55. In Therapie

Malia

Nervös rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her, wusste nicht so recht was mit mir anzufangen. Das Ticken der Uhr kam mir unendlich laut vor in dem sonst so stillen Raum und unsicher, was nun sein würde, sah ich überallhin nur nicht zu dem Mann mir gegenüber.

„Du hast Angst", stellte er fest und verschreckt davon seine Stimme zu hören, dass die Stille durchbrochen wurde, sah ich zu ihm, spielte nervös mit meinen Händen herum, wusste nicht, was ich sagen sollte.

„Es ist ganz normal, die meisten Leute haben Angst und fühlen sich unwohl, wenn sie das erste Mal mit einem Therapeuten reden, doch ich bin nur hier, um dir zu helfen, Malia." Fast hätte ich aufgelacht von seinen Worten, fand den Gedanken erheiternd, dass er mir helfen wollte, glaubte das je zu schaffen. Wie konnte jemand wie er schon jemanden wie mir helfen? Er hatte doch keine Ahnung. Er hatte nicht Jahrzehnte bei HYDRA verbracht, ihm wurde nicht seine Identität gestohlen. Nein, er war normal, hatte sicher nie etwas vergleichbar Tragisches erlebt. Wie sollte er je irgendwas von meinem Leben verstehen oder gar nachvollziehen können?

„Na gut, du willst wohl fürs erste nicht reden und ich werde dich gewiss nicht dazu zwingen, du musst nur reden, wenn du es auch willst, aber wie wäre es, wenn ich dann etwas über mich erzähle? Du solltest wissen, wer ich bin, einem völlig Fremden will man sicher nichts anvertrauen, nicht?" Ich sagte nichts dazu, musterte ihn lediglich stumm und nach wie vor etwas eingeschüchtert. Er war nicht wirklich alt, sicher keine 40 und doch schien er nicht mehr gerade viel Haar auf dem Kopf zu haben. Er trug eine viereckige Brille, hinter der sich eiskalte blaue Augen befanden und seine Ausstrahlung war mir befremdlich, doch er war hier, um zu helfen. Banner hatte ihn gefunden durch Kontakte und er soll einer der Besten sein, wenn es um traumatische Dinge ging, dennoch erschien mir all das hier albern. Ich wollte nicht mit jemanden über alles reden müssen, konnte mir nicht vorstellen inwiefern das eine Hilfe wäre, doch ich tat es den anderen zur Liebe. Ich war ein Nervenbündel, ich kam nicht allein klar und sie alle meinten, es könnte eine Hilfe sein, also wollte ich es wenigstens versuchen und mich nicht gleich wie ein kleines Kind bockig dagegenstellen. Bucky meinte zwar, dass er mich hierbei begleiten könnte, doch die anderen hatten recht als sie meinten, dass das etwas wäre, was ich allein schaffen müsste, immerhin lag ein Teil meines Traumas auf seinen Schultern und es wäre einfacher das hier ohne ihn durchzustehen, auch wenn es mich dafür ganz angespannt zurückließ in diesem Raum, gegenüber von diesem Kerl.

„Mein Name ist Dr. Karl Eisenberg, aber ich denke wir können diese Förmlichkeit beiseitelegen. Ich bin 40 Jahre alt, bin hier in New York geboren, auch wenn meine Familie aus der Schweiz stammt. Ich bin ein großer Basketball-Fan und interessiere mich sehr für Architektur und Geschichte. Neben meinem Studium in Psychologie habe ich auch eines in Medizin abgeschlossen, weswegen ich hier nun auch als Arzt tätig sein werde", stellte mein Therapeut sich vor und ich wusste nach wie vor nicht, was ich sagen sollte oder mit dieser Info anfangen würde. Er hatte einen deutschen Namen, stammt zwar nicht von dort, dennoch sah ich das ganze Gebiet feindselig entgegen, hatte so meine Abneigung dagegen entwickelt seit ich Heinrich kannte oder an all die deutschen Wachen bei HYDRA denken musste. Es hatte auch viele Russen gegeben, sehr viele sogar, doch dank Ivan hatte ich nie ein ganz so übles Bild von ihnen aufnehmen können wie von den Deutschen.

„Du bist in den 30ern geboren, nicht wahr? Wie war dein Eindruck von der Zeit, deiner Kindheit?" Meine Kindheit? Ich blinzelte irritiert von der Frage, doch ich dachte nie an meine Kindheit. Wenn ich an mein Leben zurückdachte, dann war das erste, woran ich dachte, immer der Krieg und wie meine Eltern starben. Es war schwer an irgendwas anderes zu denken, wenn man es erlebt hatte, dort gewesen ist. Es war einfach absurd an das was davor war zu denken, es war irgendwie so belanglos geworden.

