Kapitel 10

Sanfte Sonnenstrahlen kitzelten meine Haut und eine wohlige Wärme breitete sich unweigerlich in mir aus, als ich die Augen, mit einem Lächeln auf den Lippen, öffnete.

Heather und ich waren die letzte Nacht noch lange wach gewesen, doch anstatt mein Schlafzimmer unter die Lupe zu nehmen, hatten wir noch lange geredet, über die Geschehnisse und die daraus resultierenden Ergebnisse. Über Mutters Stimmungslage und dessen Umschwung. Wenn ich nochmal über die Dinge nachdachte, löste es eine gewisse Zufriedenheit in mir aus, da ich es nur schwer ausgehalten hätte, währe die Stimmung zwischen den beiden noch immer angespannt.
„Sie hat mich liebevoller aufgenommen und behandelt, als meine Mutter, denn von ihr bekomme ich nicht mal ein einfaches Lächeln zu sehen, wenn ich ihr gegenüber stehe. Immer dieser unzufriedene Ausdruck und dieser leere Blick, als wäre ich der Grund für den misslungenen Lauf ihres Lebens.", hatte sie mir noch erklärt, auf meine Frage hin, wieso sie auf Mutters offene Einladung so sensibel reagiert hatte.
Ziemlich lange hatten wir auch über meine Erinnerung gesprochen und jede noch so kleine Einzelheit analysiert. Ich hatte gehofft, von diesem Ereignis zu träumen, da ich mir wünschte ihn sehen zu können. Nach wie vor konnte ich mich an sein Gesicht nicht erinnern. Alles war noch vorhanden, bloß Details seines Aussehens waren ausgelöscht. Hätte ich nur eine Sekunde weiter in dieser Erinnerung schwelgen können, wüsste ich wenigstens seinen Namen, wobei mir nur der Anfangsbuchstaben geblieben war. N. Das hätte alles bedeuten können. Es war so gut wie nichts, wenn man es so betrachtete. Vielleicht wusste Mutter, wer dieser Typ war, immerhin hatte sie nicht gerade wenig Hass auf ihn gehegt, was wiederum bedeutete, dass sie mir wahrscheinlich ungern die Erinnerung an ihn erlauben würde. In der Hütte hätte ich vielleicht Antworten bekommen können, was ich mir auch schon am Abend vorgenommen hatte zu tun.

„Meine Güte Katie, worüber denkst du denn so früh am Morgen und so angestrengt nach? Ich höre die Räder in deinem hübschen Köpfchen ja selbst im Schlaf fleißig arbeiten!", gab Heather nuschelnd neben mir von sich und fing an ihre Gliedmaßen eins nach dem anderen von sich zu strecken, bevor sie sich komplett in meine Richtung wand und mich aufmerksam musterte.

„Nichts. Ich hab nur noch mal über gestern nachgedacht und die Hütte. Wir müssen da heute unbedingt rein, ansonsten bekomme ich keine Ruhe.", entgegnete ich, noch immer nachdenklich.

„Und herausfinden, was es mit diesen Leuten von letzter Nacht auf sich hat, müssen wir auch noch. Aber vorher eine kleine Stärkung. Frühstück wäre gar nicht mal so schlecht.", entgegnete Heather seelenruhig.
Augenrollend sah ich in ihre Richtung und nickte schließlich.

Heather und ich gingen stumm die Treppen runter und begaben uns in das Esszimmer, wo bereits eine Menge unterschiedlichster Köstlichkeiten akkurat auf dem Tisch platziert waren. Überrascht stellte ich fest, dass es definitiv zu viel für bloß drei Personen war. Mein Blick fiel auf Mutter. Sie saß bereits an ihrem Platz am Ende des Tisches und sah gedankenverloren auf ihren Teller. Sie wirkte traurig doch fasste sich schnell als Heather bereits ihre Aufmerksamkeit auf sich zog indem sie ein lautes guten morgen in den Raum rief.
Ihr Blick richtete sich ebenfalls auf uns und ein sanftes Lächeln zierte ihre Lippen, als ihre Augen auf mich trafen.

„Setzt euch doch.", gab sie gelassen von sich. „Ich habe Olga gebeten heute etwas mehr aufzutischen, da ich nicht wusste worauf Ihr Lust habt."

Nickend nahmen wir ebenfalls Platz am Tisch und ließen unsere Blicke über die verschiedensten Spezialitäten schweifen. So bund und es sah alles unglaublich köstlich aus.

