Kapitel 9
„Anna!", hörte ich sie verwundert laut ausrufen, als die Tür geöffnet wurde. Weiter sagte sie nichts, schien sprachlos zu sein. Ich musste zugeben, ich hätte selber nie gedacht jemals freiwillig vor ihrer Tür zu stehen, um sie um Hilfe zu bitten.
„Katie...", murmelte Heather korrigierend leise vor sich hin und verdrehte die Augen. Zum Glück so leise, dass nur ich es hören konnte und ihr meinen Ellenbogen daraufhin leicht in die Seite stieß, meinen Blick jedoch nicht von der alten Frau vor meinen Augen wegnehmen konnte.
„Hey!", gab ich leise von mir und winkte mit meiner rechten Hand kurz und knapp. Was völlig unnötig gewesen war, doch mein Körper reagierte automatisch. Mein Kopf war wie leer gefegt. Die Worte die ich auf dem Weg hier her sorgfältig ausgewählt hatte, die Sätze die ich immer und immer wieder durchgekaut hatte, die ich ihr vorlegen wollte, waren wie verblasst. Als hätten meine Gehirnzellen diese verschluckt.
„Was machst du denn hier? Du solltest doch im Krankenhaus sein. Ist irgendetwas passiert? Wurdest du entlassen? Aber wieso kommst du erst um diese Uhrzeit her? Wieso hast du nichts gesagt, damit wir dich hätten abholen können?", schossen so viele Worte aus ihrem Mund. Sie schien ehrlich verwundert, was ich ihr nicht übel nehmen konnte. Ihr Blick wanderte meinen Körper auf und ab, als wolle sie abchecken, ob auch alles mit mir in Ordnung war, bis er auf meine rechte Seite wanderte und dort hängen blieb.
„Was macht die denn hier?", fuhr sie nun fort mit einem Blick dessen Verwunderung mit Verachtung abgetan wurde.
„Wir können auch gleich wieder gehen, wenn du wieder damit anfängst. Wenn sie nicht wäre, wäre ich niemals hier her gekommen, damit dir das klar ist. Es war nämlich nicht meine erste Wahl vor deiner Tür zu stehen. Also? Willst du uns rein lassen oder nicht? Ich habe da nämlich einige Fragen an dich.", sprach ich verärgert meine Gedanke aus und sie entsprachen der Wahrheit. Wenn ich nicht auf sie angewiesen wäre, um diese Angelegenheit zu klären, wäre ich niemals hier angetanzt wie ein Hündchen.
Nach nur kurzem überlegen öffnete sie die Tür weit und trat mit einem nicken zu Seite, was uns signalisierte einzutreten.
Als ich vorsichtig einen Schritt ins Innere wagte, schossen meine Blicke in jede Richtung. Die Größe, die Details der Einrichtung des Flurs, ließen mich annehmen, dass die restlichen Räumlichkeiten bloß noch mehr zu bieten haben mussten. Es war unglaublich. So etwas hatte ich nicht erwartet. Was wiederum sinnlos ist. Ein Haus, dass von außen bereits so viel her machte, hätte nicht spärlich, schlicht und bodenständig eingerichtet sein können.
Dennoch überwältigten mich die Eindrücke. Hier soll ich gelebt haben? Das war Wahnsinn. Die riesigen Gemälde die mit gewissen Abständen aneinander gereiht an den Wänden hingen, wirkten alt und teuer. Und dieser Kronleuchter erst. Tausende Kristalle schmückten diese und ließen alles im Raum noch mehr glitzern in goldenen Tönen.
„Wow!", hörte ich Heather neben mir, die ebenfalls neben mir zum stehen gekommen war und ziemlich beeindruckt schien.
„Lasst uns ins Wohnzimmer gehen. Da können wir in Ruhe reden.", ergriff meine Mutter erneu das Wort im vorbei gehen, die die Haustür bereits geschlossen hatte.
Heather und ich warfen uns gegenseitig stumme Blicke zu, während wir der Frau folgten und in diese vor einer Tor ähnlichen Tür aus Holz zustehen kam und diese aufstieß.
