Kapitel 2 : *02.11.3510*
Traurig entfernte ich mich von dem Fenster und legte mich müde neben meine Schwester. Immer wenn sich unser Geburtstag näherte, schliefen Caro und ich zusammen in einem Bett.
Zu groß war der Schmerz, um mit ihm alleine klar zu kommen.
In 2 Tagen jährte sich der Todestag meiner Mutter zum 10. Mal. Antworten weshalb sie sich umgebracht hatte, haben wir nie erhalten.
Auch hatte ich nie klären können, ob ich wirklich die Treppen heruntergefallen bin. Jeder den ich fragte hielt sich an diese Geschichte.
Selbst Caro.
Tief in meinem Inneren fühlte sich dies falsch an und das Gespräch zwischen meinen Eltern, was angeblich nur ein Hirngespinnst von mir war, hatte sich in mein Gedächtnis verankert.
Ich war und bin Schuld an diesem ganzen Schlamassel. Davon bin ich überzeugt. Da konnte mir noch wer einreden, dass ich gestolpert wäre und dass die Aktion nichts mit dem Tod und der Abschottung zur Außenwelt zusammen zu tun hatte.
Natürlich hatten Caroline und ich versucht mit unserem Dad zu reden. Doch dieser wollte sich nicht dazu äußern.
Anfangs lenkte er uns meistens mit irgendwelchen Scherzen ab, aber mit den Jahren funktionierte diese Masche nicht mehr. So kam es, dass er meistens diese Fragen ignorierte und sich in seinem Büro abschottete. Wenn man ihn mal antraf, starrte er nur in die Ferne mit traurigen, glasigen Augen.
Mein lieber, humorvoller Dad war zusammen mit Mum gestorben.
Einerseits tat er mir leid, aber ich war auch stinksauer auf ihn. Warum hatte er Caroline und mich so im Stich gelassen? Warum hatte er Mums Tod nicht verhindert? Aber am meisten schmerzte es, dass er sich nicht mehr so verhielt wie früher. Wir hatten alle den gleichen Verlust erleiden müssen, doch irgendwann muss man wieder zur Normalität kommen. Er hatte diesen Sprung niemals geschafft. Er wurde nie wieder jemand, der sich um uns kümmerte. Der ein Vater war. So kam es auch, dass ich nicht mehr Dad oder Vater nannte.
Er wurde zum Fremden, zu irgendjemanden der Lucian heißt.
Ich drehte mich noch oft im Bett hin und her bis ich endlich zusammen mit dem vertrauten Schnarchen meiner Schwester einschlafen konnte.
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02.11.3150
Am nächsten Morgen weckten mich die warmen Sonnenstrahlen auf meinen Körper. Verschlafen drehte ich mich um und blickte in das schlafende Gesicht meiner Schwester.
Wir beide besaßen hüftlanges rabenschwarzes, langes Haar. Dazu Schneewittchen mäßige weiße Haut, eine kantige Nase und volle etwas zu groß geratene Lippen. Momentan versteckt von unseren Seidennachthemd war das Muttermal, ein kleiner sternförmiger Fleck, an der rechten Schulter. Das Erkennungszeichen unserer Adelsfamilie. Jeder geborene von Estrela konnte das Muttermal vorweisen. Es gab es in den verschiedenen Größen und Stellen, aber es war immer vorhanden.
Auch wenn Caroline und ich charakterlich nicht unterschiedlich sein konnten, ähnelten wir uns optisch sehr.
Zwar war ich etwas sportlicher gebaut, Caro dafür etwas kurviger, aber ansonsten glichen wir uns bis aufs Haar.
Jedoch gab es zumindest für mich einen gravierenden großen Unterschied. Meine Schwester hatte wunderschöne himmelblaue Augen, die wie Diamanten funkelten. Ich beneidete sie deswegen so sehr. Wer hatte denn bitteschön schwarze Haare und hellblaue Augen?
Ich dagegen war eine Missgeburt.
Früher traute sich kaum jemand mir in die Augen zu schauen. Eigentlich nur meine eigene Familie. Selbst mein "bester Freund" Adi hatte Schwierigkeiten dabei. Wobei er eigentlich der beste Freund von Caroline war und nicht meiner. Meine Schwester hatte mich nur immer überall mitgenommen und so wurde Adi, der einzige den ich auch nur ansatzweise Freund nennen konnte. Freundschaft war es aber trotzdem nicht. Ich war des öfteren bei Ausflügen nur das fünfte Rad am Wagen gewesen. Zwar bei allem dabei, aber eben nicht wirklich.