„Ein Schälchen Cornflakes hätte es auch getan aber ich will mich ungern beschweren. Danke Rose.", sprach Heather neben mir aus und sah weiterhin auf den Tisch. Ihr Blick schweifte hastig hin und her, was mich zum Schmunzeln brachte, da ihr das Essen aus dem Krankenhaus bereits zum Hals hinaus hing, was hauptsächlich aus zwei Scheiben Brot, Butter, einer Scheibe Salami und einer Scheibe Käse bestand. Ich konnte es ihr nicht verübeln und kicherte über ihre Worte, als ich mich daran erinnerte, wie sie sich mit der Schwester angelegt hatte mit den Worten, wie unglaublich nett und abwechslungsreich es von ihr wäre, uns auch mal satt ins Bett schicken könnte. Ihr würde das ständige Knurren ihres Magen nachts Albträume bescheren und andere Patienten in den Nebenzimmern hätten sich bereits über den Lärm beschwert. Die Schwester ignorierte Heathers Gerede gekonnt und verließ jedesmal schulterzuckend unser Zimmer.

„Anna? Hörst du mir überhaupt zu?", unterbrach sie mich auch schon in meinen Gedankengängen.

„Tut mir leid. Ich war in Gedanken."

Schnaubend sah sie von mir weg und murmelte ein beleidigtes, „Ach was! Ist mir gar nicht aufgefallen", vor sich hin, während sie sich bereits, ohne länger zu zögern, an den Gerichten bediente und ihren Teller voll häufte.

Mutter sah ihr stumm dabei zu und wirkte immer überraschter, als Heather gar nicht mehr aufhörte ihren Teller aufzufüllen, als gäbe es kein Morgen.

„Wie wäre es wenn du erst mal aufisst und dann kannst du Nachschlag holen.", flüsterte ich ihr zu, ohne das Vergnügen, über ihr Verhalten, in meinem Gesicht zu verstecken.

„Das nennt man Frust essen. Ich bin gefrustet, weil du mir nicht zuhörst. Ich kann auch gleich mit einer Wand sprechen, die schenkt mir genauso wenig Aufmerksamkeit wie du.", entgegnete sie eingeschnappt und fing tatsächlich an sich über den Haufen auf ihrem Teller her zu machen.

„Na? Gibt es Ärger im Paradies?"

Erstaunt sah ich auf, da ich nicht erwartet hätte, dass Mutter sich belustigt über unsere kleine Auseinandersetzung Witze erlauben würde. Es kam weder gezwungen noch gespielt rüber. Als wäre es das völlig normalste der Welt, dass wir zu dritt an diesem Tisch saßen und frühstückten, obwohl die beiden sich vor kurzem nicht leiden konnten und sich wahrscheinlich gegenseitig an die Gurgel gegangen wären. Als wäre die gesamte Situation zwischen ihr und mir nicht so kompliziert wie es nun mal war. Sie wirkte tiefen entspannt. Doch vor allem wirkte sie glücklich. Auf irgendeine Weise freute ich mich darüber, nicht mehr die strenge und zornige Frau vor mir zu sehen, sondern eine aufgelockerte Atmosphäre uns umgab, in der ich mich wohl zu fühlen schien. Es fühle sich normal an. So natürlich, einfach und richtig.

„Ärger ist kein Ausdruck meine Liebe. Sie hört mir nie zu und ständig muss ich mich wiederholen, weil sie ihre Gedanken, in denen sie ständig zu versinken scheint, interessanter findet als mich.", hörte ich sie in einem gehobenen Ton neben mir sprechen und sah sie verwundert an.

„Jetzt übertreib mal nicht. Es ist zum ersten Mal vorgekommen."
Augenrollend sah ich zu Mutter. Konnte sie denn nicht mal etwas vernünftiges dazu beitragen damit Heather von ihren Trip runter kam?

„Frauen!", murmelte sie eingeschnappt mit vollem Mund und aß hastig ihren Teller leer.

„Wie dem auch sei. Könnt ihr mir noch einmalig schildern, was genau letzte Nacht im Krankenhaus vorgefallen ist?", fragte Mutter, ohne sich ein einziges Mal an Olgas Zubereitungen bedient zu haben.
Augenblicklich konnte ich spüren, wie sich mein Brustkorb zusammenzog und meinem Herz jeglichen Platz nahm.
Ich legte mein Besteck zurück auf den Tisch und ließ die Geschehnisse in meinem Kopf hervorzukramen und mich an Details zu erinnern, die uns helfen konnten, etwas herauszufinden. Irgendetwas, das uns weiterbringen konnte.

