Kapitel 30

Ich sah mich achtsam im engen Lehrerzimmer um, während alle sich einen Sitzplatz suchten.
Yianschu war wahrscheinlich die Kleinste von uns, aber sie schien im Gegensatz zu einigen anderen Schülern nicht besonders aufgeregt, vielleicht konnte sie das auch einfach nur gut verstecken.
Neben ihr stand nämlich das große Mädchen mit dem feuerroten Haar, das ich aus meiner Jahrgangsstufe kannte.
Sonst sah sie immer so elegant aus, drehte beim Melden anmutig ihre glänzenden Locken und schrieb ausgesprochen gute Noten, aber nun zog sie ihre Schultern zusammen und duckte sich unter der Aufmerksamkeit der anderen Schüler im Raum weg, schien sich unwohl zu fühlen.
Auch ihr verzerrter Gesichtsausdruck trug zu diesem erschreckten, verlorenen Eindruck bei und sie tat mir wirklich leid.
Auch Frederico erkannte ich wieder und er musterte mich immer noch böse.
Wie konnte man nur so nachtragend sein? Ich seufzte leise und wendete mich ab, um mir die anderen Mitglieder genauer anzusehen, die jedoch alle unbekannt schienen,  sodass ich mich auf den Weg zu Luis und seinem besten Freund Hannes machte.
Die Beiden hockten nebeneinander auf zwei Stühlen, wirkten äußerst desinteressiert und warteten geduldig auf ihre Anweisungen.

Als ich ankam, zog Luis mich auf seinen Schoß und schlang die Arme um mich.
Ich genoss die Wärme seines Körpers, fühlte mich geborgen in dieser stillen Umarmung.
'Ich weiß wirklich nicht, was du gemacht hast, aber ich glaube Xenia bewundert dich dafür.', sagte Hannes lächelnd zu mir und riss mich aus meiner beruhigenden Starre.
Ich zuckte mit den Schultern und lehnte meinen Kopf an Luis Hals.
'So weit würde ich da noch nicht gehen.'
Hannes grinste nur und es schien ihm gar nichts auszumachen, dass Luis und ich nicht voneinander zu lösen waren.
Stattdessen scherzte er ausgelassen mit mir und ich konnte Vorfreude in seinen dunklen Augen glitzern sehen.
'Ach was, da bahnt sich doch eine wunderbare Freundschaft zwischen euch an. Die erste Begegnung ist dabei doch immer etwas komisch.' 
'Ja, klar.', murmelte ich belustigt, als  unser Gespräch durch Xenias Aufruf gestört wurde.
'Ihr seid hier, um ein Artefakt zu finden. Wir fanden heraus, dass Gabe Hanwen akribisch nach diesem Artefakt sucht. Er muss es wohl für das Ritual finden, an dem er arbeitet.
Also müssen wir ihm zuvorkommen und ihn stoppen.'

Ein älteres Mädchen, das ihren Kopf für meinen Geschmack viel zu hochnäsig anhob, wohl ihr gutes Image bewahren wollte, meldete sich ruhig und Xenia sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Unter dem Blick des Ratmitglieds sah sie dann doch recht nervös aus.
'Wir sind nur zu 9. Reicht das denn?' Xenia Blick verfinsterte sich.
'Das hier ist eine geheime Mission.
Zu viele Schüler wären zu auffällig.', stellte sie mit fester Stimme klar und das Mädchen senkte beschämt den Kopf, verzog wütend den Mund, als würde sie sich wegen ihrer eigenen Dummheit gleich Ohrfeigen und ich wunderte mich wirklich, wieso sie so leicht zu durchschauen war, und wieso ich sie lesen konnte wie ein offenes Buch.
'Und wieso kommen sie ausgerechnet zu unserer Schule?', fragte Frederico skeptisch aus der Ecke, in die er sich an die Wand gelümmelt hatte.
Xenia schwang ungeduldig ihren langen Zopf hin und her, denn das Prinzip des Unterrichts, der hier gerade lief, schien sie zu langweilen.

