Kapitel 10
Ihr eigener Atem hallte gegen ihre Ohren. Unangenehme Wärme und das raue Kratzen alten Metalls schabte über ihre Haut. Sauber sollte sie bleiben, hatte er verlangt. Dass sie sich verletzen und die so aufopfernd beschützten Kleidungsstücke einfach vollbluten könnte, hatte er dabei wohl nicht bedacht. Sie genauso wenig, aber ihm würde sie die Schuld geben, wenn es geschah. Ganz zu schweigen von der Blutvergiftung und was sonst noch.
Außerdem glaubte sie ihm nicht vollkommen, wenn es darum ging, dass sich auf der anderen Seite wirklich kein Monster verbarg. Bisher hatte sie selbst in den fliegenden Städten zwar noch keine gesehen, aber es gab Geschichten! Erzählungen von Tunnelschleichern, die sich in den Aufzügen versteckten oder an die Ketten klammerten, mit denen Erz hinauf in die Stadtrümpfe transportiert wurden. Und dann trieben sie dort ihr Unwesen, wo sie es sonst nur tief unten am Boden und unter der Erde taten. Ivory City war trotz all seines teuren Häubchens, eine Mienenstadt. Möglich wäre es also schon.
Blinzelnd sah Nonie einem flimmernden roten Licht entgegen. Ihr Herz raste in ihren Adern und hallte im Takt gemeinsam mit ihrem gehetzten Atem. Von überall her meinte sie dumpfes Pochen und scharrendes Knarzen zu hören. Bildete sie sich das nur ein oder waren da Krallen, die langsam genüsslich über Metall kratzten. Wahrscheinlich saß die Kreatur am anderen Ende, leckte sich über die Lippen, die Schnauze oder was auch immer es war, aus dem hungriger Sabber tropfte. Aufjedenfall befand sich der Leckerbissen auf direktem Weg.
Keuchend blieb sie auf dem Bauch liegen. Die Luft war warm und stickig. Mit der Enge hatte sie kein Problem, aber die Dunkelheit machte ihr zu schaffen. Und das fehlende Vertrauen in den, der sie hineingeschickt hatte. Dennoch arbeitete sie sich weiter. Stück für Stück. Sie musste nicht direkt gerade aus, sondern ein Stück zur Seite, um dann irgendwann auf den versprochenen Durchgang zu treffen. Wie hatte er sie überhaupt dazu bringen können, zu tun was er wollte? Ihr war ja selbst bewusst, dass sie die Dinge selten durchdachte. Aber das hier war doch eine Nummer mehr als sonst.
Dann war es da. Ein weiteres Gitter, direkt vor ihrer Nase. Dahinter leuchtete schwach das rote Licht, dass ihr mit seinem unheilvollen Schimmer in dem engen Schacht bereits die ganze Zeit einen Schauer über den Rücken jagte. Sie drückte sich so weit vor wie es ging und lauschte.
Konnte sie ein Knurren hören? Ein Fauchen oder Tatzen die sich über den Boden bewegten? Es war schwer zu sagen, denn irgendwie schienen sich die Geräusche der gesamten Stadt hier zu versammeln. Wie in einem Trichter.
Sollte sie umkehren?
Nonie kannte Lorin seit höchstens zwei Stunden. Weniger womöglich. Doch sie wusste bereits ganz genau, wie er sie ansehen würde, wenn sie rückwärts wieder zurück rutschte und vor seinen Füßen landete.
Schnaubend schüttelte sie den Kopf.
„Verdammter Mistkerl!", zischte sie leise, ehe sie sich an dem Gitter zu schaffen machte und es nach Außen aufstieß. Scheppernd fiel es zu Boden. Nonie schob sich hinterher. Langsam, behutsam.
Sie gewöhnte sich schnell an das wenige Licht. Und erkannte einen verlassenen Maschinenschacht. Früher hatten hier die Geräte schnaubend gearbeitet, die dabei halfen, dass die gewaltige Masse der Stadt weiter in der Luft blieb. Nun war alles still, verlassen und wenn Metall sterben konnte, dann an diesem Ort.
