Kapitel 1
Emma gab sich einen Ruck. Sie konnte nicht den ganzen Abend in der Tür stehen und auf ihre Wand starren. Sie blickte noch einmal auf die Schatten, dann schaltete sie das Licht in Ihrer Wohnung ein.
Es war Freitag und sie wollte sich mit ihren Freunden in einer Bar treffen.
Sie freute sich auf diesen Abend. Hoffentlich würde sie ihre Gedanken, über einen gewissen intensiven Blick dort für ein paar Stunden los. Dort, wo es gute Musik gab und ihre Freunde waren, vor denen sie sich nicht verstellen musste.
Sie sprachen schon seit Wochen über den Abend. Ihr beste Freundin hatte Geburtstag und das musste gefeiert werden.
Und wenn ihre beste Freundin feiern meinte, dann meinte sie feiern. Ausgelassen mit wahrscheinlich viel fließendem Alkohol. Emma freute sich. Einen Abend, eine Nacht, einfach unbeschwert und frei sein.
Schnell machte sie sich eine Kleinigkeit zu Essen. Bei dem Alkohol der da komme würde, war es angebracht etwas im Magen zu haben.
Nach dem Duschen kam der schwierigste Teil.
Was sollte sie anziehen.
Sie hasste jedesmal diesen Moment vor dem Kleiderschrank, weil sie nie wusste, was sie anziehen sollte. Ihre bevorzugte Farbe war schon immer schwarz gewesen. Schwarz wie die Nacht.
Zum Geburtstag ihrer Freundin war dies allerdings nicht unbedingt die richtige Farbwahl.
So entschied sie sich nach langem Hin und Her für ein blutrotes eng anliegendes Kleid, das gerade die Hälfte ihrer Oberschenkel bedeckte und dazu eine schwarze Netzstrumpfhose und ihre geliebten Overkneestiefel.
Ihre kastanienroten Haare ließ sie offen und in leichten Wellen über ihren Rücken fallen. Dazu entschied sie sich für ein eher unauffälliges Makeup und betonte ausschließlich ihre großen grünen Augen.
Sie war zufrieden mit dem Bild, das ihr im Spiegel entgegenblickte. Sie lächelte leicht. Ein prickelndes Gefühl machte sich in ihr breit. Eine Art Vorahnung, dass vielleicht heute etwas Großes passieren würde machte sich in ihr breit. Sie war gespannt und aufgeregt, was dieser Abend ihr bringen würde.
Ein Blick auf ihre Uhr sagte ihr, dass es langsam Zeit war, sich auf den Weg zu machen.
Um in die angesagteste Bar der Stadt zu kommen, musste sie einmal komplett Vancouver durchqueren, da ihre Wohnung am anderen Ende der Stadt lag. Sie entschied sich entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, mit dem Taxi zu fahren.
Eigentlich war ihr die Bahn lieber, denn sie mochte es, so spät mit der Bahn noch unterwegs zu sein und durch die Stadt zu fahren, die Lichter vorbeiziehen zu sehen. Es gab ihr immer eine gewisse Ruhe. Die Ruhe vor dem Sturm, wenn sie an die bevorstehende Feier dachte und grinste leicht bei diesem Gedanken.
Heute jedoch war sie schon spät dran und darum musste sie auf die Bahnfahrt verzichten, um sich nicht zu sehr zu verspäten. Sie schnappte sich schnell ihre Handtasche und ihre Jacke, dann verließ sie, nochmal kurz in den Spiegel blickend, eilig ihre Wohnung.
Sie lief die Straße ein Stück weit entlang. Die Straßenlichter spendeten ein warmes, flackerndes Licht, das von den nassen Straßen in schöner Weise reflektiert wurde. Einmal mehr wurde sie sich bewusst, wie sehr sie den Herbst mochte. Sie hatte die Hände tief in ihren Manteltaschen vergraben und die Absätze ihrer Overkneestiefel hinterließen ein klackendes Echo.
