Kapitel 1



Piep... Piep... Piep...

Was war das für ein Geräusch, das sich gefühlte Ewigkeiten in meinem Kopf abspielte? Immer im selben ruhigen Takt. Es war unheimlich leise. Kaum hörbar. Dennoch nahm ich jedes kleinste Geräusch wahr, dass sich durch meine Ohren in die ewige Dunkelheit in mir einen Weg bahnte. Jedesmal wenn ich etwas Neues erlebte, entdeckte, oder auch einfach wahrnahm, sei es der Duft nach Lavendel oder nach Sterilem Umfeld, Stimmen die Freude als auch unwohlsein in mir auslösten oder doch nur ein sanftes Streichen auf meiner Haut. All diese Dinge lösten unbeschreibliche Gefühle aber auch Aufregung in mir aus. Andererseits machte mir die Ungewissheit auf eine gewisse Art und weise Angst. Denn ich befand mich im Schwarzen. Das Schwarze, dass mich immer mehr und mehr verschlang.

Piep... Piep... Piep...

Ich hörte es rund um die Uhr. Ständig. Ununterbrochen. Als wäre dieses zarte und zerbrechliche piepen mein ständiger Begleiter.

Dunkel. Es war stockdunkel. Eine Angst einflößende Schwärze umgab mich schon seit einer Ewigkeit, aus der ich fast genau so lange versuchte zu entkommen.

Ich konnte nichts sehen. Weder wo ich mich befand, noch wer sich bei mir aufhielt. Diese Dunkelheit drang durch meinen ganzen Körper und lähmte es. Jede Faser meines Körpers wurde in dieser Dunkelheit gefangen gehalten. Selbst die kleinste Bewegung war ein Akt der Unmöglichkeit. Nicht einmal zucken wurde mir gewährt als hätte es meinen ganzen Körper gefesselt und mir die Augen verbunden. Ein Gefängnis ohne jegliche Möglichkeit zu entkommen. Sie hielt mich unter Kontrolle.

Aber konnte so etwas überhaupt sein? Das ist doch unmöglich.

Ich versuchte mich zu rühren, jedoch bekam ich es nicht hin. Ich könnte mich keinen Millimeter von der Stelle bewegen, geschweige denn einmal meine Finger heben.

Verzweiflung machte sich in mir breit, weil mich die Erkenntnis, dass ich gefangen war, jedesmal traf wie ein eiserner Faustschlag. Eine Erkenntnis, die meinen Verstand meilenweit in die Irre führte.

'Was ist bloß mit mir passiert? Wieso passieren diese Dinge mit mir? Wer tut mir das an?'

„Wir können nicht genau sagen, wann sie nun ihre Augen wieder öffnen wird und wieder das Bewusstsein zurück erlangt.", hörte ich eine ältere, jedoch warme, männliche Stimmen sich äußern „Es wirkt als würde ihr Geist ihren Körper daran hindern zurück zu kehren, denn es sind keine besonders auffälligen gesundheitlichen Mängel festzustellen, die sie am aufwachen hintern könnten."

Pause.

Er schien zu überlegen.

‚Rede doch alter Mann. Rede weiter und sag mir was hier mit mir passiert'

„Irgendetwas scheint sie gefangen zu halten. Möglicherweise schlechte Erinnerungen, die sie daran hindern könnten aufzuwachen, welche sie unmittelbar vor dem Unfall erlebt haben könnte. Jedoch sind dies nur Theorien und Spekulationen. Wir können ihnen nicht genau sagen, woran es liegt, weshalb sie nicht aufwacht. Wir können vorerst nichts weiter tun als abwarten.", offenbarte er.

'Moment mal. Wovon hat er da geredet?
Unfall? Schlechte Erinnerungen? Was meinte er damit?'

Da war wieder dieser Schmerz, welcher sich in meinem Kopf ausbreitete. Ein stechender Schmerz, der mich daran hinderte auch nur einen weiteren Gedanken an diese Fragen zu verschwenden. Ich konnte die Stimme nur noch gedämpft wahrnehmen. Konnte nicht verstehen, was sie sagte. Ich spürte nichts als Schmerz, der mir den Atem raubte. Instinktiv wollte ich mir an den Kopf fassen, meine Haare zwischen die Finger nehmen, sie fest umklammern und vom Kopf reißen, damit dieser höllische Schmerz, der mich ständig plagte, wenn ich versuchte herauszufinden, was mit mir passiert war, aufhörte.

