1. Freiheit
»Freiheit wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können.« Das hatte einer meiner Bosse, Officer Catrall, zitiert. Das hat er aus dem Internet für mich herausgesucht. Schließlich konnte ich nicht selbst nachsehen.
Freiheit sollte das Schönste sein. Sie ist befreiend, entfesselt dich von was auch immer du gebunden bist. Von Erzählungen hört man andauernd wie wundervoll und unbeschwert die Freiheit ist. Du kannst machen was du willst und wirst dafür nicht bestraft. Natürlich hat alles was man macht Konsequenzen aber wie sie aussehen wird, das kannst nur du alleine entscheiden.
Im Gefängnis hat man diesen Luxus nicht. Man konnte nur davon träumen und hoffen. Hoffen das man eines Tages gehen kann, sein Leben wieder in den Griff bekommt und all die traumatisierenden Sachen nicht in seinen Träumen immer und immer wieder erleben muss. Viele träumten aber auch davon diesem Ort zu entfliehen, um dort weiter zu machen, wo sie aufgehört haben. Mit ihren Morden, Raubüberfällen, Vergewaltigungen und vielem mehr.
Der größte Traum eines Insassen wird immer die Freiheit sein.
Die Freiheit war auch mein Traum. Ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist.
Die Ketten um meine Handgelenken wurden schon so schwer, dass es an der Zeit lag, wann sie mir abfallen würden. Doch Gott hatte mir jemanden geschickt. Einen Schutzengel, oder Jesus in Menschengestalt, wer weiß das schon? Wer auch immer es war, diese Person hat mich gerettet, bevor ich komplett gebrochen worden bin.
Das Gefängnis ist hart, das kann man nicht bestreiten und hey, ich habe es lange durchgehalten. Ein paar Kratzer und Narben hier und da, aber ich komme in einem ganzen Stück raus. Hätte ich nicht gedacht. Na gut, das Gefängnis und deren Insassen sind zwar hart und gnadenlos, aber ich war härter und gnadenloser.
Was erwartet man sich auch von einem Serienmörder?
Ich gebe niemals klein bei, selbst wenn mein Leben davon abhängen würde, was es auch war. Ich war bereit zu sterben. Der Tod hätte mich holen können und ich hätte es mit offenen Armen empfangen. Aber wie es aussieht, hat der liebe Gott andere Pläne mit mir.
Ich habe oft an meine Freiheit gedacht. Daran ob ich weiter Menschen töten würde, oder endlich dieses Kapitel abschließen sollte und die Menschen einfach ihr jämmerliches Leben leben lasse. Der Gedanke nicht zu morden klingt nicht schlecht, aber ich weiß nicht, ob ich das könnte. Schon von klein auf hatte ich gemordet, ohne Nachsicht, ohne Bedauern, Leid oder Gewissen. Weil es richtig war, weil es richtig ist und sich auch richtig angefühlt hat.
Jemanden zu töten hinterlässt einen intensiven Geschmack, eine intensive Berührung in deinem Körper, in deiner Seele. Viele Seele der Mörder zerreißen mit jeder Leiche in ihrem Keller. Die anderen haben dieses Gefühl, dieses Adrenalin, das sie immer und immer wieder spüren wollen.
Bei mir war es eine Mischung vom beiden. Das Gefühl zu töten ist unbeschreiblich... schön. Auf kuriose Art und Weise. Es ist mehr oder weniger eine unverstandene Kunst. Eine schmerzhafte, wunderschöne Kunst.
Man kennt das Sprichwort »Wer schön sein will, muss leiden« von über all auf der Welt. Eines der wahrsten Dinge, die mir je zu Ohren gekommen ist. Du musst etwas geben, um wunderschön zu sein. Um Kunst zu sein. Und beim Tod ist es nicht anders. Du musst zuerst dein Leben geben, um aufsteigen oder untergehen zu können.
Himmel oder Hölle. Du bekommst das, was du verdienst und ich bin mir zu hundert Prozent sicher, das ich in die Hölle komme. Aber es gibt eine fifty-fifty Chance, das ich entweder einer von denen sein werde, die an der Seite des Teufels steht oder einer von denen die Höllenqualen erleiden werden. Alle beide hätte ich verdient.
