20. Der Name
1980
Ich wusste ganz genau, dass ich schlief, dass ich nicht wach war und das nichts von allem, was ich sah, wirklich echt war. Dennoch hatte es etwas befreiendes an sich träumen zu können, nicht mit der Realität konfrontiert zu werden. Es war zur anderen Seite natürlich auch beängstigend zu wissen, dass man schlief, keine Kontrolle darüber hatte, was um einen herum geschah, dass wenn man sterben würde, es nicht einmal mitkriegen würde. Es könnte alles längst vorbei sein und ich würde es niemals wissen. Ich versuchte dennoch in dieser befreienden, eigenartigen Traumwelt nicht von Ängsten und Sorgen geleitetet zu werden, erlebte meine Träume, die mir meist nur alte Erinnerungen zeigten, eher als kleinen Ausweg in die Freiheit, war fasziniert davon wieder so viel Grün sehen zu können, die Möglichkeit zu haben in den Himmel hinauf zusehen oder Menschen zu treffen, die ich so lange nicht mehr hatte sehen können, die teilweise gar nicht mehr unter den Lebenden weilten. Ich sah so meine Eltern wieder, hatte merkwürdige, so unbedeutende Erinnerungen an sie, wie wir zum Beispiel Weihnachten gefeiert hatten während des Krieges, wo wir kaum was gehabt hatten, doch glücklich gewesen waren. Erinnerungen davon, wie wir, als ich noch viel jünger gewesen war, zum Spielplatz neben meinem Haus gegangen waren oder wie ich immerzu begeistert meinem Vater um den Hals gefallen war, wenn er abends von der Arbeit zurückgekommen war. Doch genauso sah ich auch andere Dinge wieder, wie meine erste Begegnung mit Captain America oder besser bekannt als Steve Rogers..
„Was hast du vor mit ihr zu machen?", fragte Steve mit einem besorgten Blick auf mich gerichtet, ehe er zurück zu seinem Freund Bucky sah, „Wir können sie kaum in einem Lager voller Soldaten lassen. Sie ist ja fast noch ein Kind."
„Ich dachte deine Freundin Peggy könnte nach anderen Familienmitgliedern von ihr suchen und ich passe schon darauf auf, dass niemand ihr zu nahe kommen wird!", erwiderte dieser, während ich immer noch viel zu verstört von dem Tod meiner Eltern, allem was hier geschah und der Tatsache vor Captain America zu stehen, die Kette, die Bucky mir gegeben hatte, in meinen Händen hielt und panisch mit ihr herumspielte.
Ich wusste noch genau, wie beeindruckt ich von Peggy gewesen war, als ich sie dann das erste Mal hatte sehen dürfen, wie wohl und wie sicher ich mich bei ihr gefühlt hatte, aber auch wie schwer es mir gefallen war Bucky weniger oft zu sehen, wie viele Sorgen ich mir immerzu um ihn gemacht hatte, wenn er mit Steve losgezogen war um HYDRA zu besiegen, den Krieg zu gewinnen und ich erinnerte mich an den schrecklichen Tag zurück, wo ich erfahren musste, dass er fort war.
„Wo ist Bucky?", fragte ich Steve hoffnungsvoll, als dieser erschöpft und ziemlich fertig den Raum betrat, in dem Peggy und ich mich gerade aufhielten und wo sie es keine Stunde zuvor geschafft hatte nach Wochen endlich meine Tante ausfindig gemacht zu haben und die mich aufnehmen würde sobald es möglich ist. Bedauernd schüttelte der Soldat jedoch nur seinen Kopf, mied unsere Blicke, als er weiter lief und ich spürte, wie etwas in mir erneut starb, wie die Kette um meinen Hals sich plötzlich so fürchterlich schwer anfühlte. Es war einer meiner letzten Stützen gewesen, er war schneller zu einer Bezugsperson für mich geworden, als er es vermutlich hätte sollen, doch nun war er fort, wie sollte er fort sein?
Ich spürte, wie alle Erinnerungen, alle Träume anfingen zu verblassen, wie ich anfing aus ihnen herausgerissen zu werden, wie fremde Stimmen an mein Ohr drangen und blinzelnd schaffte ich es meine Augen aufzukriegen, verwirrt zu all den Ärzten und Wachen um mich herum zu sehen, die Dinge sagten, die ich nicht verstand, deren Sinn nicht zu mir durchdrang, denn ich spürte, wie mir die Luft zum Atmen ausging. Panisch fasste ich mir an meine Kehle, versuchte zu atmen, wollte um Hilfe schreien, doch anscheinend verstanden die Ärzte um mich herum auch so, dass irgendwas falsch verlief. Ich sah noch, wie sie um mich herum eilten, mir eine Maske aufsetzten, doch mir wurde schon wider schwarz vor Augen, nur dieses Mal war es kein beruhigender, sanfter Schlaf, es war eher eine kalte, ungewisse Dunkelheit.