Sie führte uns zu der Sitzgruppe. Wo wir uns niederließen. Etwas schüchterte mich das ganze schon ein, doch ich ließ es mir nicht anmerken.
Der edle Stoff des Sofas unter mir schmiegte sich geschmeidig an meinen Körper und fühlte sich weich an wie eine Wolke, als ich meine Hand sanft über sie gleiten ließ. Das war wohl der pure Luxus, wovon die Leute sprachen. Ich wollte mir nicht einmal ausmalen, wie viel es gekostet haben musste. Davon hätten einige Normalverdiener wahrscheinlich so einige Monatsmieten vorstrecken können. Mein Blick blieb an den langen Jaquard Vorhängen hängen, die in dunklen Brauntönen gehalten war, was perfekt zu dem Königsblau der Sitzgruppe passte. So groß der Raum war, so wenig Möbel befanden sich in ihr. Nur das nötigste was jedoch teurer gewesen sein musste als die Gesamteinrichtung einer normalen Wohnung. Es war so gesehen schlicht eingerichtet, wenn schlicht hier überhaupt ein gerechter Ausdruck wäre. Die wenigen dunklen Holz Kommoden reihten sich an der Wand mir gegenüber, worauf einige Fotos in edlen, goldfarbenen, Rahmen aufgestellt waren, die ich aus der Ferne nicht erkennen konnte. Nicht besonders große abstrakte Statuen standen an jeweils beiden Enden. Sie sahen aus, wie zwei Personen, die ineinander verschlungen und sich um jeweils den anderen schlagen, wobei über ihren Köpfen, die ganze dich aneinander lagen und sich an der Stirn berührten, die Hände berührten. Eine sanfte Berührung, so als würden sie sich trotz ineinander verschlungener Körper an der kleinen Berührung ihrer Hände verbrennen. Wobei bei der Statue am anderen Ende die verschlungenen Körper damit kämpfen, sich voneinander zu lösen. Die eine Figur hatte ihren Rücken elegant nach hinten gewunden, und ließ sich, wie es aussah, an den Händen zurück halten, sich komplett von ihrem Gegenstück zu entfernen.Ich konnte nicht genau erkennen, aus welchem Material diese Statuen bestanden, doch sie sahen wunderschön aus. Ich stellte mir vor, wie ich in einem Raum saß und Tonklötze zurecht schnitt und sie mit feuchten Händen, sanft in Form brachte und glättete. Irgendwie lösten diese Figuren ein Gefühl der Geborgenheit in mir aus und ließen mich das leichte kitzeln auf der Haut meiner Hand Innenfläche spüren, als würde ich gerade daran sitzen alle meine Gefühle in die Herstellung dieser Figuren stecken.
„Möchtet ihr etwas trinken?", durchbrach Mutter die Stille und lenkte meine Aufmerksamkeit auf sie, dessen Blick meinem wohl gefolgt haben musste, denn sie starrte ebenfalls in die selbe Richtung wie ich zuvor ebenfalls getan hatte. Sie hatte dunkle Ringe unter ihren Augen, die umrandet waren von tiefen Falten. Zum ersten Mal hatte ich so etwas wie Mitleid mit ihr. Auch wenn sie eine harte Frau zu sein schien, schienen die Dinge auch an ihr nicht spurlos vorbei gegangen zu sein. Der Versuch die Ringe unter ihren Augen weg zu schminken war ihr zwar gelungen, doch ich sah sie dennoch. Es tat mir irgendwie weh sie so zu sehen und es tat mir auch irgendwie leid, dass ich sie zuvor im Krankenhauszimmer so angegangen zu haben, obwohl sie es verdient hatte. Doch fühlte es sich so an, als wenn wir zwei auch vor dem Verlust meiner Erinnerung Schwierigkeiten gehabt zu haben, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mit ihrer strengen Art und ihrer Abneigung gegenüber Menschen, die nicht das nötige Taschengeld aufzuweisen hatten, klar gekommen zu sein und es ließ mich umso mehr nicht los, ob ich denn die selbe Einstellung teilte oder ob ich mich klar von ihrer Art distanziert hatte.
