Kapitel 27
Dunkelheit.
Sie nahm mir die Luft, durchdrang meine Lunge, drohte mich zu ersticken, denn ich war doch wieder in einem engen Gefängnis.
Ich blickte mich um, während ich erfolglos versuchte, nach Luft zu schnappen.
Umgeben von schmutzigen, grauen Wänden lag ich hier in einem kleinen Kasten ohne ein einziges Fenster, meine Hände und Füße waren an die Wand gekettet, sodass die Ketten hart in meine Gelenke drückten und Tränen liefen mir die Wangen herunter.
Ich konnte sie nicht aufhalten, wusste nicht woher sie kamen und ich wusste nicht aus welchem Grund ich weinte, aber die salzigen Tränen flossen zunehmend schneller und tropften auf den dunklen Boden wie das Wasser eines kleinen Baches.
Eigentlich müsste ich an diesen Zustand gewöhnt sein, denn ich war schon oft in einer solchen Umgebung aufgewacht, in einem Traum aufgewacht, doch ich konnte mich einfach nicht zusammenreißen.
Stundenlang lehnte ich bereits an dieser kühlen Wand, bewegungunfähig, starr, einsam und ohne Hoffnung.
Unsicherheit erfüllte mich.
Konnte man in einem Traum sterben? Ich würde doch trotzdem aufwachen, oder?
Hartnäckig riss ich an den Ketten, doch sie lösten sich keinen Millimeter, schnallten sich nur fester um meine Hände, sodass ich aufschrie.
Sie hatten alle gesagt, dass ich stark sei, doch in meinen Träumen konnte ich nichts tun.
In meinen Träumen und dieses Mal wusste ich genau, dass es einer war, war ich machtlos und verdammt dazu, Nacht für Nacht zu leiden.
Jemand Anderes kontrollierte diese Welt und dieser jemand wusste genau, was mich zerstören konnte.
Er kannte meine schlimmsten Schwächen, Sorgen und Ängste.
Wie zur Bestätigung trat ich mit meinem Bein gegen etwas hartes.
Ein Lichtstrahl, der aus dem Nichts zu kommen schien, erhellte die Leiche vor mir.
Meine Mutter.
Ihre starren Augen blickten nach oben, dahin wo eigentlich der Himmel sein sollte, und ich zog ruckartig meine Füße zurück und presste sie an meinen Körper.
Ein Schluchzer entdrang meiner Kehle, mein Atem ging schneller, weil ich endlich wieder Luft bekam, und in meiner Nase breitete sich der Geruch von Verwesung aus.
Ich wollte hier weg und nie wieder diesen Raum sehen.
Der nächste, unerklärbare Lichtstrahl schien auf Luis Leiche und ich presste fest die Lippen aufeinander, um nicht laut zu schreien.
Jeder Moment neben ihren toten Körpern saugte mehr Leben aus mir heraus.
Wütend riss ich ein weiteres Mal an meinen Ketten, wollte mir meine Niederlage nicht eingestehen, doch sie schnitten immer weiter in meine Haut, bis ich dachte, dass meine Hände abfallen würden.
Quälend langsam schaffte ich es mich umzudrehen.
'Bitte', schluchzte ich laut und schlug mit der Hand gegen die kalte, harte Steinwand, obgleich ich nicht wusste, wenn ich ansprach.
'Bitte Licht'
Erschöpft schloss ich meine Augen und tauchte vollends in die Schwärze ein.
Ich brauchte Licht, um die Dunkelheit zu vertreiben, brauchte Hoffnung, um die Angst auszulöschen.
Plötzlich hörte ich Schritte neben mir.
Wie konnte jemand in diese Kammer gelangen, wenn es doch keinen Eingang gab?
Langsam öffnete ich meine Augen, um zu sehen, wer mich besuchte und sag in das weiße, grelle Licht, das Elysias immer umgab.
Sie trat umgeben von ihrer hellblauen Aura aus dem Nichts auf wie das unheimliche Licht, welches die Toten beschienen hatte.
