12. Ablenkung

!Wichtig!
Bevor ihr dieses Kapitel lest, möchte ich anmerken, dass ihr Marcos Gedankengänge bitte nicht zu euren macht.
Ihr seid nicht alleine, ich sehe euch und viele andere auch.
Wenn ihr jemanden zum reden braucht, ihr könnt euch immer bei mir melden.
Fühlt euch gedrückt!

Und jetzt geht es los mit dem Kapitel :)

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Es ist irgendwie komisch so früh schon draußen zu sein und zur Arbeit zu gehen. Nicht, dass ich nicht im Gefängnis früher aufstehen musste als jetzt, sondern einfach weil ich als ehemaliger Häftling frei durch die leeren Straßen laufen kann und einen festen Arbeitsplatz habe. Ich verdiene Geld, wohne in einer verdammten Villa und habe einen Teil meiner Familie wieder gefunden. Wobei sie ja eigentlich mich gefunden hat.

Welchen Häftlingen geht es so, nachdem sie entlassen wurden? Nicht vielen, dass kann ich euch sagen.

Ich muss Glück gehabt haben, was das angeht. Mein ganzes Leben lang hab ich nichts als nur schlechte und inakzeptable Dinge getan. Ich hab gemordet — und wie ich gemordet habe —, ich hab Menschenleben zerstört und sie gleichzeitig gerettet.

Ich erzähle euch etwas;
Wenn ihr euer ganzes Leben lang mit Hass und Gewalt konfrontiert wurdet handelt ihr auch so. Wenn ein Freund, den ihr mehr geliebt habt als eure eigene Familie — euer eigen Fleisch und Blut — vor euren Augen sich von einer Klippe runterstürzt weil das Leben ihm nichts, als nur Schmerz beschert hat und er sie nicht mehr ertragen konnte ... was tut ihr dann? Wie denkt ihr dann? Wie fühlt ihr dann? — Allein, betrogen, verletzt und hilflos.

Felix hat sein Leben gegeben, um mir eine Tür zu öffnen; er hat mir gezeigt, dass es einen anderen Ausweg gibt, als das, was uns gezeigt wurde. Er hat mir einen Ausweg gezeigt, den ich nicht genommen habe. Stattdessen habe ich anderen Menschen diesen Ausweg gezeigt und ihnen geholfen dadurch zu kommen.

Ich hab getötet und gleichzeitig Leben gerettet. Ich hab sie an einem Ort gebracht, wo es ihnen hoffentlich besser geht, als hier wo ich bin. An einem Ort, an dem er ist und vielleicht auf mich wartet.

Schmunzelnd und mit den Händen in meiner Hosentasche blicke ich zum Himmel hinauf. Vielleicht, nur ganz vielleicht, blickt er gerade zu mir runter und ist stolz auf mich — oder auch nicht. Würde ich ihm nicht verübeln.

»Hast du Gott gesehen oder wieso grinst du so komisch gen Himmel?« Mein Schmunzeln verlässt meine Lippen nicht, als ich meinen Blick über Arias Körper gleiten lasse. Sie trägt einen dunkelbraunen Mantel, den sie sich fest um ihren Körper schlingt, kombiniert mit einem noch dunkleren Schal und schwarze hohe Boots. Ihr muss kalt, so wie sie sich an ihrem Mantel klammert. Wobei es nicht mal so kalt ist. Ich trag gerade mal eine schwarze Weste und eine Lederjacke, die ich in meinem Schrank gefunden hab. Mir ist jetzt nicht gerade kalt aber es ist erfrischend kühl.

»Nein, aber der Teufel hat mir gerade seine rechte Hand geschickt.«
»Ha, ha, witzig«, murmelt sie. »Wie immer.« Aria sagt nichts mehr drauf, verdreht nur die Augen, wie sie es schon die ganze Woche getan hat, und kramt dann in ihrer Tasche rum, die an ihrem linken Arm hängt. In den nächstem Sekunden holt sie den Schlüssel heraus, damit wir ins Café können.

Als sie aufgeschlossen hat und wir beide drinnen sind, seufzt sie erleichtert, wegen der Wärme, die uns sofort empfängt. Mir wird in Sekunden heiß, weswegen ich die Lederjacke ausziehe aber die Weste noch anlasse. Aria hingegen nimmt nur ihren Schal runter und ihre Tasche platziert sie auf der Theke. Sie dreht sich um zu mir, sieht mich eine Sekunde an und seufzt dann.