Ich versuchte es. Immer und immer wieder. Aber ich schaffte es nicht. Wieso konnte ich das nicht? Wieso durfte ich das nicht? Wieso verdammt?

Verdammt!

'Verdammt, jetzt mach schon!'

Ich konzentrierte mich auf meine Hände und versuchte mit aller Kraft den Schmerz auszublenden, was sich als ziemlich schwierig herausstellte. Ich konzentrierte mich auf meine Finger, in der Hoffnung, dass ich sie endlich bewegen konnte. Doch ich schaffte es nicht einmal sie zum zucken zu bringen.

Ich wollte schreien! So laut, damit mich endlich jemand hörte und mich aus dieser Hölle befreite.

In Gedanken ballte ich die Hände fest zu Fäusten, um meiner Wut, meiner Trauer und meiner Verzweiflung freien Lauf zu lassen. Um sie zu lindern.

Im nächsten Augenblick spürte ich etwas.

Was das wohl sein mag?', war der erste Gedanke, den ich fassen konnte.

Eine wohlige Wärme breitete sich auf meiner linken Hand aus. In folge dessen spürte ich einen leichten Druck, welches sie umgab.

‚Mich berührt jemand!'

Hoffnung machte sich in mir breit. Mit zitterndem Herzen dachte ich über alle Gefühle nach, die diese Berührung in mir auslöste. So viel Hoffnung, dass es schon weh tun und mir den Atem rauben könnte. Ich krallte mich fest an diesen Gefühlen um den Schmerzen zu entkommen, die mich um den Verstand brachten.

Ich konnte durch diese Berührung so viel aufnehmen. Die Hoffnung bahnte sich, von meiner Hand, durch meine Adern, durch jede Faser meines Körpers, einen Weg zu meinem Herzen.

Ich konnte förmlich die Emotionen aus dieser Berührung aufsaugen.

Dieses Gefühl, das mich jedes Mal traf, machte mich unfähig auch nur einen klitzekleinen weiteren Gedanken zu fassen. Es raubte mir die, zurzeit nicht vorhandene, Sprache. Die Wörter in meinem Kopf gerieten durcheinander und die Verbindung zwischen Herz und Kopf wurde für einen kurzen Augenblick unterbrochen. Bis ich mich zusammenreißen musste, um keine hilfreiche Information zu verpassen.

Jedes Mal verspürte ich den Drang mich fest an diese Berührung zu klammern und nie wieder loszulassen. Sie sollte mich nicht wieder zurück lassen. Eine Berührung die mir als einziges Gesellschaft, in dieser unheimlichen Dunkelheit, leistete. Die mir ein wenig Licht schenkte, auch wenn es bloß ein Fünkchen war.

„Es tut mir so leid...", hörte ich ein leises flüstern.

Es war so leise, dass man es sich auch hätte einbilden können. So leise, das der kleinste Windhauch sie hätte weg blasen können, damit niemand diese Worte zu hören bekam.

„Es ist meine Schuld... Alles ist meine Schuld... Bitte vergib mir", hörte ich die Stimme sagen und konnte sie definitiv einer jüngeren männlichen Person zuordnen.

Er klang so verzweifelt. Was ihm wohl widerfahren war? Ob er sich wohl auch gefangen fühlte? Woraus bestand die Dunkelheit in der man ihn gefangen hielt? Was hielt ihn zurück nach vorne zu schauen?

Er zitterte. Ich konnte es bis auf die Knochen spüren. Er zitterte so stark, dass es den Eindruck erwecken könnte, dass er zu Tode fror. Auch die Wärme, die seine Berührung in mir ausgelöst hatte, verschwand für einen kurzen Augenblick und ich spürte wie mein Herz anfing zu rasen und spitze Eiszapfen rasten durch meinen Körper. Sie hinterließen tiefe Kratzer und Wunden in meinem inneren und fügten mir fast gleichermaßen viel Schmerz zu, wie er zu fühlen schien.

Mein Herz hämmerte stark in meiner Brust. So stark, dass ich befürchtete, es könnte jeden Moment ein riesengroßes Chaos in meinem Körper anrichten, aus meinem Brustkorb heraus springen und verschwinden. Mich da alleine zurück lassen, wo ich mich gefangen fühlte.

,Was musste er alles erleben, dass er solch eine traurige Aura mit sich trägt und auf mich überträgt?'