An der Ecke blieb sie kurz stehen und sah sich nach einem Taxi um. Sonst standen sie hier in Scharen, aber heute wo sie dringend eines benötigte war keines zu sehen.
Sie stöhnte.
Das konnte doch jetzt nicht wahr sein, nicht heute.
Sie drehte sich um und schaute die Straße rauf und runter. Vielleicht würde ein freies Taxi hier vorbeikommen und sie könnte dem Fahrer zu winken.
Resigniert wollte sie gerade Richtung U-Bahn-Haltestelle laufen, als sie aus den Augenwinkeln etwas Gelbes aufblitzen sah. Schnell drehte sie ihren Kopf und sah, wie ein Taxi heran rauschte.
Sie hob ihren Arm und winkte heftig, aber das Taxi schien sie nicht zu sehen. Anstatt langsamer zu werden, wurde es gefühlt immer schneller. Emma wollte schon alles verfluchen, als plötzlich das gelbe Auto nur ein paar Meter von ihr entfernt zum Stehen kam.
Eilig lief sie zu dem Fahrzeug und setzte sich auf den Rücksitz. Sie atmete einmal tief durch, während das Taxi den Blinker setzte und sich seinen Weg durch den Verkehr suchte. Im Innenraum des Autos war es dunkel. Ein ihr unbekanntes Lied spielte. Es roch etwas modrig und die Sitze hatten ihre besten Zeiten schon lange gesehen. Aber waren nicht alle Taxis so? Sie fuhr nicht oft genug mit einem, um ernsthaft eine Antwort darauf zu wissen. Sie schaute aus dem Fenster und plötzlich traf es sie. Der Fahrer hatte sie gar nicht nach ihrem gewünschten Ziel gefragt.
"Entschuldigen Sie. Wo fahren Sie hin? Sie haben mich doch noch gar nicht nach der Adresse gefragt", sagte sie ein klein wenig beunruhigt.
„Manche Dinge muss man nicht erfragen. Manche Dinge ergeben sich von selbst", antwortete ihr eine kräftige Männerstimme.
Und erst jetzt besah sie sich den Fahrer genauer. Ein Schauer rann ihr über den Rücken, als sie im Spiegel die grauen Augen sah. Sie schluckte und versuchte ein Zittern zu unterdrücken. Da waren sie, die Augen die sie seit Monaten nicht vergessen konnte. Ihr wurde warm und sie fröstelte zugleich. Ihr Herz klopfte heftig gegen ihre Brust und ihre Hände wurden feucht. Was sollte sie jetzt tun? Der Augenblick war da, den sie so lange erhofft hatte, sich ersehnt hatte wie nichts anderes zuvor. Und jetzt fiel ihr nichts mehr ein. Ihr Kopf war wie leer gefegt, obwohl ihre Gedanken rasten.
„Du kannst mir dein Ziel nennen oder du begleitest mich zu meinem", wisperte es von vorne.
"I ... Ich ...", stotterte sie verwirrt.
Sie wusste nicht was sie antworten sollte. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander. Sie sah graue Augen, überall, und irgendwo ganz im hintersten Teil flog ein Gedankenfetzen, dass sie eigentlich auf dem Weg zur Geburtstagsparty ihrer besten Freundin war. Was sollte sie nur tun. Sie war vollkommen gelähmt. War es nicht genau das, was sie sich so sehnlichst gewünscht hatte?
Sie versuchte krampfhaft einen klaren Gedanken zu fassen. Sollte sie das Risiko eingehen? Ihre Schwester Anna würde sie für völlig verrückt halten. Schließlich konnte das vor ihr ein krimineller Psychopath sein. Aber würde so einer ihr die Wahl lassen? Ihre Freundin Hiko würde ihr jetzt einen gewaltigen Schubs geben. Emma hörte sie in ihrem Kopf schon sagen: „Trau dich..."
Aber konnte sie sich wirklich trauen? Und überhaupt Hiko. Es war doch ihr Geburtstag.