„Naja da war halt diese Frau. Sie hat Katie angegriffen und..."
Weiter kam Heather nicht.
„Und sie hat mir erzählt, wie sie Vater folterten. Sie erzählte, wie sie es genoss ihn leiden zu sehen und wie elendig er gestorben ist. Ist das wahr? Wurde er von diesen Menschen gefoltert? Wieso sollten sie so etwas tun? Wer sind diese Leute und was wollen sie von uns? Sie erwähnte einen Stick mit Daten darauf, welches Vater wohl gut versteckt gehalten hat. Wo ist dieser Stick? Und was ist da überhaupt drauf, dass er dafür ermordet wurde? Existiert dieser bescheuerte Stick überhaupt?", fuhr ich für Heather fort.

„Es soll tatsächlich einen Stick geben. Was sich darauf befindet kann ich dir nicht sagen, Schatz. Ich weiß es selber nicht. Dein Vater hat stets darauf geachtet Dinge, die uns in Gefahr bringen könnten, von uns fern zu halten."

„Das scheint ihm nicht besonders gut gelungen zu sein, wenn sie davon ausgehen, dass ich ihn habe. Anscheinend wusste ich vor meinem Unfall mehr über den Inhalt des Sticks als uns lieb ist.", erwiderte ich bedrückt mit aufgebrachter stimme.

Ich war durcheinander. Alles fing an sich im kreis zu sehen, in meinem Kopf. Wir kamen keinen millimeter voran, wenn selbst Mutter uns nichts verraten konnte.
Meine Gedanken schlugen wüst umher und schlugen erbarmungslos um sich. Stechende Kopfschmerzen zogen sich durch Mark und Knochen, was mich dazu veranlasste, meine Hände in meine Haare zu vergraben und leicht an ihnen zu ziehen. Ich ließ mir dennoch nichts anmerken. Ich wusste, wenn mutter davon erfuhr, würde sie komplett dicht machen, um mich vor weiteren Niederschlägen zu bewahren.

„Wir könnten uns im Büro deines Vaters umsehen und schauen, ob wir dort etwas in Erfahrung bringen können, wenn du möchtest. Es steht alles noch genau so wie er es zuletzt verlassen hatte. Hin und wieder schicke ich Olga rein, um dort etwas sauber zu machen. Ich selber habe dort seit seinem Tod keinen Fuß mehr rein gesetzt. Ich weiß, dass mich alleine das Betreten seines Büros enorm aufwühlen würde."

„Das ist zwar eine gute Idee, aber du musst nicht mit rein, wenn du glaubst es nicht zu können." Sie sah nachdenklich in mein Gesicht und nickte abwesend vor sich hin. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass sich winzig kleine Tränen in ihren Augen ansammelten. Das war der Moment, an dem ich zum ersten Mal Mitleid mit ihr empfand. Sie konnte genauso wenig für die Situation, in der wir uns befanden, wie ich oder sonst jemand. Die einzigen, die jegliche Schuld trugen, waren diese abscheulichen Leute, die durch ihre abscheulichen Taten tiefe unheilbare Wunden in den Herzen der Menschen aufklaffen ließen.
Auffordernd sah ich zu Heather, die bereits aufgehört hatte zu essen, da selbst ihre Emotionen überhand genommen hatten und mitleidig in Mutters Richtung sah. „Ich werde dich begleiten, wenn du das möchtest Katie.", sagte Heather nun zu mir und hatte sich halb in meine Richtung gedreht. Ihre Hand platzierte sie auf meine, die meine Gabel fest umklammert hielt. Ich war vollends überfordert mit der Situation. Mein Herz schwoll an und nahm meinen Lungen den nötigen Platz, um vernünftig zu funktionieren und meinen Körper mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Der große Kloß in meinem Hals wuchs immer mehr und mehr, den ich mit aller Kraft herunter zu schlucken bestrebte.
In Tränen auszubrechen, war das letzte das ich wollte. Ich musste stark sein. Für Mutter. Und für mich. Ich musste vernünftig sein und zusehen, dass ich an Informationen gelang ohne meinen Fokus, durch emotionale Gefühlsausbrüche, aus den Augen zu verlieren.
Egal wie sehr mich alles mitnahm, ich sollte stark bleiben und nach vorne schauen.