„Ein Bier wäre cool!", unterbrach Heather meine Gedankengänge. Ich sah sie überrascht an. Sie war so locker, wie als wenn diese gesamte Situation ganz normal für sie wäre und in Folge dessen konnte ich mir ein kichern nicht unterdrücken. Sie hielt es nicht ein mal für nötig, sich auch nur im geringsten zu verstellen oder sich anzupassen, was ich sehr bewunderte und mir sogar wünschte, ich könnte mich ebenso ein wenig lockern und diese Anspannung los lassen.
Ich sah kurz zu meiner Mutter hinüber, die nun zu Heather sah und nachzudenken schien. Was ihr wohl durch den Kopf zu gehen schien? Machte sie meine Freundin in Gedanken nieder? Oder vielleicht, auch nur vielleicht überdachte sie ihre Einstellung ihr gegenüber, was mir schwer fiel zu glauben. Dennoch hatte ich die Hoffnung sie würde es tun. Mir zur liebe.
„Wir haben kein Bier.", erweiterte sie trocken.
Heather überlegte kurz doch bevor sie erneut ansetzten konnte sich das nächste zu bestellen, was hier wahrscheinlich ebenfalls nicht vorhanden wäre, bat ich um ein einfaches Wasser.
Heather nickte schnell. „Ich nehme das gleiche." sagte sie also und hielt den Mund, wofür ich ihr dankbar war, denn ich wollte nicht, dass meine Mutter einen noch schlechteren Eindruck von ihr gewann. Auch wenn es mir egal war, wollte ich mir nicht weiter mit den Streitigkeiten zwischen den beiden befassen. Zumindest nicht für diesen Abend, da ich größere Probleme hatte als Heathers Getränke Wunsch.
„Olga!", rief sie laut in den Raum, was uns beide erschrocken zusammen zucken ließ.
Wenige Sekunden später wurde die Tür leise aufgeschlossen und eine alte dickliche Frau trat hinein. Fragend sah sie meine Mutter an wobei ihr Blick überrascht aber zugleich erfreut wirkte als er auf mich traf. Sie lächelte mich sanft an. Der Blickkontakt zwischen uns wurde je unterbrochen, als Mutter sie drum bat uns unser Wasser zu bringen und bat um eine Tasse Kaffee für sich selbst. Olga nickte hastig und wollte sich schon umdrehen, um den Raum erneut zu verlassen.
„Und könntest du eine Kleinigkeit zu essen vorbereiten für die Damen?", fügte sie noch ruhig hinzu. Ihre Stimme klang sanft. So kannte sie sie nicht. So hatte sie diese Frau nicht kennengelernt. Bei jedem aufeinandertreffen wirkte sie gestresst, kalt, abweisend und unnahbar, doch schien sie Olga gegenüber eine gewisse Zuneigung und Nettigkeit entgegenzubringen. Lächelnd nickte sie erneut und verließ diesmal endgültig den Raum.
„Also? Was ist passiert? Wieso wurdest du bereits entlassen? Das Krankenhaus wollte mich benachrichtigen, wenn es soweit wäre."
Fragend sah sie uns an. Noch immer wirkte sie ruhig.
„Ach wir sind abgehauen.", erzählte Heather wie selbstverständlich.
„Ihr seid was?!", rief Mutter entsetzt. „Sag mal seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Wie kommt ihr auf solch eine Idee? Anna deine Therapie ist lange noch nicht zu Ende. Ich hatte gesagt sie hat einen schlechten Einfluss auf dich."
„Ausnahmsweise hat es mal nicht mit Heathers 'schlechtem' Einfluss auf mich zu tun, wie du es ja so gerne ausdrückst.", verteidigte ich meine Freundin, der es nichts auszumachen schien, wie Mutter über sie sprach. Im Gegenteil. Es schien sie zu amüsieren, wie sie diese Frau immer wieder zur Weißglut treiben konnte.