'Nunja, eure Schule gilt beim Rat als eine der Besten von allen, zumal ein Mitglied des Rates auch auf dieser Schule war und auf den gleichen Stühlen saß wie ihr.
Außerdem waren wir schon bei einer anderen vielversprechenden Schule, aber da wurden unsere Erwartungen nicht erfüllt und zu wenige Schüler waren für die Aufgabe geeignet.
An diesem Internat haben wir genug Schüler zusammenbekommen, sodass  wir nicht einmal mehr auf die freiwilligen, positiven Schüler der ersten Schule zurückgreifen müssen.'
Nachdem Xenia sich vergewissert hatte, dass die Fragerunde beendet war, fuhr sie mit ihrer eigentlichen Erklärung fort.
'Bei dem Artefakt geht es um den Donnerkristal. Diesen gibt es in einer kleinen Höhle im sogenannten Schattenwald, einem Wald, der in ständiger Dunkelheitheit lebt, so unerklärlich das auch sein mag.
Nur unter dem Punkt, über dem ein kreisförmiges Loch in der dunklen Höhle ist, an dem das Mondlicht sanft hinein scheint, kann er entstehen.  Wenn irgendwann nämlich in einer solchen, regenverhangenen Nacht der Blitz einschlägt, entsteht ein Glitzern in dem besagten Kristal, der nur alle hundert Jahre dort entsteht.
Er besitzt einen leuchtenden blass gelben Farbton und...', sie schmunzelte,  'ist wirklich nicht zu übersehen. Das Wichtigste ist, dass ihr das Artefakt vor Gabe Hanwen und seinen Leuten findet. Es ist wahrscheinlich das Letzte, was ihnen fehlt.'
Ja, machen sie nur keinen unnötigen Stress.

'Was für ein Ritual will er ausführen?', fragte ich frei heraus, doch Xenia schüttelte bedauernd den Kopf. 'Das wissen wir leider nicht, aber wir arbeiten daran.
Trotzdem besitzen die Meisten Rituale nur vier Artefakte und die Ausgeschlossenen besitzen, soweit unsere Informationsquellen reichen, ein Kraut aus den hohen Bergen, die Perlenkette der Soraya und das Haar eines Einhorns.'
'Damit kann man ein Ritual machen?', fragte Yianschu mit zusammengekniffenen Augen, während mir eine ganz andere Frage auf der Zunge lag.
Xenia wendete sich dem jungen Mädchen zu uns nickte langsam.
'Es muss ein verbotenes, dunkles Ritual sein, sonst würden wir es kennen.'
'Wie konnten sie es schaffen alle diese Artefakte zu bekommen?', fragte Hannes provokant, hatte die Augen zu katzenartigen Schlitzen zusammen gezogen.
Das Ratsmitglied ließ seinen bedauernden Blick nacheinander über alle Anwesenden wandern, bevor sie schuldbewusst die Hände zusammen faltete und zu Boden sah, obgleich sie sich nicht hätte vor uns rechtfertigen müssen.
'Das Kraut wächst in ihren abgeschiedenen Gebieten und zur  Nymphe Soraya haben sie schon seit Jahrzehnten einen guten Kontakt.
Wir wurden erst auf die Sammlung dieser Artefakte aufmerksam, als er sich auf der Suche nach dem Einhornhaar befand und können nur hoffen, dass es nicht zu spät ist.', gab sie mit gesenkter Stimme zu.

Ich starrte gedankenverloren auf meine Finger, die fest mit Luis Fingern verschränkt waren, als würden sie ein Geflecht bilden.
Da fiel mir etwas Seltsames auf, durch das ich schon viel früher skeptisch werden müsste.
'Wieso fragen sie keine Profis?
Ich glaube kaum, dass sie uns begabten, älteren Gewählten einfach so vorziehen würde. '
Für meinen Geschmack brauchte sie viel zu lange, um zu antworten, aber das behielt ich für mich und blieb ruhig.
Als sie ansetzte, klang ihre Stimme unverändert klar.
'Das dient zum Zweck der Tarnung. Gabe hat seine Spitzel überall und hat ihre Macht bereits beim Auftrag unserer letzten porfessionellen Spione deutlich gezeigt.
Er weiß einfach zu viel, hat einen Überblick über jeden und das macht er sich auch gerne zu nutzen.
Mitglieder des Rates oder wenigstens edle Gewählte würden zu sehr auffallen und jeder würde mitbekommen das sie fehlen, aber bei einer Gruppe Schülern könnt ihr euch unbeachtet fortbewegen.'
'Da merkt ja niemand, wenn eine Gruppe Schüler ermordet wird.', grummelte ich leise, hatte die Worte eigentlich für mich behalten wollen, sie dann aber unabsichtlich ausgesprochen; sodass alle im Raum wie bei einer gewaltigen Maschine in einem Schiff zischend Luft einatmete und mich anstarrten.
Xenia wurde feuerrot und hob wütend ihre Stimme, sodass man plötzlich eine ganz andere Seite von ihr sah.
'Hör gefälligst auf solche Anschuldigungen zu machen.
Du hast hier nicht das sagen!
Noch ein Wort und du darfst nicht mehr teilnehmen.'

