch gesagt, drehte mich zur Seite und rannte los. Ich rannte an dem langen, schwarzen Wagen vorbei, in die hingegen gesetzte Richtung, wobei der Fahrer erstmal umdrehen musste, um mir folgen zu können. Meine Beine bewegen sich so schnell, wie schon lange nicht mehr. Im Gefängnis habe ich mich zwar sportlich gehalten, was meine Muskeln durchaus wiederspiegeln, dennoch bin ich nicht viel gerannt. Außer ich habe Ramon, ein Freund im Gefängnis, genervt, wobei er mich dann danach durch das ganze Feld verfolgt hat, um mir am Ende eine reinzuhauen.
So lief das immer zwischen Ramon und mir. Einer geht dem anderen auf dem Sack, wird verfolgt, bis er gefangen wird und dann Schläge einstecken muss. Klingt schmerzhafter, als es wirklich ist.
Durch das Jagen zwischen meinem Kumpel und mir im Gefängnis, bin ich geschickter darinnen auszuweichen als zu rennen. Ramon war besser im Rennen, da er, als er kleiner war Fußball gespielt hat und ich musste im meinem Leben zuvor nie wirklich rennen. Nicht mal als ich getötet habe, musste ich meine Beine so derartig vertreten wie jetzt gerade.
Jeder sportliche Mensch, der gerne läuft, schüttelt wahrscheinlich seinen Kopf wegen mir und meinem dramatischen Verhältnis zum Rennen.
Ich schlinge mich zwischen die Menschen hindurch, stoße den einen oder anderen weg, wobei ich einige böse Blicke abbekomme. Mit flinken Füßen drehe ich mich zwischen den Hindernissen durch und renne die Straßen entlang. Bei einer Ampel angekommen warte ich nicht, bis das Zeichen grün leuchtet und mir somit die Erlaubnis gibt weiter zu rennen, sondern biege einfach links ab und laufe von da aus weiter.
Meine Füße brennen, meine Beine signalisieren mit jedem Schritt das ich müder werde. Keine Ahnung wie lange ich laufe, vielleicht so um die zehn Minuten, bis ich erschöpft und schweren Atmens stehen bleibe. Mit dem Rücken lehne ich mich an eine Wand, mein Brustkorb hebt und senkt sich so stark, dass ich angst habe es könnte gleich platzen.
Dieses Ding blast sich wie ein Luftballon auf.
Mit jeder verstreichenden Sekunde geht mein Atmen langsamer, meine Lunge blast sich nicht mehr so gigantisch auf. Na gut, in den Augen der anderen übertreibe ich vielleicht, aber mich würde es nicht wundern, wenn sie vor allen explodiert. Wie das wohl aussehen mag?
Eine explodierende Lunge. Ich schüttle mich. Das ist ... ekelhaft.
Das Atmen fiel mir endlich leichter, ich konnte mich jetzt geradestellen. Stützend berührt mein Rücken die kalte, dreckige Wand. Auch meinen Kopf lehne ich darauf ab, blicke dabei nach oben gen Himmel. Mit einer Hand fahre ich mir durch das zerzauste, ungewaschene Haar.
Eine Dusche wäre jetzt vorteilhaft. Ich habe zwar vorgestern noch geduscht, aber nachdem ich gestern und heute ziemlich viel getrunken, getanzt und Sex hatte, bin ich gekennzeichnet mit dem Geruch von Alkohol, Schweiß und dem Geruch von Sex. Blöd, dass ich kein eigenes Haus oder eine Wohnung habe.
Das Geld habe ich gestern versauft. Die Hälfte der Fünfhundert Euro liegt in meinem Magen oder auf der Straße vor dem Club, während ich den Rest verloren habe. Oder ausgegeben habe, für Alkohol. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr genau, für was ich alles das Geld ausgegeben habe. Es war eine verdammt lange und krasse Nacht. Die Hälfte habe ich vergessen.
Na ja, wichtig ist es jetzt irgendwo zu duschen. Vielleicht mache ich mir in einem Supermarkt Freunde oder so.
Da ich genug Luft in meinen Lungen habe, drücke ich mich von der Wand ab, stecke meine Hände in die Hosentasche und gehe mit langsamen Schritten die Straße herunter. Ich bin froh, Ameers Leute abgehängt zu haben. Ich will gar nicht erst wissen, was passiert wäre, wenn ich da eingestiegen wäre. Aber wie dumm muss man sein, seinem Feind zu sagen, das man einsteigen soll? Jeder Mensch hat doch gelernt, dass man bei Fremden nicht einfach einsteigt. Ameers Leute sind mir zwar nicht so richtig fremd, aber ich kenn sie ja nicht persönlich. Und selbst wenn ich sie persönlich kennen würde, keine Chance das ich dann trotzdem freiwillig eingestiegen wäre.
Ameer und seine Leute können mich mal. Kreuzweise.