„Ich erinnere mich nicht", sagte ich und sprach damit meine ersten Worte, nahm unsicher die Tasse Tee, die vor mir auf dem Tisch stand, zur Hand und nippte an diesem, hoffte es würde meine Nerven etwas beruhigen.

„Du erinnerst dich nicht? Wie kommt es? Wie waren deine Eltern? Freunde? Wie war dein Wohnort? Es muss sicher etwas geben, woran du dich erinnern kannst."

„Schön, es war alles schön, aber ich kann nicht wirklich darüber reden, es ist doch so belanglos", erklärte ich mich und klang etwas verzweifelt während ich sprach, doch wie konnte er das alles fragen, wenn er wusste, dass da der Krieg gewesen ist. Wie stellte er sich die Kindheit von einem vor, wenn da der verfluchte zweite Weltkrieg stattgefunden hatte? Dachte er es wäre schön gewesen? Aufregend?

„Es ist sicher nicht belanglos. Mir ist bewusst, dass du acht Jahre alt warst, als der Krieg anfing, doch vorher hattest du eine normale Kindheit, oder nicht? Es gab sicher viele schöne Erinnerungen in dieser, oder?"

„Sicher", antwortete ich und wusste nicht was das sollte, was es mir brachte hierüber zu reden, außer mich noch trauriger zu machen.

„Und dann kamen die schlimmen Tage und plötzlich war da nur noch Tod und Leid? Wie erging es dir während des Krieges? Wie fandst du die Tage vor dem Tod deiner Eltern?" Sprachlos sah ich den Mann vor mir an und wusste kaum weiter. Ich spürte wie nervös ich wurde, wie verkrampft, wie sich die Bilder von damals in mir hoch drangen, ich wieder diese Armut sah, dieses Leid. Es war als würden die Sirenen in weiter Ferne ertönen, die Schreie der Kinder einem das Blut in den Adern gefrieren lassen und kurz kam ich mir wieder vor wie das zwölf Jahre alte Mädchen, das unter dem Tisch versteckt mitansehen musste, wie ihre Mutter starb. Ich dachte oft an den Krieg, würde ihn nie vergessen, doch ich dachte eigentlich nur sehr selten an das wirkliche Drama dort. Ich dachte kaum an den Tag, wo meine Eltern starben oder wie meine Heimat dem Erdboden gleichgemacht wurde. Wieso sollte ich auch? Es war traumatisierend und ich verdrängte es gern.

„Was bringt es mir darüber zu reden?", fragte ich mit einer brüchigen Stimme nach, stellte die Tasse wieder ab, konnte nicht erkennen, inwiefern das eine Hilfe darstellt, wie es mir irgendwas bringen würde darüber zu reden oder allein darüber nachzudenken.

„Ich denke, du solltest dich den Ereignissen deines Lebens stellen, Malia", erklärte er sich einfühlsam, „Du hast viel erlebt für dein junges Alter und es ist nur zu verständlich, dass man solche Dinge gerne verdrängen möchte, in sich einsperren möchte, doch auf Dauer ist das äußerst ungesund. Man sollte diese Dinge aufarbeiten, sie verarbeiten, um abschließen zu können, nur so kann man sich seelisch retten."

„Du willst, dass ich mich jedem traumatischem Moment meines Lebens stelle?", fragte ich schrill, doch das waren viele, sehr viele Momente und ich würde das niemals durchstehen, wollte es nicht, wollte gewiss nicht an jedes dieser Ereignisse nochmal so intensiv denken müssen, es wäre die reinste Folter! Ich wüsste gar nicht wo ich da anfangen sollte so viele waren es.

„Stück für Stück ja. Wir gehen sicher nicht alles in einer Stunde durch, aber ich denke im Verlaufe der Zeit, wird es dir einfacher fallen über alles zu reden", sagte er und ich schüttelte den Kopf, würde hierbei nicht mitmachen.

„Das ist zu viele für mich."
„Also willst du das hier beenden? Ich denke, du solltest es für die anderen wenigstens versuchen, Malia. Deinetwegen sind sie besorgt, willst du sie nicht beruhigen?", fragte er mich, versuchte mir Schuldgefühle einzureden und ich wusste kaum was zu sagen. Er hatte ja recht und doch war ich überrascht wie verletzend er war, wie unsensibel. Waren Therapeuten so? Kein Wunder, dass keiner zu ihnen wollte.



