Kapitel 33
Die Brosche in meiner Hand fühlte sich warm an und ich atmete tief ein und aus, während ich die Traumfängerbrosche zwischen meinen Fingern hin und her drehte. Gleich war es soweit.
Eigentlich musste ich nurnoch von Yianschu Abschied nehmen, doch afür brauchte ich Kraft, die ich nicht hatte.
Also konzentrierte ich mich auf die große Machtquelle, die die goldene Traumfängerbrosche ausstrahlte und versuchte die kraftvolle, stärkende Macht in mir aufzusaugen.
Sie schien durch mich zu hindruch zu strömen wie Elektrizität durch eine Stromleitung, denn mein ganzer Körper vibrierte unter der Kraft.
Und ich brauchte mehr davon, noch mehr.
'Nia?', fragte Hamnet hinter mir und stoppte somit aprupt den Energiezufluss, riss mich aus meiner falschen Realität.
Blinzelnd drehte ich mich zu ihm um und tat möglichst gelassen.
'Wollen wir mit der Nachtwache beginnen?', fragte er bestimmt und schien meine Verwirrung über sein Auftreten und meine komische Haltung auf die bevorstehende Aufgabe und den vergangenen Kampf zu schieben.
Ich nickte, weil ich zu mehr nicht imstande war, und folgte ihm.
Es war schon sehr dunkel und langsam erschienen die ersten Sterne am Himmel.
Die einsamen Lichter glitzerten wie goldene Laternen und stimmten mich traurig. Ob Yianschu und Olli jetzt auch dort oben waren?
Ich wusste es nicht, denn die Zukunft war ungewiss.
Meine Zukunft war ungewiss und das Einziege was ich tun konnte, war nach vorne zu sehen und auf ein gutes Ende zu hoffen.
Die Traumfängerbrosche schnitt unangenehm in meine Hand, die ich ohne es zu wissen, zu einer Faust geballt hatte, was mich unsanft aus meinen Gedanken rief.
Unauffällig schob ich sie in meine Hosentasche und blickte mich um. Weit und breit Stille.
Der Gedanke, dass sie mich beobachteten und irgendwo im Gebüsch auf mich warteten, jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken.
Ich streckte meine Sinne aus und merkte mit einem Mal, dass ich viel weiter kam als sonst.
Die weiten des Waldes konnte ich hinter mir lassen und dann sogar noch zum Anfangspunkt unserer Reise zurückblicken.
Ich konnte überall hin, die Welt stand mir offen, doch bevor ich mich ganz in der weiten Welt verlieren konnte, konzentrierte ich mich auf das nahe Umfeld.
Die Macht um mich herum schien zu sirren, während ich alles nach den dunklen Gestalten abcheckte.
Dann konnte ich sie spüren. Es waren lediglich drei Ausgeschlossene, die auf dem Weg zum hinteren Teil der Höhle waren, um dort auf mich zu warten.
Ich biss die Zähne aufeinander und kam zurück ins hier und jetzt, weil Hamnet mich mistrauisch von der Seite her musterte.
'Ich weiß wirklich nicht, was du machst und ehrlich gesagt, will ich auch nicht nachfragen.'
Er ging ein Stück mit wachen Augen voran und merkte noch nicht mal, das sie ganz in der Nähe waren.
Langsam folgte ich Hamnet erstmal zu Ollis Leiche.
Diese war glücklicherweise am linken Ende des Platzes, während Yianschus toter Körper ganz in der Nähe der Höhle an ihrem Todesplatz lag, denn so konnte ich unauffällig abhauen, wenn die Sonne vollends unterging. Auf meinem Weg zu Ollis Leiche kam ich an Luis vorbei und gab ihm rasch einen Kuss.
'Schlaf gut!'
Er fuhr sanft über mein Haar und lehnte sich dann in eine bequemere Position an die Eiche.
Er grinste zufrieden, doch ich konnte nur ein zaghaftes Lächeln erwiedern.
