10. Zehn Jahre

1963

Es fühlte sich an, als würde man schweben, als wäre man in einer kleinen so wundervoll perfekten Welt. Ich sah so vieles, erinnerte mich an so vieles und doch war nichts wirklich lange da. Ab und an wurden meine paradiesischen Träume von dunkleren durchzogen, wo ich Zola wiedersah, wo mein Bucky, der nur ein Held war, sich in einen Mörder verwandelte. Alles in allem kam es mir vor, als wäre ich nur kurz weg, als wäre die Zeit stehen geblieben, doch das war sie natürlich nicht.

„Ihr Puls ist stabil", murmelte irgendwer, als alles um mich herum nach und nach dunkel wurde, ich anfing Dinge zu fühlen, spürte wie kalt mir war, wie furchtbar müde und schwach ich mir vorkam und das obwohl ich am schlafen gewesen war.

„Dann weckt sie richtig auf!", befahl jemand harsch mit einem russischen Akzent und wie auf Befehl riss ich in der Sekunde meine Augen weit auf, schnappte gierig nach Luft und sah verschreckt zu all diesen Gesichtern, erinnerte mich nach und nach, was los war, wo ich mich befand und hektisch wollte ich mich los reißen, rennen, am liebsten zurück in meine Träume, doch es gab kein Zurück. Ich wurde fest gehalten, zurück gedrückt und hatte das Gefühl unter Strom gesetzt worden zu sein, so viel Energie floss auf einmal durch meine Adern.

„Ganz ruhig! Es hat alles wunderbar funktioniert", meldete sich da kein anderer als Zola zu Wort, der sich an all den Soldaten vorbei drängte und mich betrachtete, als wäre ich ein Juwel, doch er selbst sah so unfassbar alt aus, als wäre er schon fast tot „Und sie sieht immer noch wunderschön aus, perfekt."
„Wie lange...", begann ich mit einer brüchigen Stimme zu fragen, während einer der Soldaten, die nun alle ganz anders gekleidet waren, mir aus dem Glaskasten half und eine Decke um meine Schultern legte, da ich, ohne es gemerkt zu haben, mittlerweile zitterte, doch es war merkwürdig, wie anders alles aussah, wie alt Zola geworden war, es machte mir Angst.

„Zehn Jahre waren du und der Winter Soldier auf Eis gelegt, es ist viel passiert, soll ich dir das neuste der Welt berichten, oder brauchst du Ruhe?"

„Zehn Jahre", murmelte ich völlig verdattert und tastete mein Gesicht ab, doch laut Zola war ich kein Stück gealtert. Ich hätte nun Anfang 30 sein müssen, doch ich war es einfach nicht.

„Eine lange Zeit, doch du wirst dich daran gewöhnen", wandte er schnell ab, als wäre es nicht weiter von Bedeutung, doch im Grunde hatte man mir zehn verfluchte Jahre gestohlen, einfach so.

„Wo ist er? Ich will ihn sehen!", drängte ich ihn nun mit dem Gedanken an Bucky, meinen Halt, der einzigen Person, die ich jetzt einfach nur sehen wollte.

„Er wird für seinen Auftrag hergerichtet, schließlich seid ihr ja nur deswegen wach", erkläre er mir amüsiert von meiner Naivität, ehe er von mir trat und den Soldaten mit Handzeichen wohl irgendwelche Anweisungen übermittelte, denn diese schoben mich schon vorwärts, raus aus dem Zimmer, wo mein Gefängnis zehn lange Jahre lang gewesen war.

„Wie ist es so?", fragte mich einer der eindeutig neueren Uniformierten, der einen starken russischen Akzent besaß und verflucht jung wirkte, als wäre er gerade erst 18 geworden.

„Als würde man schlafen", murmelte ich leise, war nach wie vor benebelt von allem und wolle am liebsten nur noch was essen und mich hinlegen, so erschöpft kam ich mir vor.