Und das störte mich auch so sehr. Wieso sollte ich bitte auf jemanden hören, nur weil er in einer irrelevanten Rangfolge höher stand als ich?
'Das sind ganz logische Anschuldi...', wollte ich erklären, wurde aber von ihr unterbrochen.
'Raus!'
Sie zeigte erbarmungslos mit dem Finger zur Tür, denn ich hatte den Bogen wohl ein wenig überspannt. Ich spürte, wie Luis hinter mir leise lachte, sodass sich seine Brust an meinem Rücken hob und senkte.
'Was du nur für eine freche Göre bist.'  flüsterte er mir mit rauer Stimme ins Oht und ich stieß ihm als Antwort meinen Ellenbogen in die Seite, bevor   ich aufstand.
'Na gut, dann viel Spaß euch.', sagte ich spöttisch und ließ meinen Blick über die Anwesenden schweifen.
'Ich gehe mit Nia.', hörte ich plötzlich Luis ernste Stimme hinter mir, drehte mich um und sah ihn kopfschüttelnd an.
'Nein, du wirst hier gebraucht.', sprach ich das offensichtliche aus, doch er blickte mir tief in die Augen und hob die Augenbrauen.
'Du auch.'
Yianschu machte einen Schritt zu uns und grinste über beide Ohren, als hätte sie nur auf eine solche Gelegenheit gewartet.
'Wir sind ein Team.
Uns gibt es nur zusammen.' 
Hannes stand langsam auf, trat näher zu uns und auch das rothaarige Mädchen erhob sich, jedoch verzog sie das Gesicht unsicher zu einer Grimasse.
'Ehrlich gesagt, wäre ich sowieso nicht mitgekommen, denn das ist nichts für mich.
Tut mir wirklich leid.'

Xenia wirkte leicht verstört, sobald sie uns alle stehen sah und ich hätte vor Rührung weinen können, weil sich alle für mich einsetzten und weil wir alle an einem Strang zogen.  Schließlich zuckte das Ratsmitglied unentschlossen mit den Schultern. 
'Na gut. Beruhigt euch erst mal wieder.', gab sie nach und wir setzten uns zufrieden wieder bis auf das große, rothaarige Mädchen aus meiner Klasse.
'Entschuldigung.', murmelte sie noch einmal mit gesenktem Kopf und verließ dann schleunigst den Raum. 'Ich setzte alle Hoffnungen in euch. Bitte strengt euch an.', flüsterte Xenia wieder vollkommen ruhig und eine Spur Schmerz und Frust flossen in ihrer Stimme mit.
Als würden wir nicht alles versuchen, um gegen das Böse zu gewinnen.

***

'Musst du wirklich gehen?', fragte Jen mich ein weiteres mal und sah mich mit schräggelegenem Kopf an wie ein braver Hund.
Ich lächelte sie aufgeregt an.
'Ja, ich wurde für die Mission ausgewählt und ich möchte wirklich helfen.'
Meine beste Freundin schüttelte den Kopf und warf unachtsam meine Kopfhörer in meinen Rucksack.
'Ich weiß nicht, ob ich die brauche.', bezweifelte ich ihre Wahl, doch Jen schien es besser zu wissen.
'Besser zu viel als zu wenig einpacken und außerdem wiegen die Kopfhörer vielleicht zwei gramm.'
Mit diesen Worten steckte sie noch eine Tafel Zartbitterschokolade in den Rucksack, stand ruckartig auf und verschwand dann eilig in meinem Bad.
Während sie weg war, suchte ich ein schlichtes, schwarzes Oberteil zum Wechseln und eine dünne, beige Decke gegen die nächtliche Kälte zusammen.
Anschließend steckte ich heimlich die Traumfängerbrosche ein.
Es gab eigentlich keinen Grund dafür, aber ich wollte sie bei mir haben.