„Es ist etwas passiert. Wir hatten keine andere Wahl. Es...", fing ich an ihr die Situation zu erklären, doch wurde ich unterbrochen.
„Jetzt red nicht um den heißen Brei! Anna wurde angegriffen. Von einer Person die wir nicht identifizieren können. Sie hat sie mit einer Waffe bedroht und wollte wissen, wo sie den Stick versteckt hält.", sprach Heather ernst aus. Mir fiel auf, dass sie diesmal darauf verzichtet hatte Mutter erneut mit unserem ausgedachten Namen zu provozieren, was offensichtlich darauf hin zurück zu führen war, dass sie der ernst der Lage gepackt hatte.
Mutter sah mich erschrocken an. Irgendetwas an ihrem Blick verriet mir, dass sie sich denken konnte, worum es geht. Aber an ihren ausgewählten Worten erkannte ich, dass sie sich zurück hielt mir die ganze Wahrheit zu erzählen.
„Sie haben dich also gefunden. Was wollte sie noch wissen? Was hat sie gesagt?", wollte sie besorgt wissen.
„Sie hat mir von Dad erzählt. Wie er gestorben ist."
Bei dem Gedanken daran zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen, obwohl ich mich nicht daran erinnern konnte, fühlte ich den Schmerz der sich von innen nach außen fraß.
„Ich verstehe. Anna. Hör mir zu. Egal was passiert und egal wer dir was erzählt, sie lügen. Dein Vater war kein schlechter Mensch. Er wollte uns lediglich schützen. Er wollte so viele unschuldige Menschen davor beschützen verletzt zu werden."
Sie musterte mich mit einem traurigen Blick und schien an die Zeit zurück zu denken, als das ganze geschehen ist.
„Mom das habe ich niemals behauptet. Ich kenne ihn nicht und ich weiß nichts über ihn. Zumindest erinnere ich mich an nichts. Nur verstehe ich nicht wieso sie ausgerechnet mich aufgesucht hatte. Sie schien sehr viel über mich zu wissen. Über diese Familie und alles was sonst drum herum passiert. Sie schien mir nicht zu glauben, dass ich meine Erinnerung verloren habe. Sie war felsenfest davon überzeugt, dass ich wissen musste, wo ich diesen Stick, auf den sie so scharf war, versteckt halte. Gibt es diesen Stick? Wusste ich wirklich wo er versteckt ist? Und vor allem... was... was ist auf diesen Stick drauf?"
Mein Innerstes drehte mehrere Saltos, bei all den fragen, die sich plötzlich in meinem Kopf auftaten. Ich wollte so viel wissen. Alles wissen, was sie mir geben konnte.
„Hör mir zu. Dein Vater hat ihn gut versteckt. Niemand weiß wo er ihn versteckt hat.", brachte sie lediglich heraus und hüllte sich schließlich in Schweigen.
Bevor ich erneut das Wort ergreifen konnte war ein sanftes klopfen zu kören, worauf kurz darauf Olga den Raum erneut betrat. Sie schritt an den Tisch und stellte uns unsere Getränke vor die Nase. Erneut lächelte sie mir zu, als sie mein Glas abstellte und mir somit näher kam.
„Das essen ist fertig." sagte sie anschließend bevor sie zügig den Raum verließ.
„Na gut. Esst erst einmal. Danach können wir weiter reden.", sagte sie ein wenig mit der Situation überfordert. Sie brauchte wohl selber ein wenig Zeit um ihre Gedanken zu sortieren, was ich nachvollziehen konnte.
„Die Küche ist gegenüber." Damit verließ sie den Raum und ließ uns mit unseren Gedanken und Fragen alleine.
„Nun gut das hat jetzt nicht wirklich etwas gebracht. Wir wissen immer noch genauso wenig wie vorher auch. Außer, dass dein Vater wohl ein guter Kerl gewesen sein muss. Aber wie sie sagte, lass uns erst einmal etwas essen. Sie braucht Zeit, um das ganze zu verarbeiten."
