Kapitel 5 : *03.11.3510*
Ich dämmerte in einem Wach-Schlafzustand hin und her, als das laute Organ der Köchin mich aufweckte: "Abendessen!"
Es fühlte sich fast so an, als würde sie genau neben mir stehen und in mein Ohr reinschreien. Sofort waren die Kopfschmerzen zurück, zum Glück aber erträglicher, als noch heute Mittag. Wie viel Uhr war es eigentlich mittlerweile?
Punkt 18:00 Uhr!
Fassungslos setzte ich mich auf. Es kann doch unmöglich schon so spät sein? Ich hatte einfach den kompletten Tag verschlafen! Mein Körper hatte wohl dringend Schlaf gebraucht.
Ich stand auf und sofort ertönte das laute Knurren meines Magens. Mann, hatte ich Hunger. Ich hatte über 24 Stunden nichts mehr gegessen..
Schnell zog ich meinen Schlafanzug aus blauer Seide aus und schlüpfte in ein Art graues T-Shirt Kleid, peppte es mit einem schwarzen Gürtel auf und zog meine Lieblingsjacke darüber. Dann machte ich noch einen kurzen Stopp im Badezimmer, blickte nur ganz kurz in den Spiegel und nahm mir meine getönte Sonnenbrille vom Schrank.
Ich wollte mir jetzt gerade keine Gedanken über meine neuen, lila farbigen Punkte machen.
Ich hatte Hunger. Jetzt war erstmal alles andere unwichtig.
Mit diesem neuen Phänomen beschäftigte ich mich später. Ich konnte nur hoffen, dass keiner im Speisesaal war und wenn doch, nicht befahl, dass ich meine Brille abziehen musste.
Rasch rannte ich die vielen Treppen herunter und bog zum Esszimmer ab. Was ich da sah, hätte ich niemals erwartet
Lucian.
Zwar hatte er sich schon ab und zu, zu einem Essen mit uns herabgelassen, aber diese Familienzusammenkünfte endeteten immer in einem Streit. Darauf hatte ich jetzt keinen Nerv.
Aber das eigentliche Irritierende war, dass er mich anlachte. Okay, jetzt kein strahlendes Lachen, das die Augen erreichte, eher ein leichtes Zucken seiner Mundwinkel, aber selbst das war außergewöhnlich.
Lucian lachte nicht. Zumindest seit Mums Selbstmord nicht.
Das war aber nicht immer so gewesen. Laut den Geschichten von Magda war er früher ein lustiger Kauz gewesen, der zu allem einen lustigen Spruch hatte und ganze Menschenmenge mit spannenden Geschichten vereinnahmen konnte. Mit Mamas Tod war diese Seite dann gestorben.
Leider konnte ich mich an vieles von früher nicht mehr errinern, als wir noch eine glückliche fast schon bilderhafte Familie waren.
Aber unsere Familientage hatte ich nie vergessen. Diese fanden jedes Jahr am 18. Mai statt und die verrücktesten Sachen wurden von uns unternommen. Abwechselnd durfte sich jeder von uns vier etwas auswählen. Es gab keine Grenzen. Geld hatten wir genügend und die Erlaubnis auch. Wir waren die Königsfamilie.
Der schönste Familientag war wohl, als sich meine Schwester wünschte, dass neben unserem Schloss, ein großer Freizeitpark erbaut werden soll. Und schwupp die Wupp ihr Wunsch war Befehl. Innerhalb von 2 Tagen war unser persönlicher Park erbaut worden.
Fast wie aus Zauberhand.
Es gab zahlreiche Achterbahnen, eine Wildwasserbahn, Kettenkarusell, verschiedene Buden und mein persönliches Highlight ein Free Fall Tower. Alles was in der Luft stattfand, liebte ich. Man fühlte sich dort so königlich und frei. Auch Dad war da komplett in seinem Element und nahm mich öfters in die Arme und warf mich so hoch wie möglich in den Himmel. Ich verschloss dabei immer meine Augen, um den Moment der Schwerelosigkeit zu fühlen.
Diesen Dad hatte ich geliebt.
Am Abend war mir so schlecht wie nie zuvor. Mein Bauch war durcheinander durch das Achterbahnfahren und den Leckerrein. Aber dies war egal. Wir hatten so viel Spaß zusammen gehabt. Diese Familie wollte ich so gerne wieder zurück haben.
______
Langsam schlich in das Zimmer, ohne Lucian groß zu beachten, und setzte mich soweit wie möglich von ihm weg. Neben mir war nur noch ein Teller mit Krümeln. Caroline hatte wohl schon gegessen.
