Seine Narben

Ihr POV

"Willst du etwas zu trinken haben?" Meine Stimme klingt beiläufig, während ich in der Schublade nach Verbandszeug suche. Das ist gut. Er soll nicht merken, dass ich nervöse bin.  Mir entgeht nicht, dass er mich durchgehen beobachtet. Er versucht nicht einmal es zu verbergen. Seine Blicke durchbohren mich förmlich.

Aber wieso sollte er mich auch nicht im Auge behalten? Schließlich habe ich ihn, eine Fremde,  einfach auf der Straße angesprochen. Angesprochen und zu mir nach Hause eingeladen.  Ich könnte verrückt sein, ein Psychopath, machen Psychopathen sowas überhaupt?

"Nein. Nein, ich brauche nichts."

Kurz verwundert mich seine Antwort und ich stocke in meiner Bewegung. Doch dann fällt mir meine Frage ein, die ich ihm zuvor gestellt habe.

"Okay.", murmle ich. Da die Schublade klemmt und ich sie nur ansatzweise geöffnet kriege, muss ich meinen halben Arm reinstecken, um die letzte Rolle Verband rauszuholen. "Da ist sie." Als Beweis halte ich sie nach oben. "Gut, dann brauchen wir jetzt noch etwas zum desinfizieren." Rede ich mehr mit mir selbst. Ich bewege mich zum nächsten Küchenschrank, um daraus eine hochprozentige Flasche Alkohol zu holen.

"Komm her.", fordere ich ihn auf. Zusätzlich strecke ich ihm meinen Arm entgegen. Als ich seinen prüfenden Blick bemerke, nehme ich ihn wieder runter.

Mit ruhigen Schritten kommt er zu mir an die Spüle. Er zögert einen Moment, bevor er mir seine verletzte Hand entgegen streckt. Als ich sie berühre, zuckt er unwillkürlich zusammen.

Sind meine Händer wieder kalt? Sind ihn Berührungen unangenehm? Oder ist es, weil ich eine eventuelle Psychopathin in seinen Augen bin?

Ich schlucke. Wahrscheinlich mache ich mir zu viele Gedanken.

"Okay, halte die Hand einfach locker über die Spüle." Während ich spreche und er seine Hand positioniert öffne ich den Verschluss der Schnapsflasche. "Das wird wahrscheinlich etwas brennen." Warne ich ihn.

Aber er zuckt nicht. Keinen Augenblick. Als wäre ihm der Schmerz vertraut.

"Ich muss jetzt -" Ich zögere in meiner Bewegung. Gerade wollte er offentsichtlich nicht berührt werden oder war es für ihn nur eine Überraschung? Ich überwinde mein stocken, nehme eine Kompresse und drücke sie fest gegen seine Wunde. Es gibt mir die Gelegenheit seine weiße Haut näher zu betrachten. Sie ist überseht mit vielen, kleinen Narben. Narben, die man auf den ersten Blick nicht wirklich erkennt.

Sie erinnern mich an meine.

Ich schlucke den Gedanken sofort runter. Fokussiere mich wieder auf die verletzte Hand. Mit schnellen Bewegungen wickle ich den Verband fest

"So fertig." Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen.

Doch es verschwindet. Es verschwindet mit seinem eindringlichen Blick, der mich sofort meine Lippen aufeinander pressen lässt.

"Mach das noch einmal."

"W-was?"

"Lächeln." Seine Stimme klingt plötzlich so sanft. Sanft und rau und ... und traurig. Als wäre gerade jemand gestorben.

Und mein Herz ... mein Herz pocht schneller als es sollte. Komisch was Worte mit einem anrichten können.

Ich bemerke, dass ich noch immer seine Hand halte. Schnell lasse ich sie los und drehe mich leicht zur Seite. "Ein echtes Lächeln funktioniert nicht auf Anweisung." Unauffällig lasse ich mir meine Haare ins Gesicht fallen.

"Doch, es ist leicht." Seine Stimme klingt plötzlich ganz anders. Abweisend, harsch ... wie zuvor auch.