»Der Besen ist hinten.« Sie zeigt mit dem Daumen zu einer Tür, hinter der Theke. Unschlüssig, was ich tun soll, bleibe ich dort wo ich bin. Sie bemerkt meine Verwirrung und seufzt erneut. »Hol den Besen. Wir müssen aufräumen, bevor wir aufsperren.«
»Ist das der Grund, wieso ich heute so früh kommen musste?« Sie nickt. Normalerweise komme ich immer eine Stunde später, zehn Minuten bevor der Laden öffnet aber heute meinte Penelope ich müsste früher hin. Wieso genau hatte sie mir dann nicht verraten. Aber jetzt weiß ich es ja.

Diesmal bin ich an der Reihe zu seufzten und obwohl mir das nicht gefällt mache ich das, was sie von mir verlang. Es dauert ein paar Minuten dann bin ich mit einem Besen zurückgekehrt und stehe hilflos vor ihren zierlichen Gestalt. Sie sieht mich aus ihren grünen Augen an, scheint nicht zu verstehen was ich von ihr will. »Muss ich?«, frage ich verzweifelt und hebe den Besen kurz hoch. Augenrollen und dann ein Nicken ihrer Seits. Stöhnen meiner Seits und dann mache ich mich an die Arbeit.

Zehn Minuten vergehen in denen keiner von uns ein Wort sagt. Ich arbeite mit Aria jetzt schon seit zwei Wochen und in diesen zwei Woche konnte ich nicht entschlüsseln ob sie mich jetzt eigentlich leiden kann oder nicht. Ich würde sagen, sie toleriert mich irgendwie, wobei sie keine Wahl hat. Schließlich arbeite ich noch eine ganze Weile mit ihr. Solange bis ich genau Geld habe und verschwinden kann.

Aber will ich noch verschwinden? Ich bin immer noch nicht ganz davon überzeugt das Penelope meine Oma sein könnte, Alec mein Onkel sein könnte und Nelia meine Cousine aber bei ihnen lebe ich in einer Villa, habe genug Essen und Kleidung. Dafür muss ich ihr nicht mal etwas geben. Sie sind so reich, dass sie nicht mal etwas von mir verlangen. Ich könnte ihnen zwar nichts geben aber das spielt jetzt keine Rolle.

Man muss aber auch die schlechten Seiten sehen. Ich bin die meisten Zeit alleine — was ja nicht schlecht ist, ich mag es so aber es ist komisch, wenn du weißt, das da Menschen in diesem Haus sind. Ich tue, wenn ich nicht arbeite, absolut nichts bis auf denken. Denken und schlafen, das ist alles. Vielleicht auch noch essen, aber das lasse ich manchmal aus damit ich nicht mit meiner Familie essen muss. Ich rede kaum mit einen von ihnen. Mit Nelia hab ich bis jetzt einmal gesprochen und mit Alec ein paar Mal, wenn ich von der Arbeit gekommen bin. Da hat er mich mal gefragt, ob ich Lust hätte mit ihm feiern zu gehen. Ich lehnte ab.

Dort mache ich nie etwas. Ich gehe nicht raus, rede nicht mit Menschen, nichts. Bei der Arbeit stehe ich meistens hinter der Theke und schaue Aria zu. Manchmal, wenn viel zu tun ist, lässt sie mich auch Bestellungen servieren. Ich bekam dabei immer schräge Blicke. Besonders dann, wenn sie meine vielen Tattoovierungen sehen. Höflich bleiben sie trotzdem.

Einmal hab ich Aria sogar gefragt, ob ich helfen könnte und auch wenn sie es niemals zugeben würde, es hat sie erleichtert, als ich ihr meine Hilfe angeboten habe. Wäre sie nicht so versessen darauf mir die kalte Schulter zu zeigen hätte sie sich auch sicher bedankt. Abgesehen davon, das sie mir gerne zeigt wie viel sie von mir hält, kommen wir beide eigentlich ziemlich gut klar.

Selten, wirklich, wirklich selten kann sie auch nett sein. Sie hat einmal gelächelt wegen mir, als ich mich einmal wegen einem Kunden aufgeregt habe, der sich bei Aria wegen irgendeinem Blödsinn beschwert hat. In dem Moment konnte sie mich ganz bestimmt leiden.