Vorsichtig glitt sie über den Rand und ließ sich auf den Boden fallen. Unter ihr schepperte und wimmerte ein Gang, der seit Jahren nicht mehr gewartet worden war. So wie er aussah, hatte man schon vor dem Umbau damit aufgehört sich um irgendeine Art von Schutzvorschrift zu kümmern. Nur ein paar Schritte vor ihr, klaffte ein gähnendes, tief finsteres Loch in der Mitte. Nach Unten und nach Oben. An den Wänden hingen die Lampen, die Mienenarbeiter zum Notfall benutzten, da die eigenartige Substanz in ihrem Inneren nie aufhörte zu leuchten. Nicht unbedingt hell, aber genug, dass Nonie sehen konnte, wohin sie sich bewegte.
Es müsste gleich in ihrer Nähe sein. Prüfend sah sie sich um, während sie noch immer angespannt voran schlich. Dann bemerkte sie etwas, das tatsächlich aussah wie eine Tür. Dafür war sie durch das Loch geschlichen, aber irgendwie überraschte es sie dennoch, dass er wirklich nicht gelogen hatte.
Ein Hebel blockierte den angerosteten Eingang. Nonie stemmte sich dagegen mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte. Wenig war das nicht, denn das Adrenalin in ihren Adern flüsterte in ihr Ohr, dass diese Schatten auf der gegenüberliegenden Wand, verdächtig stark nach hungrigen Kreaturen aussahen. Dann knackte es und schließlich schwang die alte Tür mit ohrenbetäubend grausigem Quitschen auf.
„Himmel verdammt!", keuchte Nonie und schüttelte den Kopf, als das Geräusch sich in ihren Schädel zu bohren schien. Blinzelnd sah sie auf um in den zuvor nur dimm beleuchtenden, nun nach der Dunkelheit gefühlt strahlenden, Raum zu blicken. Vor ihr erhob sich der Dieb wie ein Schatten. Er trug noch immer die Uniform und hielt ihr ein tropfendes Tuch entgegen. Woher hatte er das Wasser? Dann stieg ihr der Geruch in die Nase und trieb ihr Tränen in die Augen. Das war kein Wasser, das war hochprozentiger, ungenießbarer, zur Reinigung verwendeter Alkohol.
„Das war doch halb so schlimm", meinte Lorin, während sie ihm den durchnässten Lappen mit suspektem Blick abnahm.
„Das Warten neben Waschmittel? Ja, das war sicher nicht mal halb so schlimm."
Sie trat nicht in den Raum zurück. Zu groß war die Sorge, dass er die Tür dann einfach hinter ihr schließen und munter alleine weiter marschieren könnte. Moment! Hatte er darauf bestanden, dass sie sich auszog, damit sie nicht ohne ihn gehen würde, solange er die Klamotten hatte? Zutrauen würde sie es ihm. Grob und grimmig rieb sie sich mit dem stinkenden Tuch über die Haut, um den dunklen Schmutz aus Jahrzehnte altem Ruß von sich zu rubbeln.
Lorin verschränkte die Arme und sah ihr mit demonstrativer Ungeduld entgegen.
„Ich hatte einen besseren Plan. Bis jemand kommen musste, um ihn mir aus dem Kopf zu schlagen."
Schnaubend verzog Nonie das Gesicht und trat auf ihn zu.
„Vielleicht war dein Plan einfach zu einschläfernd."
„Zumindest hatte ich einen, wie war deiner?"
„Für meinen musste ich keine fremde Dame bezirzen und in einen abgelegenen Raum locken."
Sie reckte ihm das Kinn entgegen. Über ihnen knisterte die Luft und in dem hereinscheinenden Licht der Abstellkammer, tänzelten Flocken aus Asche, Staub und Rostpartikeln wie verdreckte, wirbelnde Sterne. Er spannte den Kiefer an, so dass die Muskulatur unter seinem scharf geschnittenen Gesicht deutlich wurde und sie das Knirschen seiner Zähne hören konnte.
„Nein, du warst geschickter und hast darauf gewartet dich bezirzen zu lassen. So viel Geduld würde ich dir inzwischen gar nicht mehr zutrauen."
„Pah! Du bist mir aus dem Vorgarten nachgelaufen und wahrscheinlich selbst erst kurz vorher angekommen."