„Klingt wohl schöner als es ist", lachte er leise, verstummte jedoch schnell, als einer der anderen Soldaten ihn böse ansah. Manches würde sich wohl nie ändern.

Recht schnell kamen wir an meinem alten Zimmer an, wo ich auch schon eingesperrt wurde und zu dem einfachen kleinen Raum blickte. Mehrere neue Kleider lagen auf meinem Bett, einige Möbel wurden durch neue ersetzt, doch sonst wirkte es immer noch gleich. Das Traurigste daran hier zu sein war wohl einfach zu wissen, dass nach zehn Jahren Peggy und die anderen mich nicht befreien konnten. Vermutlich dachten sie wohl ich wäre tot, schließlich erwartete man schon nach einem Monat Verschwinden nichts mehr, aber dann zehn Jahre? Es war frustrierend, alles war einfach nur frustrierend und verzweifelt setzte ich mich auf mein Bett, wartete darauf zu Bucky zu dürfen. Er wäre das einzige neben mir, das sich genauso wenig verändert haben würde, wie ich. Wir beide blieben gleich und das war einfach nur beruhigend zu wissen. Es verband uns umso mehr und gleichzeitig verängstigte es mich auch. Ich war völlig auf eine Person angewiesen und wenn er weg wäre, dann wäre alles vorbei.



Ich hatte keine Ahnung mehr, wann ich eingeschlafen war, wann ich wieder erwachte und das Essen, das vorbeigebracht wurde, aufgegessen hatte. All das kam mir seltsam verschwommen vor, doch nach diesem Einfrieren war ich einfach nur völlig benebelt. Alles war so surreal und doch wusste ich, dass ich hier war, dass das kein Traum oder so mehr wäre. Es war die bittere Realität.

„Mitkommen!" Seufzend sah ich zu dem mir fremden Mann, der ohne, dass ich es wirklich mitbekommen hatte, mein Zimmer aufgesperrt hatte und ich war erstaunt, dass er mir eigentlich doch gar nicht so fremd war. War das Juri? Wow, er sah echt alt aus mittlerweile, aber immer noch genauso unfreundlich und streng.

„Wohin geht es?", fragte ich nicht gerade sehr hoffnungsvoll nach, doch mein Wunsch Bucky zu sehen, würde mir vermutlich nicht so schnell erfüllt werden, da soweit ich es von den Gesprächen anderer Wachen mitbekommen hatte, dieser noch immer auf seiner Mission war.

„Heinrich will dich sehen", antwortete Juri mir monoton und verwirrt folgte ich ihm aus dem Zimmer heraus, hatte eine Ahnung, wer verflucht nochmal Heinrich war und umklammerte hilflos meine Halskette, Buckys Halskette, während des furchtbar langen Weges zu den Büroräumen der ganzen Obersten-Führern.

Neugierig wie jedes mal, sah ich mich während meines Freigangs um, versuchte mir den Weg zu merken, versuchte vielleicht Hinweise aufzuschnappen, wo es eventuell rausgehen könnte von hier, doch ich war so weit unter der Erde, so tief in diesem Labyrinth gefangen, den Ausweg alleine zu finden, könnte mich Tage kosten und davor wäre ich erledigt. Vor einer schweren Eisentüre hielt Juri schießlich an und ehe ich weiteres nachfragen konnte über diesen Heinrich, öffnete Juri sie auch schon und zog mich hinter sich in den Raum hinein, wo drei Männer um die 40 standen und durch eine gläserne Wand nach unten sahen, wo eine Art riesige Trainingsfläche zu sehen war.

„Ah, da ist sie ja", rief einer der Drei auch schon erfreut aus und lief dabei auf mich zu. Er war der größte von allen, überragte mich damit fast um zwei ganze Köpfe, hatte blondes Haar und Augen, die wirkten, wie die eines seelenlosen Monsters. Gar nicht furchterregend auf jeden Fall.

