Kapitel 3
Nach drei Wochen intensiver Therapie kam ich so langsam zur Ruhe. So groß meine Fortschritte in körperliche Hinsicht auch waren, so hing meine Psychologische auf der Strecke. Ich gab mir viel Mühe, da ich nicht vor hatte, länger in dieser Klinik zu verweilen als es nötig war. Trotz meiner Bemühungen, kam mir nichts sinnvolles in den Sinn, das mir ein wenig mehr Klarheit verschaffen konnte.
Den Ärzten und Krankenschwestern hatte ich mitgeteilt, dass ich keinen Besuch dulde, da ich diese Leute eh nicht kannte und um ehrlich zu sein, fühlte ich mich nicht ganz wohl dabei, wenn sie so taten, als würde ich sie kennen und nichts wäre. Man würde Fremde Menschen auf der Straße schließlich auch nicht Mama oder Papa nennen. Geschweige denn als Schatz bezeichnen. Oliver fand diese Idee nicht ganz berauschend. Er war der Meinung, dass ich viel schneller zu mir finden könnte, wenn ich die Menschen um mich hätte, mit denen ich vor meinem Unfall und vor dem Verlust meiner Erinnerungen, Zeit verbracht hatte. Sie würden mich an meine Vergangenheit heranführen. Aber wer versichert mir, dass sie mir auch die Wahrheit über mich und meine Vergangenheit heranführten?
Er hatte mich einmal mit Schatz angesprochen. Es war mir unangenehm. Ich hatte nicht das Gefühl, als hätte ich ihm zuvor so nah gestanden. Mein Herz fühlte sich in keinster Weise zu ihm hingezogen. Kann der Körper auch seine Gefühle zu einem Menschen vergessen? Vielleicht ja, aber man würde sich doch hinsichtlich dieser Sache ein klein wenig verbunden fühlen. Es war mir nicht geheuer.
Er hatte mich zwar aufgeklärt über die Situation. Erzählte mir das er mein Verlobter sei. Irgendwie konnte ich ihm das nicht so ganz abkaufen. Irgendetwas stimmte nicht. Sie verbargen etwas vor mir.
Ich habe Oliver ziemlich schnell darum gebeten, mich nicht mehr ‚Schatz' oder ‚liebste' zu nennen, da es mir recht unangenehm war.
Ein kleiner Teil in mir riet mir mich dringend von ihm fernzuhalten und ein noch größerer Teil schrie mich an, ich sollte schleunigst hier verschwinden. Ohne dass jemand etwas mitbekam. Das hätte ich zu dem Zeitpunkt jedoch nicht wissen können, welche Konsequenzen mein bleiben mit sich ziehe würde.
Ich wachte mitten in der Nacht auf. Ein leises jedoch deutlich hörbares schleifen war entweder in meinem Zimmer oder unmittelbar davor, wahrzunehmen. Ich konnte es genau hören. Das konnte ich mir nicht einbilden. Ich hatte zwar meine Erinnerung verloren aber nicht mein Wahrnehmungsvermögen.
Da die Geräusche immer näher kamen, konnte ich ungefähr einschätzen, wo in etwa sie herkamen.
Sie klangen eher abgedämpft, daher war ich der Auffassung, dass sie aus dem Flur kamen.
‚Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht!', schoss es mir durch den Kopf.
Es war nicht das erste mal, dass ich ähnliche Geräusche nachts hörte. Meistens waren sie so leise, dass ich sie lediglich im Unterbewusstsein wahrnahm und daher weiter schlief. Einige Male war derjenige, der mir mit seinen schleifenden und schweren Schritten Angst einjagte, bis an mein Bett getreten. Jedesmal hatte ich gehofft, dass es sich um andere schlafwandelnde Patienten der Klinik handelte. Auch heute blieb die Person vor meiner Zimmertür stehen und tat nichts. Ängstlich hielt ich die Luft an, um die kleinsten Bewegungen und Geräusche nicht zu übertönen. Ich wand meinen Rücken der Tür zu, schloss die Augen und fing an zu beten.