Für mich war das hier ein Abschied zu einer Reise mit ungewissen Ende und ich hasste Abschiede schon immer.
***
'Glaubst du, dass es geschehen musste? ...dass es so etwas wie das Schicksal gibt, welches einen klaren Weg vorschreibt, den man nicht mehr ändern kann?', fragte Hamnet leise und folgte nachdenklich seinen tiefgründigen Gedanken, die zwischen uns in den Himmel aufstiegen wie die Funken eines Lagerfeuers.
Wir saßen gemeinsam neben Ollis totem Körper, der mir eigentlich hätte Angst machen müssen, was merkwürdigerweise nicht der Fall war. Zu lange konnte ich ihn mir trotzdem nicht ansehen, dafür waren sein Tod zu greifbar und die Erinnerungen an unseren letzten Kampf zu schmerzvoll.
Ich ließ meinen Blick über die Lichtung schweifen und dachte nach, denn schon oft hatte ich mich gefragt, ob es wirklich ein Schicksal, eine höhere, unbezwingbare Macht, gab.
Konnte man wirklich aktiv über die Geschehnisse in seinem Leben bestimmen oder war alles nur eine Illusion, in der wir uns fälschlicherweise als Anführer fühlten?
Fast musste ich lächeln.
Eine Illusion war mehr als passend für mich, doch ich war mir sicher, dass ich ein Schicksal nicht annehmen würde, egal wie hoffnungslos ein Kampf schien und egal wie viele Menschen noch in meinem Leben ungerechterweise sterben würden.
Denn wenn sowieso schon alles über unser Leben in ein Buch niedergeschrieben war, was hatte dieses Leben dann noch für einen Sinn?
Dass das Leben keinen Sinn hatt, wollte ich nicht akzeptieren und deswegen suchte ich mir selbst Einen.
'Vielleicht ja, vielleicht nein.
Im Endeffekt ist das auch egal.
Was macht das für einen Unterschied? Ändert das etwas an deinem Leben?', ich machte eine vielsagende Pause und sah Hamnet durchdringend an, 'Wenn du dein deinen eigenen Weg gehst und deine eigenen Entscheidungen triffst, kannst du sicher sein, dass du dein Leben gelebt hast, mit oder ohne Schicksal. Das glaube ich.'
Fest entschlossen sah ich in die Sterne und konnte den Gedanken an meine Mutter wie so oft nicht vertreiben, die hoffentlich gerade stolz auf mich war.
'Egal was mit dir passiert oder welche Steine dir in den Weg gelegt werden, du kannst deine eigenen Entscheidungen treffen, immer.'
Ein kurzer Moment der atemlosen Stille entstand, während Hamnet emsig das Gras zwischen seinen langen, ausgestreckten Beinen ausrupften, um es hinter sich zu schmeißen.
Ich dachte gerade er würde nichts mehr sagen und meine Worte einfach so stehen lassen, als seine dunkle Stimme leise erklang.
'Ich bin sicher, du hast Recht
Dennoch helfen mir weder ein Schicksal noch ich selbst, weiß wie es weiter geht. Ich weiß nicht, wie mein Leben ohne Olli sein soll.
Er war immer an meiner Seite.'
Bei seiner brüchigen Stimme erinnerte ich mich an die einsamen Tage nach dem Tod meiner Mutter. 'Du wirst es nie ganz können, denn er ist ein Teil von deinem Herzen und egal, was du machst, der Schmerz ist immer da, wird langsam schwächer, aber wird nie ganz verschwunden sein. Das einziege was du kannst', meinte ich möglichst ruhig, 'Ist, dir eine Motivation zu suchen, um weiterzumachen. Wenn du etwas hast, dass dich antreibt, dann kannst du dich voll und ganz auf dieses Ziel konzentrieren.
Er wird immernoch in deinen Gedanken sein, aber er ist kein direktes Hindernis mehr, meistens nicht.'