Egal wo ich war und was ich machte, ich hatte die komischen Blicke immer mitbekommen, mit denen mich die Dorfbewohner angeschaut hatten und wie sie mit vorgehaltener Hand über mich gelästert hatten.
Wobei ich diese Lästereien besser fand, als die bloße Angst gegenüber mir.
Direkt etwas zu mir gesagt, hatte sich nie jemand getraut. Es war allgemein bekannt, dass ich die Königstochter war und somit einen gewissen Schutz innehatte. Wahrscheinlich dachten die Leute, sie würden leise tuscheln, doch ich verstand alles. Meist waren es Beleidigungen wie: "Missgeburt, Opfer oder auch Freakshow" dabei.
Mittlerweile hatte ich es akzeptiert, dass ein Auge wunderschön blau war und das andere weiß.
Ja ihr habt richtig gehört. Weiß. Mit einer schwarzen Pupille in der Mitte.
Das war wohl am Festtag des Teufels, der größte Schrei, aber an jedem anderen Tag im Jahr war es schrecklich.
Ich hatte versucht es mit farbigen Kontaktlinsen blau zu bekommen. Mal veränderte sich die Iris überhaupt nicht oder sie verfärbt sich höchstens für ein paar Minuten blau. Dann kämpfte sich das nervige Weiß immer wieder zurück.
Meine Schwester sagte sogar immer, sie würde auch gerne so was Außergewöhnliches haben, doch bestimmt log sie.
Wer will schon jeden Menschen damit verängstigen oder von ihnen beleidigt werden?
Und dadurch große Probleme hatte Personen näher kennen zu lernen beziehungsweise Freundschaften zu knüpfen.
Darauf neidisch konnte man echt nicht sein.
Genau aus diesem Grund wurde auch die Sonnenbrille zu meinem stetigen Begleiter. Es war ein angenehmer Schutz. So bekam ich von Unbekannten zwar irritierende Blicke, wenn ich selbst im tiefsten Winter eine anhatte, aber immer noch besser zu behaupten man hätte einen schlimme Augenerkrankung, als dass die Menschen die Wahrheit herausfanden.
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Ich setzte mich im Bett auf und streckte erstmal meinen Rücken, bis das angenehme Knacken erklang und alles wieder an seinem Platz saß.
Ich wusste nicht, warum ich das immer machte, aber ich hatte oft das Bedürfnis meinen Rücken oder auch vor allem meine Finger zum Knacken zu bringen. Danach ging es mir besser. Eine lästige Angewohnheit, die ich von Caroline übernommen hatte.
Sie machte dies aber nur wenn sie nervös war oder gerade jemanden anlog. Zum Glück wusste das kaum einer, ansonsten hätte unser Vater sie schon öfters beim Lügen erwischt.
Verschlafen lief ich schlürfend mit meinen übergroßen pinken Hausschlappen zum Wandkalender neben meinen Schrank und riss das Blatt für den heutigen Tag ab.
In zwei Tagen war es soweit.
Unser 21. Geburtstag und gleichzeitig Mums 10. Todestag.
Dennoch freute ich mich ausnahmsweise auf meinen Geburtstag, da dies die lang ersehnte Befreiung bedeutete. Zumindest hoffte ich das. Unser Vater hatte nun endlich nicht mehr die Verantwortung. Wir galten ab diesem Tag in Finja offiziell als erwachsen.
Immerhin etwas Gutes. Und die erste Tat, die Caro und ich durchführen wollten, war uns endlich den bescheuerten Schlüssel zu holen, das Tor aufzuschließen und, ohne aufgehalten zu werden, durch diese zu schreiten. Ob wir zurückkommen würden, wussten wir noch nicht.
Caroline wahrscheinlich schon, sie liebte unseren nach meiner Meinung nicht wirklich fürsorglichen Dad.
Ich wollte einfach weg. Endlich wieder die Natur richtig sehen und sie mir nicht nur durch meine geliebtem Bücher vorstellen zu müssen. Zu fühlen wie der salzige Wind am Meer durch meine Haare weht oder auch andere Menschen, abgesehen von meiner Familie und den Bediensteten zu sehen. Einfach wieder ein richtiges Leben führen und nicht eines das auf ein Schloss und einen Garten begrenzt war.
