24. Ein Verlust von vielen

1988

Ich erinnerte mich gut an den einen grauenvollen Tag in meinem Leben zurück, als meine Cousine noch fast ein Baby gewesen war und doch beinahe von uns gerissen wurde. Ich würde niemals vergessen, wie blau die Kleine angelaufen war an diesem einen grauenvollen Tag, wie sich ihre Lippen seltsam verfärbt hatten oder wie panisch meine Tante durch das ganze Haus geschrien hatte, für irgendeine Art von Hilfe. Es war vermutlich der schlimmste Tag in ihrem Leben gewesen, als ihre eigene Tochter das Atmen aufgehört hatte. Ich wusste noch, wie überfordert ich mit dieser Situation gewesen war, völlig hilflos darüber, was zu tun war, wenn ein Säugling am ersticken war, doch mein Onkel hatte seiner Tochter das Leben retten können, in dem er als einziger einen kühlen Kopf bewahren, als einziger richtig handeln konnte. Im Krankenhaus hatte man schließlich feststellen können, dass sie wohl irgendwelche Probleme beim Atmen hatte, so manchmal einfach nicht genug Luft kriegen würde und während ich damals noch mich immer gefragt hatte, was das für ein grauenvolles Gefühl sein musste nicht richtig Luft zu kriegen, so wusste ich es nun genau.

In dem Augenblick, wo ich benommen es schaffte meine Augen aufzubekommen, gegen das helle Licht anzublinzeln und verschwommen all die Ärzte um mich herum sah, spürte ich klar und deutlich, dass egal wie sehr ich es auch versuchte, es mir vorkam, als wäre die gesamte Luft aus dem Raum gezogen worden. Panisch versuchte ich einzuatmen, fing an Sterne vor mir zu sehen, ehe mein Körper eine ganz eigene Art sah damit umzugehen. Ich spürte, wie mein Gliedmaßen sich bewegten, doch ich hatte keinerlei Kontrolle darüber und genauso hatte auch kein Arzt die Kontrolle darüber, als ich völlig unkontrolliert zu zittern begann, irgendwann meine Augen sich nach oben gerollt haben müssten, denn obwohl alles anfing dunkel zu werden, so spürte ich dennoch auch weiterhin die Hilflosigkeit, hörte in weiter Ferne das Stimmengewirr, ehe es irgendwann auch ein Ende fand.


Ich kam mir nicht wirklich wach vor, als ich es schaffte nach gefühlt tausenden von Jahren meine Augen wieder aufzubekommen, sah benommen in Ivans vertrautes Gesicht und sah wie dieser erfreut anfing zu lächeln, als er bemerkte, dass ich wach war.

„Oh kleines Mädchen, du machst mich fertig", seufzte er, doch seine Stimme hörte sich so fern an, als wäre er gar nicht wirklich hier.

„Ivan...", hauchte ich mit einer kratzigen Stimme, schloss müde meine Augen wieder.

„Ruhe dich noch etwas aus, du bist dem Tod vor Augen getreten, Malia, da musst du dich wohl etwas schonen."
„Bucky... wo ist Bucky", murmelte ich schläfrig, vergaß völlig, dass es ja verboten war seinen Namen zu sagen, doch gerade im Moment war mir das herzlich egal. Ich fühlte mich einfach nur grauenvoll, es war als würde mein Brustkorb eingedrückt werden, das Atmen fiel mir unfassbar schwer und ich kam mir kaum lebendig vor, doch wäre er hier, es würde so vieles ändern. Ich sehnte mich so sehr nach ihm, dass ich am liebsten das Heulen angefangen hätte, ich wollte ihn einfach sehen, ich wollte ihn halten, ich wollte doch nur seine Anwesenheit spüren dürfen.

„Er ist bei einem Auftrag, aber man wird ihn nicht herlassen, er ist zu sehr am durchdrehen wegen deines Zustands und solange du nicht stabil bist, würde ihn das vermutlich zu sehr aus der Fassung bringen", klärte Ivan mich auf, doch mehr bekam ich gar nicht mehr mit, als ich wohl wieder endgültig weg gedriftet war und in einen traumlosen Schlaf verfiel.