Heather legte eine Hand auf meine Schulter und holte mich aus meiner starre, womit wir beide aufstanden und auf zur Küche machten. Ich hatte zwar kein Appetit, aber vielleicht tat mir ein wenig Ablenkung gut, bevor wir weiter sprechen konnten.
„Weißt du was? Geh du schon mal vor ich komme sofort nach.", hielt ich Heather auf und schickte sie vor. Sie nickte bloß und verließ als nächste den Raum, womit ich bloß noch alleine da stand. Wie eine Ameise in einem Schuhkarton, in diesem riesigen Zimmer mit hohen Decken, worin ich das Gefühl hatte erdrückt zu werden. Wieso konnte ich mich nicht zuhause fühlen in den Räumlichkeiten, in denen ich aufgewachsen war? Wieso konnte ich mich mir selber nicht vorstellen, in dieses Leben zuzugehören? Ein Teil dieses ganzen zu sein? Nichts konnte in mir Erinnerungen hervorrufen. Bloß diese alte Hütte im Garten. Es hatte nicht nur Erinnerungen aufblühen lassen, sondern noch viel mehr als das. Gefühle kamen in mir hoch, die ich mir nicht erklären konnte. Auch wenn ich mich im Nachhinein nicht an das Gesicht des jungen erinnern konnte, löste die Erinnerung an seine Nähe und an die Zweisamkeit mit ihm die selben Gefühle in mir aus, wie vor einiger Zeit im Krankenhaus der Fremde es bei mir getan hatte. Vielleicht handelte es sich um die selbe Person? Ich wusste, solange ich noch hier war, musste ich in diese Hütte. Wenn es bei dem bloßen Anblick solch eine Reaktion hervorgerufen hatte, hätte ich mich eventuell an noch viel mehr erinnern können, wenn ich drinnen stand, um mir alles von der Nähe anschauen zu können.
Nicht länger zögernd begab ich mich zu der Kommode und hatte endlich die Zeit, mir die Fotos von der Nähe anzuschauen.
Die Personen waren mir zwar fremd, doch auf einem der Fotos konnte ich mich selber identifizieren. Ich war sehr viel jünger wobei das Mädchen auf dem Foto die selbe Haarfarbe hatte wie ich. Ihre Auge waren die meine. Ich saß auf einem Stuhl und hatte ein breites Lächeln auf den Lippen, was mein Herz erwärmte. Auf meinen Schultern lagen jeweils zwei große Hände, an denen ich meinen Blick weiter hinauf fahren ließ und an der Person hängen blieb. Es war ein mann mittleren Alters, vielleicht Anfang vierzig, dessen Augen so viel Wärme, stolz und Freude ausstrahlten.
Ich spürte das Verlangen ihn kennenlernen zu wollen. War er mein Vater? Wer hätte es sonst sein können? Egal wie viel Kälte meine Mutter ausstrahlte, desto mehr Wärme, Geborgenheit und Sicherheit strahlte er aus. Das komplette Gegenteil also.
„Er war ein solch guter Mann.", hörte ich plötzlich eine fremde Stimme hinter mir bemerken, was mich aufschrecken ließ, da ich so in Gedanken versunken war. Augenblicklich wirbelte ich herum, um in die vertrauten Augen der Bediensteten meiner Mutter zu sehen. Sie verzog den Mund zu einem zarten Lächeln, während sie mich ansah.
„Er hatte sie sehr geliebt und egal was geschehen ist, wenn er sie sehen könnte, wäre er sehr stolz auf sie.", fuhr sie unbeirrt fort, während sie auf das Foto sah.
„Wie war er so?", forschte ich sie also nach.