Jen kam mit meiner blauen Zahnbürste, einer kleinen Zahnpastaprobe, von der ich wirklich  nicht wusste, wie sie die auftreiben konnte, und meinem liebsten Concealer aus dem Bad.
'Du musst natürlich gut aussehen, wenn du mit Luis und seinen Freunden unterwegs bist.', stellte sie fest und legte die Sachen ebenfalls in die Tasche.
Das war vielleicht nicht das erste, woran ich gedacht hätte.
'Ich muss gut aussehen beim Kämpfen?', fragte ich und hob verwirrt meine Augenbrauen.
Jen ignorierte mich schulterzuckend und sagte dann etwas, was meine Mutter früher immer vor Reisen getan hatte.
'So, ich glaube jetzt fehlt nichts mehr.'
Inzwischen platzte mein Rucksack fast aus allen Nähten.
'Mehr passt auch nicht hinein.', stellte ich fest und sah wieder zu meiner besten Freundin.
Sie würde mir so sehr fehlen.
Jen hatte wohl meine Gedanken gelesen, denn sie schloss mich in eine feste, warme Umarmung.
'Ich werde dich soooo sehr vermissen.'
Ich genoss ihren fröhlichen, süßen Duft und das Gefühl ihrer typischen, vielleicht ein bisschen zu erdrückenden Umarmung.
Danach ließ sie mich los und verschränkte entschlossen die Arme vor der Brust.

'Versprich mir, dass du dich nicht unnötig in Gefahr begibst und in jedem Fall zurückkommst.', forderte sie. 'Soll ich auch Tot nach Hause kommen?', witzelte ich, doch Jen schlug mir aufgebracht gegen den Arm.
'Das ist nicht witzig.
Bitte, pass auf dich auf!'
Also seufzte ich leise, nickte gewissenhaft und erinnerte mich dabei an ein Versprechen, das ich Luis vor nicht all zu langer Zeit gegeben hatte.
'Ja, mache ich.
Keine waghalsigen Aktionen bei diesem Auftrag.'

***

Nachdem ich aus der Dusche gekommen war und mir meine gepunktete Schlafshorts und ein einfaches Top angezogen hatte, lauschte ich auf Jens leises Singen, dass aus dem Bad kam, während auch sie duschte, und lächelte in mich hinein.
Ich strich mir nervös eine nasse Haarsträhne hinters Ohr, denn meine Nervosität nahm mit jeder Stunde zu.
Danach packte ich mein Handy aus und wählte eine altbekannte und neuerdings doch so fremde Nummer, horchte schweigend auf das Tuten des Anrufbeantworters, bis Marcs leise Stimme verkündete, dass er gerade keine Zeit hatte und man eine Nachricht hinterlassen sollte.
Ich atmete tief ein und rasselte dann einfach spontan irgendetwas  hinunter, hätte mir im Nachhinein lieber zuvor ein paar Sätze ausgedacht.
'Hi Marc... ich äh, wollte mich nur mal kurz entschuldigen, dass ich mich so selten melde.
Ich habe hier so viel zu tun und eigentlich kaum einen Zeitpunkt zum entspannen.
Sorry für das und ich bin jetzt für ein paar Tage weg, doch vielleicht können wir uns danach ja noch mal treffen..., also nur wenn du willst natürlich.
Bis dann!'
In diesem Moment machte es mich wirklich traurig, dass Marc nicht in diese Welt hier passte.
Meine Welt.

***

Der Zeitpunkt war gekommen.
Nun stand ein gefährliches Abenteuer vor uns und wir mussten es schaffen, weil die Ausgeschlossenen sonst einen Krieg beginnen würden.
Zu acht machten wir uns zuerst mit dem Bus und ab den großen Wäldern zu Fuß auf den Weg, weil es dort keine Straßen mehr gab.
Was uns erwartete, war niemandem wirklich klar und das einzige sinnvolle war, das Ziel im Auge zu behalten, denn wenn wir den Donnerkristal fanden, konnte es ein Happy End geben, für alle Ausgeschlossenen.
Doch da war dieses kleine wenn, was das Ganze äußerst erschwerte.
'So, jetzt müsst ihr euch alleine fortbewegen.
Folgt dem Fluss und ab dem Schattenwald müsst ihr euch nur noch Nachts fortbewegen, zumal es sonst zu gefährlich wäre.
Dabei folgt ihr einfach dem Licht der Irrlichter, so verrückt das klingen mag.
Bei der Höhle angekommen, kricht ihr durch den Eingang und seit auch schon am Ziel angekommen.
Ich wünsche euch viel Glück! ', verkündete Xenia Whitecheek die letzten Anweisungen, alle nickten zustimmend und mein Herz pochte laut in meiner Brust.