Als ich es erneut schaffte meine Augen aufzubekommen, kam ich mir fast wie ausgewechselt vor. Ich fühlte mich hellwach, konnte wieder fast richtig atmen und immerhin auch klarer denken. Schnell stellte ich fest, dass ich nicht länger in der Arztpraxis, sondern in meinem eigenen Zimmer war, das in der Zeit, wo ich eingefroren war, neuere Möbel bekommen hatte und ich wollte alleine bei diesen Veränderungen gar nicht daran denken müssen, wie sich die Kleidung mal wieder verändert hatte. Es würde mich gar nicht wundern, wenn es irgendwann in Mode wäre komplett nackt herumzulaufen, so freizügig wie alle schon herumgelaufen waren, bevor ich zum Einfrieren hatte müssen. Nach wie vor etwas wackelig auf den Beinen, stand ich von meinem Bett auf, hielt es nicht mehr aus noch länger liegen zu müssen und wollte eigentlich nur noch Bucky endlich sehen dürfen, nur da ich in einem seltsam bunten Schlafanzug gehüllt war, beschloss ich mich erst einmal umziehen, wo mir in meinem Kleiderschrank die Auswahl der neuen Sachen jetzt schon die Sprache verschlug. Alles wirkte irgendwie so bunt und so befremdlich. Frauen trugen anscheinend keine Kleider mehr, Hosen waren so beliebt, wie noch nie und gleichzeitig hatte ich die Hälfte aller Sachen so noch nie gesehen gehabt. Verwirrt davon, wie man so herumlaufen konnte, nahm ich mir die schlichtesten Sachen heraus, tauschte sie gegen meine Schlafsachen ein und verließ auch schon einfach mein Zimmer. Es war merkwürdig durch diese Gänge zu laufen, zu sehen, wie erneuert alles wurde in meiner Abwesenheit und wie von alleine dachte ich an das Erdbeben, was mich nur daran denken ließ, wie Bucky und ich uns geküsst haben, dass ich ihm meine Liebe gestanden hatte und er sie erwiderte. Ich sollte glücklich sein, ich sollte vor Glück sterben, doch eigentlich war ich nur verwirrt. Wie würde es von nun an denn auch weitergehen? Es wäre schwer, so verflucht schwer und doch wäre es auch unmöglich wieder nur normale Freunde zu sein, falls wir das denn je gewesen waren.

„Malia, was machst du hier draußen?" Überrascht sah ich zu Ivan auf, der auf mich zugelaufen kam und den ich fast nicht wiedererkannt hätte. Er war älter geworden, war vielleicht so um die 40 und es war einfach jedes Mal aufs neue ein Anblick ihn so zu sehen, so viel älter.

„Ich weiß es eigentlich gar nicht", gestand ich etwas unbeholfen, musterte ihn verdattert, während er schon auf mich zu lief und mich an sich drückte.

„Ich beneide dich fast schon um deine Jugend", lachte er rau und löste sich schnell wieder von mir, „Immer noch genauso jung, wie ich dich kennen lernen durfte."
„Du bist alt geworden", erwiderte ich, was ihn dazu brachte die Augen zu verdrehen.

„Ja, ist mir kaum aufgefallen", meinte er spöttisch und ich lächelte leicht von seiner Art.

„Welches Jahr haben wir? Wo ist B? Wie geht es meinen Freunden, meiner Cousine?", fragte ich frei heraus alle Fragen, die irgendwie von Bedeutung waren und ließ mich dabei von Ivan weiter den Gang entlang führen.

„1988, eigenartig waren die letzten acht Jahre ja schon, aber du hast nichts großartiges verpasst, nur schlechte Musik, paar gute Filme und das übliche Weltdrama eben", verkündete er amüsiert, „Deiner Cousine geht es gut, sie hat geheiratet und hat nun selbst schon Kinder, damit ist sie etwas weiter als ich."
„Kinder?", fragte ich erstaunt und hatte immer noch das Bild von ihr als halbes Baby vor Augen. Es war so eigenartig. Sie hatte mich so einfach überholt in so vielen Dingen.

„Ja, deiner Freundin Peggy geht es ebenfalls gut", sprach er weiter und ich nickte erleichtert darüber.

„Was ist mit Will? Wie geht es ihm?", fragte ich nach, spürte das alte Stechen in meiner Brust, wenn ich an ihn dachte, doch es war viel Zeit vergangen und er müsste nun so um die 60 Jahre alt sein, was wirklich eine kranke Vorstellung war. Etwas daran, wie Ivans Gesichtsausdruck sich bei diesem Namen änderte, brachte mich dazu jedoch stehen zu bleiben und ich spürte, wie mir die Tränen kamen, als er bedauernd anfing den Kopf zu schütteln.

„Malia, ich..."
„Er ist tot?", hauchte ich schockiert, konnte die Tränen nicht mehr halten und glaubte von Innen heraus zerrissen zu werden Ich hatte immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde, so wie er noch bei allen anderen, die ich kannte, kommen würde, doch zu wissen, dass er fort war... Ich spürte, wie mir übel wurde, wie ich einfach nur schreien wollte und hätte Ivan mich nicht gehalten, wäre ich vermutlich auf dem Boden gelandet, doch er stützte mich, hielt mich an Ort und Stelle. Der Schmerz wurde jedoch kein Stück erträglicher dadurch. Will war mein bester Freund gewesen, er war alles und so viel mehr gewesen und nun war er weg und ich würde ihn nie wiedersehen, all unsere Pläne und Träume, sie alle waren wie vom Winde verweht, nicht mehr von Bedeutung.