Hamnet drehte sich stillschweigend um, hatte dem Anschein nach genug von meinen gutgemeinten Ratschlägen.
Wahrscheinlich war ich die Schlechteste Person, um ihn zu trösten, denn um alles was ich sagte, musste ich selbst noch kämpfen.
Damit er alleine sein konnte, weil das wohl das Einzige war, das jetzt wirklich half, stand ich auf und entfernte mich von ihm.
Die Sonne versank bereits fast ganz hinter den Bäumen und nun war der Zeitpunkt gekommen, meinen Weg zu gehen. Ich war bereit alles zu tun, was nötig war.
Bei Yianschus totem Körper blieb ich stehen, riss vorsichtig ich eine hübsche, violette Blume, die neben ihr wuchs, aus und legte sie auf ihre Leiche.
Es würdigte keinesfalls ihren unbändigen Eifer, ihre mutige Einstellung und die Lebensfreude, die sie immer versprüht hatte, aber ich wollte ihr irgendwie zeigen, dass ich an sie dachte, falls sie mich von irgendwo dort oben beobachtete.
'Pass auf dich auf, wo immer du wandelst.' , murmelte ich traurig, konnte mich noch gut daran erinnern, wie der Pfarrer so zu meiner Mutter gesprochen hatte, als ihr Sarg in der Erde versenkt wurde.
***
Es war so dunkel, dass ich noch nicht einmal meine eigene Hand vor Augen sah, doch das war gut, denn so konnten sie mich auch nur schlecht sehen.
Das mir das keinesfalls helfen würde, weil ich gerade auf dem Weg war, mich Ihnen auszuliefern, wusste ich auch, aber umgab mich trotzdem irgendwie mit einem trügerischen Gefühl der Sicherheit.
Ein dunkler Nebel umgab mich, der magisch durch den ganzen Wald wabberte, als ich nit zitternden Händen die Traumfängerbrosche an meinem Oberteil befestigte.
Sie strahlte sofort diese beruhigende Kraft aus und umhüllte mich mit ihrer anziehenden Kraft.
Ein kleiner Rest meiner Angst umfing mich dennoch mit kalter Hand.
Während ich mich näherte, hörte ich leise Stimmen.
Für meine Orientierung wäre das zwar nicht nötig gewesen, weil ich die Feinde schon die ganze Zeit spüren konnte, aber das mussten sie ja nicht wissen.
Einen kurzen Moment spielte ich noch mit dem Gedanken daran, mich in einer Illusion zu verstecken, aber meine Freunde waren zu wichtig, um sie aufs Spiel zu setzten.
Also gab ich mich mit ruhiger Stimme zu erkennen.
'Ich bin da.', etwas besseres fiel mir in diesem Moment wirklich nicht ein und mein Hals war zu trocken um eine lange Rede vorzutragen.
Die 3 Ausgeschlossenen schauten auf, wobei ihre Augen gefährlich durch die Dunkelheit blitzten.
'Ich sagte ja, das sie im Anmarsch ist. Läuft wie ein Trampel.', sagte ein muskulöser Mann mit einer rauen Stimme direkt neben mir und hielt mit einer ruckartigen Bewegung meine Schultern fest.
Alles in mir wehrte sich, aber ich machte keine einzige Begegnung und versuchte nur still meine Gegner einzuschätzen, indem ich ihn feindselig musterte.
'Wage nur keinen Kampf, Süße. Wir sind in der Überzahl.', sagte der Kleinste der drei selbstbewusst und das er dabei Jens Kosennamen für mich benutzte, ließ mir Säure im Hals aufkommen.
Ich musste sie immernoch schweigend hinunterschlucken, konnte nichts gegen ihn sagen.
Ich war schließlich aus eigenem Willen hier her gekommen, war zwar einer Drohung gefolgt, hatte aber eine Wahl gehabt.
Der Letzte der Truppe schaltete sich ebenfalls ein.