Noch vor ein paar Monaten hätte ich nicht einmal im Traum an so etwas gedacht, doch nun stand ich hier mit meinem Dolch und zwei Kurzschwertern bewaffnet und wartete auf den Aufbruch zu einer gefährlichen Mission, bei der es um die Verhinderung eines Krieges und somit quasi die Rettung der ganzen Welt der Magie ging.
Der Busfahrer reichte uns jeweils ein kleines Säckchen mit Essen, einer großen Wasserflasche und je einem winzigen Verbandskasten.
'Teilt euch alles gut ein, ich glaube, ihr braucht mindestens 24 Stunden, um an euer Ziel zu gelangen.'
Sein Gesicht war vom Alter geprägt, seine Haare aschgrau und irgendwie erinnerte er mich an Jack, was ihn automatisch sympatischer für mich machte.
Hätte ich mich doch nur von ihm verabschiedet, doch dazu war es jetzt zu spät.

Ich drückte das Päckchen in meinen für diese Reise viel zu kleinen Rucksack.
Beim Einpacken der Wasserflasche verzweifelte ich kläglich, sodass Luis sie mir aus der Hand nahm und sie ganz der gentleman in seinen Rucksack steckte.
Ich sah ihn dankend an, auch wenn ich eigentlich nicht wollte, dass er meine Sachen trug.
'Danke, ich vertraue dir wohl mein Leben an, also pass auf das ich nicht verdurste.', sagte ich zum Spaß und er berührte sanft meine Wange, bevor  ich fröhlichen Spot in seinen Augen aufblitzen lassen sah.
'Die Flasche wäre doch sowieso zu schwer für dich.'
Ich hob herausfordernd die Augenbrauen und trat einen Schritt näher.
'Soll ich dir zeigen, wie stark ich bin?' Luis lachte sein unglaubliches Lachen und nickte dann ergeben. 'Verschieben wir das auf später, ja?
Dann kannst du es mir gerne zeigen.'
Ich streckte meine Zunge heraus und berührte mit einer Hand die Kette, die ich von Luis geschenkt bekommen hatte. Solange ich mit ihm zusammen war, war alles gut.
Er schien meiner Hand zu folgen und stellte sich dann ganz dicht neben mich, sodass niemand außer mir seine beruhigenden Worte hören konnte.
'Wir schaffen das.', murmelte er sicher, 'zusammen.'

'Könnt ihr das bitte woanders machen?', fragte Lindsay genervt, hatte uns schon eine Weile beobachtet.
Sie war die Älteste von uns, stand in ein paar Wochen vor ihrer Abschlussprüfung und war unglaublich arrogant.
'Bist du eifersüchtig auf die Beiden?', fragte Hannes gelassen, sodass Lindsay schnaubte und ihr braunes, bis zur Hüfte gehendes Haar zurück warf.
'Natürlich nicht.
Ich weiß nur, wie man seine Zeit besser nutzen kann.'
Ich drehte mich zu ihr um und zog eine Grimasse.
'Dann tu das bitte.'
Inzwischen war ich ziemlich schlagfertig geworden, was ich vielleicht auch Sally zu verdanken hatte.
Lindsay machte auf dem Absatz kehrt und ging zu Frederico, der mich verärgert ansah, obwohl ich ihm gerade gar nichts getan hatte.
'Wow, was für ein Glück wir mit unserer Gruppe haben.', stellte Yianschu fest und ich grinste sie an
'Da hast du wohl recht.' 

Schließlich machten wir uns doch alle zusammen auf den Weg, orientierten uns am Fluss, zumal er relativ gerade verlief und trotzdem neben vielen, großen Bäumen lag, die uns Schutz bieteten.
Die beiden Jungs, deren Namen anscheinend Olli und Hamnet waren gingen ganz am Schluss, schienen sich gut zu kennen, doch mir gefiel es nicht sonderlich, dass sie sich so abkapselten.
Aber was hatte ich hier schon zu sagen?
Lindsay ging, da sie ja die Älteste und Erfahrensten war, ganz vorne, um uns anzuführen.
Federico folgte ihr dicht, wobei er sich immer wieder nach links und rechts umsah.
Ich und meine Freunde gingen in der Mitte.
Es war kalt, der heftige Wind wehte zwischen den Blättern der Bäume hin und her, sodass ein gefährliches Zischen entstand, und es waren nur wenige, überbliebende Blätter da, die leblos auf dem Boden lagen, von abgefallenen Nadeln begraben.
Dadurch dass Niemand etwas sagte, wirkte die Situation angespannt und wahrscheinlich war sie das auch.