Ich hörte, wie sich das sanfte Piepen, mit deutlich kürzeren Abständen, seinen Weg in meine Ohren bahnte. Es irritierte mich, dass es sich dem Rhythmus meines Herzens anpasste.

„Ich werde jeden Tag kommen. Solange bis du deine Augen wieder öffnest. Und wenn dieser Tag gekommen ist, werde ich an deiner Seite sein.", gab er verzweifelt aber dennoch bestimmt von sich.

Ich konnte die Geborgenheit fühlen, die seine Stimme in mir auslöste. Sie kam mir bekannt vor. Sie löste eine Vertrautheit in mir aus. Jedoch wusste ich nicht wem sie gehörte und ob ich mich darüber freuen sollte. Ich konnte sie nicht zuordnen und alleine der Versuch löste einen inneren Kampf in meinem Körper aus.

„Das wirst du mit Sicherheit nicht tun!"  rief eine, mir ebenfalls bekannte, Stimme. Sie klang streng, als sie diese Wörter aussprach.

Die Hand entfernte sich mit einem Ruck von meiner und ich konnte die plötzliche Kälte spüren, die mich mit einem Mal überkam. Eine kältere Kälte als zuvor. Eine schmerzhafte Kälte.

‚Was ist denn jetzt schon wieder hier los?'

„Ich wollte...", begann er sich zu verteidigen, kam jedoch nicht weiter, denn er wurde unterbrochen.

„Du wolltest gar nichts! Verschwinde und sieh zu, dass du dich nie wieder hier blicken lässt du verfluchter... Du verfluchter...!", versuchte sie ihren Satz zu beenden. Ich konnte hören, wie ihre anfänglich starke, von ihrer Wut bepackten Stimme zum Ende hin immer leiser und schwächer klang, gefolgt von einem Schluchzen.

„Bitte ich will doch nur bei ihr sein bis sie ihre Augen wieder öffnet. Mich bei ihr entschuldigen und ihr dabei in die Augen sehen!", flehte er nun hoffnungsvoll.

„Ich sagte verschwinde! Na los! HAU AB!", schrie sie nun so laut, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte.

‚Was ist denn hier los? Wieso sollte er verschwinden? Was hat er ihr denn angetan?'

Ich hörte schleifende Schritte auf dem Boden, die sich immer mehr von mir entfernten, gefolgt von einem leisen quietschen. Eine Tür nahm ich an.

„Es tut mir wirklich so leid", sagte er ein letztes Mal so leise, dass seine Zerbrechlichkeit mir den Verstand raubte. Ich wollte ihn in die Arme schließen. Doch ich konnte bloß hören, wie die Tür ins Schloss fiel.

Es ist plötzlich so ruhig geworden. Ist sie wohl auch gegangen?'

Doch als ich erneut eine Hand an meiner spürte, wurde mir klar, dass sie noch bei mir war. Die Schmerzen die sie, in diesem Augenblick verspürte, ließen mein Herz bluten. Sie trug so viel Schmerz mit sich herum, dass ich mich wunderte, wie sie es nur aushielt nicht zusammen zu brechen.

Trotzdem überkam mich eine heftige Wucht voller Angst, als würde sich jede noch so kleine Pore vor ihr fürchten. Ihre Anwesenheit katapultierte mich in eine viel schwärzere Dimension meiner Dunkelheit. Eine Schwärze, die alles und jeden in unmittelbarer Nähe gnadenlos hätte verschlucken können. Verschlucken können um sie nie wieder frei zu lassen. Sie folterte, quälte und schikanierte. Herzlos und erbarmungslos. Eine Schwärze, die dir das Gefühl gab, dich bis in alle Ewigkeit gefangen zu halten. Eine unheimliche Schwärze, die dich niemals wieder frei geben wollte, bis zu deinem letzten Atemzug. Unglaublich erdrückend.

„Alles wird wieder gut, nur dazu musst du endlich wieder deine Augen öffnen mein Engel... Ich flehe dich an, bitte mach die Augen endlich wieder auf. Wir brauchen dich doch bei uns. Wir vermissen dich mein Schatz.", bettelte sie mich an.

‚Ich bin doch da! Bitte hilf mir hier raus. Bitte hilf mir endlich aus diesem Gefängnis heraus.'

Ich spürte wie etwas warmes meine Wange herunterlief.

Weine ich? Ja! Ich weine!