'Wofür der Boss bloß so eine junge Gegnerin braucht?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns in irgendeiner Weise nutzt.
Vielleicht ist sie auch nur ein Mittel zum Zweck, dann haben wir ja freie Bahn.'
Er kam näher, bewegte sich schleichend wie ein Panter auf der Jagd, und im Mondlicht blitzte ein von Narben gezeichnetes Gesicht auf. In diesem instinktiven Moment des Schrecks huschte meine Hand zum Schwert an meiner Hüfte, ich zog es heraus und hielt es schützend vor mich.
Der Kleinste lachte ein verrücktes Lachen, während der muskelbepackte Mann seinen von Narben gezeichneten Freund wütend zurückschubste.
'Unser Auftrag ist sie unbeschadet rüber zu bringen. Halt dich dran, Klerk.'
Anschließend wandte er sich mir zu. 'Ich werd' aufpassen, dass keiner dieser Stinkfinger dir was tut, aber der Boss sagt, du darfst keine Waffen haben.', meinte er mit kratziger Stimme und hielt eine ausgestreckte Hand für mein Schwert hin.
Ich blieb noch einen kurzen Moment in innerer Unruhe stehen und versuchte die Situation einzuschätzen.
Ohne Waffen würde ich mich nicht wehren können, aner wenn ich ihm die Waffe nicht gab, würde er sie mir wahrscheinlich gewaltätig aus der Hand reißen.
Seufzend gab ich nach und reichte ihm das Schwert. Eigentlich hätte ich das erwarten müssen.
'Massimo spielt schon wieder Held.', gluckste der Kleinste der Ausgeschlossenen spöttisch, doch der große Ausgeschlossene, dessen äußerst passender Name anscheinend Massimo war, beachtete ihn nicht.
Er steckte mein Schwert in einen Baum hinter ihm und kam dann wieder zu mir zurück.
Seine große Hand näherte sich meinen Oberschenkeln, sodass ich entsetzt zurückschritt.
Er sah mich mit kaltem Blick an, der kein bisschen Mitleid spiegelte.
'Willst du lieber, dass einer von ihnen dich abtastet?'
Klerk leckte sich auf eine tierische Art die Lippen und der andere Ausgeschlossenene kam schon ein Stück naher.
Massimo war sicher das kleinste Übel. 'Ja, dann mach schon.', sagte ich laut, um mir mein unangenehmes Gefühl in der Magengegend nicht einzugestehen.
Ich hatte keinen Plan und das hier war ein Selbstmordkommando.
Bei jeder Berührung zuckte ich ängstlich zusammen, mochte dieses kalte, unangenehme Gefühl nicht und sehnte mich nach Luis warmen Berührungen.
Trotz allem tastete Massimo mich viel sanfter ab, als ich ihm zugetraut hätte.
Er fand einen Dolch in meinem Stiefel, mein Taschenmesser, das ich noch schnell in meine Hosentasche gestopft hatte und eine spitze Nadel, die in meinem Haar befestigt war. Alles warf er weg, wobei er sich nach der Prozedur ein herzloses Grinsen nicht verkneifen konnte.
'Kluges Mädel.', grummelte er.
Klerk und der Verrückte redeten durchgehend über irgendwelche Frauen und die letzten Morde, die sie getätigt hatten.
Ich war wirklich froh, dass niemand von den Beiden mich nach Waffen abgetastet hätte, vor allem aber war ich froh, dass mich auf dieser Lichtung drei Männer erwartet hatten.
Noch immer ruhte ein kleiner Dolch an meiner Brust, den ich in einer kleinen Scheide vorsichtig in meinem Dekolleté versteckt hatte.
'Gehen wir den Endlich? Der Boss erwartet die Kleine sicher schon sehnlich.', meinte der Kleinste und spuckte auf den Boden.