„Es tut mir so leid, Malia", murmelte er leise und schluchzend krallte ich mich an ihn fest, dachte an den jungen, lebhaften Will von früher zurück, meiner ersten großen Liebe, die durch mein Verschwinden niemals ein glückliches Leben hatte führen können. Diese Welt war grausam, alles war grausam und der Hass HYDRA gegenüber wuchs so schnell, so erbarmungslos, dass ich am liebsten Ivan seine Waffe entrissen hätte, um damit jeden zu erschießen, der sich mir in den Weg stellen würde, damit ich mit Bucky einfach abhauen könnte, damit wir diese Quälerei nicht mehr ertragen müssten, doch ich beherrschte mich gerade noch so.

„Es ist lange her, mehrere Jahre schon", sprach Ivan leise weiter, während ich mich nur schwer beruhigen ließ, am liebsten das Schreien angefangen hätte, weg gerannt wäre, so wie ich es gerne tat, wenn schreckliche Dinge geschahen, doch hier war es unmöglich.

„Wie?", schniefte ich nur und löste mich zitternd von ihm, wischte mir grob meine Tränen weg und sah ihm deutlich an, dass er sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen schien, „Wie ist er gestorben, Ivan?"

„Bei einem Auftrag, er wurde erschossen", erklärte er mir bedauernd und irgendwas daran, wie er sich ausdrückte, verriet mir, dass er mich belog, doch was machte es für einen Unterschied? Er war fort, meine letzte Begegnung mit ihm war in diesen Gängen gewesen, wo ich ihm das Herz gebrochen hatte und ich würde es nie wieder gut machen können.

„Vielleicht kann ich dich aufheitern", bemerkte Ivan sanft und zog mich sachte weiter, doch ich kam mir so taub, so tot vor, wie lange nicht mehr, wenn man mal die Jahre auf Eis absah.

„Wie willst du das schaffen?", fragte ich monoton, wollte am liebsten nur wieder in mein Bett, fühlte mich total kaputt von der Nachricht, davon wie am Ende mein Körper durch das Einfrieren war.

„Ich übernehmen gleich die Überwachung für die Räume des Soldaten, dann kannst du bei ihm so drauf sein, wie du willst, ungestört." Irritiert blieb ich von seinen Worten erneut stehen, öffnete den Mund perplex, um etwas zu sagen, nur was? Woher wusste er, dass Bucky und ich uns so nahe gekommen waren, dass es nicht länger für alle Augen zu sehen sein sollte?

„Ich habe es aus ihm herausbekommen", erklärte Ivan mir amüsiert bei meinem erstarrten Gesicht, „Er war am durchdrehen, wegen deines Zusammenbruchs und hat sich vor mir etwas verplappert, aber außer mir hat es wohl keiner verstanden. Du weißt aber hoffentlich, dass ich das nicht gerne sehe?"
„Ist es nicht unfassbar egal?", fragte ich leise und lief wieder weiter, „Ist es nicht unfassbar egal, ob es irgendwer mitkriegt? Ich meine, ich bin eh so gut wie tot und..."
„Oh hör mir auf mit diesem Gerede", unterbrach Ivan mich harsch und sein russischer Akzent gewann dabei die Oberhand, „Ich decke euch beide so gut ich kann, damit du wenigstens etwas Glück hier finden kannst und ganz offensichtlich bist du bei ihm glücklich, auch wenn du es wirklich nicht sein solltest, also genieße diese Zeit. HYDRA hat dir vielleicht vieles weggenommen, doch das bis jetzt noch nicht, also kämpfe etwas darum!"

„Hätte nie gedacht, dass du mich hierbei unterstützen würdest", nuschelte ich mit einem traurigen Lächeln, während wir uns Buckys Zimmer nährten.

„Ich hatte acht Jahre Zeit über vieles nachzudenken, aber du solltest einfach vorsichtig sein. Vergiss niemals, dass er eine Marionette von denen ist, ob er es will oder auch nicht."

„Ich werde das niemals vergessen, Ivan."
„Und doch glaube ich, dass du das längst hast", meinte er mit einem traurigen Lächeln, als würde er für uns beide kein gutes Ende sehen, als würde er die kommende Katastrophe schon sehen, doch mir ging es kaum anders. Das hier konnte gar kein gutes Ende finden, wie denn auch?