»Wer schön sein will, muss leiden« wird dann auf einmal zu »Wer nicht leiden will, muss schön sein«, und der Tod ist das Schöne.
Wie dem auch sein, ich dachte immer Freiheit wäre wundervoll. Die Luft wäre anders, kühl, die Welt atemberaubend und die Stadt voll gefüllt mit glücklichen Menschen. Mein ganzes Leben lang war ich eingesperrt, erst in einer Psychiatrie und dann in einem Gefängnis. Es hat sich nie die Chance dazu ergeben sich frei zu fühlen oder etwas anderes zu sehen als die Wände einer Psychiatrie, oder eines Gefängnis. Um so mehr habe ich mich auf die Welt außerhalb dieser Wände gefreut.
Was mich aber erwartet hat, als ich diese scheiße verlassen konnte, war weder atemberaubend, noch wunderschön. Es war... langweilig. Alles andere als das, was ich gehört und erwartet habe.
»Mann, ich werde dich vermissen.« Mein Boss Ian Hawkins hatte mir auf die Schulter geklopft, als er mich zum Tor begleitet hat. Das Tor, das in meine Freiheit führen sollte. »Ich Sie auch, Boss.« Er lächelt. »Ian. Nenn mich Ian.« Ich hatte den jungen Herren angelächelt, ehe er mich in eine große Umarmung gezogen hat. Seine kräftigen Arme drückten mich fest an seinen kleinen Körper. Ich bin ein Kopf größer als er, konnte mich dementsprechend an seinem Kopf anlehnen, als ich die Umarmung erwiderte. Es war eine brüderliche Umarmung, die erste und letzte Umarmung.
»Marco, mein Freund, wehe du vermasselst diese Chance. Du bist jetzt endlich raus aus diesem Irrenhaus. Mach was aus deinem Leben und auch wenn ich wirklich möchte, dass du uns mal besuchen kommst, ist es das Beste für dich, nicht zurück zu blicken.« Dann hatte er sich umgedreht und einer meiner anderen Bosse das Zeichen gegeben die große und sicheren Metalltüren zu öffnen. Bevor die Türen sich auch nur öffnen konnten ging er.
Ohne ein »Auf Wiedersehen« oder ein »Bye«. Er ist einfach gegangen, was okay ist. Vielleicht mochte er keine Abschiede, verständlich.
Ich war nervös und hatte gezittert. Die Tore öffneten sich viel zu langsam, sie machten mich hibbelig. Irgendwann konnte ich nicht mehr warten, bis die Tore sich vollständig geöffnet hatten, da rannte ich schon raus, Rückwärts und zeigte allen meinen liebsten Finger. »Fickt euch«, hatte ich gerufen und rannte lachend und überglücklich raus.
Freiheit!
Endlich war ich frei.
Ich atmete die freie Luft ein. Ich dachte, die Freiheit würde süß schmecken, anders als drinnen, hat es aber nicht. Es war nur Luft und hinter den Toren war nichts als nur eine Straße. Nicht wie gedacht eine Stadt, in denen ich Menschen begegnen würde und einfach nur frei bin.
Meine Freiheit fühlte sich nicht so spektakulär an, wie alle immer behaupteten. Ich fühlte mich wie vorher. Gefangen. Ich fühlte mich äußerst verarscht. Minuten hatte ich dagestanden und vor mich her geglotzt, mehr nicht. Aber auch wenn sich nichts geändert hat, bis auf die Lokation, wusste ich genau was ich tun würde. Ich wollte es schon immer tun und ich werde keine weitere Sekunde verschwenden, um es zu tun.
Sir Hawkins, also Ian, hatte mir Geld gegeben, das mir mein anonymer Befreier gegeben hat und ein Taxi hatte er auch noch für mich bestellt, das jetzt gerade angekommen ist. Keine Sekunde zögerte ich, da sprang ich schon ins Auto hinein und machte es mir hinten im Sitz gemütlich.
