Nur ein Song Teil 2

Nach einer Stunde Autogrammeschreiben kann ich endlich, ohne lautes Protestgeschrei der Fans, fliehen. Simon und Raphael halten uns den Rücken frei, denn Magnus ist schon seit geraumer Zeit hinter der Bühne verschwunden.

Aber gerade ihn muss ich finden, denn wir müssen reden. Ich weiß, was er mir in dem Song gesagt hat, aber ich verstehe es einfach nicht.

Ich dachte, wir sind nur Freunde und Kollegen, nicht mehr und nicht weniger. Aber jetzt stellt sich heraus, dass Magnus Gefühle für mich hat.

Ich frage mich nur, warum jetzt? Klar kriselt es zwischen Jenny und mir -sie hasst es, wenn ich so oft weg bin, um mit den Jungs zu spielen-, aber das heißt doch nicht, dass ich sie direkt betrüge.
Und das dann auch noch mit Magnus, der für mich quasi zur Familie gehört.
Ich mag ihn, sehr, aber das würde ich nicht tun.

Endlich erreiche ich den kleinen Raum, in dem wir unseren Kram abstellen und uns auf die Show vorbereiten konnten. Der Raum ist vollgestopft und an den grauen Betonwänden hängen ein paar Poster von anderen Events und dem Ablaufplan des heutigen Abends.

Ich schaue einmal umher und erkenne Magnus, der gerade vor einem Schminktisch in der Ecke sitzt und sich wie benommen anstarrt. Er scheint mich gar nicht zu bemerken, als ich umständlich über Simons Gitarrenkoffer steige und mich gegen die Rückenlehne des kleinen Plüschsofas lehne, um ihn durch den Spiegel ansehen zu können.

~Alexander?~, fragt er überrascht, als hätte er mich bis eben wirklich nicht gesehen. Sofort verschließt sich sein Blick vor mir und er sieht mich unbekümmert an. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass er gerade alles andere als unbeschwert ist und sich innerlich für einen Kampf wappnet.

~Warum?~
~Warum ... was?~

Warum hast du den Song gesungen?
Warum hast du mir nichts gesagt?
Warum hast du überhaupt Gefühle für mich?
Warum ich!?

Dutzende Fragen ploppen in meinem Kopf auf, aber ich schaffe es nicht, sie über die Lippen zu bringen. Er macht das mit voller Absicht, denn er weiß nur zu gut, dass mir, sobald das Gespräch Richtung Gefühle geht, die Stimme versagt und ich nichts mehr herausbringe.
Er will, dass ich aufgebe, aber das kann ich jetzt nicht.

Ich weiß nicht so recht, warum mir das alles so nahe geht, aber ich muss einfach die Wahrheit wissen. Ich kann nicht anders!

~Warum hast du diesen Song gesungen?~, entscheide ich mich für die erste Frage und hoffe, dass er, wie bisher immer, den Rest meiner Gedanken erahnen kann.

Er seufzt, als seine schützende Fassade langsam wegbricht und er wieder ernst wird.
~Als wir unsere ersten Songs geschrieben haben, hast du gesagt, dass man mit Musik alle Dinge und Gefühle beschreiben kann, für die man sonst keine Worte findet. Das habe ich getan und ... es ist die Wahrheit.~

~W-was?~
~Du ... musst jetzt nichts dazu sagen. Ich wollte nur ...~
~Doch! Ich muss etwas dazu sagen. Wir müssen darüber reden!~, unterbreche ich ihn barsch, während ich auf ihn zugehe und den Bürostuhl, auf dem er sitzt, so drehe, dass wir uns in die Augen sehen.

Zumindest theoretisch, denn sofort senkt er den Blick und knetet seine Hände. Es ist ihm unangenehm und er will, dass ich das Thema auf sich beruhen lasse. Doch das will ich nicht.

~Seit wann ist das schon so? Du weißt, dass ich mit Jenny zusammen bin.~

Beim Klang ihres Namens zuckt sein Blick zu mir hoch und nun ist er sichtlich wütend.

~Glaubst du, ich weiß das nicht?! Glaubst du, ich würde sie nicht jeden Tag dafür verfluchen, dass sie etwas haben kann, das für mich seid meinem Outing unerreichbar ist? Glaubst du, ich hasse mich nicht dafür, das alles so lange  für mich behalten zu haben, bis es schließlich zu spät war? Da kennnst du mich aber reichlich schlecht.~

Seid seinem Outing?
Aber das war doch vor ... wir waren siebzehn!

Ich bin mehr als überrascht und auch ein stückweit schockiert. Ich habe gedacht, ich kenne Magnus besser als ich mich selbst, aber dem war nicht so.

Ich kann ihn kaum kennen, wenn er es schafft, so etwas Wichtiges so lange vor mir geheim zu halten, ohne dass ich auch nur den Hauch einer Ahnung hatte.

~Vielleicht kenne ich dich auch gar nicht, immerhin hatte ich nicht die geringste Ahnung.~, sage ich nun.