Ich hoffte inbrünstig, dass ich es mir einbildete, aber es passierte doch nicht zum ersten Mal. Mit dem Rücken zur Tür lag ich da und hoffte bloß, dass die Tür nicht geöffnet wurde.
Meine Gebete wurden jedoch leider nicht erhört und das leise Öffnen der Tür ließ meinen Körper erzittern. Die schleifenden Schritte der Person waren nun in meinem Zimmer zu hören und ich konnte einen Schatten an der Wand gegenüber der Tür erkennen. Ich verfolgte die kleinsten Bewegungen, die ich aufgrund des Schattens mitbekommen konnte. Der dunkle Schatten wirkte viel größer und markanter, viel angsteinflößender als ein Mensch jemals hätte sein können. Er erstreckte sich vom Boden bis an die Decke und gab mir das Gefühl mich zu umzingeln. Als würde er über meinen Körper steigen um mich zu verschlingen. Die groben und markanten Züge ließen mich nur eins daraus schließen. Es konnte sich nur um eine eine männliche Person handeln.
Als die Tür von ihm geschlossen wurde, fragte ich mich, ob er gegangen war oder sich noch immer im Zimmer befand, denn sein Schatten verschwand augenblicklich, als die Lichtquelle unterbrochen wurde. Vielleicht handelte es sich bloß um einen Pfleger, der bei den Patienten nach den rechten sah. Vielleicht war ich viel zu schreckhaft, reagierte über und bildete mir all diese Dinge ein.
Seine leisen Atemzüge erweckten in mir den Impuls, meine Augen ganz fest zu schließen, in der Hoffnung, dass ich mir das alles einbildete oder noch besser, dass alles bloß ein verdammt schlechter Traum war.
,Oh Gott was passiert hier denn gerade?'
Weiter kam ich nicht mit meinen Gedanken. Gerade als ich anfing mir zu überlegen, wie ich mich aus dieser Situation befreien könnte, spürte ich eine Hand an meiner Schulter.
Automatisch spannte sich mein Körper an und Angstschweiß bildete sich auf meiner Stirn. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte geschrien, doch ich kriegte es nicht hin mich auch nur einen Millimeter zu rühren. Mein Hals fühlte sich plötzlich so trocken an, dass ich niemals einen Ton hätte herausbringen können.
„Anna?", hörte ich den unbekannten besorgt flüstern.
Erstaunt öffnete ich meine Augen wieder und starrte die Wand an. Ich sollte mich eigentlich fürchten vor dem Fremden, der sich in mein Zimmer geschlichen hatte. Doch sein Flüstern alleine erweckte eine gewisse Geborgenheit in mir, dass ich mich ihm am liebsten an den Hals geschmissen hätte.
Diese Gedanken schlug ich mir jedoch schleunigst aus dem kopf. Ich schien komplett durch zu drehen, denn anders konnte ich mir diese verrückten Gedanken beim besten Willen nicht erklären.
„Ich liebe dich..."
Diesmal riss ich die Augen auf und blieb regungslos liegen, da ich mich vor den Gefühlen, die seine Worte in mir auslösten, fürchtete.
Ich riss mich schnell zusammen und richtete mich langsam auf. Ich musste ihm in die Augen sehen. Ich musste wissen welcher Fremde, der sich mitten in der Nacht in mein Krankenzimmer schlich, behauptete mich zu lieben.
Ich meine, nur weil ich die anderen verrückten nicht erkannte, die sich meine Mutter und mein Verlobter nannten, musste er ja noch lange nicht zu ihnen gehören. Vielleicht erkannte ich ihn ja wieder. Vielleicht war er der einzig wahre aus meinem Leben und alles andere Betrüger.
Als ich endlich auf meinem Bett saß, traf mich die erfreuliche Erkenntnis, dass ich mich mittlerweile viel lockerer ohne viel Anstrengung bewegen konnte. Diese einfache Geste, mich auf meinem Bett auf zu setzen fiel mir nicht besonders schwer. Nein es ging ganz schnell über die Hand und löste ein warmes Gefühl der Freude in meinem Herzen aus.