Dies alles war mein größter Wunsch. Am liebsten mit meinem Zwilling. Ohne sie fühlte ich mich nicht wohl, als würde etwas fehlen. Mit ihr bin ich einfach Ganz. Für sie würde ich alles tun.
Leider erfuhr Lucian von unseren Plan vor gut einem Monat und hieß ihn natürlich nicht gut. Doch einen Grund, warum wir nicht raus sollten, konnte er typischerweise wieder nicht nennen. So dampfte er nach dem Gespräch wütend ab und erwähnte die Tatsache, dass wir ihn verlassen würden, nicht mehr.
Deswegen verspürte ich seitdem, jedes Mal, wenn ich auf ihn traf, ein beklemmendes Gefühl in der Brust.
Lucian war zu ruhig.
Ich hatte ständige Wutausbrüche und Argumentationen erwartet, in denen er uns überzeugen wollte, hier im Haus zu bleiben. Doch nichts davon fand statt. Irgendwas war da hinterm Busch, irgendeinen Plan hatte er bestimmt.
Caro dachte allen Ernstes, dass er aufgegeben hätte. Manchmal war sie zu gutläubig. Da ähnelte sie so Mum. Beide Frohnaturen, herzensgut zu ihren Mitmenschen und am liebsten in Gruppen unterwegs.
Mein Vater und ich dagegen waren etwas ernster, zeigten nicht so offen unsere Gefühle, hatten einen richtigen Sturkopf und waren Einzelkämpfer. Selten nahmen wir Hilfe an, sondern machten lieber alles mit uns selbst aus.
Darum glaubte ich auch niemals, dass er uns einfach ziehen ließ. Auch wenn er eigentlich kein Recht hatte uns hier zu behalten.
Er war dann nicht mehr unser Erziehungsberechtigter.
Diese Aufgabe hatter er in den letzten Jahren sowieso nicht innegehabt. Wie auch, wenn man sich die meiste Zeit in sein Büro einsperrte, dort arbeitete oder stundenlang das Portrait von Mama anstarrten. Wir sahen ihn, wenn dann nur noch beim Abendessen.
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Leise zog ich ein schlichtes, blaues Kleid an, das meine schmale Taille mit einer kleinen Schleife betonte. Dann steckte ich meine Haare noch locker in einen Dutt hoch und blickte noch einmal beim Herausgehen in mein Zimmer zurück.
Dafür, dass wir alle Möglichkeiten der Welt hatten meinen Raum zu gestalten, war er recht unspektakulär. Nur das Nötigste stand drinnen. Das breite Bett ganz hinten an der Wand, genau unter einem Fenster, neben dran ein Nachtschränkchen mit einer Lampe, einem Wecker und Büchern darauf.
Des Weiteren war an der Wand eine Uhr mit blauen Rahmen befestigt und ein paar Familienbilder von früheren Zeiten. Eine weitere Türe führte in mein Ankleidezimmer. Das aber eigentlich komplett unnötig war. Ich machte mir nicht viel aus Mode, trug oft bequeme sportliche Klamotten und ab und zu feine, schlichte Kleider. Auch hatte ich im Gegensatz zu Caroline gerade 2 Schuhpaare. Einmal flache zum Sport und eins mit einem kleinen Absatz. Mehr brauchte ich auch nicht. Schmuck besaß ich überhaupt keinen.
Mein Lieblingsstück im meinem Zimmer war aber wohl das Regal, das nur von Büchern überquoll. All meine Lieblinge über weibliche/ männliche Helden und romantische Liebespaare. Wie gerne hätte ich auch manchmal so ein Leben.
Ich drehte mich zu Türe und ging die Treppe zum Speisesaal herunter.
Dort angekommen setzte ich mich an den 4 Meter langen, rechteckigen Tisch und drückte auf den pinken Knopf, der an der Unterfläche befestigt war.
Sofort öffnete sich rechts neben mir ein Loch im Boden und heraus kam ein kleiner Tisch mit dem Frühstück oben drauf. Heute war es mal wieder leckeres Schoko Müsli mit Milch.