'Ist es noch weit?', fragte Yianschu ungeduldig und schulterte ihren ebenfalls bis zum Rande vollbepackten Rucksack.
'Wir sind gerade mal ein paar Stunden gelaufen.', zischte Lindsay von vorne und ging weiter.
Yianschu seufzte und hinter uns sprach nun auch Hamnet mit seiner dunklen, rauen Stimme.
'Lasst uns doch eine kurze Pause machen und etwas trinken.'
Federico und Lindsay tauschten Blicke aus, als wären alle anderen verrückt, dann nickte Federico und ließ sich langsam auf den Boden sinken.
Ich setzte mich in den Schneidersitz auf das feuchte, dunkle Gras in den Schatten einer großen Fichte, die einsam in der Nähe des Flusses stand.
Es hatte wohl diese Nacht geregnet. Luis saß schon neben mir und reichte mir meine Wasserflasche, doch sobald ich meine Hand ausstreckte, zog er die Flasche zurück.
Ich wollte sie erneut fassen, doch Luis ließ seine Hand mit meinem Wasser hinter seinen Rücken gleiten.
'Hey!', protestierte ich und lehnte mich weiter vor, um mit der Hand hinter ihn zu greifen.
Schon kippten wir zusammen um und fingen an, laut zu lachen.
Die Flasche fiel aus Luis Hand und rollte weg, sodass Yianschu sie wieder aufhob und grinsend neben mich stellte, bevor sie sich auf die andere Seite neben plumpsen ließ.

'Sag mal, könnt ihr eigentlich 2 Sekunden ernst bleiben?', fuhr uns Lindsay an, 'Das hier ist kein Spaßausflug. '
Ich setzte mich auf, klopfte den Schmutz von meiner Hose und sah sie kopfschüttelnd an.
'Was hast du für ein Problem, Lindsay?
Sollen wir alle hier ernst und ohne zu sprechen, rumsitzen und vor uns hin starren?
Macht es das besser?'
Federico stellte sich bestärkend hinter unsere Anführerin.
'Wir müssen acht geben.', stimmte er zu.
'Das heißt aber nicht, dass wir diese Reise stumm antreten müssen. ', stellte Hannes herausfordernd fest, doch bevor noch irgendjemand etwas zu dieser unnötigen Diskussion sagen konnte, versuchte ich sie zu beruhigen, zumal ich das Ganze ja auch provoziert hatte.
'Okay Leute, vielleicht sollten wir so etwas wie ein Abkommen machen. Wir versuchen alle zusammenzuarbeiten und am besten wäre es solchen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.'
'Du bist nicht die Anführerin.', stellte Lindsay hochnäsig fest und schwang erneut ihre langen Haare nach hinten, doch Yianschu legte bei ihrem Anblick nachdenklich den Kopf schief und meldete sich ebenfalls zu Wort. 'Zusätzlich sollten wir abstimmen, was wir machen.
Wie in einer Demokratie.
Also ich bin für das Abkommen.'
Sie hob entschlossen ihre Hand.
Ich lächelte sie dankbar an und streckte meine Hand ebenfalls in die Höhe, Luis und Hannes taten es uns gleich.
Nun waren wir die Hälfte.
Ich starrte fragend zu den Beiden Jungs am Rande unserer Gruppe, hoffte wirklich sehr, dass sie auch dafür stimmten und freute mich umso mehr, als sich gleichzeitig zwei weitere Hände hoben.
'Wir sind dafür, ihr seid überstimmt.', wendete sich Hamnet zufrieden an Lindsay.
So langsam fragte ich mich, ob Olli überhaupt sprechen konnte, weil er die ganze Reise über noch keinen Ton gesagt hatte, aber ich dankte den Jungs wirklich sehr für ihre Stimme. Nun waren wir eine kleine Demokratie.