Hey! Hey, sieh mich an! Na los sieh zu mir!, schrie ich sie in Gedanken an, in der Hoffnung ich könnte damit etwas erreichen. Ich brüllte. Ich kreischte. Immer und immer wieder. Meine Gedanken waren bis zum platzen gefüllt von den Echos meiner Schreie, welche in meinem Kopf hin und her prallten, bis sie komplett durcheinander gerieten. Doch es tat sich nichts. Ich hörte lediglich das leise wimmern der Frau. Ich verlor die Hoffnung und lauschte jedem einzelnen Echo meiner eigenen Gedanken. Bis selbst der letzte abgeklungen war und ich mich erneut alleine mit mir selber in dieser Dunkelheit befand.

„Das wollte ich alles nicht mein Kind", fing sie erneut an zu sprechen und legte eine kurze Pause ein. „Ich wollte niemals, dass dir so etwas widerfährt. Ich wollte dich doch lediglich vor ihm schützen. Vor ihm und seinen Absichten. Er war nicht gut genug für dich. Nicht gut genug für unsere Familie.", fügte sie mit zitternder Stimme hinzu.

Diese Worte... Ich hatte diesen Satz schon einmal in ähnlicher Form gehört. Sie wollten mich von jemandem fern halten. Sie... Sie wollten...

Die plötzlichen Szenen die sich vor meinem inneren Auge abspielten, erschien mir so bekannt, dass sich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper ausbreitete.


„Anna du bleibst hier!", hörte ich sie mir hinterher schreien. So laut das ich sogar ein klein wenig zusammen zuckte, mich jedoch nicht von meinem Vorhaben abbringen ließ.

Tief ein und aus atmend kratzte ich die letzten Fetzen Mut, die sich in den tiefsten Ecken meines Herzens verborgen hielten zusammen, denn ich wusste, dass ich niemals ihren Worten folgen wollte. Wenn ich das täte, wäre alles umsonst gewesen.

Um nicht doch noch meinen Mut zu verlieren drehte ich mich hastig in die Richtung aus der das wütende stampfen kam. Blickte in ihre Auge, um ihr to verdeutlichen, dass sie keinen weiteren Schritt auf mich zu kommen sollte.

Sie blieb stehen und nahm eine strenge Haltung ein. Ihr Blick war erwartungsvoll. Sie wollte mich einschüchtern mit ihrer autoritären Ausstrahlung. Was ihr auch gelang, jedoch ließ ich es mir nicht anmerken.

„V...vergiss es. Niemals werde ich das tun was du von mir verlangst. Du kannst dir dein Geld, deine Freunde, die um ehrlich zu sein schlimmer sind als jeder schlimmste Feind auf Erden, und Oliver sonst wohin stecken. Wenn er SO toll ist und er doch SO wichtig für euch und die Geschäfte ist, dann nimm ihn doch selber. Nimm ihn und werd glücklich, aber halt mich aus deinen Machenschaften raus. Ich will nichts mit dem zu tun haben. Ich brauche weder dich noch irgendetwas, das mit euch zu tun hat!", brüllte ich sie an und war stolz auf mich, dass ich es geschafft hatte, dass ich ihr endlich mein Herz ausgeschüttet hatte. Kurz und knackig. Es bedarf nicht noch mehr Wörtern, denn diese wenigen Worte fassten alles zusammen, das in mir vorging.

Ich warf ihr noch einen letzten Blick zu, um sie wissen zu lassen, dass es nun das Ende war. Mehr musste sie nicht wissen und noch mehr wollte ich einfach nicht mehr sagen, denn ich hatte Angst, dass ich schwach werden könnte, wenn ich noch länger in ihre Augen gucken würde, welche voller Leid in meine blickten. Aber auch gleichzeitig stark, dominant und kalt wirkten. Nichts als Fassade. Sie leidet nicht wegen dem bevorstehenden Verlust ihres eigenes Fleisches und Blutes. Eher weil sie durch mich eine Menge Geld verlieren würde. Sie konnte ihr Reichtum dank meiner Wenigkeit nicht verdoppeln, gar verdreifachen. Verkaufen wollte sie mich. Mich und meine Seele.

Ich machte auf dem Absatz kehrt und hoffte, dass sie nichts mehr sagte, denn es würde mich noch mehr verletzten als es eh schon tat.
Es war nicht einfach für mich, sie zurück zu lassen.
Denn so sehr ich mich auch vor ihr fürchtete, genauso verbunden fühlte ich mich zu ihr.