Ich schüttelte fast unmerklich den Kopf, weil ich im Gegensatz zu ihm wirklich nicht klein war, ignorierte aber seinen sarkastischen Tonfall. Massimo verband meine Hände hinter meinem Rücken und als er den Knoten festzog, biss ich die Zähne zusammen, um nicht aufzukeuchen. Das machte es ein wenig schwerer an meinen versteckten Dolch zu kommen. Na gut, diese Abwehr konnte ich vollständig vergessen.
'Ihr hättet ja mithelfen können!', fuhr Massimo sie aufgebracht an. 'Kommandier nicht herum.
Der unglaubliche Snake ist hier der Boss. Der Chef hat das nicht umsonst gesagt.'
Ich war sicher, dass er sich selbst meinte.
'Dann gehen wir mal endlich?!', schlug Klerk vor und zappelte schwankend auf der Stelle herum, sodass ich mich langsam wirklich fragte, ob er betrunken war, so wie er sich verhielt.
Einen weiteren Gedanken konnte ich jedoch nicht an ihn verschwenden, denn Massimo schubste mich unsanft nach vorne, sodass ich ungeschickt stolperte und fast in Snakes Arme fiel.
Sobald er mich berührte, schoss mein Knie nach vorne und traf ihn gezielt zwischen den Beinen.
Snake gab einen kurzen Aufschrei von sich, während ich mich wieder in eine vernünftige Position brachte, um auf einen Angriff vorbereitet zu sein, stellte sich Massimo unbemerkt zwischen mich und Snake, um einen Kampf zu verhindern.
Dabei belächelte er Snakes schmerzendes Gesicht.
'So viel dazu, dass ich sie verteidigen muss.', stellte er fest, doch ich war gerade nicht in der Stimmung mich über diesen klitzekleinen Erfolg zu freuen.
Als Massimo sich mir näherte um mich weiter durch den Wald zu schubsen, hob ich die drohend meinen Fuß und blitzte ihn an.
'Ich kann noch gut alleine gehen.'
Er gluckste, hielt sich aber von da an schweigend hinter mir.
Wir gingen mitten durch den Wald, über matschigen Boden, zwischen riesigen Tannen hindurch und über knackende Äste und raschelnde Blätter. Ich dachte an nichts, an Schwärze, an Leere.
Schritt um Schritt, nur noch gehen. Zu mehr war ich auch nicht fähig, musste erst einmal meinen Atem beruhigen.
Shon bald hatte ich keine Orientierung mehr.
Alle Bäume sahen gleich aus und nichts deutete darauf hin, wo wir waren.
Das Einziege, was ich spürte, waren die dunklen Schatten vieler Ausgeschlossener und inzwischen waren sie schon viel zu nah.
Ich unterdrückte ein paar Mal ein Schaudern, als neben uns Shiluetten durch das Gebüsch huschten.
Es waren wohl andere Ausgeschlossene.
Ich hatte das Gefühl, dass wir stundenlang durch diesen unheimlichen Wald gingen, vielleicht eine halbe Ewigkeit.
In Wirklichkeit waren wir sicher nur ein paar Minuten unterwegs.
Als wir ankamen, merkte ich sofort, dass wir am Ziel waren, denn viele Ausgeschlossene waren auf dem Platz versammelt.
Einige kamen mir auch bekannt vor, ließen Wut in mir aufkommen, weil ich wollte, dass diese Mörder mitleidlos starben.
Sie hatten es verdient, hatten Yianschu und Olli und vielleicht auch meine Mutter getötet.
Massimo musste gemerkt haben, dass ich mich anspannte, denn er murmelte mit seiner kalten, rauen Stimme.
'An deiner Stelle würd' ich mich zurückhalten.'
Ich nahm mir seinen Rat widerwillig zu Herzen und machte den ersten Schritt auf den Platz.
Nun waren alle Blicke auf unsere Gruppe gerichtet und ich hatte noch nie in meinem Leben so viele abschätzige, gnadenlose Blicke auf mir gespürt.
Meine Zweifel verstärkten sich, wurden zu einer riesigen Flutwelle und nahmen mir fast du Luft, als sie mich unter sich begruben.