In der Gegend, in der ich bin, sind weniger Menschen als vorher. Haufenweise von Jugendlichen, die Rauchen und unzählige kleine Kinder, die Fußball miteinander spielen. Richtig süß, diese Kinder. Und obwohl ich sehe das es ihnen gut geht, sie glücklich sind, wächst das Gefühl, das ich noch vor vielleicht gut zwanzig Minuten gespürt habe.
Mordlust. Ich will sie töten.
Ich habe schon oft und viele Kinder getötet. Kinder, denen es schlecht ging, die Erlösung brauchten. Ich hätte ihre Eltern töten können, aber das waren nie ihre Wünsche. Die Kinder, die ich umgebracht habe, wollten selbst sterben. Sie wollten nicht, dass ihre Eltern sterben, den sie dachten, sie wären das Problem. Nicht ihre Eltern, die sie wie Dreck behandeln. Ich wollten ihnen immer klar machen, dass sie nichts falsch gemacht haben, dass ihre Eltern in die Hölle kommen, aber sie waren überzeugt davon, das Problem zu sein.
Das warst du auch, flüstert er in meinem Kopf. Du hast auch gedacht, du wärst schuld, bis du die Augen geöffnet hast.
Ich wende meinen Blick ab, um die Mordlust zu zügeln. Ich gehe weiter die Straße entlang, sehe keinen Menschen an, blicke nur zu meinen Füßen. Wie soll ich Freunde finden, um bei denen zu duschen? Das wird so nicht funktionieren. Im Gefängnis hat es zwar geklappt, man hatte auch keine andere Wahl, aber wie bekanntlich ist das Gefängnis und die Welt dahinter, zwei verschiedene Sachen.
Obwohl, kann ich mir da so wirklich sicher sein?
Die Welt da draußen fühlt sich doch genau so an. Dieselbe Luft, vielleicht nicht so stickig wie im Knast. Dieselbe Atmosphäre, man fühlt sich bei beidem eingesperrt. Im Knast ist es offensichtlicher als hier draußen. Im Gefängnis weißt du, das du hier bist, weil du bestraft wirst und hier draußen merkst du es nicht. Alles was man tut, sei es gute oder schlechte Sachen, bekommt man zurück. Außerhalb des Gefängnis und in dem Gefängnis.
Wenn du was Gutes getan hats, dann wurde man im Gefängnis netter behandelt. Sprich, du tust das, was von dir verlang wird, dann verprügeln dich die Gefängniswerter nicht.
Darüber muss ich mir aber keine Gedanken mehr machen. Ich bin frei, auch wenn dieses Gefühl vom Freisein bei mir noch nicht angekommen ist.
Ich warte an der Ampel, bis sie grün umschaltet und ich weiter gehen kann. Meine Hände liegen immer noch in meinen Hosentaschen. Menschen versammeln sich neben mir oder auch hinter mir und warten ebenfalls darauf, dass die Ampel endlich in das erlösende Grün umschaltet. Sekunden später geschah es auch, doch bevor ich einen Schritt über den Zebrastreifen wagen konnte hielt mich jemand zurück.
Eine große Hand legt sich auf meinen Mund, während die andere meinen linken Arm festhält. Fuck, denke ich mir, winde mich aber nicht. Ich spüre das die Gestalt, die mich festhält, größer ist als ich. Ameers Leute, schisst es mir sofort durch den Kopf. Anscheinend habe ich sie doch nicht abgehängt.
Er stößt mich plötzlich nach vorne, zu der Limousine, die ich gerade erblickt habe. Stand die da die ganze Zeit und ich Idiot habe es nicht bemerkt? Ganz toll, McCartney, ganz toll. Der Mann lässt mich los und öffnet mir die Tür. Verwirrt starre ich ihn an.
»Äh ... Sie wissen schon, dass Sie mich gerade losgelassen haben und ich wieder wegrennen könnte, oder?« Der muskulöse Typ steht kerzengerade da, starrt mich unbeeindruckt an. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung ob er mich anstarrt, er trägt eine schwarze Sonnenbrille, aber ich spüre es.
Unschlüssig stehe ich da, während er mich weiter anstarrt und darauf wartet, das ich einsteige. Keine Ahnung wie lange, bis er einmal zur Limousine nickt, ehe ich eingestiegen bin. Was solls, Marco. Dann musst du keine Freundschaften schließen, um irgendwo duschen zu können.
Die Ledersessel, der Limousine sind angenehm, ich setze mich in die Mitte davon. In dem Wagen sitzt noch einer von ihnen. Er sitzt mir gegenüber, starrt mich ebenfalls an. Der andere, der mir zuvor die Tür aufgehalten hat, setzt sich auch rein und deutet dem Fahrer an, los zu fahren. Während der Wagen sich in Bewegung setzt, holt einer von ihnen ein Gerät heraus - ein Handy - und tippt darauf.