„Anna!", rief sie mir etwas ruhiger hinterher. Ich blieb augenblicklich stehen, denn es interessierte mich trotz meiner Angst, was sie mir noch zu sagen hatte.

„Du brauchst mich! Mehr als alles andere auf dieser Welt. Und wenn du das begriffen hast, wird es zu spät sein, denn dann werde ich dir den Rücken zu kehren, so wie du es in diesem Augenblick bei mir tust. Dann werde ich dich auch nicht mehr brauchen. Bist du dir sicher, dass du damit umgehen kannst?", führte sie mir ihre eiskalte Sicht vor Augen, während ich ihr still, mit dem Blick auf sie gerichtet, zuhörte.

Das wars. Wir hatten beide einen Schlussstrich gezogen. Sie zumindest schien so, als würde sie schon bald wieder damit klar kommen um mit ihrem Plan B fortzufahren.

Meine Augen fingen an zu brennen. Ich wusste, dass der Zeitpunkt endgültig gekommen war, zu gehen. Ich stellte mich aufrecht hin, denn mir fiel auf, dass ich unbewusst in mich gesackt war bei ihren Worten. Meine Entscheidung war gefallen. Ich wollte nicht nur sondern musste gehen. Hier, in diesem Palast aus gefühlten 100 Zimmern, die nichts als Fassade waren, die den Anschein erwecken sollten, wie erfolgreich sie waren, war kein Platz mehr für mich. Erfolg welches sie sich auf Kosten anderer aufgebaut hatten. Aber damit konnte ich nicht leben. Damit wollte ich nicht leben. Ich konnte diese Schuld, welche sie begangen hatten nicht auch auf meinen Schultern tragen.

Ich setzte einen Fuß vor den anderen, bis ich vor dieser monströsen überdimensional großen Tür stand. ‚Na los, öffne sie endlich', gab mir meine innere Stimme einen Ruck.

Noch ein letztes Mal tief ein- und ausatmend griff meine Hand zu der viel zu großen goldenen Türklinke, dessen eisige Kälte mir einen Schauer über den Rücken jagte. Eisige Kälte, die durch meine Fingerspitzen, durch meinen Körper gejagt wurde.

Ich verdrängte das Verlangen danach mich umzudrehen und sie ein letztes Mal zu umarmen tief in die letzte Ecke meines Herzens. Mein Herz hatte so einiges an Arbeit vor sich, um diese Abteilung zu entleeren, bevor all der Kummer überschwappte wie ein Glas Wasser, das zu klein war, um all das dunkle, kalte Wasser eines Ozeans aufnehmen zu können.


Ich kam nicht dazu mir weiterhin Gedanken darüber zu machen. Ich kam nicht weiter, um mich endlich wieder zu erinnern, um mich aus dieser Situation zu befreien. Es ist als wollte mein Körper mich daran hindern. Als wollte es, das ich meine ganzen Erinnerungen wie Abfall behandelte und komplett aus meinem Gedächtnis löschte.

Ich spürte erneut diese Schmerzen in meinem Kopf. Als würde jemand mit einem Vorschlaghammer auf meinen Schädel einschlagen. Immer und immer und immer wieder, ohne Gnade oder Mitleid. Es quälte mich, dass ich mir wünschte, ich würde einfach sterben. Es brachte mich um den Verstand.
Aber so intensiv hatte ich die Schmerzen noch nie empfunden. Sie waren so stark, dass ich weinen wollte, ich wollte schreien, mir die Welt um die Ohren hauen. Ich war am Ende mit meinen Kräften.

Ich gab auf. Ich war nicht stark genug um dagegen anzukämpfen. Nein, das war ich nicht. Ich wollte bloß, dass diese entsetzlichen Schmerzen aufhörten und mich alles und jeder in Frieden ließ.

‚Ich gebe auf! Hörst du! Ich gebe auf, ich werde mich nicht erinnern! Nein! Ich werde alles vergessen. Alles und jeden aber bitte mach das es auf hört!', schrie ich, in Gedanken, meinen unsichtbaren Peiniger an, um dem Leid ein Ende zu setzen.

Mein Herz fing an zu rasen. Es schlug so schnell und so hart, dass ich die Stöße gegen meine Brust, selbst in den Ohren spüren konnte.

„Anna!? Oh Gott mein Kind! Hilfe! Wir brauchen hier Hilfe!", hörte ich die Frau an meiner Seite entsetzt schreien. Ihre Stimme aber auch das schnell nacheinander auftretende Piepen, waren lediglich gedämpft wahrzunehmen.