Nach dem Frühstück hatte ich mich mit Heather in das Büro meines Vaters verzogen. Wir standen ein klein wenig überfordert mitten im Raum und blickten von einem Regal zum nächsten, die alle überfüllt mit Büchern waren. Mehrere gesetztesbücher reihten aneinander. Es war zum verrückt werden. Mein Blick wanderte zu dem Schreibtisch, auf dem mehrere sortierte Akten, lose Zettel und einige Büroartikel lagen. Alles wirkte so normal. Als würde jeden Augenblick jemand hereinstürmen und sich an den Schreibtisch setzten, um daran seine Arbeiten zu verrichten.
Mit langsamen Schritten begab ich mich in die Nähe des Tisches und ließ meine Finger über die Akten gleiten und mein Blick schweifte gleichzeitig über die Zettel, die ich überflog und kein Wort von dem Verstand, das auf ihnen stand. Wie sollte ich jemals an nützliche Informationen gelangen? Es war alles zu viel. Es würde mehrere Tage in Anspruch nehmen und am Ende wären wir wahrscheinlich kein Stück weiter gewesen.

„Wo wollen wir anfangen?", fragte ich also in den Raum und die Überforderung sprach aus meiner Stimme. „Wir haben nicht so viel Zeit! Wer weiß, wann diese Leute vor der Tür stehen und uns alle kalt machen! Verdammt! Ich weiß nicht mal wonach ich suchen soll. Es ist wie die verdammte Suche nach der Nadel im Heuhaufen! Heather ich... ich weiß nicht was ich tun soll..." weiter kam ich nicht, denn Heather zog mich in eine Umarmung und mir liefen bereits die ersten Tränen der Verzweiflung, Angst und Trauer über die Wangen. „In was ist er bloß hinein geraten Heather?", flüsterte ich aufgebracht in ihre Schulter, während immer mehr Tränen ihren Weg über meine Wange fanden und von ihrem Pullover aufgesogen wurden.

Leicht drückte sie mich nach einer Weile von sich und sah mir tief in die verheulten Augen. „Ich bin für dich da. Wir kriegen das schon hin. Alles wird wieder gut, vertrau mir."

Noch immer leicht benommen, von meinen Gefühlen, nickte ich und sah mich noch einmal im Raum um, wobei mein Blick an einem Aktenschrank hängen blieb. Es wäre sinnlos jede dieser Akten durchzuschauen, wenn wir nicht wussten, wonach wir suchen. Wir benötigten wenigstens einen Namen.

„Ich bin sofort wieder zurück. Ich muss Mutter kurz etwas fragen. Fang du schonmal an mit... keine Ahnung... irgendwas!"
Damit war ich auch schon aus dem Zimmer gerannt und lief zu der Tür, hinter dem Mutter verschwunden war, nachdem sie uns zum Büro geführt hatte. Ich klopfte einige Male sachte gegen das dunkle Holz. Nichts. Ich klopfte erneut und griff zur Türklingel, drückte leicht an ihr und schon ging die Tür ein klein wenig auf.

„Hallo? Kann ich kurz rein kommen?" Erneut kam keine Rückmeldung vom inneren des Raumes. Bevor ich die Tür ein weiteres Stück öffnen konnte, kam ein leises flüstern aus dem Raum. Als würde sie mit jemandem sprechen. Noch einmal schluckend, öffnete ich die Tür endgültig, doch es war niemand in dem dunklen Schlafzimmer zu sehen. Lediglich die angrenzende Tür des Badezimmers lag leicht geöffnet und Licht strömte durch die schmale Öffnung.

Ich konnte ihre Stimme hören und ging in die Richtung aus der ihre Stimme kam. Viel konnte ich nicht hören, bis ich mich unmittelbar neben der Tür hinstellte und die Luft anhielt, da ein mulmiges Gefühl sich in mir breit machte.

„... sind im Büro... Ja... Natürlich habe ich das. Sie werden nichts finden.", sprach sie leise. Da keine hörbare Antwort kam, wurde mir klar, dass sie telefonierte. Nur mit wem? Es ging eindeutig um mich. Sie verheimlichte uns irgendetwas. Hatte sie uns die ganze zeit bloß etwas vorgemacht, um uns auf die falsche Fährte zu führen?
Mit zittrigen Beinen eilte ich zurück, da ich mich keine Sekunde länger in diesem Raum aufhalten konnte.

„Anna?"

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