Ich kann nichts für mein rasendes Herz. Ich habe zwar keine angst vor dem Tot, aber ich werde trotzdem nervös. Man stirbt ja nicht alle Tage.
Minuten vergehen, indem keiner ein Geräusch von sich gibt. Man hört nur den Wagen fahren, mein Atem und das Tapsen meiner Schuhspitze auf den Boden. Die zwei starren mich an, bewegen sich kein Zentimeter dabei. Nicht mal ihr Atem hört man. Als wären sie Roboter, die nicht atmen müssen.
»Okay, Männer, wohin geht's?«, durchbreche ich die Stille. Keiner von ihnen reagiert. Ich seufzte und lehne mich im Sessel zurück. »Wisst ihr, ihr könnt mich gleich töten, wenn ihr schon nicht reden wollt.« Ist ja nicht so, als wären sie stumm. Ich hab einen von ihnen ja vorher reden hören.
»Ihr seid langweilig«, stöhne ich genervt auf. »Ich hoffe wenigstens, dass ihr meinen Tod cooler gestaltet als die Fahrt dorthin.« Ich fahre mir durch die etwas lang gewordenen Haare und dann mit beiden Händen durch das übermüdete Gesicht. »Wehe ihr erschießt mich nicht«, knurre ich. Wenn ich schon sterbe, dann wäre es wirklich nett, wenn sie mich erschießen. Ich bezweifle aber, dass sie mir diesen Gefallen tun werden.
Nach glatten zwanzig Minuten voller Schweigen und dem hin und her vom Fahren, bleibt der Wagen endlich stehen. Einer der Männer steigt als erstes aus und lässt die Tür offen. Der andere deutet mit einem Nicken, das ich jetzt dran bin, um aus der Limousine zu steigen. Ich konnte nicht sehen, wo ich bin, da die Fenster getönt sind, doch beim Austeigen stockt mir der Atmen.
»Da ... da wollt ihr mich töten?« Ich zeige auf das gigantische Haus. Nein, kein Haus. Eine Villa. Das ist eine verdammte Villa. Oder doch ein Schloss? Eine Mischung aus beidem? Was auch immer es ist, es ist verfickt riesig und wow, dort getötet zu werden sieht nach Spaß aus. Dadurch freue ich mich irgendwie viel mehr den Löffel abzugeben.
Mit offenem Mund starre ich die Villa an und merke dabei nicht wie die Limousine wegfährt und eine alte Dame auf uns zu kommt. Erst als einer der Männer mich anstupst, ich somit nach vorne stolpere und die Frau entdecke. Sie hat ihre Hände aufeinandergelegt und kommt mit eleganten und langsamen Schritten auf uns zu. Ich weiß nicht so genau, ob sie so langsam geht, weil sie alt ist oder einfach um die Spannung zu steigern.
Um die drei Meter hält sie Abstand von mir, als sie stehen bleibt. Ein Lächeln ziert ihr faltiges Gesicht und ihre pink übermalten Lippen. Wer ist das? Soll das Ameers Oma sein? Oder seine Mutter?
»Willkommen.« Sie breitet einladend ihre Arme aus. »Elijah Grey.« Sie lässt ihre Arme sinken. Das Lächeln bleibt noch bestehen. Ihre Arme hängen schlapp neben ihr herunter, während ich die Arme vor der Brust verschränke und anfange zu lachen. »Sorry, aber sie haben den Falschen. Ich bin Marco McCartney, also nicht der, den sie suchen.«
Überraschenderweise schmunzelt sie nur und nickt, ehe sie wieder spricht. »Entschuldige, das habe ich vergessen.« Ich ziehe meine Augenbraun verwirrt zusammen. Vergessen? Wirklich jetzt? »Okay, cool. Können Sie mich jetzt bitte wieder zurückfahren lassen?«, frage ich und gehe ein paar Schritte nach hinten. Da ich nicht aufgepasst habe stoße ich mit eines der Männer zusammen.
Die Alte schüttelt den Kopf. »Komm rein, Marco. Ich habe dir extra etwas zu essen machen lassen, von unserem Chefkoch. Du hast doch bestimmt Hunger.« Ohne auf eine Antwort von mir zu warten dreht sie sich um und geht Richtung Villa.
»Moment mal ... meint die das erst?«, frage ich die zwei hinter mir. Wieder keine Regung. Ist das deren ernst? Ich blicke wieder zur alten Dame, die immer noch mit derselben Geschwindigkeit zur Villa rüber spaziert.
Soll ich da jetzt wirklich rein? Soll das irgendwie ein Scherz sein? Hat diese Frau überhaupt was mit Ameer zu tun? Lehn nicht ab, Marco. Du bekommst Essen und vielleicht darfst du dort duschen. Später kannst du dann verschwinden.
Mit einem tiefen Atemzug folge ich ihr schließlich.
Fortsetzung folgt...
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