Vor mir war schön hergerichtet ein Schnitzel mit Pommes und Feldsalat. Lecker. Ich stürzte mich sofort darauf. Dieser Duft und Geschmack. Mhm. Falls ich jemals richtig sauer war, musste man mir nur was zu Essen geben und alles war wieder gut. Schnappte sich aber jemand etwas von meinem Teller, konnte ich nicht für dessen weiteres Leben garantieren. Bei Essen war ich erbarmungslos.
Ich schaufelte schnell das Schnitzel - natürlich in feinster Prinzessin Manier - in meinen Mund, in der Hoffnung gleich wieder in mein Zimmer zurück zu gehen, ohne ein Gespräch führen zu müssen. Aber leider wie immer wurden meine stummen Gebete nicht erhöht. Da wollte man doch nur einmal in Ruhe sein Essen genießen..
"Alexandra, es tut mir leid, aber ich muss nochmal auf das Thema zurückkommen. Ich weis die Frage wird dich nerven, aber ich muss mit dir darübe nochmal reden. Möchtest du morgen wirklich das Schloss verlassen?"
Genervt wollte ich ihm schon antworten, als mich Lucian schon unterbrach.
"Sag erstmal bitte nichts und hör mich an!"
Ich nickte gelangweilt und machte eine Handbewegung, dass er fortfahren sollte.
"Ich glaube, dir sind die Konsequenzen deines Handelns nicht komplett bewusst. Wo willst du draußen leben bzw. überleben? Willst du in die Hauptstadt Tagpuan? Ihr wart schon so lange nicht mehr außerhalb dieser Mauern, ihr wisst gar nicht wie gefährlich es draußen ist. Gerade in Tagpuan, eine 10 Millionen Menschen Stadt, passieren täglich grausame Verbrechen. Personen verschwinden, werden überfallen oder sogar kaltblütig ermordet.
Das Leben, außerhalb diesem Palast ist nicht so schön wie hier. Die Menschen sind arm und schuften sich zu Tode, und selbst dann haben sie nicht so ein angenehmes Leben wie wir.
Ihr habt keinerlei Erfahrung wie man sich selbst ernährt, wie man Geld verdient. Denn das müsst ihr. Ich werde euch einen kleinen Vorschuss mitgeben, aber der wird auch nicht unbedingt lange halten.
Auch darf euch keiner erkennen. Wir gelten als tot und das soll bitte auch so bleiben. Mein Cousin ist jetzt König. Kommt auf keinen Fall in die Nähe der Adelsfamilie! Also wie ist euer Plan?"
Aha, jetzt versuchte er eine andere Schiene und nicht mehr das unendliche Gelaber von Oh ihr müsst bleiben, nur hier kann ich euch schützen. Jetzt probierte er es mit dem Geld.
"Denkst du, ich wäre so dumm, ohne jegliche Vorbereitung rauszugehen?", erwiderte ich empört.
"Ich habe schon lange mit Roswitha, unserer Köchin geübt, einfache Köstlichkeiten her zu zaubern. In Büchern habe ich mich informiert, wo es günstige Unterkünfte in Tagpuan gibt, welche Arbeiten immer gesucht werden und wo man frisches Essen erhalten kann.
Und Lucian, ich werde gehen. Egal, wie gefährlich es auch sein mag. Daran kannst du nichts ändern. Ich muss mal etwas anderes sehen, als dieses verdammte Gefängnis. Ich werde hier noch langsam verrückt.
Versteh doch, ich brauche meine Freiheit. Wir durften ja nicht mal nach Tagnadu.
Die letzten Jahre habe ich versucht für dich mich so gut wie möglich zu benehmen, doch in meinen Inneren herrschte das reinste Chaos. Das einzige, was mich davon abgehalten hatte von hier zu fliehen, war meine Schwester und deine Trauer um Mum. Du kommst nicht über sie hinweg, sperrst dich stattdessen in dein Büro ein und hast deine eigenen Kinder komplett vernachlässigt.
Mittlerweile sind wir erwachsen und selbstständig. Wir wir werden schon in der Welt klar kommen. Erkennen wird uns auch keiner, wer kennt uns schon noch. Wir sehen schon lange nicht mehr wie die kleinem, glücklichen 10-jährigen Kinder aus, die immer im Dorf gespielt haben.
Und von den Königsfamilien, der anderen Reiche werden wir uns hüten. Keiner wird uns erkennen.