"I .. Ich ...", versuchte sie es nochmals. "Ich ... Meine beste Freundin hat heute Geburtstag und ich bin gerade auf dem Weg zu ihrer Geburtstagsfeier." Sie holte tief Luft und fuhr fort, "Ich kann doch nicht einfach meine beste Freundin versetzen."
„Dann nehmen wir sie mit."
"Ich ... Ich kenne Sie ja nicht einmal. Wer sind sie und wo wollen sie mit mir hin?", fragte sie schon ein kleines bisschen selbstsicherer. "Und unsere ganzen Freunde sind in der Bar. Das geht nicht."
„Wenn man will, dann geht alles. Man muss nur wollen. Das Herz muss wollen. Deine Entscheidung, deine Wahl. Aber sie kommt nie wieder."
Die grauen Augen blickten ihr intensiv entgegen.
Emma war völlig verwirrt. Alles in ihr wollte dem Fremden folgen, doch war da noch ein kleines bisschen Vernunft in ihr, die sie davon abhielt, blind diesem Mann zu folgen, so verführerisch das Ganze auch war.
"Sagen sie mir bitte, wer Sie sind und wohin Sie mich mitnehmen wollen."
„Ich werde dir meinen Namen noch sagen. Aber erst, wenn du mir vertraust, Emma." Im Spiegel konnte sie ein leichtes Lächeln erkennen.
Sie schluckte. Woher kannte er ihren Namen?
Es fühlte sich alles an wie in einem Traum. Es musste ein Traum sein, doch sie wachte nicht auf. Und wollte sie das überhaupt?
Gleichzeitig spürte sie wie eine leichte Panik ihren Rücken hinauf kroch. Sie war so verwirrt, aber etwas in ihrem Kopf warnte sie, einfach mit ihm mitzufahren.
"Woher kennen sie meinen Namen, wer verdammt sind sie?", fragte sie energischer als sie sich fühlte. "Bitte. Ich fahre nicht mit ihnen mit, wenn sie mir nicht sagen, was los ist. Was wollen Sie von mir?"
„Ich werde dir alle Fragen beantworten. Aber nur, wenn du mitkommst. Wenn du nicht willst, dann bringe ich dich dorthin, wohin du es verlangst. Dann ist es besser, wenn du nichts über unsere Welt weißt."
Emma blickte in die verwirrenden grauen Augen. Sie war kurz davor alles um sich zu vergessen, alle Bedenken wegzuwischen und einfach dem Drang nachzugeben ihm zu folgen. Sie wollte wissen, wer dieser Mann war, der sich in ihrem Kopf eingenistet hatte, sie verfolgte. Ihr den Schlaf raubte. Aber dann sah sie ihre Freunde und ihre Familie vor Augen und irgendetwas sagte ihr, wenn sie dem Drang nachgab würde sie sie nicht wiedersehen.
Leise flüsterte sie bedauernd "Ich kann nicht."
Die grauen Augen blitzten kurz auf. War das so etwas wie Enttäuschung? Aber dann nickte er langsam und sprach mit leiser Stimme: „Wo darf ich dich hinbringen?"
Emma zögerte kurz, denn eigentlich genoss sie insgeheim die Anwesenheit von dem Fremden. Kurz überlegte sie, ob sie ihn fragte, ob er sie begleiten wollte. Nach einer gefühlten Ewigkeit nannte sie ihm den Namen der Bar.
Stille herrschte nun im Wagen. Die grauen Augen waren strikt nach vorne auf die Fahrbahn gerichtet. Die Straßenlichter reflektierten sich in ihnen in einer magischen Weise, so dass sie kaum ihren Blick abwenden konnte. Emma hätte gerne etwas gesagt, wusste aber nicht was. Sie biss sich auf die Lippe. Gleich würden sie die Bar erreicht haben. In der Ferne konnte sie nun die bunte Leuchtschrift erkennen, die den Namen der Bar formte. Leichte Panik, stieg nun wieder in ihr auf. Diesmal nicht, weil sie Angst vor diesem Fremden hatte, sondern weil sie wusste, dass sie ihn vermutlich nie wieder sehen würde. Ihr war nicht klar, warum sie auf einmal das Gefühl hatte etwas Wichtiges zu verlieren.