***

Die Sonne ging langsam unter, hing  wie eine große, goldene Kugel einsam am Himmel, gab mir aus irgendeinem Grund Kraft.
Das Licht, welches aus einem Verlauf von sanftem Gelb und warmen Orange bestand, strahlte über die Wiesen und glitzerte auf dem türkisen Wasser des Flusses, der von einem abendlichen Nebel umgeben war, dessen Schliere dem hin und her schwappenden Fluss ein magisches Aussehen verliehen.
Es sah alles noch ziemlich friedlich aus, eher wie ein gemütlicher Sommerabend, wenn die eisige Kälte des Spätherbst uns nicht umhüllt hätte.
Ich atmete die frische Luft ein, genoss die unberührte Natur neben mir und lief ein paar Meter voraus, um einen freien Kopf zu bekommen.
Mir war immer noch nicht ganz klar, was uns jetzt erwartete.
Ob Gabe Hanwen auch seine Männer zum Donnerkristal schickte, sodass es einen Kampf geben würde?
Oder konnten wir uns ungestört den Kristall schnappen und wieder zum Internat zurückkehren?
Ich hoffte nur, dass wir diese Höhle überhaupt fanden, denn Xenias Beschreibungen waren sehr vage gewesen und sie hatte uns direkt nach der Ankunft verlassen, uns nicht einmal die ersten Kilometer begleitet.
Wieder plagten mich sture Zweifel.
Wenn diese Aufgabe doch so wichtig war, wieso schickte sie dann ein paar einfache Schüler und keine ausgebildeten, bis auf den Grund ihrer Seele treuen Ausgewählten?
Es musste irgendein Geheimnis, eine weiter Information zu Gabe Hanwen, dem Donnerkristal oder unserer gesamten Situation geben, die sie uns verheimlichten.
Nachdem Xenia meine erste Vermutung, dass es ihnen egal war, ob wir in eine Falle liefen und dabei starben, so entsetzt von ihr abgewiesen worden war, begnügte ich mich einfach mit der möglichen  Illusion, dass das wirklich nicht ihre Intention war.
Weitere Möglichkeiten waren einerseits, dass ihre Worte wirklich wahr gewesen waren und das wir keine Aufmerksamkeit erregten, während Gabe Hanwen noch den Standort eines Donnerkristals herausfand.
Andererseits wollten sie uns vielleicht auf eine frühere Prüfung oder sogar einen Krieg vorbereiten, weil sie zu wenig fähige Leute besaßen, um den Ausgeschlossenen entgegenzutreten, wobei es diesen Auftrag keinesfalls mehr rechtfertigte.
Vielleicht war es auch besser, wenn wir im unwissenden gelassen wurden.

Nur hoffte ich, dass wir den Donnerkristal schnell und ohne Probleme finden würden und somit niemanden enttäuschten würden.
Anscheinend gab es nur sehr wenige Donnerkristalle auf der Welt und theoretisch könnte der Kristal
auch gar nicht da sein, wenn er in den letzten Jahren nicht entstanden war. Xenia hatte erwähnt, dass es bei diesem Standort am wahrscheinlichsten wahr, einen Donnerkristal zu finden, dass sie aber Parallel zu uns Teams aus Schüler anderer Schulen ebenfalls mit der gleichen Aufgabe losschickte.
In anderen Worten konnte es sein, dass wir hier sinnlos im Wald rumliefen und mit leeren Händen nach Hause zurückkehrten.

Ich ging einen Hügel hinauf der einladend strahlenden Sonne entgegen und konzentrierte mich auf unser Ziel, anstatt über mögliche Folgen und Ursachen dieses Auftrages nachzudenken.
Wir mussten alle durchkommen. Niemand dürfte auf dieser Reise sterben, denn dafür waren wir alle zu jung.
Inzwischen hatte ich den höchsten Punkt des Hügels erreicht und riss überrascht die Augen auf.
Vor mir erstreckte sich ein riesengroßer Wald aus dunklen Tannen und Buchen.
Kein einzieger Lichtstrahl der glühenden Sonne, schien das Innere des Waldes zu erreichen, sodass er unglaublich gruselig wirkte.
'Schaut euch das an!', rief ich den anderen zu und sie beeilten sich den Hügel hinauf zu kommen, um ebenso überrascht auf den Wald zu starren. 'Das ist der Schattenwald.', verkündete Frederico mit einer unheilvollen Stimme wie bei der Erzählung eines Schauermärchens,
'Lasst uns dort vorne unter dem großen Baum warten, bis es dunkel wird.'
Alle nickten erschöpft von der Wanderung und wir ließen uns unter einer alten Eiche mit riesigen Wurzeln nieder.
Dort aßen wir die Hälfte unseres Proviantes auf und schliefen ein paar Stunden, während immer zwei Leute Wache hielten.
Im Schutz des Baumes fielen auch mir die Augen zu.
Ich genoss den Moment der Ruhe und schlief ein.