Aber Lucian erfüll mir bitte einen Gefallen. Verstehe endlich dass Mama tot ist. Sie hat sich umgebracht! Leb dein Leben bitte wieder."
"Lass Ella aus dem Spiel", schrie er mich an.
"Kann ich nicht", erwiderte ich gefrustet und schüttelte traurig den Kopf. "Ohne ihren Selbstmord wäre all dies doch nicht zustande gekommem. Hätte sie sich doch nicht umgebracht.."
Im gleichen Moment bemerkte ich das ich zu weit gegangen war. Lucian schaute mich zornentbrannt an und so schnell, dass es unmöglich war zu reagieren, hatte er mich mit seiner bloßen Hand ins Gesicht geschlagen. Gleichzeitig flog meine Brille von meiner Nase und zerbrach auf dem Boden.
Entsetzt starrte ich Lucian an, den Vater, den ich früher so vergöttert hatte. Was ist nur aus dir geworden, Daddy? Ich wollte nicht weinen, nicht schon wieder, aber da bahnten sich schon einzelne Tropfen über meine Wangen.
"Es..es tut mir leid", stotterte Lucian. "Das wollte ich nicht!"
Mit diesen Worten kam er auf mich zu. Ich sah nur noch wie seine Hände sich wieder erhoben, als ich verängstigt meine Augenlider schloss und abwehrend meine Arme vor mein Gesicht hob. Ich wartete auf den kommenden Schlag, doch nichts passierte. Es war mucksmäuschenstill um mich herum. Zögerlich öffnete ich meine Augen. Gerade sah ich noch wie Lucian seine Hände wieder runter tat und sie hastig hinter seinen Rücken verschloss. Scheiße, er wollte mich nur in den Arm nehmen.
"Papa", nannte ich ihn das erste Mal seit langen wieder. "Papa, ich..sorry..ich..", mit diesen Worten bewegte ich mich zu ihm und schloss ihn in eine kräftige Umarmung. Sofort nahm auch er mich in den Arm.
"Ich komme zurück, versprochen", flüsterte ich ihm in sein Ohr. "Ich werde dich ganz oft besuchen, okay? Mir wird nichts passieren."
Wir lösten uns. Traurig schaute er mir in die Augen. "Ich hoffe es."
Von einem zum nächsten Augenblick erweiterten sich schlagartig seine Pupillen. "Alexandra, deine.. Augen! Oh Gott, nein! Das darf nicht wahr sein! Sie hat es doch versprochen!"
Verdammter Mist, das war nicht so geplant gewesen.
Aber Moment Mal, wer hatte ihm was versprochen? Warum machte ihn das so fertig, dass meine Augen jetzt noch hässlicher waren?
Schnell ging ich ein paar Schritte zurück, doch das Unheil war schon geschehen. So aufgebracht, hatte ich Lucian schon lange nicht mehr gesehen. Der sonst so gefühlskalte, ehemalige König von Finja, schaute panisch nach oben, so als würde er von dort Hilfe erwarten.
"Was ist daran so schlimm, Papa? Also ja, ich finde es auch schrecklich, aber naja ich trage doch sowieso schon immer meine Sonnenbrille. Keinem wird es auffallen. Und wer hat versprochen, dass sowas nicht passiert? Wusstest du, dass ich möglicherweise solche Flecken bekommen kann?! ", sagte ich vorwurfsvoll.
"Heilige Gali, oh erhöre bitte meine Gebete", murmelte er in seinen schwarzen Bart, nahm mit seinen Händen eine betende Haltung an und kniete sich auf den Boden.
Verwundert schaute ich dem Geschehen zu.
Früher in Tagpuan und im Dorf hatte ich sowas öfters gesehen. Die Bürgerlichen unseres Volkes waren streng gläubig, dankten der Göttin Gali, immer vor den täglichen Abendessen oder sprachen zu ihr, wenn sie gewisse Wünsche und Ängste hatten und hofften von ihr erhört zu werden. Doch in unserem Haus war dies nie ein Thema gewesen. Wir waren nicht so erzogen worden. Umso komischerweise war es, dass Lucian jetzt betete.
Auf einmal stand er wieder auf und blickte entschlossen mit seinen eisblauen Augen auf mich herunter. Er sah aus, als hätte er gerade eine folgenschwere Entscheidung hinter sich gebracht.
"Alexandra, es tut mir leid. Aber es ist nur zu deinem Besten.
Wachen! Bringt sie auf ihr Zimmer und sperrt sie dort ein!"