Plötzlich zweifelte sie, ob ihre Entscheidung richtig gewesen war. Aber da hielt der Wagen auch schon direkt vor der Bar und sie konnte die kurzen, fransigen, schwarzglänzenden Haare ihrer besten Freundin erkennen. Im Spiegel sah sie, dass der Fremde sie nun wieder beobachtete.
"Bitte ich...", fing sie an, aber wusste nicht genau wie sie den Satz eigentlich beenden wollte.
Er schüttelte nur den Kopf. Und wieder dieses leichte Lächeln, das ihr Herz höher schlagen ließ. Aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, wie Hiko sie fragend anschaute.
Zaghaft fragte sie: „Wie viel Geld bin ich schuldig?" Es klang hohl in ihren Ohren, aber ihr fiel nichts besseres ein was sie hätte sagen können. Wieder ein Kopfschütteln begleitet mit einem Lächeln.
„Die Fahrt war umsonst."
Emma nickte und als sie schon die Tür des Taxis geöffnet hatte und fast schon ausgestiegen war, hörte sie ein gehauchtes: „Schönes Kleid."
Ruckartig riss Sie den Kopf zu ihm herum. Im Spiegel sah sie, dass er nun ernsthaft leise lachte. Sie war so fasziniert von dem Klang, dass sie vollkommen vergaß wo sie war und dass sie gerade im Begriff war auszusteigen. Sie murmelte ein verwirrtes "Danke", als sie auch schon stolperte und fast auf die harten Pflastersteine aufgeschlagen wäre, hätte ihre Freundin in dem Augenblick nicht neben dem Auto gestanden und sie aufgefangen.
„Ich dachte, der Alkohol kommt erst noch", lachte Hiko.
Immer noch verwirrt schaute Emma dem Taxi hinterher, das sich langsam wieder in Bewegung gesetzt hatte. Bei dem Anblick der Rücklichter fragte sie sich, ob sie nicht gerade die größte Chance ihres Lebens verpasst hatte und für einen kurzen Moment wollte sie dem Taxi, dem Fremden, schon hinterherrennen.
„Du bist blass wie ein Vampir", riss sie die Stimme ihrer Freundin aus ihren Gedanken. Hiko klang sorgenvoll, was sie sehr selten tat.
„Entweder du bist einem Gespenst begegnet oder deinem Traummann", sagte die Japanerin an ihre Freundin gewandt. Mandelförmige Augen warteten auf eine Antwort.
"Ich...", fing Emma an. Aber zum zweiten Mal an diesem Abend wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Noch immer blickte sie auf die Straße. Die Rücklichter des Taxis waren bereits mit denen der anderen Autos verschwommen. Es gab also keinen Grund noch weiter auf die Straße zu starren.
Sie atmete einmal tief durch, nahm dann ihre beste Freundin in den Arm und flüsterte ihr ins Ohr: „Alles Gute zum Geburtstag."
Hiko schlang nun ebenfalls ihre Arme um sie und am liebsten hätte Emma sie nicht mehr losgelassen. Dann fing die Japanerin plötzlich an lauthals zu lachen.
„Nun komm schon. Die Bar wartet auf ihre Stargäste des Abends", sagte sie in einem geheimnisvollen Ton.
Fragend schaute Emma ihr Freundin an.
"Was meinst du mit Stargäste? Was hast du heute wieder geplant?"
„Lass dich überraschen", grinste Hiko nur.
„Ich dachte, dass das dein Geburtstag wäre. Wird man da nicht selber überrascht anstatt andere zu überraschen?", fragte Emma lachend.