Aber da sind noch andere Momente, die nicht durchblicken kann. Momente, in denen wir uns schweigsam ansehen, wo eine Spannung herrscht, dass deren Ladung schon fast greifbar ist. Momente, in denen wir uns vom anderen Ende des Raumes ansehen. Ich verstehs nicht aber beschweren will ich mich nicht. Ich mag ihre Augen. Die sind schön. So schön, das ich mich viel zu oft in ihnen verliere.

»Marco?« Eines der Dinge, die kaum vorkommen, ist, dass Aria meinen Namen sagt. Sie sieht mich meistens einfach nur an und sagt mir dann was ich zutun habe. Oftmals dachte ich, sie hätte meinen Namen vergessen. »Hm?«, gebe ich von mir zurück. »Du machst nichts.« Ich blicke auf den Boden und merke, dass ich die ganze Zeit auf derselben Stelle geblieben bin, wie vor Minuten noch. »Oh, tut mir leid.« Mit diesen Worten fange ich mit dem Putzen an.

Ich merke währenddessen, wie Aria mich anstarrt. Sie lässt mich nicht aus den Augen und ... es macht mich nicht nervös, aber sie könnte echt aufhören damit. Plötzlich seufzt sie auf und dann sind Schritte zu hören, die auf mich zukommen. Im Augenwinkel bekomme ich mit, wie sie neben mir stehen bleibt und die Hände auf ihren Hüften stützt. Ihre Präsenz ist nur zu deutlich spürbar aber ich mache nichts dagegen.

In der nächsten Sekunde klammern sich ihre Finger um den Stab, womit sie mich zum stoppen bringt. »Du scheinst abgelenkt sein. Lass mich es machen.« Ich sehe sie an, lange, betrachte jeden Millimeter ihres Gesichtes. Wunderschöne grüne Augen blicken in meine trostlosen braunen. Während wir uns ansehen halten wir beide den Besen fest. Keiner von uns denkt auch nur daran loszulassen.

»Ich bin nicht abgelenkt. Ich schaff das schon, aber danke«, meine ich schlicht und warten dann darauf, dass sie loslässt und mich meine Aufgabe vollführen lässt aber es passiert nichts. Sie sieht mich nur an, immer noch ihre Finger um den Stab geschlungen. »Lass los. Ich mach das schon. Setz dich.« Manchmal vergesse ich wie gebieterisch und stur diese Frau sein kann.

Stur sein kann ich aber auch.

»Nein, ich mach das jetzt.«
»Nein«, kommt es sofort von ihr. »Aria«, sage ich. »Marco«, sagt sie und dann sagt keiner von uns ein Wort mehr. Ich versteh nicht, wieso es ihr jetzt so viel ausmacht. Meine einzige Aufgabe besteht darinnen in dem Laden etwas aufzukehren und in ihren Augen bin ich einfach nur ein verlorenes kleines Dreckstück, das nicht mal eine kleine Aufgaben hinkriegt und auf das sie jetzt ... aufpassen muss.

Um genau zu sein bin ich ein Nichts für sie. Jemand, der gezwungenermaßen in ihrer Nähe sein muss. Mir fällt erst jetzt wirklich auf wieso sie mich vielleicht nicht so mag, wie mir beliebt ist. Aber genau deswegen will ich diese Aufgabe jetzt machen. Ist ja nur putzen, krieg ich hin.

»Ich war vorher im Gedanken wo anders, tut mir leid, aber ich kann das jetzt machen. Ist keine große Kunst.« Ich zuckte mit den Schulter. Aria zieht ihre Brauen zusammen. »Marco ...« Bevor sie weiter reden kann lege ich meine Hand auf den Besen. Besser gesagt, es war meine Absicht meine Hand auf den Besen zu legen, stattdessen berührt sie jetzt etwas weiches, kaltes. Arias Hand. Ich spüre wie sie kurz zuckt, weswegen ich unwillkürlich die Luft für ein paar Sekunden anhalte.

Hat sie angst?, ist das Erste, was mir durch den Kopf schießt. Doch als ich in ihre Augen blicke ist da keine Angst oder Furcht oder sonst etwas ähnliches zu sehen. Da ist was anderes. Ich kann nicht einordnen, was genau es ist. Es wirkt pulsierend und verwirrt mich.

Ich weiß nicht wie lange wir nur so da standen; meine Hand auf ihrer und unsere Blicke aufeinander. Ich weiß auch nicht, wie wir uns plötzlich so nahe gekommen sind. Ich spüre nur noch ihren warmen Atem auf meinen Lippen, die sich dadurch leicht spalten. Ihre hellen Augen sehen mich durch ihre dichten dunkeln Wimpern an und auch ihre Lippen, die sie mit einem nude-farbigen Lippenstift überzogen hat, öffnen sich leicht.