Winter Soldier
Die Sorge in mir drohte mir den Verstand zu rauben, mir das letzte bisschen an Kontrolle zu nehmen. Zu wissen, dass es ihr nicht gut ging, dass sie zusammengebrochen war, dass sie vielleicht sterben könnte, es ließ mich eben einfach durchdrehen. Wie ein Tiger im Käfig lief ich grübelnd und halb sterbend vor Sorge in meinem Zimmer auf und ab, wollte nur noch raus, zu ihr dürfen, doch man ließ mich nicht. Ich wurde hier eingesperrt, völlig ahnungslos darüber, was los war und es brachte mich schlichtweg um.
„Juri!", schrie ich wütend, hämmerte gegen die schwere Metalltüre, glaubte selber bald vor Angst ersticken zu müssen, doch was wäre, wenn sie wirklich starb? Was sollte ich ohne sie machen? Malia löste Dinge in mir aus, die ich nicht in Worte fassen konnte. Wenn sie bei mir war, dann fühlte ich mich auf eine so merkwürdige Art glücklich und frei, sie anzufassen, sie zu halten, es ließ mich alles andere vergessen, es ließ mich wie ein anderer Mensch fühlen. Ich kam mir nicht mehr wie ein bloßer Soldat vor, ich hatte das Gefühl so viel mehr zu sein.
„JURI!", schrie ich nur noch lauter bei dem Gedanken nicht für sie da sein zu können, ich wollte doch einfach nur für sie da sein können, ihr alle Ängste und Sorgen nehmen, auf sie aufpassen, in ihre schönen Augen sehen und ihre Hand dabei in meiner halten, über ihre weiche Haut streichen und dabei zusehen, wie ihr Blick immer wieder auf meine Lippen fallen würde.
„Zurücktreten, Soldat!" Ich zitterte unkontrolliert vor Wut, als ich wie mir befohlen wurde einen Schritt nach hinten trat und zu Juri blickte als dieser eintrat und der alles andere als glücklich zu wirken schien, „Du wirst das Mädchen erst zu Gesicht kriegen, wenn du deinen Job erledigt hast!"
„Welchen Job?", fragte ich kalt nach, wollte es einfach nur hinter mich bringen, um so schnell es geht wieder bei ihr sein zu können.
„Du musst einen S.H.I.E.L.D Agent töten gehen. Er war bei dem Angriff damals hier und er scheint erneut irgendwas zu planen, also muss er beseitigt werden!", erklärte er mir schlicht und ich dachte sofort an Malias Freund. Nur zu gerne würde ich ihn töten, wenn es denn um ihn ging, doch andererseits wusste ich, dass es sie mit Schmerz erfüllen würde, wenn sie es herausfinden sollte.
„Wo finde ich ihn?"
„Du warst schon einmal in seinem Haus, als du damals Malia zu uns geholt hast. Also töte William Conner und du darfst wieder zu ihr", erwiderte er und ich atmete tief durch, denn ich würde ihn finden, ihn töten und wieder zu ihr gelangen.
Nur zu gut kannte ich den Weg zu dem Haus, in dem sich mein Ziel befand. Es war zwar ein verflucht langer Weg dahin, da die Eingänge unseres Verstecks sich in meiner Abwesenheit geändert hatten und nun wo anders, mehr im Bergland befanden, doch nach einigen Stunden Fahrt in Begleitung einiger HYDRA Wachen, erreichte ich die kleine Wohngegend, die sich in all den Jahren nicht stark verändert hatte. Einige Häuser waren abgerissen und durch neuere ersetzt worden, vor den Einfahrten standen modernere Autos, doch ansonsten sah alles noch wie damals aus, vor allem das kleine Haus, das halb verborgen hinter dichten Hecken lag, sah noch exakt so aus wie damals, als ich zum Sonnenuntergang hierhergekommen war, um sie mitzunehmen. Ich nickte den Wachen kurz zu, ehe ich meine Maske aufsetzte und meine Waffe zog, während ich alleine weiter auf das Haus zu lief, mich kurz vergewisserte von keinem der Nachbarn groß bemerkt zu werden dabei.