„Du kennst mich doch", zwinkerte ihre Freundin nur.
Das tat Emma. Nur zu gut.
Sie blickte noch einmal zurück auf die Straße und dann betrat sie zusammen mit Hiko die Bar.
Als sie drinnen standen, glaubte sie nicht, was sie da sah.
Damit hätte sie nun wirklich nie im Leben gerechnet.
Hiko strahlte sie nur an.
„Willkommen", lachte sie während sie ihre Arme weit ausbreitete.
„Du bist verrückt" flüsterte Emma.
„Das auch", grinste Hiko.
Die Bar war nicht wiederzuerkennen. Sämtliche Tische und Stühle waren an den Seiten der Bar aufgestellt. An den Wänden und von der Decke hingen glitzernde Gold- und Silberfäden, außerdem hing eine riesige Diskokugel an der Decke. Überall glitzerte und funkelte es. Aus den Boxen dröhnte Hikos und Emmas Lieblingsband.
"Wie konntest du Marc dazu überreden, dass er seine ganze Bar auf den Kopf stellt?"
„Ich habe da so meine Möglichkeiten", antwortete sie kurz. Dann griff sie Emma bei der Hand und zog diese in das Getümmel voller Menschen. Die Nacht konnte beginnen.
Anfangs fiel es Emma noch schwer sich auf die Party zu konzentrieren und die Taxifahrt in den hintersten Teil ihres Gehirns zu verbannen. Nach ein paar Drinks und je weiter die Nacht voran schritt desto lockerer wurde Emma jedoch.
Sie ließ sich von der Musik führen und nahm jedes Glas, gefüllt mit Alkohol, das ihr Hiko reichte, entgegen.
Ab und zu fiel ihr Blick auf den Barkeeper.
Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Er musste neu sein.
Und vielleicht bildete sie sich das alles nur ein, gerade nach den ganzen Ereignissen des Tages, aber sie hatte das Gefühl, dass dieser Typ sie immer wieder ansah. Auf eine komische Art und Weise.
Nachdem sie sich etwas Mut angetrunken hatte, lief sie rüber zur Bar um sich noch einen Drink zu holen. Sie wollte sich den Barkeeper aus der Nähe anschauen.
Sie war kaum an der Bar angelangt, da wurde ihr schon ein Cuba Libre vor die Nase gestellt. Ihr Lieblingsgetränk. Sie schaute auf und traf auf den stechenden dunklen Blick des Barkeepers, der ihr, nach kurzem Zögern, leicht zu nickte und sich dann wieder den anderen Gästen widmete.
Woher wusste er, welchen Drink sie sich bestellen wollte?
Und schon wieder fing ihr Herz an zu klopfen.
'Hiko' war ihre Antwort. Hiko hatte ihr heute schon den ein oder anderen Cuba Libre gebracht. Bestimmt hatte er es von der Bar aus beobachtet oder ihre Freundin, so kommunikativ wie sie war, hatte es ihm sogar direkt erzählt.
Sie beruhigte sich wieder etwas. So musste es sein.
Laut rief sie dem asiatischen Barkeeper mit den fast schwarzen Augen "Danke" hinterher.
Er drehte sich um und schaute sie mit einem langen intensiven Blick an, bevor er langsam nickte.
Emma schüttelte den Kopf, die Geste kam ihr vertraut vor. Hatte der Unbekannte in dem Taxi ihr nicht ähnlich zugenickt?
Sie schüttelte den Kopf. Na super, da war er wieder, der mysteriöse Fremde und mit ihm die Zweifel, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Von hinten umarmten sie plötzlich zwei Arme und für einen kurzen Augenblick blieb Emmas Herz stehen, die unzähligen Armreifen vor sich sah.
„Wo bleibst du denn?", schrie ihr Hiko förmlich ins Ohr.
Emma dreht sich um und mit einem Kopfnicken deutete sie auf den Barkeeper.
„Hast du ihm gesagt, dass ich am liebsten Cuba Libre trinke?"