Als ich merkte, dass ich abschweifte, schaute ich mich in meinem Zimmer um.
Das helle Licht des Mondes, welches durch das Fenster das Zimmer erleuchtete, reichte gerade noch aus, dass ich sah, wie die Tür leise ins Schloss fiel.
Er liebt mich, hatte er gesagt, aber wieso ging er denn dann einfach? Wieso blieb er nicht bei dem Menschen den er liebte? Wieso kam er nicht zu normalen Tageszeiten?
Auch wenn ich nicht sagen konnte wieso, verspürte ich den Drang ihm hinterher zu laufen.
Er hatte sich nicht in mein Zimmer verlaufen. Nein, das konnte nicht sein, denn er nannte mich Anna. So wie sie es alle taten. Er kannte mich. Er kam gezielt hier her, um dieses Zimmer zu betreten in dem ich lag. Er wollte zu mir. Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, dass alle Recht hatten, musste ich mehr erfahren. Vielleicht würde ein Gespräch mit ihm helfen, Licht ins Ungewisse zu bringen.
Mit einer schnellen Bewegung riss ich mir die Decke vom Leib und schob meinen Körper schnell zur Bettkante. Etwas langsamer streckte ich meine Beine vom Bett runter und spürte eine Sekunde darauf den kalten Boden unter den Füßen.
Die Kälte schnell vergessend drückte ich mich vom Bett ab und als ich stand, ohne dass mich jemand hätte am Arm abstützen müssen, ohne dass ich mich an irgendwem oder irgendetwas festhalten musste, stahl sich ein Schmunzeln auf mein Gesicht.
Doch auch dafür hatte ich im Moment nicht viel Zeit, denn ich musste meinem Fremden, der mich sehr zu lieben schien, hinterher laufen, um ihn zu erreichen, bevor er komplett verschwand, denn seine drei einzigen Worte, die er zu mir gesprochen hatte, klangen nicht nur verzweifelt und traurig, sondern noch viel mehr wie ein Lebewohl. Kein auf Wiedersehen.
„Du kannst mir nicht sagen, dass du mich liebst und dann aus meinem Leben verschwinden, um mich mit offenen Fragen zurück zu lassen.", murmelte ich vor mich hin.
Ich setzte die ersten unsicheren Schritte Richtung Tür. Als ich jedoch merkte, dass es mir leichter fiel als ich es mir vorgestellt hatte, verflog meine Befürchtung erneut auf den Boden zu stürzen, wie beim ersten Mal.
Mit immer schneller werdenden Schritten führte ich meinen Weg fort. Öffnete die breite Tür und rannte schon in den Flur. Mir fiel auf, wie mir die Bewegungen immer leichter fielen. Sie wurden immer fließender und diese ungewohnten Bewegungen fühlten sich an als würde ich nicht auf dem Boden kriechen sondern als würde ich über ihn schweben.
Meine Blicke wanderten umher, doch ich konnte ihn nirgends entdecken. Es war niemand zu sehen, der den Anschein machte zu fliehen. Ich hätte nicht so lange trödeln dürfen.
Als sich die gläsernen Schiebetüren des Haupteinganges schlossen, war ich mir sicher, dass er es war, der hinter ihnen versuchte zu flüchten.
Ich fing an zu rennen, denn ich musste ihn sehen. Ich musste wissen ob ich ihn erkannte, wie mein Körper und mein Herz auf ihn reagierten.
Die Rennerei machte mir langsam zu schaffen. Keuchend sprintete ich durch die Fluren Richtung Ausgang. Meine Atemwege schnürten sich zu und die Lungen fingen an zu brennen.
Ich rannte. Voller Hoffnung. Voller Aufregung. Volle Vorfreude.
Als ich ihn jedoch durch die gläsernen Schiebetüren erkannte, wie er in einen Taxi stieg, merkte ich wie sich mein Herz zusammenzog und so anfühlte, als würde man ihr einen großen Teil entreißen. Und das alles wegen einem Fremden, der sich, verbotenerweise, nachts in mein Krankenzimmer schlich, mir eine Riesen Angst einjagte um mir dann zu gestehen, dass er mich liebte.