Was tat ich hier eigentlich?
Ich passte überhaupt nicht in dieses Meer aus Hass und ausrichten konnte ich gegen so viele Ausgeschlossene rein gar nichts.
'Bringen wir sie zum Boss.', sagte Snake in seiner Chef Stimme.
Das ganze Lager stank nach Rauch und überall glibberte diese ekelhafte Schwärze.
Nach einem kleinen Stück Weg, der uneben gepflastert war, traten wir in ein großes Zelt ein, auf dessen Stoff sich viele hunderte, eingestickte Runen und Ornamente spannten, wie bei einem Spinnennetz.
Im Zelt war es warm und es sah trotz der spärlichen Ausstattung sehr gemütlich aus, zumindest wenn es nicht so nach Ausgeschlossenen gestunken hätten.
Der spärlich eingerichtet Raum im Zelt, strahlte etwas aus, das mir einen kalten Schauer über den Rücken rieseln ließ und wer oder was auch immer hier war, ich wollte ganz schnell weg und ihm bloß nicht begegnen.
Mein Blick schweifte zu einem alten Holzstuhl auf dem ganz ruhig ein Mann saß, dessen schwarze Augen mich an Kieselsteine erinnerten.
Dort wohnte keine Seele hinter diesen Augen, denn das Einzige was dort war, war eisige Kälte.
Er besaß ein kantiges Kinn, schwarze Haare und buschige Augenbrauen, die die abscheulichsten Augen umrahmten, die ich je gesehen hatte.
Irgendetwas an ihm kam mir bekannt vor, aber ich konnte es nicht zuordnen, bis ich seine schreckliche Stimme hörte.
'Hast du mich vermisst?'
Entsetzt riss ich die Augen auf und stolperte nach hinten, denn mein ganzer Körper zitterte vor Angst und Schmerz, während die Erinnerungen aller Albträume urplötzlich auf mich einprasselten.
'Nein, das kann nicht sein.', flüsterte ich mit brüchiger Stimme und klammerte mich an die Zeltwand, die am weitesten von ihm enfernt war. Mein Instinkt schrie mir zu, dass ich fliehen sollte, aber ich konnte mich nicht bewegen, wie es auch so oft in meinen Träumen der Fall war, bevor er mich umgebracht hatte.
Der Grund für meine Starre war die eisige Kälte, die mich zurückhielt und sich anfühlte, als würden sich Eiszapfen in meine Haut bohren.
Ich zuckte bei den Bildern meiner Träume, die mich weiter durchfluteten, zusammen und krallte mich in den gelben Stoff des Zeltes. 'Sie hat große Angst vor dir.', sagte Snake mit unterwürfiger Stimme, doch ich hörte ihn nur wie durch einen Nebel, weil meine Gedanken und mein Blick wie festgefroren auf dem Mann aus meinen Albträumen ruhte.
Er war der Erschaffer meiner Ängste und Sorgen.
Er war das pure Grauen.
Der Boss wischte seinen Kommentar mit einer wegwerfenden Handbewegung weg, so als wäre das seine leichteste Übung.
'Massimo, Klerk, ihr bringt sie zum großen Kreis. Du bleibst erst noch bei mir, Snake.'
Sein Befehlston war unüberhörbar, seine Autorität schneidend.
Massimo drehte sich zu mir um und schien auf irgendetwas zu warten.
Erst nach einigen Sekunden stellte ich fest, dass er auf eine Regung von mir wartete. Ich musste aussehen, wie ein Häufchen Elend, so erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen.
Reiß dich zusammen.
Ich biss mir in die Unterlippe und schmeckte Blut.
Er konnte mir hier nichts tun, ich war nicht in einem Traum. Hier herrschten andere Gesetze.
Mühsam richtete ich mich auf, drückte die Schultern zurück und reckte mein Kinn hoch.