„Wieso sollte ich?", grinste Hiko sie an. Ihre japanische Freundin zog sie lachend zurück auf die Tanzfläche und trotzdem bildete sich Emma ein, so etwas wie Unsicherheit in ihren Augen aufflackern zu sehen.
Was war nur heute mit ihr los?
Ging das die ganze Nacht so weiter?
Emma wusste nicht was sie denken sollte. Zum Glück fiel es ihr, dank des Alkohols, auch zunehmend schwerer einen klaren Gedanken zu fassen. Aber vielleicht war das auch besser so. Keine weiteren Gedanken im Kopf haben zu müssen.
Emma wusste nicht, wie und wann sie nach Hause gekommen war. Sie erinnerte sich noch daran, wie Hiko sie von der Bar wegzog und ihr sagte es sei gut für Heute. Ihr Kopf dröhnte und wie schon viele Male zuvor, schwor sie sich, nie mehr zu trinken.
Dann wurde alles schwarz.
Sie wurde von einem seltsamen Geräusch aufgeweckt. Ein Kratzen oder Schaben. Sie konnte es nicht richtig deuten. Langsam öffnete sie die Augen. Ihr Zimmer lag im Dunkeln, nur ein schmaler Lichtstrahl schien durch ihre Vorhänge hindurch. Emma schaute sich etwas orientierungslos in ihrem Zimmer um. Woher kam das Geräusch? Und was hatte es verursacht?
Sie glaubte schon fast, dass das Land der Träume ihr einen Streich gespielt hatte, bis sie ihren Blick zur Tür richtete.
Das konnte nicht sein. Sie musste noch träumen.
Sie versuchte sich vorsichtig aufzusetzen. Als sie jedoch den Kopf hob, spürte sie einen stechenden Schmerz.
Emma musste laut aufstöhnen.
Plötzlich hörte das Kratzen auf.
Nur ein paar Sekunden später bemerkte sie eine Bewegung am Ende ihres Bettes. Und es schien so, als ob dieses etwas auf sie zukommen würde. Vorsichtig setzte sie sich auf und schlug die Bettdecke zur Seite.
So leise wie sie konnte stellte sie ihre Beine auf den Boden und holte scharf Luft, weil ein weiterer schmerzhafter Stich sie daran erinnerte, dass sie in Zukunft vielleicht doch einen Cuba Libre weniger trinken sollte.
Genau in dem Augenblick als der Schmerz nachließ, spürte sie, wie etwas Pelziges an ihren Beinen entlang streifte.
Emma erschrak sich so sehr, dass sie einen kurzen Schrei nicht unterdrücken konnte.
Und dann hörte sie es.
Ein ganz leises Mauzen.
Und da war der Übeltäter, der ihr so einen Schock verpasst hatte.
Ein kleines, maximal drei Monate altes Kätzchen blickte ihr ängstlich entgegen.
„Wo kommst du denn her?", flüsterte Emma dem kleinen Wesen zu.
Das Kätzchen schmiegte sich an ihren rechten Knöchel. Emma lachte leise, dann nahm sie das kleine plüschige Tier in beide Hände und hielt es sich vor das Gesicht.
„Und was mache ich jetzt mit dir?"
Sie überlegte kurz.
"Du kleines Fellknäul hast doch bestimmt Hunger und Durst. Na komm, ich werd mal schauen, was ich für dich da habe."
Emma stand auf, die kleine Katze noch immer in den Händen und lief mit der wertvollen Fracht in die Küche und suchte ein kleines Schälchen in das sie ein wenig Wasser für ihren pelzigen Gast füllen konnte.
Sie fand noch eine Dose Thunfisch in ihrem Schrank. Da das noch ein kleines Kätzchen war gab sie dem kleinen einen Esslöffel voll von dem Thunfisch auf einen Teller.
„Was hälst du von dem Namen Jack?", der kleine schwarze Kater schnurrte leise.