Um mir zu sagen, dass er mich liebte, um mich anschließend zu verlassen mit einem Haufen Fragen und einem wehleidigen Herzen.
Trotz der Gewissheit, dass ich ihn niemals einholen könnte, da er in einem Auto wegfuhr, legte ich noch ein kleines bisschen mehr Kraft in meine mittlerweile brennenden Beine und lief mit größeren Schritten zu der Schiebetür, durch die er vor wenigen Sekunden ebenfalls getreten war.
Gerade als ich die Glastür erreichte, fuhr das Taxi los. Abrupt blieb ich stehen.
‚Er ist weg', war das einzige woran ich denken konnte.
Ich trat mit schleifenden schritten und schweren Beinen nach draußen. Plötzlich fühlten sich meine Beine an als würden sie Betonklötze durch die Gegend schleppen. Sie hatten mich bis nach draußen getragen, mit einer Kraft, die ich mir nicht erklären konnte. Ich konnte nicht sagen woher sie kam.
Ich sah in die Richtung, in der das Taxi verschwunden war und stellte mir immer wieder die selbe Fragen. Als würde ich sie mir vielleicht selber beantworten können.
Was sollt ich jetzt tun?
Würde ich ihm jemals wieder begegnen?
Wer war er und wieso sagte er mir, dass er mich liebt?
Wieso tauchte er nachts im Krankenhaus auf?
Sollte man nicht wissen, dass er gekommen war?
Sollte ich ‚meine Mutter' nach ihm fragen? Sie könnte doch etwas über diesen mysteriösen Fremden etwas wissen oder?
Aber wenn er sich schon nachts in mein Zimmer schleichen musste, hatte er mit Sicherheit seine Gründe dies zu tun. Anscheinend wollte er nicht, dass man ihn sah oder man wollte ihn hier nicht sehen. In meiner Nähe. War er denn so gefährlich? Könnte er etwas mit meinem Zustand zu tun haben? Vielleicht sogar mit dem Unfall in das ich geriet?
Ich beschloss es der Frau, die sich meine Mutter nannte, vorerst nichts davon zu erzählen, denn ein merkwürdiges Gefühl machte sich in mir breit und ich vermutete, dass es mit dieser Situation zusammenhing. Ich hatte sowieso ein mulmiges Gefühl ihr und auch Oliver gegenüber.
Ich atmete ein letztes Mal tief die kühle Nachtluft ein und schloss dabei meine Augen, um meinem Herzen mehr Platz zu bieten, denn mein Brustkorb fühlte sich eng und voll an. Zu viel Druck lastete auf meinem Herzen. All das, was mit mir passierte, dass ich von Fremden umgeben war, mich weder an sie noch an mich selbst erinnern konnte, dass sie in mir ein Unwohlsein erweckten und ich mich ausgerechnet und ausnahmslos nur bei dem mysteriösen Fremden wohl und geborgen fühlte, der sich nachts in mein Zimmer schlich, um mir zu sagen, dass er mich liebte, dessen Gesicht ich noch nicht einmal erblicken konnte, all diese Dinge bereiteten mir Sorgen und übten immensen Druck auf meinen Herzen aus.
„Verdammt!", rief ich erbittert. „Wirst du wieder kommen?", flüsterte ich in die Ferne und hoffte darauf, dass der Wind mir die Antwort auf meine Frage entgegen blies.
Ich horchte auf und versuchte ein Zeichen wahrzunehmen. All meine Sinne waren darauf konzentriert.
Ich hoffte auf ein Geräusch, welches mit warmen Klängen meinem Herzen Hoffnung schenken würde.
Hoffte auf einen Duft, welches in mir Geborgenheit auslösen könnte.
Hoffnungsvoll wartete ich auf eine Berührung, das mein Herz umklammerte und vor all' dem Schmerz schützte, welches ihr bevorstand.
Mit geschlossenen Augen wartete ich und entspannte meinen Körper.
„Bitte geh nicht", flüsterte ich so leise, dass selbst ich mich kurz fragte, ob es wirklich von mir kam.