Ich merkte nur wie die Dunkelheit, in der ich mich nun seit einer gefühlten Ewigkeit befand, durch bunte kurz aufblitzende Lichter unterbrochen wurde, dass ich noch mehr, als ich es zuvor schon getan hatte, die Orientierung verlor. Mein Körper fühlte sich an, als würde er in eine niemals endende Grube fallen. In eine unergründliche Tiefe. Und je mehr ich fiel, desto mehr ließ ich los. Ich ließ einfach los.

Je mehr ich versuchte, die Bilder zu ignorieren, desto mehr stachen sie mir in die Augen, bis ich begriff, dass es meine Erinnerungen waren. Diese Erlebnisse tauchten überall um mich herum auf und ich wünschte, ich könnte sie ausschalten oder weg sehen. Doch sie umgaben mich und kamen immer näher. Sie flogen mir gnadenlos entgegen und schossen durch meinen Körper.

Ich riss die Augen auf, als ich merke, dass mir das Atmen immer schwerer fiel. Erschöpft versuchte ich nach Luft zu schnappen, doch es fühlte sich nicht so an als würde Sauerstoff durch meine Adern gepumpt werden. Es fühlte sich eher an, wie ein loderndes Feuer, das durch mich gejagt wurde. Wie Metallsplitter, welche versuchten, mich von innen zu zerfetzen und zu zerstören.

Meine Aufmerksamkeit wurde auf ein Bild gelenkt. Ich achtete auf die vier Personen, die sich auf diesem Bild befanden. Sie bewegten sich schleichend langsam, in Zeitlupe. Die Schritte stets rückwärts tätigend. Doch sobald ich versuchte meinen Blick auch nur annähernd auf ihre Gesichter zu lenken, wurde ich von einem eigenartig grellen Blitz attackiert, es zog erneut in meinem ganzen Körper und ich spannte mich automatisch an, um dieser Qual entgegenzuwirken. Um sie nicht mehr so gewaltig wahrzunehmen. Ich versuchte mit aller Kraft alle Attacken auf meinen Körper zu ignorieren und wagte einen letzten Blick auf die Gesichter auf dem Bild. Doch der folgende Anblick erschreckte mich so sehr, dass ich die Augen erneut ruckartig fest zukniff. Als ich einen erneuten Versuch unternahm, war das Bild bereits verschwunden. Es waren tausende Bilder. Nein, Millionen anderer Bilder die sich von allen Seiten, hastig auf mich stürzten.

Ich erkannte die Gesichter nicht. Gesichtlose Gestalten jagten mir Angst ein. Sie waren verschwommen und wurden mit jeder Sekunde, die verging, immer unschärfer, bis sie endgültig in Flammen aufgingen.

Die auflodernden Lichter, raubten mir ausnahmslos meine letzte Kraft.

Ich wusste nicht, ob es etwas gutes war, was in dem Moment passierte. Aber wie konnte es etwas gutes sein, wenn es mich doch so sehr quälte.

‚Werde ich sterben oder leben?'

Bildete ich mir das alles nur ein? Träumte ich? Aber wieso fühlte sich das alles so real an?

Doch es war egal was mit mir passierte. Ich wollte nur das es aufhörte. All das, was hier gerade abging, machte mir Angst. Ich wünschte mir nur, dass es endlich aufhörte.

‚Ich gebe auf! Ich werde aufgeben... Ich tue alles was nötig ist, damit mich diese ganze Angst, all diese Schmerzen und all diese Erinnerungen nicht mehr angreifen können.

Ich gebe auf! Ich werde vergessen! Ich werde alles löschen aus meinem Gedächtnis. Alles! Ich werde nichts und niemanden jemals wieder an mich ran lassen.'

‚Ich werde vergessen! Ich werde alles löschen! Mach endlich das es aufhört! BITTE!'

Ein lauter Knall ertönte in meinen Ohren gefolgt von einem endlos langen piepen, welches nicht mehr gleichmäßig von einem anderen gefolgt wurde und blitzartige Stromschläge jagten durch meinen Körper.

Es wurde alles viel leichter. Ich ließ einfach alles auf mich zukommen. Wehrte mich nicht mehr. Nahm es an.