„Eine sehr autoritäre Person. Er nahm seine Arbeit immer sehr ernst, doch verteilte nichts desto trotz so viel liebe. Vor allem sie. Sie waren immer sein ein und alles. Sein Goldstück. Er hatte immer rechtzeitig das Büro verlassen, um ihnen noch eine gute Nacht Geschichte vorzulesen, obwohl er noch jede Menge Arbeit zu erledigen hatte, was er anschließend von zuhause aus tat. Auch wenn sie sich nicht an ihn erinnern, wenn er vor ihnen stehen würde, würden sie ihm augenblicklich um den Hals fallen, da bin ich mir so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie hatten eine solch starke Bindung zueinander, waren ein unzertrennliches Team. Es ist eine Schande, was mit ihm geschehen ist.", erzählte sie.
Mir fehlten weitere Worte. Ich wollte so viel mehr wissen, andererseits fiel mir nichts ein was ich hätte sagen können, stattdessen nickte ich stumm vor mich hin, denn das erneute ziehen in meinem Herzen löschte alle Wörter und fragen aus meinem Kopf. Zersetzte sie wie in ätzender Säure.
„Sie sollten etwas essen. Sie haben ziemlich viel abgenommen, aber das bekommen wir wieder hin. Ich werde solange ihr Schlafzimmer vorbereiten. Sie werden doch bleiben stimmt's?", vergewisserte sie sich und lenkte somit vom Thema ab.
Erneutes nicken meinerseits. Ich würde hier bleiben, denn wohin hätte ich hingehen sollen?
In der Küche angekommen entdeckte ich bereits Heather die stumm vor sich hin das Essen auf ihrem Teller hin und her schob. Sie schien in Gedanken versunken zu sein, was sie jedoch legte, als sie mich auf sie zutreten hörte.
„Da bist du ja endlich! Ich dachte ich würde vor Langeweile sterben. Habe extra gewartet bis du kommst, damit wir gemeinsam essen können.", plauderte sie drauf los, mit einem müden Ausdruck in ihrem Gesicht. Sie wirkte so erschöpft. Dieser Abend war für sie nicht anders ergangen als für mich.
„Du hättest ruhig anfangen können. Ich musste nur ein wenig durchatmen und alleine sein, um meine Gedanken zu sortieren.", sagte ich, während ich neben ihr, an der Kücheninsel, auf einem der Hocker Platz nahm.
Doch statt zu essen stocherte ich ebenfalls blöd in meinem essen herum. Wir hatten keine Antworten erhalten, mit denen wir hätten etwas anfangen können. Es hatte quasi nichts gebracht hier her zu kommen, wobei wir uns hier in Sicherheit befanden und ich hatte mich an etwas erinnern können. Diese Erinnerung würde mich wohl noch eine Weile verfolgen. Und vielleicht würden noch einige Folgen, wenn ich mich in einem Umfeld aufhielt, wo ich mich scheinbar vor dem Verlust abgegeben hatte.
„Ich sollte mich gleich auch mal auf den Weg machen."
Verwirrt sah ich zu ihr rüber. „Wohin?", wollte ich wissen, worauf sie ihren Kopf hob und mich ansah.
„Katie ich sollte nach Hause. Zu meiner Mutter. Das ist schließlich der Ort wo ich hingehöre."
Sie wirkte verloren und Zwiegestalten. Würde sie wirklich dorthin zurück kehren, wo sie her kam? Zurück in diese Hölle? Ihr würde wieder wehgetan werden. Schmerzen würde man ihr zufügen. Physisch aber noch mehr psychisch. Ich wollte sie mir dort nicht vorstellen. Ich wollte sie vor Augen haben, wo ich wusste, dass sie in Sicherheit war.