„Kann ich gehen?", fragte Juri alles andere als freundlich nach und ich verstand allmählich, dass hier wohl die Rollen getauscht wurden. Egal was in diesen zehn Jahren auch passiert war, Juri ist im Rang abgesunken und Heinrich vertrat nun seine alte Rolle als Führer oder was auch immer.

„Ja", erwiderte der Mann, der wohl Heinrich sein musste, ehe er wieder zu mir blickte, „Elena, richtig?"

„Malia ist richtig", verbesserte ich ihn ausdruckslos und war überrascht, wie einfach es geworden war diesen Namen zu akzeptieren.

„Du hast dich ja richtig angepasst", lachte er erfreut auf und ich umklammerte von seiner gruseligen Art die Kette um meinen Hals nur noch fester. Oh ich würde dieser falschen Freundlichkeit nicht eine Sekunde trauen.

„Ich hatte auch keine andere Wahl", bemerkte ich und zuckte zusammen, als er plötzlich meine Hand ergriff und mich somit zwang die Kette loszulassen.

„Hübsches Ding ist das, woher hast du sie? Ist sie von deinen Eltern?"

„Sie ist von einem alten Freund", erklärte ich leise und versuchte seinem Blick auszuweichen, als ich sah, wie unten im Trainingsraum eine Türe aufging und kein anderer als Bucky diesen betrat. Heinrich war sofort wie vergessen und überrascht von meinem erstaunten Gesichtsausdruck, drehte Heinrich sich um, ließ meine Hand dabei los, ehe er mal wieder auflachte.

„Wunderbar, was für eine Bindung sie zueinander haben, nicht?", fragte er die beiden anderen, die daraufhin auf Deutsch, zumindest klang es wie Deutsch, antworteten, während ich nur näher ans Glas herantrat und spürte, wie sehr ich ihn vermisste, wie sehr ich zu Bucky da nach unten wollte.

„Ja ja, da hat Zola was erschaffen. Willst du ihn sehen? Ich weiß, dass er dich sehen will, aber wir müssen ja noch zeigen, wer hier das Sagen hat, nicht?", fragte Heinrich mich amüsiert und ich wandte mich mit einem schmerzvollen Gesichtsausdruck vom Glas ab und sah zu dem Blonden.

„Ich würde nichts lieber, als ihn sehen, auf was sollte ich mich auch sonst noch freuen?"
„Nicht so pessimistisch, kleine Lady, ich erlaube dir mehr Freiheiten hier, du darfst dein Zimmer verlassen und dich in bestimmten Gebieten hier aufhalten, die Bibliothek nutzen, oder die Trainingsfläche. Es gibt sicher erfreulicheres, als einen programmierten Mörder zu sehen." Er und seine Freunde lachten über die Aussage ausgiebig, während ich mich nur angewidert abwenden konnte, zu Bucky erneut herunter sah, sah, wie er mit einer Pistole auf eine Zielfläche schoss und jede verdammte Kugel die Mitte traf.



Hibbelig folgte ich einem jüngeren Bewacher in Richtung Buckys Zimmer, wo ich ihn endlich, fast nach einer Woche, seit ich wieder wach war, sehen würde. Das Gespräch mit Heinrich war alles andere als leicht aus meinem Kopf zu kriegen gewesen, er machte mir einfach eine Heidenangst und doch erfüllte er mich auch mit so viel Zorn, so wie er über Bucky sprach. Ich hasste es. Ich hasste sie alle hier und doch gab es dann eben auch Leute, wie diese Wache hier, die so unfassbar liebenswert waren, dass ich mich fragte, wie schlecht alle hier wirklich sein konnten? Waren ale hier durch und durch einfach böse?

„Auf jeden Fall denke ich, dass ich sie nach einem Date fragen werde", erzählte er mir auf halben Weg aufgeregt von einem Mädchen aus seinem Dorf und ich schmunzelte leicht über seine Freude dabei.