»Wollen Sie wo bestimmtes hin, oder soll ich Sie nach Hause fahren, Sir?« Ich habe kein Zuhause, wollte ich sagen, hielt mich aber zurück. Stattdessen grinste ich wie ein Honigkuchenpferd und fuhr mir durch die lang gewordenen Haare. Meinen Bart konnte ich noch rasieren, bevor ich die Nachricht bekommen habe, dass ich entlassen werde. »Fahren Sie ins nächstbeste Club.«
Ja, mein Ziel war es in ein Club zu gehen und zu feiern. Ich möchte trinken und Sex haben. Ich hatte lange kein Sex mehr, wenn man die Vergewaltigungen im Knast wegzählt. Ich glaube ich war siebzehn oder so als ich zuletzt Sex hatte. Ich bin zwar leicht traumatisiert von dem ganzen Scheiß, aber es wird mich trotzdem nicht davon abhalten mir ein Mädchen zu schnappen und sie zu vögeln. Natürlich nur wenn sie möchte.
Ich bin zwar ein Mörder aber kein Vergewaltiger.
Der alte Taxifahrer nickte und fährt endlich los. In einem Auto zu sitzen fühlt sich komisch an. Ich habe noch nie Auto gefahren, geschweige denn bin ich noch nie in einem Auto gesessen. Mein Herz rast aber von außerhalb sitze ich ruhig da und starre aus dem Fenster.
Auf der Straße, auf der wir fahren, ist es leer. Keine Menschenseele bis auf wir fahren darauf. Die Sonne scheint und erhitzt das schon warme Auto in hohen Maßen. Einzelne Bäume ziehen an uns vorbei, der Himmel ist wolkenlos. Ich hatte oft im Knast in den Himmel gestarrt, wenn wir draußen waren. Den Himmel konnte ich nur tagsüber bewundern, nachts bot sich keine Chance.
In unseren kleinen und engen Zellen gab es keine Fenster und nur am Tag durften wir für zwei Stunden raus. Sonst waren wir immer eingesperrt in unseren Zellen. Und abgesehen vom Feiern werde ich heute noch die Nacht durchmachen. Ich will den Mond sehen, ich will die Sterne sehen. Es ist viel zu lange her, als ich den Mond gesehen habe. Ungefähr fünf Jahre, fast sechs. Aber vor fünf Jahren habe ich den Nachthimmel nicht genossen. Ich hatte ihn nur angesehen.
Als ich den Mond und die Sterne betrachten konnte, Sie fast zum greifen nahe waren, war ich noch so klein. Es war in meiner schlimmsten Zeit, wo ich nur den Mond, ihn und mich hatte. Eine Zeit, die mich geprägt hat. Die mich geformt hat. Ich will nicht mal drüber denken, nie wieder.
Es dauert Stunden bis wir in eine Stadt ankommen. Philadelphia stand auf einem Ausfahrtschild. Und plötzlich wurde ich aufgeregt. Ich lehnte mich mit der Hälfte meines Gesichtes am Fenster und blicke auf die Gebäude mit großen Kinderaugen. Viele große Gebäude, Menschen, die reden, lachen und sich durch die Menschenmenge durchsetzen. Autos, Unmengen an Autos, Fahrrädern, Geschäfte und vieles mehr. Das ist alles neu und ungewohnt für mich und doch freue ich mich wie ein Kind, das gerade einen Lutscher bekommen hat.
Nach ungefähr zehn Minuten, in denen wir durch die Stadt fahren, hält er vor einem Club an. Bunte Lichter vom innerhalb des Club und deren Schilder strahlen mir entgegen. Menschen, tonnenweise von Ihnen stehen Schlange. Ein paar sitzen auf dem Boden, mit jemanden und reden. Deeptalk wahrscheinlich. Die anderen schwanken wild hin und her, können gerade noch so stehen. Einer kotzt genau in der Sekunde als ich den Taxifahrer bezahle und aussteige.
Ekelhaft aber genau das will ich erleben. Ich will mich voll saufen, bis ich kotze. Oder tot auf der Straße liege. Beides ist eine gute Sache. Das Taxi braust hinter mir weg und lässt mich an diesem Ort zurück. Mein Geld stecke ich in meine Hosentasche und bete, das mit keiner es wegnehmen würde. Ich kann sonst nichts kaufen und das wäre beschissen. Mit diesen fünfhundert Dollar muss ich jetzt wohl leben, aber das stört mich nicht weiter.