Wir beendeten die Stunde kurz darauf schließlich und obwohl ich niemals wieder dahin wollte, so hatte ich mich überzeugen lassen es erneut zu versuchen, auch wenn ich mit einem mulmigen Gefühl an diese Stunden dachte. Müde und völlig durcheinander betrat ich Buckys und mein gemeinsames Zimmer, wo dieser bereits auf mich gewartet hatte, nun erleichtert vom Bett aufsprang und mir entgegenlief, kaum erblickte er mich.

„Wie war es?", fragte er vorsichtig, schien eindeutig sich unsicher darüber zu sein, wie er mit mir umgehen sollte. Seit ich hier vor ein paar Tagen völlig durchgedreht bin nach einem Traum, ging sowieso jeder mit mir um, als ob ich eine Zeitbombe wäre, die jeden Moment hochgehen könnte.

„Ich weiß nicht. Er ist seltsam und seine Fragen sind unangenehm."
„Du musst da nicht mehr hin, das weißt du, oder? Wenn du nicht hingehen willst, dann...", sagte er gleich ganz besorgt und nahm meine Hände in seine, was mich zum Lächeln brachte.

„Weiß ich doch, aber ich versuche es mal weiter, vielleicht muss ich mich auch einfach nur an ihn gewöhnen", meinte ich und schmiegte mich an ihn, genoss es ihm so nahe zu sein, wieder die Wärme seines Körpers spüren zu können, sein Herzschlag zu vernehmen, ihn bei mir zu haben.

„Aber wenn irgendwas sein sollte..."
„Dann gehe ich nicht mehr hin, versprochen", versicherte ich ihm und sah zu ihm auf. Behutsam strich er mir mein Haar zurück, legte seine Hände an mein Gesicht, umgriff es, sah liebevoll zu mir hinab, so dass mein Herz gleich schneller das Schlagen anfing.

„Vielleicht sollte ich dich etwas ablenken", schlug er vor und ich wusste genau, was er im Sinn hatte so rau wie seine Stimme klang, so schnell wie sein eigenes Herz in seiner Brust schlug.

„Klingt verlockend", gab ich zu und stellte mich auf meine Zehen, um unsere Lippen zu vereinen, ihn zu küssen und ihm somit noch näher zu sein. Augenblicklich erwiderte er den Kuss, hielt mein Gesicht dabei auch weiterhin fest, während ich mich nun an seinen Schultern klammerte, Halt suchte. Schnell wurde der liebevolle und sanfte Kuss stürmischer, leidenschaftlicher und noch schneller lag ich plötzlich mit dem Rücken auf dem Bett, hatte meine Beine um Buckys Hüfte geschlungen, während er sich mühevoll abstützte, um mich nicht unter seinem Gewicht zu zerquetschen. Unsere Lippen harmonierten perfekt aufeinander und am liebsten hätte ich nichts anderes getan als ihn zu küssen und das für die nächsten paar Stunden als er sich da jedoch von mir löste, mich nach mehr verlangend unter sich zurückließ. Atemlos sah ich zu ihm hinauf, war etwas verwirrt, vor allem, weil er mich einfach nur anstarrte, nichts weiter tat, nichts sagte.

„Was ist?", fragte ich und legte meine eine Hand an seine stoppelige Wange, strich die Form seines Gesichts nach.

„Ich liebe dich", sagte er und ich lächelte glücklich.

„Und ich liebe dich", sagte ich und lachte auf als er mich mit sich hochzog, wir beide nun gegenüber voneinander saßen, unsere Beine miteinander halb verknotet.

„Was ist los?", fragte ich ihn, fand es seltsam wie abrupt er aufgehört hatte mit den Küssen und nun wohl auch nicht vorhatte weiterzumachen.

„Ist es ok, wenn wir einfach reden?", fragte er mich und verwundert war ich kurz sprachlos, ehe ich nickte.

„Natürlich doch, wenn du das willst", erwiderte ich.

„Ich will nur, dass du weißt, dass du auch mit mir reden kannst", erklärte er sich und ich musste grinsen, setzte mich auf seinen Schoß und legte meine Hände an seinen Nacken.

„Ich weiß und ich weiß auch, dass es dir missfällt, dass ich zu einem Therapeuten gehe und er mir vielleicht ja eher helfen kann, aber du brauchst dich sicher nicht schlecht für irgendwas fühlen, ok? Nichts hiervon ist deine Schuld und du bist nicht verpflichtet mich in jeder Angelegenheit zu retten." Liebevoll sah ich ihn an, schaffte es ihm ein Lächeln zu entlocken, ehe er sein Gesicht an meiner Halsbeuge vergrub und mich dort küsste.