„Sie wird sicher ja sagen", sprach ich Ivan, so war seine Name, gut zu und fand ihn äußerst sympathisch. Ab und an hatte er mir schon mein Essen gebracht und immerzu erzählte er mir einiges aus seinem Leben, informierte sich, ob es mir auch gut ging oder er berichtete mir, wie die Welt da draußen mittlerweile aussah.

„Ich hoffe es sehr. Sie würde mich echt glücklich machen", verkündete Ivan mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht, als wir auch schon endlich ankamen, „Na dann. Du wirst eine Stunde bleiben dürfen." Er nickte mir aufmunternd zu und lächelnd lief ich in den hellen Raum hinein, wo Bucky mich schon sehnsüchtig ansah, als hätte er die zehn Jahre richtig gespürt und bevor ich irgendwas hätte sagen oder machen können, überbrückte er den Abstand auch schon und schloss mich in eine Umarmung, die mir so viel Halt, so viel Sicherheit gab, dass ich nicht anders konnte, als sie zu erwidern.

„Freut mich auch dich zu sehen, B", hauchte ich glücklich bei ihm sein zu dürfen, schlang meine Arme feste um ihn, drückte mein Gesicht zur Hälfte an seine Brust, hörte sein Herz schlagen und wusste genau, dass er kein Mörder war. Er war zu gut, zu unschuldig, zu lieb für so etwas. Er war doch nur ein armer, armer Mann.

„Ich habe dich so sehr vermisst", hauchte er völlig verzweifelt, als wäre er wirklich kurz vor einem Nervenzusammenbruch gestanden und er schien nicht so zu wirken, als wolle er mich bald los lassen, doch es störte mich nicht. Diese menschliche Nähe hatte mir so sehr gefehlt und er brauchte mich nun mal eben.

„Ob du es glauben magst oder nicht, aber ich habe dich auch vermisst", gestand ich und hörte ihn leise auflachen, „Wie war das Einfrieren für dich?"
„Ein einziger traumloser Abgrund", antwortete er leise und brachte mich zum erschaudern, als er anfing über meinen Rücken zu streichen, gleichzeitig irritierten seine Worte mich.

„Hast du nichts geträumt? Gar nichts?"
„Nein, da war nur die Dunkelheit", erwiderte er und brachte mich damit dazu, mich von ihm zu lösen und verbittert anzusehen. HYDRA hatte ihm so viel genommen. Es war nicht einmal genug da, um darüber zu träumen und das war traurig.

„Versuch nächstes mal an mich zu denken, ok?", fragte ich ihn lächelnd nach, sah wie er mein Gesicht musterte, als hätte er damit die Sonne gesehen und am liebsten hätte ich ihn dafür... Halt! Solche Gedanken hatten hier schon mal gar nichts zu suchen! Ich war schließlich mit Will zusammen... irgendwie... außerdem war das Bucky, mein Beschützer Bucky und ich musste ihm helfen, nicht mir ausmalen, wie weich seine Lippen sich wohl anfühlen würden, vor allem wenn sein Kopf nur noch aus dem Wort töten bestand und er vermutlich nicht einmal wusste, wozu es gut sein sollte jemanden zu küssen.

„Ich werde an dich denken", versicherte er mir und riss mich damit aus meinen Gedanken, als er mich schon wieder einfach an sich zog und ich seufzend meine Arme um seinen starken Körper schlang, mir wünschte, dass diese Stunde nie enden würde, denn jede Angst, jede Abneigung, die ich mal gegen ihn verspürt hatte, war dahin. Geblieben war nur noch mein Bedürfnis ihm zu helfen und meine tiefe Bindung zu ihm, hier an diesem Ort.


Heyho :) Ich hoffe sehr, dass euch das Kapitel gefallen hat. Schreibt mir gerne eure Meinung und ich versuche bald weiterzumachen xx

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top