Caroline und ich wussten nicht genau wie immer genügend Lebensmittel vorhanden waren, da eigentlich niemand aus dem Palast gehen durfte und ja auch keiner uns beliefern konnte. Wie auch, wir waren ja angeblich alle tot und das hier alles nur eine Gruft.
Doch es wurde gemunkelt, dass ein treuer junger Diener sich immer im Dunkeln aus dem Tore schlich, um uns mit Essen, Kleidung und anderen benötigten Sachen zu versorgen.
Deswegen nannte ich ihn auch liebevoll den Schatten. Wer auch immer er war, ich hatte größten Respekt vor ihm und war ihm sehr dankbar.
Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie sich meine Schwester gegenüber von mir, am anderen Ende hingesetzt hatte. Ich richtete ein kurzes "Morgen" zu ihr und erhielt nur ein Heben ihres Kopfes und ein undefiniertes Brummen.
Das war ich aber schon gewöhnt. Mit Caro konnte man nicht rechnen eine Konservation zu führen, wenn sie gerade erst aufgewacht war und vor allem, wenn sie sie noch nichts gegessen hatte.
Doch trotz ihrer Müdigkeit war sie schon top gestylt. Im Gegensatz zu mir zog sie auffallende, pompöse Kleidung an und schminke sich täglich mit farbigen Lidschatten, Eyeliner und Wimperntusche. Heute hatte sie ein pink-lila farbiges Kleid an, dass ihre Kurven umschmeichelte und bis knapp über ihre Oberschenkel ging. Tiefe Einblicke in ihr Dekolleté waren Standard. Abgerundet wurde das Outfit von einen funkelnden Diamant um ihren Hals und baby rosa farbigen Lidschatten. Die Haare ließ sie offen.
Gespannt schaute ich zu ihr, als sie auf ihren gelben Knopf drückte. Und natürlich bekam Caroline wieder das Bessere Frühstück.
Zwei Brötchen mit Nutella und Orangensaft.
Ich fand es ziemlich fies von der Küche, dass sie immer ein abwechslungsreiches Essen erhielt und ich nur eine Auswahl von Müsli mit Milch, Joghurt mit Früchten oder Brot mit Käse.
Leider war ich zu schüchtern, um zu den Angestellten zu gehen und mich zu beschweren. So nahm ich stillschweigend meine Nahrung ein, die natürlich auch fantastisch schmeckte.
Aber was hätte ich gegeben für Nutella.
Gerade als ich aufstehen wollte, fiel mein Blick auf einen schwarzen Raben, der vor dem Fenster saß und gegen die Scheibe klopfte. Verdutzt schaute ich ihn an, er war seit 10 Jahren, das erste Tier, dass ich so von der Nähe sah. Denn eigentlich konnte sich kein Lebewesen vor unserem Fenster verirren, da dies die ganzen Stacheldrahtzäune verhinderten.
Neugierig schaute ich ihn an. Ein wunderschönes Federkleid mit klugen Augen. Aber irgendetwas an seinem Anglitz verstörte mich. Ich konnte nur nicht genau benennen was.
"Schwesterherz schau doch mal. Ein Rabe", rief ich zu ihr und zeigte auf den Vogel.
Genervt legte sie ihr Brötchen weg und schaute in die Richtung, auf die mein Finger gerichtet war. Kurz sah ich einen überraschenden Funken in ihren Augen aufblitzen. Doch dieser verschwand so schnell wieder, dass es gut sein konnte, dass ich es mir nur eingebildet hatte.
Mit gerunzelter Stirn sagte sie: "Da ist doch nichts."
Verwirt schaute ich wieder zu dem Raben und dann wieder zu Caro zurück. Kein Knacken der Finger ihrerseits. Also hatte sie die Wahrheit gesagt.
Aber.. Er ist doch da...
Ich blickte wieder zum Fenster.
Der Rabe war verschwunden.
War alles nur eine Einbildung gewesen? Ich sah nochmal in die Richtung, aber kein Hinweis war zu finden, der bewies das dort bis eben noch ein Vogel gesessen war.
Mit tausend verschieden Gedanken steuerte ich mein Zimmer an.
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Hii
Das nächste Kapitel für euch.
Viel Spaß damit.
Würd mich über Feedback freuen. Schreibt doch gerne einfach mal eure Meinung in die Kommentare.
LG Susan
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