Was hatte dieser Kerl nur mit mir angestellt? Seine einzigen drei Worte die ich aus seinem Mund gehört hatte, hatten meine ganze Angst aus meinem Körper gefegt und mir die Kraft gegeben bis hier her zu laufen ohne auch nur ein einziges Mal zu stolpern. All dass hatte ich in drei Wochen in diesem Krankenhaus nicht geschafft. Zumindest nicht in diesem Tempo, binnen einer Nacht.
Wo er weg war, drohten meine Beine nachzugeben. Sämtliche Kraft schien aus ihnen entnommen worden zu sein. Nicht einen einzigen weiteren Schritt hätten sie tun können.
Er hatte mir die Kraft gegeben und sie mir auch wieder genommen.
Ich ließ die Schultern hängen und mir wurde durch jede weitere Sekunde immer klarer, dass er nicht wieder kommen würde.
‚Nicht heute... Nicht morgen... Einfach garnicht.'
Ich stieß alles an Luft aus meinen Lungen heraus, öffnete meine Augen und blickte erneut in die Ferne.
Nichts.
Ich senkte den Blick und wollte mich gerade umdrehen, als ich etwas an meinen Schultern spürte, das mich daran hinderte
Diese zarte Berührung, die mich aufsehen ließ, die mir erneut die Kraft gab gerade auf den Beinen stehen zu bleiben, sie jagte ein warmes Gefühl durch meine Adern. Jede Ecke, jeder Winkel und jedes Element meines Körpers konnte etwas von diesem Gefühl kosten.
Wie erstarrt blieb ich, mit meinem Blick noch immer in die Ferne gerichtet, stehen und wartete gebannt darauf, was als nächstes passieren würde.
Doch es tat sich nichts. Er stand einfach so hinter mir, mit seinen Händen auf meinen Schultern ruhend und schien genauso wie ich einfach den Moment, diese Nähe, die Berührung und diese Gefühle zu genießen.
Ich entspannte mich unter seiner Berührung und wiederholte meine letzten Worte nun ein klein wenig lauter, denn ich wollte, dass er mich hörte.
„Bitte geh nicht"
Ich konzentriere mich auf die Dunkelheit, die in der Ferne herrschte und hoffte, dass ich seine Reaktion, seine Mimik oder seine Gestik in ihr ablesen könnte.
Doch er tat nichts. Er sagte nichts. Er tat einfach nichts als dazustehen und zu genießen.
„Du liebst mich hast du gesagt...", fing ich an doch sein Griff wurde fester um meine Schultern. Er schien überrascht darüber zu ein, als hätte er nicht erwartet, dass ich es mitbekam.
Aber wenn er sich fast jede Nacht in mein Zimmer schlich und mir eine Heidenangst einjagte, brauchte er sich nicht darüber wundern. Er sollte sich eher darüber wundern, dass ich nicht wollte, dass er mich verließ.
„Also... Was ich damit sagen will ist, dass... Darf ich mich umdrehen? Ich möchte dich sehen. Ich... Ich will nicht... dass du gehst", redete ich aufgebracht weiter und wollte mich gerade zu ihm drehen, um ihm in die Augen sehen zu können, doch er hielt mich erneut von meinem Vorhaben ab.
„Tu das nicht...", hörte ich ihn unsicher hauchen und sein Griff wurde erneut sanfter. Seine Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken.
Langsam strichen seine Hände meine Oberarme entlang. So langsam und so zart, dass mein Herz nach mehr aufschrie.
Seine warmen Hände machten kurz an meinen Handgelenken halt. Gespannt wartete ich erneut ab und schloss erleichtert meinen Augen, als er meine kalten Hände in seine nahm und leicht zudrückte.
„Du frierst... Es ist besser wenn du wieder rein gehst.", bemerkte er besorgt, doch das wollte ich nicht. Ich würde nicht eher gehen, bis er mir versprach, dass er wieder kommen würde. Dabei wusste ich nicht mal wieso ich auf sein Versprechen vertrauen sollte. Doch alleine, dass er in diesem Augenblick bei mir war, obwohl er hätte weg sein sollen, zeigte mir, dass er gar nicht von mir weg sein konnte. Er wollte genauso sehr bei mir bleiben wie ich ihn bei mir haben wollte und ich wusste nicht einmal wer er war geschweige denn wie er aussah.