„Ich will nicht das du gehst. Wenn du gehst, gehe ich auch.", sprach ich leise zu ihr und nahm ihre Hand in meine. „Heather ich weiche nicht mehr von deiner Seite. Nenn mich eine Klette wenn du magst, jedoch werde ich nicht von dir weichen. Ich kann doch nicht ruhig schlafen, wenn ich nicht weiß, dass du in Sicherheit bist. Er wird dich wieder verletzten, dir weh tun. Das ertrage ich nicht und ich will dich nicht zurück dorthin schicken. Denn nochmal wirst du dort nicht rauskommen. Ich lasse dich nicht mehr los. Ich beschütze dich und wenn es dafür nötig ist von hier zu verschwinden, damit du an meiner Seite bleibst, dann werden wir das tun. Dein Platz ist an meiner Seite schon vergessen? Ich bin jetzt deine Familie und du meine.", versuchte ich sie zu überreden, mit all meiner Überzeugungskraft, die ich aufbringen konnte. Auch wenn ich sie nicht hätte überzeugen können, würde ich sie nicht gehen lassen. Wenn sie entschied zu gehen, würde ich mit ihr gehen. Selbst bis ans Ende der Welt. Sie hatte mir so viel gegeben, was ich niemals hätte zurück zahlen können.
„Hör zu. Mir wird nichts passieren. Ich kann mehr ertragen als du denkst. Ich will auch am liebsten nie wieder von deiner Seite weichen aber deine Mut..."
„Du kannst ruhig bleiben.", hörte ich die Stimme meiner Mutter hinter uns. Ich drehte mich überrascht über ihre Worte in ihre Richtung wobei Heather ihren Blick auf unsere Hände richtete und dort hängen blieb. Wie kam der der Sinneswandel? Was war passiert, dass sie Heather nicht wegschicken wollte?
„Ich weiß wir zwei hatten einen schlechten Start, aber ich habe dir unendlich zu danken, dafür, dass du meiner Anna so sehr zur Seite gestanden hast. Du hast sie nicht im Stich gelassen, obwohl du dich selbst in gleicher Weise in Gefahr begeben hast. Ich stehe dafür auf ewig in deiner Schuld."
„Das müssen sie wirklich nicht tun.", erwiderte Heather bloß, wofür ich ihr am liebsten auf den Hinterkopf gehauen hätte.
„Ich will es aber. Olga hat bereits Annas Bett für euch beide vorbereitet.", versuchte Mutter sie erneut zu überreden. Ich blickte immer wieder zwischen den beiden hin und her und kam nicht mehr aus dem Staunen raus. Was ging vor sich? Was hatte ich verpasst?
Eine leises, undeutliches 'danke' schlich über Heathers Lippen bevor sie zu ihr aufsah und da konnte ich bereits erkennen, dass sie das ganze mehr mitnahm als sie jemals zugegeben hätte.
„Danke, dass ich bleiben kann und es tut mir leid dass ich sie immer so angegiftet und angestachelt habe. Es hat nur so Spaß gemacht sie zu provozieren, da sie immer so schnell drauf eingingen..."
„Übertreib es nicht junge Dame!", unterbrach Mutter sie augenblicklich, doch sie klang eher amüsiert und nicht anklagend. Sie scherzte herum. Was in Gottes Namen war nur in den letzten Minuten in diese Frau gefahren? Sie war wie ausgewechselt, eine komplett neue Persönlichkeit. Obendrein legte sie Heather eine Hand auf die Schulter was mich noch mehr staunen ließ. „Du kannst mich ruhig Valerie nennen.", gab sie noch schmunzelnd von sich, bevor sie sich Richtung Tür aufmachte. Hätte ich ein Schluck Wasser im Mund, hätte ich mich mit ziemlicher Sicherheit dran verschluckt. Gelinde ausgedrückt, war das ganze mehr als verrückt
„Du hast es doch genauso genossen wie ich Valerie.", kicherte nun Heather in ihre Richtung. Ich für meinen Teil saß noch immer völlig verdutzt auf meinem Platz und versuchte zu begreifen was geschah.
„Wenn du das sagst liebes. Gute Nacht ihr zwei. Wir sprechen morgen weiter." Damit war sie auch schon verschwunden.
'Liebes? Was um alles in der Welt ist in diese Menschen gefahren?', schoss es mir durch den Kopf.
„Gar nicht mal so übel die alte.", war Heathers Kommentar zu allem und damit fing sie an zufrieden ihr essen zu sich zu nehmen, als hätte sie plötzlich der Todes Hunger gepackt.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top