Ein gefühlt als würde man Leib und Seele voneinander reißen.
Bis ich alles bloß noch gedämpft wahrnahm. Ob das wohl das Ende war? Sollte es so enden?

Die Schmerzen schwellten ab, oder ich nahm sie nicht mehr so intensiv wahr, weil es endlich zu Ende ging. Ich konnte endlich los lassen.
Langsam wurde meine Wahrnehmung immer schwächer. Selbst die Dunkelheit nahm ab. Sie verschwamm um mich herum. Ich entriss mich meinem Körper und ließ los.

Ein weiterer Stromschlag jagte durch meinen Körper. Nicht mehr so stark wie zuvor. Aber er hinderte mich, mich weiter zu entreißen. Hielt mich fest und drängte mich zurück.

Mit einem letzten Stromschlag hörte ich es wieder.

Piep... Piep... Piep...

Da war es wieder. Es fing alles wieder von vorne an.

„Wir haben es geschafft!", hörte ich die alte männliche Stimme erneut und er erntete einige erleichterte antworten doch ich nahm sie nicht wirklich wahr.

Ein helles Licht blendete meine Augen, sodass ich sie leicht zusammenkniff und immer wieder daran scheiterte sie zu öffnen.

,Habe ich es doch geschafft? Fühlt es sich so an, wenn man gestorben ist? Bin ich jetzt im Himmel?'

‚Wieso ist es nicht dunkel?'

„Sie wacht auf!", rief jemand.

Langsam fing ich an mich an das grelle Licht zu gewöhnen und öffnete meine Augen leicht, so dass ich versuchen konnte meine Umgebung wahrzunehmen, doch ich fühlte mich erschlagen von all den hellen gestalten, die meine Augen eher attackierten, welche sich eine Ewigkeit in Dunkelheit aufgehalten hatten.

„Anna mein Kind! Endlich! Oh Gott ich danke dir!"

‚Anna? Wer war Anna? Werde ich hier so genannt? Andererseits, wusste ich nicht einmal wie ich wirklich heiße. Sie haben mir einen neuen Namen gegeben. Vielleicht ist das üblich im Himmel.'

Langsam aber sicher nahmen die Gestalten mehr Form an und ich sah einen älteren Herren in einem weißen Kittel. Sein Gesicht war übersaht von tiefen Falten und geziert von einem warmen Lächeln. Er wirkte erleichtert und mehrere Schweißtropfen liefen seine Stirn runter.

Auf meiner linken Seite stand eine junge Frau mit dunkel blonden Haaren und sehr heller Haut. Sie war sehr hübsch. Doch auch sie wirkte ziemlich mitgenommen.

„Anna! Hörst du mich? Wie geht's es dir?"

Ich blickte in die Richtung, aus der ich ein flüstern wahrgenommen hatte.

‚Wer ist das? Wieso nennt sie mich ständig Anna?'

Ich wand langsam den Blick verwirrt von ihr und schaute erneut zu dem älteren Herren in dem weißen Kittel und das warme Lächeln in seinem Gesicht ließ mich ein wenig entspannen.

„Wo...", keuchte ich mit krächzender Stimme, kam jedoch nicht weiter, da mein Hals so trocken war, dass ich Staub hätte ausspucken können.

„Es ist okay. Ruhen Sie sich aus und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist und sie bereit sind, werden wir reden. Keine Sorge alles ist in Ordnung.", versicherte er mir mit sanfter Stimme. Ich nicke schwach und er wand sich der jungen Frau zu. „Bringen sie dem Fräulein bitte etwas zu trinken und verabreichen sie ihr vorerst ihre üblichen Medikamente.", sagte er nun in einem etwas ernsteren Tonfall, bevor er sich noch einmal auf mich konzentrierte. „Wenn sie ausgeschlafen haben, werde ich wieder nach ihnen schauen und sie untersuchen.", gab er sachlich von sich und kam auf mich zu. Seine große Hand umschloss meine, welche im Gegensatz zu seiner mickrig wirkte. „Ich bin froh, dass sie wieder bei uns sich.", gab er sanft von sich mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen. Erneut nickte ich woraufhin er mir zuzwinkerte.

Nachdem mir die junge Frau, wie ihr befohlen, etwas zu trinken angereicht hatte, gefolgt von Handgriffen an den Ständern mit einigen Beuteln, die mit Flüssigkeiten gefüllt waren, verfiel ich erschöpft in einen tiefen Schlaf, als hätte ich seit Jahren kein Auge zubekommen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top