'Habe keine Angst. Du schaffst das.', sang sie mit ihrer hellen, melodische Stimme und ein Duft nach Wald und Tannen umhüllte mich, ein Duft der Freiheit versprach.
'Ist die Dunkelheit weg?', fragte ich mit zitternder Stimme und versuchte mich aufzusetzen.
'Natürlich ist sie das.
Du hast sie weggeschickt.' Verunsichert schaute ich in ihre pupillenlosen, blauen Augen.
'Ja, du warst das.', sagte sie mit leiser, warmer Stimme, die mich beruhigte und mich müde werden ließ.
'Bitte bleib hier. ', hauchte ich mit schwindender Kraft und krächzender Stimme.
Das helle, gleißende Blau ihres Körpers wirbelte munter um mich herum.
'Du bist die Richtige.'
Ihre schlanke, hübsche Gestalt zeichnete sich vor dem dunklen, tristen Hintergrund ab und ihre lebendigen, überirdischen Augen schienen durch mich hindurch zu starren.
Sie wirkte wie eine Shiluette, die im fahlen Mondlicht schimmerte und schien jeden Moment zu verblassen.
Mit den Händen fuhr ich mir durch das verschwitzte Haar, wobei die Ketten an meinen Händen geräuschvoll rasselten und meine Bewegungen erschwerten.
'Und wieso bin ich hier und muss leiden? Das ist ungerecht, denn ich habe niemandem etwas angetan.'
'Du bist etwas besonderes, Nia, und das wirst du noch früh genug verstehen.', erklärte sie mit ihrer glockenhellen Engelsstimme.
'Toll.', sagte ich sarkastisch,
'Und was bringt mir das?'
Ich wollte nichts besonderes sein, wollte eine von vielen sein, und nicht diese Tonnenschwere Last der Albträume und schrecklichen Erfahrungen mit mir herum tragen.
Elysias kam näher, kniete sich neben mich und strich mir federleicht über den Arm.
Ihre blau durchscheinenden Finger hinterließen elektrische Funken auf meiner Haut, schienen mich aufzuladen wie eine leere Batterie. 'Ruhe dich ein bisschen aus.
Für diese Nacht hast du es geschafft.' Elysias schnippste vor meinen Augen mit den Fingern und es war, als würde sie mich verzaubern, denn im nächsten Moment war ich so unendlich müde und meine Augen fielen mir zu.
Ich konnte noch Elysias leise schleichende Schritte hören, bevor mein Funke wieder in meinem Herz verschwand.
Danach war ich schon eingeschlafen und kostete diesen tiefen, traumlosen Schlaf voll und ganz aus.
***
Jen und ich saßen gemeinsam in der Mensa neben einem großen, sauber glänzenden Fenster, durch das sanftes Sonnenlicht in den Raum sickerte.
Ich genoss die wohlige Wärme, denn eisige Kälte erleidete ich Nachts schon genug, und deswegen wollte ich jeden sonnigen Tag auskosten, was im Sommer deutlich leichter war, als zu dieser frostigen Jahreszeit.
Gedankenverloren bewegte ich meine Hände sachte ein paar Zentimeter über dem Tisch hin und her, ließ sie in der Luft verharren und wiederholte dann die Prozedur.
Ich erschuf einen kleinen, grauen Kieselstein, der zu einem etwas größeren, porösen Stein mit goldenen Adern wurde und sich schließlich in einen faustgroßen Stein aus Rosenquarz verwandelte.
Zufrieden hob ich die letzte Illusion hoch.
Sie fühlte sich rau an, echt.
Hätte ich diese Illusion nicht selbst erschaffen, hätte ich wohl gedacht, dass es ein normaler Stein wäre.
Der kühle Rosenquarz leuchtete in einem zarten rosa, als ich ihn vorsichtig in meinen Händen drehte und von allen Seiten begutachtete. 'Du siehst nicht besonders angestrengt aus.', stellte Jen kauend fest, während sie genüsslich einen Haufen Pommes in sich hineinstopfte. 'Man spricht nicht mit vollem Mund. Du schmatzt dabei und das ist alles andere als schön.', sagte ich ohne aufzuschauen, doch in meinen Gedanken konnte ich fast schon sehen, wie sie eine Grimasse schnitt. 'Ich genieße.', betonte sie,
'Willst du auch was?'