„Gefällt dir oder?", lachte Emma, „Dann heißt du jetzt Jack."
Sie beobachte Jack und fragte sich, was sie jetzt mit dem kleinen Kerl anstellen sollte.
Am besten wäre es wohl, mit dem Kleinen erstmal zum Tierarzt zu fahren, um zu schauen, ob er eventuell einen Besitzer hat und ob mit ihm alles in Ordnung ist.
Danach würde sie entscheiden, was sie mit ihm machen wollte.
Da es noch etwas zu früh für den Tierarzt war, nahm sie den kleinen auf den Arm und ging zurück in ihr Bett, wo sie sich mit Jack in ihre Bettdecke kuschelte. Die Wärme, die der kleine Kater ausstrahlte, war genau das, was sie nach dieser Nacht brauchte.
Sie war überrascht, wie zutraulich der kleine Mann war. Sie wusste, eigentlich sollte sie besser erstmal beim Tierarzt abklären ob mit ihm alles in Ordnung war, aber sie hatte sich in das kleine Fellbündel verliebt. So kuschelte sie noch eine Stunde mit klein Jack bevor sie sich unter die Dusche quälte und sich dann mit ihm auf dem Weg zum Tierarzt machte.
Die Straßen waren noch erstaunlich leer, so dass sie ziemlich schnell beim Tierarzt ankamen. Dort wurde sie erstmal ins Wartezimmer verfrachtet. Mit jeder Minute wuchs ihr der kleine Kater mehr ans Herz. Und sie hoffte, dass alles in Ordnung mit ihm war. Dann wurde sie aufgerufen.
Nachdem er untersucht wurde, stellte sich heraus, dass er kerngesund war. Emma ließ ihn gleich chipen und impfen.
Danach brachte sie ihn wieder zu sich nach Hause.
Jetzt musste sie überlegen, was sie mit ihm machte.
Sie hatte sich in diesen wenigen Stunden schon so an die Anwesenheit des Kleinen gewöhnt, dass sie sich nur schwer vorstellen konnte, ihn wieder herzugeben.
"Na mein Kleiner, möchtest du hier einziehen?", fragte sie den schwarzen Fellball in ihren Händen.
Ein kleines zufriedenes Schnurren gab ihr die Antwort, die sie brauchte.
"Na gut Jack, dann herzlich Willkommen zu Hause mein Kleiner."
Nachdem das geklärt war, machte sich Emma auf den Weg, um alles nötige zu besorgen, um es ihrem neuen Mitbewohner gemütlich zu machen.
Es war ein schöner, sonniger Herbsttag. Die Gedanken an den letzten Abend waren wie weggefegt, ganz so, als ob der frische Herbstwind auch in ihrem Kopf unterwegs war.
Sie grinste vor sich hin. Heute würde vielleicht ein guter Tag werden.
Nachdem sie sich mit allem eingedeckt hatte, was ein Katzenherz höher schlagen ließ, räumte sie ihre Wohnung ein wenig um, damit sie alles unterbringen konnte.
Ihr neuer Mitbewohner lief ihr die ganze Zeit hinterher und Emma ging das Herz dabei auf. Es war definitiv die richtige Entscheidung gewesen den kleinen Racker zu behalten. Auch wenn sie sich noch immer fragte, woher Jack kam und wie er es in ihre vier Wände geschafft hatte.
Ihr war noch immer schleierhaft, wie sie nach Hause gekommen war. Schemenhaft erinnerte sie sich, dass sie sich irgendwann von Hiko verabschiedet und sich dann zu Fuß auf den Weg gemacht hatte.
Aber danach, vollkommene Leere. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie sie nach Hause gekommen war, die Tür aufgeschlossen hatte, geschweige denn wie sie ins Bett gekommen war. Das Einzige woran sie sich vage erinnern konnte war, dass sie die ganze Zeit das Gefühl hatte, dass jemand aufpasste, dass sie sicher ankam.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top