„Nicht mehr...", entgegnete ich und atmete einmal tief durch um anschließend fortzufahren. „Ich möchte nicht das du gehst. Ich will dich sehen."
„Du musst reingehen. Na los geh rein, du erfrierst. Bitte geh.", flehte er mich an.
Erneut machte ich Anstalten mich umzudrehen, doch im nächsten Moment umschloss er mich mit seinen Armen in eine feste Umarmung.
Mein Rücken stieß gegen seine harte Brust und erwärmte meinen unterkühlten Körper. Seine Arme waren um mich geschlungen. Das rasen meines Herzens raubte mir mehr Kraft als das Gerenne es zuvor getan hatte. Aber mit ihm, ganz dicht an meinem Körper fühlte ich mich stark und Gesund. Gott wie konnte sich etwas so schön anfühlen? Wie konnte so etwas möglich sein? Aber es sollte niemals enden. Ich wollte das so sehr wie er es wollte. Und es sollte nicht enden. Nie. Ich wollte ihm noch näher sein. Mehr als es möglich war.
Er verstärkte seinen Griff um meinen Körper und jagte somit jedes erdenkliche Gefühl durch jede Faser meines Körpers. In mir fühlte sich alles an wie ein Kampf. Ein Kampf zwischen meines Willens und meiner Vernunft. Ein Kampf welches damit enden würde, dass meine Vernunft die weiße Flagge erhob und sich an die Seite meines Willens stellte um sie zu ermutigen, sich das zu nehmen wonach es sich sehnte. Alles in mir wusste bereits, dass ich ihm gehörte und er ebenso zu mir.
Ich atmete tief ein, zog die Luft durch meine Nase, nahm seinen Duft in mir auf, um mich zu beruhigen. Um mein Herz zu beruhigen. Denn es fühlte sich an als hätte es in diesem Augenblick gelernt zu schlagen.
Diese Geborgenheit, die er in mir auslöste, die kam nicht von irgendwoher. Mein Herz kannte ihn, denn dessen Reaktion auf ihn war nicht mit Worten zu beschreiben. Es fühlte sich einfach komplett an.
Ruhig legte er seinen Kopf auf meine Schulter und vergrub sein Gesicht in meine Halsbeuge. Sein warmer und sanfter Atem, streifte in regelmäßigen Abständen meine Haut und löste an meinem ganzen Körper eine Dauer Gänsehaut aus. Eine Geste, die mein Herz all seine Erleichterung und Sehnsucht zu gleich schmecken und schmerzvoll zusammen ziehen ließ.
Als wollte er mich mit seiner jetzigen Anwesenheit zufriedenstellen, damit er mich wieder in mein Zimmer schicken konnte, um nie wieder aufzutauchen.
Aber das konnte und wollte ich nicht zulassen, denn irgendetwas sagte mir, das ich ihn brauchte und er ein wichtiger Teil meines vorherigen Lebens war. Er hatte einen wichtigen Stellenwert und plötzlich erschien mir dieser Fremde doch nicht mehr allzu fremd.
„Wieso kannst du nicht bei mir bleiben? Wieso kannst du nicht wieder kommen? Wieso darf ich dich nicht sehen?", wollte ich mit zittriger Stimme wissen, doch er antwortete nicht. Er verstärkte seine Umarmung um meinen Körper, auch wenn man meinen würde, dass es nicht mehr möglich sei. Ein letztes mal saugte er meinen Duft tief in sich ein. Als wollte er es besser in seine Erinnerung einspeichern. Doch in mir löste es bloß Verzweiflung aus. Verzweiflung darüber ihn gehen lassen zu müssen. Verzweiflung darüber, dass er für immer aus meinem Leben verschwand.