Ich schüttelte den Kopf, da ich keinen Hunger hatte und ließ den Rosenquarz wieder verschwinden.
'Essen ist ein Grundbedürfnis.
Das solltest du nicht vergessen.', erklärte Jen mit fast schon verärgerter Stimme, sodass ich die Augen verdrehte.
'Und du machst dir deswegen sorgen um mich? Wie rührend.'
Es gefiel mir nicht, dass sie mich immer darauf aufmerksam machte und sie würde nicht verstehen, was mich so bedrückte, was mir Kopfschmerzen verschaffte, und was Übelkeit bereitete, sodass ich nichts mehr hinunter bekam.
Heute war einer dieser qualvollen Tage, an denen mich die Albträume noch den ganzen Tag über verfolgten und an denen ich an nichts anderes denken konnte.
Und wenn ich an die Leichen aus meinem Traum zurück dachte, verging mir wirklich der Apettit.
'Was verdirbt dir nur den Apettit?', wollte Jen nun wissen, hatte wohl nur Fetzen meiner Gedanken abfangen können.
Sie hielt einen Moment inne, während ich den Steine mühelos wieder in meine Hand beförderte, um ihn dann zu verdoppeln.
Es würde mehr Spaß machen, etwas Größeres zu erschaffen, etwas lebendigeres.
Gegen die Sonne blinzelnd schaute ich wieder Jen an, die sich seit ihrer Frage nicht gerührt hatte.
'Keine Ahnung.', log ich, um dieses Thema zu beenden, wobei mir auffiel, dass ich das oft tat.
Von einem Thema ablenken, es unter den Tisch fallen zu lassen oder Jens Fragen einfach zu ignorieren schien neben dem Lügen wirklich eine meiner Stärken geworden zu sein.
Sie seufzte nur leise, aß ihre letzten Pommes auf und putzte sich den Mund an ihrer senfgelben Serviette ab.
'Wenn ich dich verstehen könnte...'
Ich zuckte nur unbeteiligt mit den Schultern und beendete meine Übung, indem ich die Illusionen endgültig verschwinden ließ.
'Du hast jetzt Sport, oder?', fragte sie neugierig und sofort erfüklte mich die übliche Vorfreude und mein geliebter Tatendrang.
Sport war direkt vor Geschichte mein absolutes Lieblingsfach, denn ich liebte es mich auszupowern und seit ich mit Luis trainierte, war ich ziemlich gut geworden.
Schnell stand ich auf, wobei mein Stuhl ein quitschendes Geräusch auf dem blank polierten Parkett verursachte.
'Ich bin bereit, kommst du?'
Jen schaute mich verblüfft an und kicherte dann.
'Bist du bei der Armee oder was?'
'Nein, sehe ich so aus?', fragte ich ruhig, worauf Jen aufstand und vor mir salutierte.
'Ja Sir.'
Sie wollte losmarschieren wie ein Soldat, als ihr das silberne Tablett scheppernd auf den Boden fiel.
Schnell hockte ich mich hin und sammelte den zum Glück heil helbliebenen, schneeweißen Teller auf.
'Du musst aufpassen Jen.', sagte ich belustigt, doch sie beachtete mich gar nicht, war noch viel zu sehr in ihre eigenen Gedanken vertieft.
'Wie kann man in so kurzer Zeit so versessen ins Kämpfen werden?', sie schüttelte wild den Kopf, wobei ihre rot braunen Locken fröhlich hin und her schwangen als würden sie tanzen, 'Muss an Luis liegen.'
Ich verpasste ihr einen Klaps auf die Schulter.
'Findest du es nicht auch irgendwie... befreiend?'
Meine beste Freundin verzog verächtlich das Gesicht.
'Niemals, aber jedem das seine.'