Mit zusammengebissenen Zähnen erwiederte ich den kalten Blick des Bosses, der mich fast wieder in die Knie gezwungen hätte, aber diesmal blieb ich stehen.
'Glaub nicht, dass du gewonnen hast.', quetschte ich mit aller Kraft hervor.
Er lachte nur gehässig und nickte Massimo ernst zu, der mich wieder aus dem Zelt hinausschob.
Eine sehr kurze Audienz.
Zum Glück, denn viel länger konnte ich es neben diesem Monster nicht aushalten.
Ich versteckte mich hinter meinen langen, hellbraunen Haaren, während wir an den feindseligen Ausgeschlossenen vorbeigingen. Klerk taumelte langsam neben uns her und gluckste ein paar Mal glücklich.
Vor uns war ein großer Kreis in die Erde geritzt worden und in seiner Mitte lagen ein paar unheimliche Gegenstände.
Das war das Ritual, mit dem sie uns vernichten wollten.
Und ich durfte dabei zusehen.
Es dauerte nicht lange, bis der Boss der Ausgeschlossenen auch auf den Platz trat und sich uns langsam näherte. Mit jedem Schritt in unsere Richtung wurde mir kälter und unwohler und mich überkam das Bedürfnis, mich vor ihm zu verstecken.
Doch das dürfte ich nicht.
Ich musste mich ihm stellen und ich musste stark sein.
Als er vor mir stehen blieb und mich abschätzig musterte, traten plötzlich Gesine Hanwen und Hannes neben ihn. Erst da konnte ich ihm den gefürchteten Namen Gabe Hanwen zuordnen.
Der Mann, der mich die ganze Zeit in meinen Albträumen heimgesucht hatte, war der letzte König der Ausgeschlossenen.
Voller Wut blickte ich Hannes an, weil ich einfach nicht in die kalten Kieselsteinaugen des Königs sehen wollte. 'Verräter.', fauchte ich ihn an, doch er lachte nur leise und Gesine stimmte ihn dieses abschätzige, dunkle Lachen ein. Beide schienen viel zu vertraut miteinander zu sein.
'Würdest du diese Nacht überleben, würde ich dir ja auftragen meinem "Freund" Luis einen schönen Gruß auszurichten, aber da das nicht der Fall ist, kann ich mir das ja auch sparen.'
Ein Knurren entdrang meiner Kehle.
Er hatte Luis seinen einzigen Freund genommen, hatte die ganze Zeit so getan, als wäre er ein loyaler Gewählter und hatte uns alle hintergangen. Dafür musste er bezahlen, früher oder später musste er bezahlen.
'Zu Schade.', stimmte Gesine ein und verzog die Lippen zu einem spitzen Grinsen.
Ich hatte nicht gedacht, dass sich hier alle versammeln würden, die ich abgrundtief hasste und dass machte diese Nacht nur noch schrecklicher.
'Was willst du von mir?', fuhr ich Gabe Hanwen mutig an.
'Das weißt du nicht?'
Ein hinterhältiges Grinsen huschte über sein Gesicht und er wurde mir mit jedem Wort unsympatischer.
'Ich denke, dass ist offensichtlich.', stellte er fest und rieb sich erwartungsvoll die Hände.
'Nein, das ist es nicht.', sagte ich mit rauer Stimme, weil meine Kehle plötzlich ganz trocken wurde, 'Erkläre es mir. '
Er trat näher an mich heran und ich zählte langsam bis Zehn, um mich zu beruhigen, was mir nicht gelang, weil die Träume schon wieder drohten meine Mauern zu durchbrechen.
'Liebend gerne.', flüsterte er leise und schien sich schon zu freuen, mir von seinem Geheimnis zu erzählen.
Mit dunkler Stimme und starrer Miene sprach er Worte aus, die mich zutiefst erschreckten und mir gleichzeitig eine völlig neue Tür öffneten, die sich bis jetzt vor mir verborgen hatte.
'Du bist Nia Traumfänger.'
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top