‚Er wird gehen... Und er wird nicht wieder kommen. Das war seine Art mir meine Frage zu beantworten. Er will aber kann nicht bleiben'
Nachdem er sich, auf seine Art, von mir verabschiedet hatte, löste er sich so schwerfällig von mir, das es mir wehtat. Es fühlte sich an als würde mir jemand bei lebendigem Leibe die Haut über die Ohren ziehen.
„Bitte...!", hörte ich mich aufgebracht flehen und spürte wenige Sekunden darauf warme Tränen meine Wangen herunterlaufen. Sie bahnten sich ihren Weg langsam meinen Hals hinunter und verendeten im Kragen meines Kittels. Mein Blick senkte sich und blieb an meinem, mittlerweile leicht in Tränen getränkten, Kragen hängen. Ich nahm das Beben meines Körpers wahr und bemerkte auch erst jetzt das ich barfuß war. Ich wackelte unmerklich mit den Zehen und fühle den kalten und harten Asphalt unter ihnen, um zu realisieren, dass ich nicht träumte.
Mein Körper versuchte alles erlebte auszublenden. Wehrte sich gegen all den Kummer und den Schmerz welcher jede Sekunde weiter ins unermessliche stieg.
Er entfernte sich einen Schritt von mir. Seine Wärme verabschiedete sich ebenfalls. Die kühle Nachtluft legte sich um meinen Körper und kühlte erneut meine Haut.
„Schließ deine Augen...", forderte er entschlossen aber dennoch aufgebracht.
Zögernd schloss ich sie und spürte das brennen.
„Zähle bis zwanzig und dann öffne sie wieder.", fuhr er fort.
Nur wiederwillig tat ich was er verlangte.
„Eins... Zwei... Drei... ... Vier... ... Fünf... Sechs... ... ...Sieben... Acht... Neun... ... ...Z-zehn.", zählte ich zitternd und verlor immer mehr meinen Mut fortzufahren.
„Wirst du dann weg sein?", fragte ich erneut in die lautlose dunkle Ferne der Nacht und erwartete eine Antwort durch meine Sinne aufnehmen zu können, doch ich bekam keine.
Ein leises schmerzvolles schluchzen entfloh mir, was ich nicht länger hätte unterdrücken können.
„Dann wirst du erkennen, dass es bloß ein Traum war. Bloß Einbildung", hörte ich seine Stimme aus der Ferne gedämpft rufen.
„Du musst weiter zählen!"
„Ich will das aber nicht...", nuschelte ich unverständlich, während mein Herz zu explodieren drohte, zählte jedoch verloren in der Dunkelheit, in meiner Verzweiflung weiter.
„Elf... Zwölf... Dreizehn...Vierzehn... Fünfzehn... Sechzehn... Siebzehn......... Achtzehn............Neunzehn..................... Zwanzig."
Sämtliche Kraft ging aus mir verloren. Er nahm sie mit.
„Das wars?"
Ohne mich umzudrehen, ohne mit meinen Blicken nach ihm Ausschau zu halten, ging ich mit schnellen Schritten zurück ins Krankenhausgebäude. Schnell suchte ich mein Zimmer auf, schloss die Tür, lehnte mich an sie und ließ mich unbeholfen an ihr herunter gleiten. Bis ich am Boden ankam. Mit meinen Armen umwickelte ich meine angewinkelten Beine und legte meinen Kopf auf meinen Knien ab.
Eine Zeitlang saß ich ich einfach so da und weinte leise vor mich hin.
Weinte bis meine Gedanken leer waren. Bis mein Herz leer war. Bis nichts von mir übrig geblieben war. Nichts als Schmerz versorgte die Fasern meines Körpers.
Nach gefühlten einsamen Stunden stand ich auf und legte mich zurück ins Bett. Jede Muskel meines Körpers, all meine Knochen waren erschöpft.
Diese Nacht hatte mir alle Kraft geraubt.
„Es war alles nur ein Traum... Alles nur ein Traum... Nur ein Traum.", flüsterte ich leise vor mich hin, um mich selbst von seinen Worten zu überzeugen, bis ich von einer erdrückenden Schwärze umgeben wurde und ein traumlosen schlaf mich überfiel.
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