Sie grinste, nahm mir das Tablett ab und stellte es in die vorhergesehen Ablage.
'Bau du ruhig deinen Stress beim Kämpfen ab, Süße.
Besser als Französisch ist es auf jeden Fall, weil da kann man keinen Stress abbauen, nein man bekommt gleich tonnenweise aufgeladen. '
Bedauernd blickte ich auf meine beste Freundin herab, bis sie mühsam ächzend aufstand, wobei sie aussah als wäre sie über siebzig, was mich zum Lachen brachte.
'Ab in die Höhle des Grauens.', salutierte sie und hackte sich bei mir unter.
'Du musst es wirklich nicht so übertreiben, Jen.', stellte ich klar und ließ mich ein weiteres Mal von ihr mitziehen.
'Also wenn, dann untertreibe ich ja. Diese Frau macht mich irre.'
Wir verließen schlendernd die Mensa durch die doppelflügelige Holztür und gingen den Weg entlang, der von der goldenen Herbstsonne beschienen wurde.
Ich genoss die warmen Strahlen auf meiner Haut und den leichten, wenn auch kühlen, Wind, der mir durchs Haar wehte.
'Sicher, dass du sie nicht irre machst?', murmelte ich möglichst nachdenklich und machte mich schon auf ihre nächste Grimasse gefasst, doch Jen schenkte mir lediglich einen gespielt unschuldigen Blick mit klimpernden Wimpern.
Lächelnd schüttelte ich den Kopf und drehte mich um.
'Du wirst es überleben.
Bis später!'
Joggend lief ich zur Sporthalle.
Ein wenig Training würde mir gut tun und danach konnte ich Luis wiedersehen.
***
Die Schwerter schlugen laut klirrend aufeinander,ein holes Geräusch, welches als Echo von den Wänden wiederhallte.
Ich parierte einen seitlichen Schlag und schlug sofort zurück.
Meine Gegnerin wich nur knapp aus und ich lächelte gelassen, denn ich hatte sie schon bald besiegt.
Sie wusste es nur noch nicht.
Meine Gegnerin vollführte einen weiteren Schlag, aber ich duckte mich darunter hindurch und streckte mein Bein so weit wie möglich aus, um ihr die Beine unter dem Körper wegzuziehen.
Mein Lieblingstrick.
Ein quitschender Ton entfuhr dem Mädchen, als sie rückwärts auf eine Matte fiel.
Währenddessen stand ich schon wieder auf den Beinen und legte ihr das Schwert an den Hals, sodass sie genervt seufzte und die Hände in die Luft warf.
'Was soll das hier überhaupt?
Gegen dich kann man gar nicht gewinnen.', stellte sie enttäuscht fest und hob anmutig ihr Kinn.
Ich zuckte nur bescheiden mit den Schultern und hielt dem dunkelblonden Mädchen die Hand hin.
Sie ließ sich schwungvoll von mir hochziehen und trippelte nervös auf der Stelle als Kalvin näher kam.
'Joanna hat Recht. Du hast überaus schnell Fortschritte gemacht. Vielleicht wäre ein passendere Gegner ja Frederico. '
Ich drehte mich nach seiner Stimme um und zog gleichzeitig die Augenbrauen hoch.
Das konnte er nicht ernst meinen.
'Findest du nicht, dass wäre ein bisschen unfair, Kalvin?', protestierte ich, deutete auf den mindestens 2 Meter großen, muskulösen Jungen, der auf der anderen Seite der Halle voller Konzentration gegen einen ebenfalls ziemlich gut trainierten Typen kämpfte und verschränkte verärgert die Arme vor der Brust.
Kalvin lachte laut und sein Lachen klang provokant, aber keineswegs unfreundlich.
'Du lässt dir eine Herausforderung entgehen?', fragte er mich und fuhr sich durch das lange, schwarze Haar. Ich mochte seine nette, kumpelhafte Art und seine anspornenden Herausforderungen.
Außerdem kannte er mich.
Natürlich würde ich dieses Angebot nicht abschlagen, auch wenn ich mir vor dem Kampf noch eine Strategie überlegen musste, um diesen Riesen zu überwältigen.
