Mal'achs Augen
Einige Monate nach dem Fall von Lucia
Jeffreys Sicht
Langsam taut die Schneedecke unter den ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres auf. Keine Wolke ist am Himmel zu sehen. Keine Wolke, die seine Gefühle so gut beschrieben hätte. Seit Monaten hat er sich verschanzt. Hat versucht, der Vergangenheit zu entkommen. Hat Versucht den Fall zu verdrängen. Hat versucht sie zu finden.
In einem großen Spiegel steht er sich selbst gegenüber. Betrachtet sein Erscheinungsbild. Seine helle, vernarbte Haut, sein dunkles, zerzsaustes Haar und sein Lächeln, von dem nur noch die Narben übrig sind. Er sieht sich an, bis ... er sie aufblitzen sieht. Hinter ihm. In einem weißen Kleid. Lächelnd. Er will seine Hand nach ihr heben, doch schon mit dem nächsten Herzschlag ist sie verschwunden.
Ein Herzschlag lang.
Ein schmerzhaftes stolpern lang hat er sie gesehen.
Manchmal, ja manchmal - da sieht er sie. Einen Augenblick, ein paar Sekunden, ein paar Minuten. Jedes Mal verliert er das Gefühl für Zeit, wenn sie vor ihm steht. Und jedes Mal glaubt er - hofft er - dass es der Realität entspricht.
Doch jedes Mal zerbricht seine Hoffnung.
'Du hast einen Fehler begannen'. Die Stimme sitzt tief in ihm drinnen. Er wusste nicht, dass diese existiert, bis er zum ersten Mal von seinem Mal'ach geträumt hatte. Seit dem hört er die Stimme, nimmt den inneren Konflikt mit seinen Vorstellungen war. 'Sie ist Schuld. Sie ist gefallen. Sie war nicht mehr sein Mal'ach.' Versucht er sich dagegen zu wehren.
Doch es hilft nicht.
Denn -
Wie befriedigt man sein innerlichstes Begehren, wenn es unmöglich ist, SIE wieder bei ihm zu haben?
'Du hast sie ermordet.' säuselt ihm die Stimme zu.
"Ich habe sie gerettet.", presst er mühselig hervor. "Ohne mich wäre sie noch weiter gefallen."
'Ohne dich wäre sie nie gefallen.'
Im nächsten Moment scheppern tausend Scherben zu Boden. Das Blut tropft von seiner Faust hinunter und er sieht sich selbst in den Splittern zu seinen Füßen. Scherben, die sein Ich ohne sie repräsentieren.
"Du hättest mich nie verlassen dürfen. Du hättest nie fallen dürfen. Du hättest mein Mal'ach bleiben sollen. Du-" Millisekunden nimmt er ihr Gesicht in den Scherben war. Das Monster sinkt erschöpft auf seine Knie.
'Ich hätte dich nicht töten dürfen.'
Und kurz -
kurz hat er das Gefühl von ihr berührt zu werden.
Vielleicht -
Ja vielleicht ist es an der Zeit ihr zu folgen. Ohne darüber nachzudenken schnappt er sich eins der Spiegelstücke und verlässt das Gebäude.
---
"Hey, geht es dir gut?"
Erschrocken fährt das Monster hoch. Schon lange hat ihn niemand direkt angesprochen. Es ist komisch ... reale Stimmen zu hören.
"Ja. Passt schon." Er presst seine blutige Faust fester zusammen. Blickt hoch zu der Person, die ihn angesprochen hat. Vor ihm steht eine junge Frau. Siebzehn, Achtzehnt, wenn er schätzen müsste. Sie hat braunes Haar, welches ihr leicht wellig über die Schultern fällt.
"Bist du dir sicher? Deine Hand -", sie deutet auf seine Faust, "- die Wunde sollte besser desinfiziert werden."
Ihre Worte führen dazu, dass er seine Faust noch fester um die Scherbe klammert. Was dazu führt, dass noch mehr rot aus seiner weißen Haut strömt. Gerade will er ihr antworten, gerade will er ihr drohen, gerade da will er - doch -
Doch dann.
Dann blickt er ihr in die Augen.
Und es sind ihre Augen. Lucias Augen. Die Augen seines Mal'achs.
"Du -" Er streckt seine heile Hand nach ihr aus. Kann nicht glauben, was er sieht. "Du, du hast wirklich schöne Augen.", stammelt er.
Verlegen lacht das Mädchen. "Ich glaube du leidest an Blutverlust. Komm, ich reinige dir deine Wunde. Ich wohne hier ganz um die Ecke." Ihren Kopf neigt sie kurz in eine Richtung.
Schmerzhaft schlägt das Herz des Monsters gegen seine Brust.
Das sind ihre Augen. Das Mädchen hat ihre Augen. Kann es sein? Kann es wirklich sein?
Stumm nickt er, als er sich von der Steinmauer erhebt und dem fremden Mädchen mit langsamen Schritten folgt.
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