Was mich stört ist, das ich anders gekleidet bin, als die anderen. Viele junge Mädchen und auch Frauen sind knapp gekleidet, lassen fast keinen Raum für Fantasien. Während die Männer locker gekleidet sind. Sprich, eine normale Jeans und ein normales Shirt oder ein Pullover. Ich hingegen trage ein Anzug. Er ist benutzt und sehr groß. Da ich keine Kleidung hatte und es für gewöhnlich ist mit einem Anzug entlassen zu werden, hat mir einer meiner Gefängniskumpel seinen Anzug gegeben, weil es keine Chance bestand, das er jemals entlassen wird.
Dachte ich auch und hier stehe ich. Vor einem Club. Der Warnsinn, oder?
Bei dem Gedanken das ich es raus geschafft habe, dieses Drecksloch zurückgelassen habe, ist es mir plötzlich egal, das ich einen Anzug trage. Ich bin hier, im Freien und kann endlich das tun, was ich möchte. Ich bin zwar auf Bewährung aber was soll's.
Ich zögerte nicht lange und stellte mich an der kurzen Schlange an. Die Menschen wurden schnell reingelassen, daher dauerte es nicht lange bis ich vor dem Türsteher stand. Der große, muskulöse Mann starrt mich an, scannt mich von oben bis unten, ehe er mich rein lässt und ich durch die Tür verschwinde. Verständlich das er so lange gebraucht hat, um mich rein zu lassen. Ich bin zwar sechsundzwanzig, könnte aber auch gut einem achtzehnjährigem Teenager gleichen.
Die Narbe in meinem Gesicht und der ruhige, man könnte sagen männlicher Blick müsste ihn umgestimmt haben. Gut, das ich meinen Ausweis nicht zeigen musste; ich sehe schrecklich drauf aus. Man müsste den mal erneuern lassen. Es könnten aber auch an den Tattoos liegen.
Laute Musik dröhnt in meinen Ohren, die Bässe erzittern meinen ganzen Körper. Lange habe ich keine Musik gehört, von daher weiß ich nicht, was für ein Lied das ist, aber es gefällt mir sehr. Im inneren des Club ist es brechend voll. Menschen, die knutschen, eng aneinander tanzen und sich betrinken. Es riecht nach Schweiß und Zigaretten. Ich hätte jetzt auch Lust auf eine Zigarette. Ob mir jemand eine gibt?
Eine Weile stehe ich da, inspiziere den ganzen Ort, bis ich die Bar erblicke. Alkohol. Ich brauche jetzt Alkohol, um in Schwung zu kommen. Ich bin ja hier, um meine Freilassung zu feiern. Ich quetsche mich durch die tanzende Menge durch, werde von jeder Seite angerempelt und fast zu Boden geworfen. Aber ich habe nur die Bar im Blick, mein Ziel.
An der Bar angekommen setze ich mich auf eines der hohen, schwarzen Hocker hin. Ein Barkeeper, der ein Glas putzt, dreht sich zu mir und sieht mich fordernd an. Er sieht ungefähr aus wie dreißig, hat langes, blondes Haar, die er zugebunden hat. Er trägt ein weißes Hemd und eine dunkelblaue Jeans. Sein Blick ist professionell höflich, aber in seinen Augen kann man ablesen, das er allmählich schon genervt ist.
»Was kann ich Ihnen bringen?«, fragt er mich. »Schlagen Sie mir etwas vor.« Ich weiß nicht, was es für Getränke gibt. Und zu meinem Glück zählt er mir ein paar Getränke auf, die alle köstlich klingen. »Einen Vodka Martini, bitte.« Er nickt und zögert keine Sekund, um mir dieses alkoholische Getränk zu mischen. Eigentlich hätte ich lieber einen Sex on the Beach genommen, aber wäre es dann zu offensichtlich, das ich Lust auf Sex habe?
Es dauert nicht lange, vielleicht so um die fünf Minuten, da stellt er mir ein Glas mit einer durchsichtigen Flüssigkeit hin und... einer Olive? »Hier bitte sehr.« Ich bedanken mich mit einem Nicken bei ihm, das er nicht gesehen hat, da er sich dem nächsten Kunden widmet. Ich nehme das Getränk in die Hand, sehe es an und dann lasse ich meinen Blick durch das überfüllte Club gleiten.
»Lasst den Spaß beginnen«, sage ich zu mir selbst und kippe den Cocktail meinen Rachen herunter.
Fortsetzung folgt...
◽️◽️◽️
Willkommen zu meinem neuen Buch und zu einer neuen Reise:)
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top