Gott weiß, was in mir gefahren ist, als ich mich dazu verleiten lasse, mit meinen Fingern über ihr Kinn zu fahren. Ihr Gesicht ist warm, im Gegensatz zu ihrer Hand, die förmlich gefroren ist.

Aria ist hübsch, das ist sie wirklich, aber da ist immer irgendwas zwischen uns, das ich nicht verstehen kann. Warum habe ich meine Hand nicht von ihrer genommen? Wieso sind wir uns so nahe gekommen? Warum berühre ich sie? Wieso ist das Bedürfnis sie anders zu berühren so verdammt groß?

Verdammt, diese ganze Situation ist kompliziert. Besser gesagt, die Gefühle und die Atmosphäre, die sich plötzlich elektrisch aufgeladen hat.

Irgendwas muss anders ein. Irgendwas stimmt hier nicht aber Aria lässt mir keine Zeit darüber nachzudenken, denn sie zieht den Besen zu sich und dadurch das ich mich vorher mit einer Hand daran geklammert habe, zieht sie mich mit zu sich, weswegen wir uns noch näher kommen als vorher schon.

Erschrocken zieht sie die Luft ein, verbirgt aber nach Sekunden die Überraschung in ihrem Gesicht und blickt mich aus ihren hellen Augen an. Ich berühre ihr Kinn nicht mehr aber unwillkürlich überkommt mich das Bedürfnis meine Hand doch wieder darauf zu platzieren weil die Berührung von vorher plötzlich mehr verlangt, als ihr Kinn zu berühren.

Sex. Das ist es. Nicht Sex mit ihr sondern generell. Deswegen benehme ich mich so. Deshalb benimmt sie sich wahrscheinlich auch so. Niemals - nicht mal in Millionen von Jahren würde sie sich freiwillig dazu entscheiden sich so sehr an mich zu nähern. Unsere albernen Hormone spielen verrückt, nur so kann ich es mir erklären.

»Marco?« Ihre Stimme ist leise. Leiser als ich es je von ihr gehört habe. »Aria?«, sage ich genau so leise zurück. Mit dem was sie als nächstes macht hätte ich nie gerechnet; Ein kleines Lächeln bildet sich auf  ihren vollen Lippen und sie kommt ein Stück näher an mich heran, so das sich unsere Nasen leicht berühren. »Setz dich.« Verwirrt ziehe ich die Brauen zusammen. »Was?«
»Setz dich, Marco. Ich muss hier langsam mal putzen bevor wir öffnen. Also wenn du mich entschuldigen würdest aber ich habe keine Zeit mehr für ... das hier.«

Mit leicht geöffneten Mund und Erstaunen sehe ich zu wie sie sich von mir wegdreht und anfängt den Boden zu säubern. Ich blinzle mehrere Male, versuche in meinem Kopf die Situation zu verstehen.

Was ... war das gerade? Und mit einem Mal trifft es mich. »Guter Schachzug, Andrews.« Das war echt gut; sich an mich zu näher, mir das Gefühl geben, als würde sie mich jetzt liebend gerne küssen und sie berühren (nicht nur ihr Kinn, versteht sich). Ich muss lachen und  verschränke meine Arme vor der Brust. »Okay, viel Spaß beim Putzen. Wenn du nichts dagegen hast, verschwinde ich.« Ich gebe ihr keine Zeit zu antworten, sondern spaziere schon zur Tür.

Mag jetzt so aussehen, als wäre ich wütend auf sie aber das bin ich nicht. Ich finde es witzig und ich gehe nur, weil ich sonst eine halbe Stunde nicht machen müsste und das wäre echt langweilig. Da geh ich lieber raus, lass Aria ihre Arbeit machen und ich mache mich währenddessen mit dieser Stadt bekannt. Schließlich kenn ich nur einen Club hier, das Café und Penelopes Anwesen.

Die Tür geht hinter mir zu und ich drehe mich um, erblicke Aria, die kopfschüttelnd einen Stuhl verschiebt, um die Stelle putzen zu können. Ein Grinsen bildet sich auf meinen Lippen.

Um ehrlich zu sein hätte ich kein Problem damit gehabt sie zu küssen.

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Uuuuh es fängt schon etwas mit Aria und Marco an hihihi

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