Wie damals auch trat ich die Gartentüre auf, lief die zwei Meter zur Haustüre weiter, wo ich schnell bemerkte, dass sich im unteren Teil des Hauses wohl keiner derzeit aufhielt. Es war aus dem Grund ein leichtes unbemerkt die Haustüre aufzuknacken und das Innere zu betreten, wo ich mich kurz umsah, sicherstellte, dass auch wirklich niemand hinter einer Ecke auf mich lauern würde, doch so wie es aussah, hatte man mit der Vermutung recht behalten, dass er alleine lebte und wohl nach wie vor Malia hinterher trauerte. Ich sah unzählige Bilder von ihr an den Wänden hängen und es war schwer sich nicht von diesen ablenken zu lassen. Ich kam mir einfach magisch von ihnen angezogen vor und verspürte einen Schmerz in mir beim Anblick all dieser alten Erinnerungen und vor allem wie glücklich sie auf ihnen gewesen war. So ehrlich lächeln hatte ich sie noch nie gesehen und ich würde es vermutlich auch nie. Ich hatte ihr ihr Leben genommen, doch wusste sie nicht, dass es zu ihrem Besten geschehen war? Bei mir wäre sie sicher und wie egoistisch es auch klingen mochte, ich brauchte sie doch zu sehr. Hätte ich sie hier gelassen, wäre ihr nur sonst was passiert, dieser Will konnte nicht auf sie aufpassen, könnte er es, wäre sie nicht schon bei unserer ersten Begegnung beinahe gestorben damals. Ich versuchte mir all das schön weiter einzureden, nicht daran zu denken, dass ich ihr Leben zerstört hatte, dass sie bei uns nichts als eine Gefangene war. Diese Wahrheit zu akzeptieren, erschien mir so schwer, so falsch. Ich schüttelte kurz den Kopf, versuchte das alles aus meinen Gedanken zu verscheuchen, ehe ich weiter zur Treppe lief und dabei vermutlich den exakt selben Fehler wie damals auch machte und auf eine Diele trat, die stark quietschte, sobald man auf ihr stand und die wie damals auch Will aus seinem Zimmer lockte.
„Wer ist da? Denk nicht, dass ich nicht schießen würde!", rief er, als er mit einer Pistole in der Hand zur Treppe geeilt kam und wo ich meine eigenen Waffe auf ihn richtete. Ich sah trotz der Dunkelheit, wie sein Gesichtsausdruck sich änderte, wie er fast schon belustigt wirkte mich zu sehen und erstaunlicherweise sank er die Pistole doch tatsächlich und kam die Treppe herunter.
„Ich wusste, dass du irgendwann hier auftauchen würdest, dass sie mich irgendwann töten lassen würden", meinte er abfällig, „Sie haben zu viel Angst, dass ich erneut kommen werde, nicht wahr?"
„Du bist meine Mission. Ich mache, was man mir befehlt", antwortete ich lediglich, ohne wirklich auf seine Frage einzugehen.
„Natürlich tust du das. Genauso wie du mir mein Mädchen genommen hast ohne es zu hinterfragen", meinte er abfällig und ich spürte, wie die Wut in mir wuchs, als er von Malia sprach, auch wenn ich kein Recht dazu hatte. Sie war seine Freundin, nicht meine. Ich hatte sie ihm lediglich weggenommen. Ich richtete meine Waffe weiter gegen seinen Kopf, sah wie er nun die Hände hob, sich ergeben wollte, „Du musst das nicht tun, weißt du das? Ich habe keine Ahnung, wer du bist, aber sie schien irgendwas in dir erkannt zu haben, wollte wegen dir dort bleiben, ich habe es ihr angesehen, also kannst du nicht nur ein Monster sein, irgendwas gutes muss da sein, sonst wärst du ihr egal gewesen."
„Du irrst dich, ich muss! Für sie muss ich das tun!", erwiderte ich, dachte daran, dass sie mir das vermutlich niemals verzeihen würde, doch er war meine Mission.
„Elena würde niemals..."
„Wieso nennst du sie immerzu so? Ihr Name ist nicht Elena!", meinte ich harsch und wusste nicht, wieso ich überhaupt mit ihm diskutierte, wieso ich ihn nicht längst getötet hatte, doch der Gedanke an sie, ließ mich zu sehr zögern, etwas was Juri besser nicht erfahren sollte.
„Was denkst du bitte, was ihr Name ist?", fragte Will mich, als wäre das doch irrsinnig, als wüsste er mehr als ich.
„Sie heißt Malia! Sie meinte, sie heißt Malia, man sagte mir, sie heißt Malia und nicht anders!", antwortete ich dennoch, sah wie sich in seinem Gesicht etwas regte, wie er irgendwas zu verstehen schien.
„Du...", begann er und sah mich mit anderen Augen an, „Sie musste ihren Namen wegen dir ändern... HYDRA wusste es... sie kannte dich, sie meinte du würdest ihr vertraut vorkommen, du kanntest sie..."
„Von was sprichst du?", fragte ich wütend nach, verstand nicht, was er im Begriff war mir zu sagen.
„Ich weiß, wer du bist, du bist dieser Soldat, ich habe Bilder von dir gesehen, deswegen wusste sie, wer du bist, deswegen hat sie ihren Namen geändert, du darfst dich selbst nicht daran erinnern!"
„Ich habe keine Zeit dafür!", sagte ich lediglich sauer nach, musste es endlich beenden, als er mir da einfach die Maske vom Gesicht riss und mich endgültig ansah, als würde alles für ihn Sinn machen, doch ich handelte instinktiv und drückte in dem Moment ab, wo er sein letztes Wort aussprach, ehe ihn die Kugel direkt zwischen den Augen traf: „Barnes..."
Aloha :) Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen und ich wünsche euch allen schon mal ein frohes neues Jahr und ein schönes Silvester xx
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