Seufzend hielten wir vor Buckys Türe schließlich und ich straffte meine Schultern, schaffte es zu lächeln bei dem Gedanken daran ihn endlich wiederzusehen. Ich spürte, wie mein Herz gleich schneller schlug, wie das Atmen wieder sich ein Stück schwerer anfühlte und meine Hände schwitzig wurden. Es würde niemals allen Kummer heilen können, doch seine Nähe würde etwas helfen. Er konnte nicht das für mich sein, was Will für mich gewesen war, aber er war etwas anderes und vielleicht auch so viel mehr als irgendwas, was mit Will je gewesen war.

„Ich weiß noch, wie ich das erste Mal auf ein Date mit meiner Frau gewesen war. Ich war mindestens genauso nervös gewesen, wie du jetzt", meinte Ivan schmunzelnd und ich verdrehte amüsiert die Augen.

„Mach dich ruhig lustig."
„Würde ich doch nie, aber na gut, gib mir ein paar Minuten, bis ich im Kontrollraum bin, dann stelle ich es so ein, dass alte Videoaufzeichnungen von euch beiden ablaufen, durch die grauenvolle Qualität wird es sowieso keinem auffallen", meinte Ivan noch, ehe er mir auf die Schulter klopfte und sich auf den Weg machte, während ich zu der Türe weiter schritt, die anders als damals nicht mehr bewacht wurde. Keine Ahnung ab wann sie sich gedacht haben, dass er weniger Bewachung benötigte, doch so war es offensichtlich und ich würde mich gewiss nicht beschweren.

Ich wartete noch einige Minuten vor der Türe, ehe ich mir sicher war, dass Ivan im Kontrollraum angekommen war. Zögernd öffnete ich die nach wie vor unfassbar schwere Türe zu Buckys Zimmer, wo dieser augenblicklich aufblickte, als er mich sah.

„Malia...", hauchte er, als würde mit meinem Anblick die Sonne aufgehen und ich konnte mich selbst nicht mehr halten. Ich ließ die Türe hinter mir ins Schloss fallen und stürmte schon auf seine ausgebreiteten Arme zu, wo er mich augenblicklich an sich drückte und mich wieder wie zu Hause fühlen ließ.

„B", nuschelte ich an seine Schulter, während er mich hoch hob und im Kreis mit sich drehte, sein eigenes Gesicht an meine Halsbeuge drückte und mich zum erschaudern von dieser Nähe brachte. In meinem Kopf tauchte zwar immer und immer wieder Wills Gesicht auf, doch ich verdrängte es schnell. Es hätte gewollt, dass ich wenigstens irgendwie glücklich werde, auch wenn er vermutlich rein gar nichts von Bucky hielt, doch er wusste auch einfach nicht, wer er war und er würde es auch niemals wissen.

„Dir geht es gut", meinte er erleichtert, ließ mich nicht los, drückte mich, wenn es ging, eher noch näher an sich heran.

„Ich denke schon, auch wenn es von Mal zu Mal schlimmer mit dem Einfrieren wird", erwiderte ich, wollte eigentlich gar nicht daran denken müssen, denn noch öfters würde ich das kaum mithalten.

„Aber du bist hier und du lebst."
„Und das ist fürs erste genug", meinte ich und löste mich von ihm, sah in seine hellen, wunderschönen Augen, strich sanft sein Haar zurück, das ihm fast schon die Sicht nahm, so unglaublich lang wie es geworden ist.

„Es ist nichts mehr so, wie in diesem Lagerraum, nicht wahr?", fragte er mich bedauernd und ich schüttelte leicht den Kopf, legte meine Hand nun an seine stoppelige Wange, während seine eigenen Hände an meiner Hüfte platziert waren, mich bestimmend wieder näher zu sich gezogen hatten.

„Im normalen Alltag hier wird es niemals mehr so sein können, aber grade eben übernimmt Ivan die Überwachung und wir haben kurz die Zeit wieder das zu haben, was in der Lagerhalle gewesen war", antwortete ich ihm leise, sah wie er völlig überrascht von dieser Neuigkeit zu sein schien und doch auch unsicher. Ich sah ihm an, dass er mich küssen wollte, mir noch näher kommen wollte, doch er schien völlig überfordert zu sein.

„Du meinst das ernst, nicht wahr?", fragte er und ich lachte erheitert auf.

„Jetzt küss mich endlich, oder ich drehe noch durch, B. Ich habe acht verfluchte Jahre darauf gewartet." Das ließ er sich dann doch nicht mehr zweimal sagen, lehnte sich zu mir herunter und verschloss endlich meine Lippen mit seinen, ließ mich ganz werden, ließ kurz allen Kummer verschwinden.


Aloha :) Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen und mal sehen wie diese Liebelei weitergehen wird xx

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