'Fangen wir an.', sagte ich entschlossen, doch Kalvin war schon vorausgegangen, bevor ich geantwortet hatte.
'Du bist zu durchschaubar.', flötete er und ich musste einen frechen Kommentar unterdrücken.
Mit einem kurzen Nicken verabschiedete ich mich von Joanna, die ganz froh schien, mich loszuwerden, und folgte Kalvin, der nun bestimmt Fredericos Namen rief.
'Du kämpfst jetzt gegen Nia.'
Der junge Italiener mit den drehte sich langsam und drohend um.
Jen hätte ihn sicher als Augenweide bezeichnet, aber er war nichts gegen Luis, extreme Muskeln hin oder her.
Dafür war seine Statur zu breit und sein Gesicht zu kantig, denn er sah eher aus wie eine Maschine, als wie ein Mensch.
Aber auch Maschinen hatten schwächen.
Frederico blickte Kalvin an, als wäre er verrückt geworden.
'Wieso denn das? Sie ist ein Mädchen und äußerst schmächtig.'
'Oha, wie schrecklich.', kommentierte ich leise und erntete dafür einen von Fredericos grimmigen Blicken, wobei seine dunkelbraunen Augen wie Höhlen aussahen, in denen sicher gefährliche Raubtiere hausten.
Ein Zeichen lieber den Mund zu halten.
'Ich bin hier der Lehrer, Frederico. Also kämpfst du jetzt gefälligst gegen Nia.' Wenn Kalvin mit diesem Ton sprach, dann hatte er durchaus Autorität.
'Wegen mir.', brummelte Frederico und musterte mich abschätzig. Sympatisch war auf jeden Fall kein passendes Adjektiv für ihn.
Ich stieg langsam zu ihm auf die Matte, atmete noch einmal tief ein und aus, um mir einen Plan zurechtzulegen und ließ mich schließlich in Angriffsposition sinken. Das schlichte, silberne Kurzschwert an meiner Seite, die Knie leicht gebeugt und die Augen angestrengt zusammengekniffen, um seinen Schwachpunkt zu finden, stand ich da und wartete.
Frederico tat es mir gleich und ließ angeberisch die Muskeln unter seinem weißen T-shirt spielen. Angeber, das beeindruckte mich kein bisschen.
Wir traten ein paar Schritte näher aneinander heran und ich roch sein Deo, ein frischer Zitronenduft.
Nun verspürte ich das Bedürfnis Kalvin, der uns mit Argusaugen beobachtete, nicht zu enttäuschen, denn ich wusste, dass ich diesen Kampf gewinnen konnte, wenn ich mich anstrengte.
Ich musste nur meine Stärken zu seinen Schwächen machen.
Bereit für alles begann ich den Kampf und er parrierte mit einer unfassbaren Leichtigkeit für so einen großen Kerl.
Konzentriert und voller Elan warfen wir uns härter in den Kampf, versuchten beide zu gewinnen.
Seine Schläge waren stärker, als ich vermutet hatte und nur mit Mühe konnte ich die Angriffe abwehren. Schon nach kurzer Zeit lief mir der Schweiß die Stirn hinunter und mit einem siegessicheren Lächeln drängte er mich weiter zurück.
Mein Atem wurde schneller, gehetzter.
Ich musste ihn irgendwie überlisten. Aber was sollte ich tun?
Ich wollte auf keinen Fall aufgeben, musste ihn nur überraschen.
In einer schnellen Bewegung hatte ich mich von ihm entfernt und stand nun abwartend am anderen Ende der Matte.
'Du fliehst? Ist wohl doch nicht so lustig, wie du gedacht hast.' , spottete er gehässig.
Es gab nur eine Chance Fredericos Stärke zu schlagen.
Dazu war trickreiches Kämpfen erforderlich.
Und hatte mir Luis nicht genau das beigebracht, um mich zu stärken?