„Und doch warst du so leicht zu haben"
Wieder kam er näher und zog ihr wie schon zuvor das Tuch aus der Hand. Die beißende Flüssigkeit rann über seine langen Finger und sickerte in den ordentlich zurück gefalteten Ärmel seines Hemdes.
„Du kamst mir gelegen. Fast hatte ich Mitleid, weil du dich so putzig bemüht hast."
„Putzig?" Er schnaubte und fuhr mit dem Tuch über ihre Stirn, so dass der Geruch ihr Tränen in die Augen trieb.
„Wie ein aufgeregter Hund!", zischte sie. Dann griff sie nach seinem Arm und zog seine Hand wieder fort von ihrem Gesicht. „Ein um Aufmerksamkeit winselnder Hund."
„Bist du deshalb rot geworden?" Er lehnte seine hohe Gestalt weiter über sie und ganz plötzlich verfiel er wieder in diesen melodisch tragenden Dialekt, den er verloren hatte, seit er aufgeflogen war. „Weil du dir vorgestellt hast, wie ich dir die Hand lecke?"
Dumme, herausfordernde Worte schwappten aus seinem Mund. Allein deshalb starrte sie auf seine Lippen. Und weil er derselben Überzeugung war, starrte er auf ihre.
„Meine Hand? Du bist verwöhnt. Ich dachte eher an meine Füße."
Sie verengte die Augen und legte ihren Kopf in den Nacken, um ihm weiter stur entgegen zu blicken. Das rote Licht der zurückgelassenen Notfalllampen, warf roten Schein wie tänzelnde Flammen über seine und ihre Haut. Ein kribbelndes Flackern in der aufgeladenen Luft und der abgestandenen Hitze.
„Hm", brummte er. „Einigen wir uns auf etwas in der Mitte."
Er lehnte sich tiefer, sie lehnte sich höher.
Dann öffnete sich wieder eine Tür und jede Bewegung erstarrte. Es war die, die von dem Äußeren, dem normalen Gang, ins Innere der erweiterten Abstellkammer führte. Verwirrt starrte ihnen ein Mann in elfenbeinfarbener Uniform entgegen. Sein Blick glitt über das finstere Loch in der Wand genauso wie über die beiden Gestalten, die noch immer darin standen. In der Bewegung ertappt.
„W...Was...", stotterte der Wachmann. Dann wurde er unpassend laut und schrie: „Sie sind hier! Hier! Ich habe sie gefunden!"
„Scheiße!", keuchte Lorin. Oder war es Nonie die fluchend zur Seite sprang und eilig die eben erst geöffnete, nun nicht mehr ganz so geheime Tür zuschob. Sie schien neben sich zu stehen, wie aus ihrem Körper gerissen. Dumpf schloss sich der Durchgang und knirschend legte sich der Hebel wieder um.
„Immerhin können sie uns hierhin nicht so schnell folgen", stellte sie fest, aber Lorin eilte bereits an ihr vorbei und bewegte sich auf die tiefer führenden, wackligen Treppen zu.
„Beeil dich!", fauchte er.
„Die Klamotten!", fauchte sie zurück und hetzte seinen langen Beinen hinterher.
„Zieh dich im Laufen um, wir müssen auf die fünfte Ebene und jetzt wissen sie, dass wir das auch können, ohne an ihnen vorbei zu müssen." Kurz blieb er stehen, drehte sich und drückte ihr das helle Bündel entgegen.
Nonie runzelte die Stirn etwas bohrte in ihrem Kopf.
„Die fünfte Ebene? Warum gerade die?"
Diesmal blieb er nicht stehen, doch immerhin antwortete er ihr tatsächlich und knurrte: „Da wir jetzt zusammen hängen ob wir wollen oder nicht... Ich habe einen Insider. Mein Auftraggeber wartet da."
„Ha!", machte Nonie und schlüpfte zurück in das Hemd, ohne ihn auf sich warten zu lassen. „Mir ist gerade etwas aufgefallen!"
„Das wir verfolgt werden?", fauchte Lorin.
„Das wir den gleichen Auftraggeber haben. Meiner will mich auch auf der fünften Ebene treffen."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top