"Ja, wenn es einen Grund dafür gibt." Wieder wende ich mich ihm zu.

Von ihm kommt ein unervständliches grummeln, was mich zum schmunzeln bringt.

"Du bist nicht sehr gesprächig, oder?" Habe ich wirklich etwas anderes erwartet? Wieso sollte er mir gegenüber gesprächig sein? Es ist ja nicht so, dass er mich beobachtet hätte ...

Nein. Erwartet habe ich es nicht. Erwartet ist auch das falsche Wort. Ich ... ich habe es mir vielmehr gewünscht.

"Darf ich dich etwas fragen?" Seine plötzliche Frage nach Momenten der Stille lässt mich zu ihm hochblicken. Seinen Blick kann ich nicht deuten, obwohl mir das bei anderen nie schwer gefallen ist.

"Natürlich."

"Wieso hast du mich angesprochen?"

"Ich-", mehrmals blinzle ich, "Ich habe das Blut gesehen, was von deiner Hand getrofft ist."Kurz kratze ich mir am Hinterkopf.

"Sprichst du jeden verletzten Menschen an?"

Das wäre doch gar nicht möglich. Viel zu viele Menschen sind verletzt. Ob physisch oder psychisch. Man kann nicht jedem helfen. Daher fällt meine Antwort ziehmlich knapp aus. "Nein."

Er kommt mir noch ein Stück näher. "Wieso hast du dann mir geholfen?" Seine Stimme ist rau. Sein Blick ist eindriglich. Sein Atem streift meine Wange.

Er ist so nah, nah, nah. Jetzt kann ich noch besser seine Narben sehen. Seine Narben, die seinen ganzen Körper zu übersehen scheinen.

Ich lasse die angesatute Luft aus meinen Lungen entweichen. Blicke zu ihm, schaue in seine Augen, auf seine Wangen, sein Kinn, seine Hände. Wieder seine Augen. Ein eiskaltes blau ...

"Ich ... ich habe dich schon öfter dort sitzen sehen."

Von meiner Antwort wirkt er einen Herzschlaglang überrascht, doch sofort kann ich ihn nicht mehr deuten.

"Du hast mich beobachtet." Es könnte eine Frage sein, aber es ist vielmehr eine Feststellung.

Das Herz rutsch in meinen Magen. "Nein - Ich ... ja. Nicht beobachtet beobachtet. Du bist mir nur immer mehr aufgefallen. Und als ich dich mit dem Blut gesehen habe, da wollte ich dich ansprechen."

Nun ist es raus. Ich fühle mich wie ein Stalker.

"Und was ging dir dabei durch den Kopf?", fragt er Herausfordernd, "Was für eine Missgestalt ich bin?" Seine Stimme ist gepresst. Ich kann deutlich seine körperliche Anspannung erkennen.

"Nein!" Meine Stimme klingt ein wenig zu energisch. Wie oft ... musste er sich das vielleicht schon anhören? Die Worte sind mir nur zu gut vertraut, es schmerzt, dass auch er die Erfahrung gemacht hat. "Du - du bist doch keine - keine Missgestalt." Ich befeuchte meine Lippen. "Ich habe dich angesprochen, weil mich deine Narben faszinieren. Als ich dich das erste Mal gesehen habe wollte ich gar nicht wegschauen. Ich wollte dich direkt ansprechen."

"Mich starren Menschen immer an. Entsetzt. Es sind keine guten Gründe. Meine Narben machen mich für sie zu einem Monster."

"Ich kenne das Gefühl. Aber -" Ich hebe langsam meine Hand zu seiner Wange, traue mich aber nicht sie zu berühren. "du solltest diese Leute hinter dir lassen. Ich ...", stammle ich, "ich finde deine Narben ... schön. Sie sind einzigartig. Sie machen dich einzigaritg."


So, ein neues Kapitel. Ich hoffe es gefällt euch. <3 Und danke für die bisherige Unterstützung. Ich versuche Ende dieser Woche, anfang nächster Woche wieder zu updaten (muss erst wieder in den Schreibfluss kommen, bevor ich regelmäßige Updates planen kann :D)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top