Meine Worte hinterlassen einen bitteren Geschmack auf meiner Zunge, verpesten die Luft um uns herum und lassen einen kurzen, aber tiefen Schmerz über Magnus' braune Augen huschen, der mich unerwartet hart trifft.

~Wirklich nicht?~
Ich will es gerade bestätigen, als mir etwas anderes in den Sinn kommt.

~Du wolltest dir das Bett im Hotelzimmer nur mit mir teilen~, wende ich jetzt ein,~Du hast es damit begründet, dass dich die anderen vom Schlaf abhalten, aber jetzt ...~
~Es war die einzige Möglichkeit, dir zumindest für eine Nacht nahe zu sein und dich ansehen zu können, ohne dass ich dafür angeekelte Blicke geerntet hätte~, gab Magnus achselzuckend zu,~Manchmal war dieses Bedürfnis, dir nahe zu sein, so stark, dass ich nicht anders konnte, als mich an dich zu schmiegen.~

~Warum angeekelte Blicke? Ich hatte nie etwas gegen deine Bisexualität.~

Er schnaubt und verschränkt schützend die Arme vor der Brust.
~Ja, schon. Aber es ist eben ein Unterschied, wenn man nur einen guten Freund hat, der mal nicht hetero ist oder wenn einem besagter Freund beichtet, schon seid Ewigkeiten in ihn verliebt zu sein und sich auch teilweise nur wegen ihm geouet zu haben. Ich hatte Angst, dass du mich hasst und mich wegstößt. Sie hat diese Angst verstärkt und mich um meinetwillen darum gebeten, es für mich zu behalten. Ich wollte dich einfach nicht verlieren,  Alexander und lieber war ich als bester Freund bei dir als von dir gehasst.~

~Magnus, wie kommst du darauf, dass ich dich hassen könnte?,~, frage ich ehrlich schockiert, während ich mich vor ihn hinknie.

Ich könnte so etwas nie tun. Ich liebe ihn gewissermaßen, ob als besten Freund oder ... Ich weiß nicht. Mehr vielleicht?

Verunsichert und ängstlich sieht er mich an. Genauso hat er ausgesehen, als er mir gestanden hat, dass sein Dad drogenabhängig war. Auch da hatte er furchtbare Angst, dass ich ihn verstoßen könnte.

Aber das habe ich nicht, denn nur weil sein Vater ein Problem hat, heißt das nicht, dass es auch der Sohn mit sich trägt. Es hat lange gedauert, bis mir Magnus das geglaubt hat.

~Ich- ich wollte das auch nicht glauben, aber sie kennt dich eben auf eine andere Weise und sie ...~
~Wer ist sie?~
~Jenny.~, antworte er knapp.

Eine heiße Wut rast plötzlich durch meine Adern. Wut auf Jenny, dass sie meinem besten Freund solche Lügen erzählt.

Natürlich haben sie sich am Anfang nicht verstanden, auch wenn keiner ein Wort gesagt hat. Es war eher ein eisiges Schweigen der beiden mir zuliebe. Ich habe gehofft, dass sich das ändert.

Wer will denn nicht, dass sich die Freundin und der beste Freund miteinander vertragen oder zumindest miteinander auskommen?

Das kamen die beiden nie.

~Ich hasse dich nicht und ich werde dich auch ganz bestimmt nicht verstoßen. Natürlich bin ich überrascht und geschockt, aber es ist ok. Hörst du, Magnus? Es ist ok.~

Intuitiv greife ich nach seinen Händen und drücke sie leicht. Noch immer sieht er mich unsicher an, obwohl bereits wieder ein Hoffnungsschimmer seine braunen, bunt getupften, Augen erhellt. Wie schön sie eigentlich sind ...

~Wirklich?~
~Wirklich~, bekräftige ich und fasse in diesem Moment einen Entschluss,~Es ist aus.~
~Was?~

~Mit Jenny. Es funktioniert schon lange nicht mehr so, wie es sollte. Ich wollte uns noch eine Chance geben, aber nach dem, was du mir erzählt hast ... Nein, das war's. Ich habe dir versprochen, immer für dich da zu sein und ich habe dieses Versprechen bereits mehrmals gebrochen. Aber jetzt bin ich hier und bin für dich da. Du bist nicht allein.~

Ohne Vorwarnung rutscht er vom Stuhl runter und fällt mir um den Hals.

Ich lache leise und schließe meine Arme fest um seinen bebenden Körper, der sich perfekt an mich schmiegt.

~Mit dir könnte ich nie alleine sein.~, wispert er leise und drückt sich noch enger an mich.

Ein angenehmer Schauer läuft mir über den Rücken und ich seufze leise.

Ich lebe für die Musik, aber ich liebe auch meine Familie und diese geht weit über die Blutsverwandschaft hinaus. Zur Familie gehört jeder, der einem sehr am Herzen liegt, all die wichtigen Freunde, mit denen man sowohl durch den Himmel als auch durch die Hölle gewandert ist.

Ich weiß noch nicht genau, was das wird oder wo das noch hinführt, doch eines war mir schon immer klar: Auch Magnus gehört zu dieser Familie und ich werde ihn nie wieder alleine lassen.

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