„Ich wünschte mir, wir hätten uns unter normalen Umständen kennen lernen können", nuschelte er zwischen den Küssen und ich streichelte sein Haar, versuchte mir vorzustellen wie das gewesen wäre. Ein normales Leben. Ich hätte einen lebhaften Bucky kennen gelernt, der ständig am Flirten gewesen wäre, der mich seiner Familie vorgestellt hätte, dem noch dünnen und zerbrechlichen Steve. Wir hätten geheiratet, Kinder gehabt, vielleicht einen Hund adoptiert. Wir wären alt geworden und nun vermutlich tot, doch wir hätten alles gehabt und wären glücklich gewesen.

„Es ist ein netter Gedanke, doch ich bin dennoch glücklich, dass wir nun hier sind unter diesen Umständen", gestand ich, denn auch wenn viel Tragisches geschehen war, so hatten wir wundervolle Momente zusammen erlebt und die würde ich nie wieder hergeben wollen.

„Dann bin ich erleichtert", sagte Bucky und sah wieder zu mir auf, doch sein Lächeln verschwand augenblicklich und schnell wirkte er besorgt.

„Was ist?", fragte ich und merkte in dem Moment auch die Veränderung, merkte wie warmes Blut aus meiner Nase lief, war irritiert davon, was nun los war.

„Geht es dir gut?", fragte Bucky besorgt und ich wollte ihm schon mitteilen, dass es ja nur Nasenbluten war, als ganz plötzlich sich meine Welt zu Drehen anfing, ich oben und unten nicht mehr unterscheiden konnte, ehe alles einfach dunkel wurde.



Mir kam es so vor, als ob nur zwei Sekunden vergangen wären, bevor ich meine Augen wieder öffnete und doch war eindeutig mehr Zeit vergangen. Ich war nicht mehr in unserem Zimmer, sondern in der Arztstation des Towers, erkannte das grelle Licht über mir gleich wieder und war kurz wie benebelt, überfordert.

„Du bist wach", sagte Bucky neben mir erleichtert und verwundert drehte ich meinen Kopf zu ihm, war etwas hilflos von der ganzen Situation. Was war geschehen? An meinen Händen und Armen waren wieder all diese Nadeln und Schläuche und nur weil Bucky hier war, riss ich sie mir nicht alle panisch raus.

„Was ist geschehen?", fragte ich, versuchte die Lage zu verstehen.

„Du bist ohnmächtig geworden", erklärte er mir und wirkte bekümmert, schien wohl keinen Schlaf gefunden zu haben, so erschöpft wie er wirkte.

„Wie lange war ich weg?"
„Fast einen Tag", sagte er und ich staunte nicht schlecht. Es war mir überhaupt nicht so lange vorgekommen, ganz im Gegenteil.

„Und du hast natürlich nicht geschlafen", stellte ich fest und er lächelte bitter, strich mir über die Wange dabei.

„Wie könnte ich? Aber keine Sorge, der Arzt meint, du brauchst einfach ganz viel Bettruhe, dann wird alles wieder gut."
„Was ist denn gewesen?", fragte ich, konnte mir nicht erklären, wieso ich so zusammengebrochen bin. In der einen Minute ging es mir noch super und dann das.

„Offenbar ist dein Körper ziemlich erschöpft, du weißt ja, dass er sowieso nicht im besten Zustand ist. Du musst dich wohl mehr ausruhen", sagte er bedauernd und auch wenn er es nicht aussprach, so wusste ich genau, dass das bedeutete, dass ich von nun an noch vorsichtiger sein müsste, wohl nichts anstrengendes mehr machen würde, wenn ich noch ein paar Jahre leben wollte. Die letzten Tage waren aber auch hart gewesen. Der ganze Stress mit Bucky, die Sache mit Jack, ich war einfach fertig.

„Dann ruhe ich mich mehr aus", sagte ich, wollte ihn nicht auch noch beunruhigen müssen, wollte nicht, dass er sich noch mehr um mich sorgte, als er es sowieso schon tat.

„Wir kriegen das hin", versicherte Bucky mir zuversichtlich, auch wenn er äußerst angespannt wirkte, doch mir ging es kaum anders. Mein Körper machte schneller dicht als ich es gedacht hätte, wer wusste schon, wie lange das alles gutgehen würde? Wie viel Zeit ich eigentlich noch hatte, bevor zu kaputt wäre, nach allem was gewesen war? Es war beängstigend, doch vorerst versuchte ich den Gedanken zu verscheuchen, noch war alles nur halb so wild.


Aloha :) Ich hoffe euch hat es gefallen und ihr verzeiht mir das Warten. Mir ist aufgefallen wie nahe wir dem Ende eigentlich schon sind, es fehlt also wirklich nicht mehr viel bis dahin xx

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