Was? Wie? Komplett durcheinander blieb ich auf Platz und Stelle. Das Gesagte war noch nicht richtig in meinem Kopf angekommem, als schon zwei Muskelberge an Männern von hinten auf mich zukamen und mir unter die Armen griffen. Ohne mich groß zu wehren, wurde ich in die Luft gehoben. Ich war zu entsetzt. Wollte mich mein Vater jetzt einsperren?! Warum?!
Lucian bewegte sich mittlerweile schon wieder zu seinem Stuhl am Tisch. Reuevoll blickte er nach unten. Aber von ihm war nur noch ein kurzes "Ihr könnt gehen" zu hören.
Sofort auf Kommando machten sie sich auf den Weg. Wie konnte mein Vater so herzlos handeln.
Als ich gerade aus dem Esszimmer gezogen wurde, legte sich meine Starre und fing an zu schreien, zappeln und beißen. Ich werde ganz sicherlich nicht zulassen, dass ich eingesperrt werde.
"Caro! Caroline!", schrie ich.
Währenddessen versuchte ich meinen rechten Arm aus dem Griff des Mannes zu entfernen. Ich zerrte und windete mich hin und her. Doch der c.a. 1,90 m große Wächter reagierte nicht mal mit irgendeiner Handlung. So als hätte ihn nur ein kleines Eichhörnchen angestupst.
Mit bloßer Kraft hatte ich keine Chance. Ich änderte meine Strategie und biss kräftig in die Finger des kleineren, etwas schwächerwirkenden Mann zu meiner rechten Seite. Er zuckte zusammen und lockerte für eine Sekunde den Griff.
Perfekt.
Schnell zog ich meine rechte Hand zu mir und zielte mit derselben in die Seite des anderen. Mein Angriff war aber schon von Anfang an zum Scheitern zu verurteilen. Wie hatte ich denken können, ein Schlag von mir, könnte irgendwas bei solch ausgeprägten Bauchmuskeln ausrichten. Der Wächter mit blonden, langen Haaren hielt mich weiterhin fest und schaute nur böse in meine Richtung.
Na super, jetzt tat mir auch noch meine Hand weh.
Momentan hing ich auch wie ein nasser Waschlappen herum. Mit meiner linken Seite noch halb in der Luft, mit der anderen konnte ich den Boden geradeso mit meinen Füßen berühren. Es sah wahrscheinlich zum Lachen aus.
Mittlerweile hatte sich der andere wieder gefasst und wollte schon meinen Arm packen, als ich kurzerhand eher aus einer inneren Intuition, mich am Langhaarigen mit meinem Gewicht abstützte und mit einem etwas schlecht ausgeführten Sprungtritt in den Solarplexus des anderen Wächters trat.
Hah, ich fühlte mich gerade wie eine Hauptfigur in meinen Büchern. Meisterin des Kampfes. Juhu.
Aber natürlich war ich nicht so gut. Ich hatte zwar viel über Kampfszenen gelesen, doch zur Ausführung war ich nie gekommen. Und so war mir ein Fehler unterlaufen.
Ich hatte den Blonden vergessen.
Dieser verenkte meinen Arm soweit hinter den Rücken, dass mir ein Schmerzenschrei entfuhr. Der Mann grunzte nur und lachte seinen Partner aus: "Valentin, lass dich doch nicht so von einem kleinen Mädchen fertig machen, haha. Die schaff ich sogar allein."
Der Angesprochene hielt sich wütend seinen Bauch und schnappte nach Luft.
Ein Grinsen zog sich über meine Lippen. Von wegen, kleines Mädchen. Mit neuem Selbstbewusstsein zielte ich mit meinen Schlappen auf seine Zehen und schlug mit der freien Hand fest gegen seine Kronjuwelen. Diesmal zeigte auch er eine Reaktion und fluchte laut los.
"Du verdammte Missgeburt!" und lockerte den Griff.
Tja, unterschätze mich niemals. Schnell entfernte ich mich mit ein paar Schritten aus der Gefahrenzone.
Kurz schaute ich mir das Bild der beiden gekrümmten Gestalten an. Das müsste man auf Papier festhalten. Ich kicherte leise.
Schmunzelt drehte ich mich um und wollte nur weg, als ich mal wieder in jemand reinrannte.
______________
Uund was denkt ihr?
In wen rennt sie rein?
Und schafft sie es dem allem zu entkommem?
All dies und mehr, erfährt ihr dann in den nächsten Kapiteln.
Würd mich über Feedback sehr freuen.
LG Susan
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