Geweckt wurde ich von Luis, der mir sanft mit dem Daumen über die Wange fuhr und mir anschließend einen Kuss aufs Haar gab.
Ich blinzelte in die Dunkelheit, verdrängte den letzten Albtraum und versuchte meinen Puls zu beruhigen.
Dabei war ich froh beim Aufwachen nicht geschrien oder um mich getreten zu haben, sodass ich alle Anderen geweckt hätte.
Durch Luis Nähe verschwanden die schrecklichen Bilder schnell und ich konnte wieder klar sehen, sobald sich meine Augen an die Schwärze gewöhnt hatten, was nicht allzu lange dauerte, weil ich sie schon in meinem Albtraum getroffen hatte.
Es war dunkel, doch irgendwo über mir leuchteten hoffnungsvoll die Sterne.
Ich lächelte Luis verschlafen entgegen.
'Kannst du mich bitte immer so wecken?', flüsterte ich ihm zu und gähnte herzhaft.
'Wenn du das so wünschst.', flüsterte er mit rauer Stimme zurück und streckte die Hand zu mir herunter, um mir aufzuhelfen.
'Zeit für die Wache, die Anderen verlassen sich auf uns.', murmelte, als wir in der Mitte der Lichtung standen.  Ich sah durch die dunkle Nacht, doch weit und breit war nichts zu erkennen.

'Glaubst du, dass es einen Kampf geben wird?', murmelte ich immer noch müde und ließ meinen Blick bis hin zum Fluss schweifen.
'Ich weiß es nicht,', gab Luis ehrlich zu, 'aber es könnte gut sein, dass auch Gabe Hanwen seine Anhänger zum Donnerkristal schickt.'
'Der Gedanke ist mir auch schon gekommen.', gab ich zu und biss mir nachdenklich auf die Unterlippe, bevor ich mich zur Beruhigung an seine Schulter anlehnte.
'Vielleicht geht ja alles gut.', murmelte Luis leise in mein Haar, schlang beschützend einen Arm um mich, schenkte mir damit Wärme und ich wollte gerade antworten, als ich ein schwaches kobaltblaues Licht neben uns aufleuchten sah.
Ich hielt den Atem an und starrte gespannt auf das kleine, leuchtende Wesen.
'Da ist es. Ein Irrlicht.', flüsterte ich bedacht, um es nicht zu erschrecken, während das Irrlicht im Zickzack zwischen den Bäumen hin und her raste.
Ich bündelte meine Gedanken auf ein Bild einer dunklen Höhle, in der der Donnerkristal lag, zeigte es dem magischen Wesen, um auszuprobieren, ob etwas geschah.
Das Wesen bewegte sich ein Stück zum Schattenwald hin und bestätigte Xenias Erklärung zu seiner Wirkung.
'Es geht los. ', meinte Luis mit plötzlich ernster Miene und stand auf. Wir weckten die anderen, die nach ausgiebigem Gähnen, Strecken und einigen Beschwerden neugierig das Irrlicht sehen wollten.
Jeder packte seine Sachen und wir standen auf, hielten das Irrlicht dabei immer im Blick, um es nicht zu verlieren, und alle waren bereit für das Abenteuer, das nun vor uns lag.

'Komm wir denken alle an den Donnerkristal.', sagte Luis auffordernd und wir schlossen für einen kurzen Moment die Augen.
In Gedanken an den Donnerkristal verweilten wir einen Moment, einige hatten zur Intensivierung die Augen geschlossen und verpassten demnach, dass das Irrlicht weiter in den Wald schwebte und uns den Weg erleuchtete.
'Seid ihr bereit?', fragte Yianschu munter und in Aufbruchstimmung, schien sich sogar auf die Ungewissheit, die uns in diesem dunklen Wald erwartete, zu freuen.
'Dann lasst uns endlich gehen.'

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