Frederico näherte sich mir wieder, seine Miene war siegesgewiss, mit einer gewissen Vorfeude bestückt, und das war gut so, denn das machte ihn unachtsam.
'Selbst Schuld.', höhnte er.
Schnell drehte ich mich nach links weg, doch mein Gegner bemerkte die Bewegung und holte aus.
Mit diesem Schlag würde er mich entwaffnen.
In der guten Position, in der ich nun stand, konnte ich jedoch seine offene Seite nutzen.
Ruckartig trat ich im gegen das Knie und warf mich zur Seite, um seinem Angriff zu entkommen.
Einen Lufthauch von meiner Hand entfernt raste das Schwert an mir vorbei, während Frederico überrascht aufkeuchte.
Er hielt sich mit einer Hand das Knie, auf das ich getreten hatte, während ich in weniger als einer Sekunde von der Hocke wieder in eine stabile Kampfposition aufsprang und ihm gekonnt die Waffe aus der Hand schleuderte, bevor er mich auch nur kommen sah.
Mein Schwert lag an seiner Kehle und Frederico musterte mich nur, als wollte er mich töten, doch diesen Blick aus seinen dunkelbraunen Augen ignorierte ich einfach.
Er würde schon über diese Niederlage hinwegkommen.
Ein trockenes "Du hast gegen ein Mädchen verloren." konnte ich mir aber nicht verkneifen.
Kalvin klatschte langsam.
'Sie hat nur durch tricksen gewonnen.', meinte Frederico grimmig, sobald ich das Schwert von seiner Kehle genommen hatte. 'Körpereinsatz ist kein außergewöhnlicher Trick.', stellte ich ruhig fest und Kalvin stimmte mir nickend zu.
'Außerdem ist das Ziel das Wichtigste bei einem echten Kampf.'
Frederico drehte mir grimmig den Rücken zu und ging zu seinem Freund, der schadenfroh lächelte, zumal er wohl öfters gegen seinen Freund verlor.
'Noch eine letzte Runde, dann machen wir Schluss.', rief Kalvin in die Halle, damit auch die stehen gebliebenen Schüler sich noch eine Weile beschäftigten, und drehte sich dann wieder zu mir um.
'Du bist in so einer kurzen Zeit augesorochen gut geworden.
Ich muss dir wirklich großen Respekt aussprechen.'
Ich schaute bei seinem Lob schüchtern zu Boden.
'Danke.', erwiederte ich erfreut, weil mir seine Anerkennung viel bedeutete.
'Ich weiß nicht, was dich antreibt, aber es gefällt mir, es macht dich stark.
Damit kannst du noch viel erreichen.'
Ich nickte nur, ohne wirklich zu wissen, was zu sagen wäre, denn ein weiteres Mal Danke hätte wohl ziemlich naiv geklungen.
Zufrieden legte ich das Schwert weg. 'Du kannst nach Hause gehen, falls du möchtest.'
Ich strich eine verirrte Strähne meines Zopfes zurück an ihren Platz hinter mein Ohr.
Dann verabschiedete ich mich und lief mit federnden Schritten aus der Sporthalle.
Draußen rollte ich meine Schultern, um mich ein wenig zu entspannen, denn Fredericos Schläge waren wirklich stark gewesen.
Doch nicht die Muskeln waren das wichtigste bei einem Kampf und schaffen, konnte man eigentlich alles, was man wollte.
Wenn man es nur genug wollte.
Eine Ausnahme bildete vielleicht das Abschaffen von Albträumen, aber darüber wollte ich jetzt wirklich nicht nachdenken.
Erst einmal war es an der Zeit meinen Erfolg auszukosten.
Es war zwar nicht so, als wollte ich unbedingt diese rumreiche Stellung als gute Kämpferin haben, und doch war es ganz schön, Erfolge zu bemerken und sie mit Stolz zu verarbeiten.
Je mehr ich hier lernte und zeigen konnte, desto mehr hatte ich das Gefühl dazuzugehören.
Ein vielleicht etwas merkwürdiger, aber trotzdem loyaler Gewählter, der für das Gute kämpft, das wollte ich sein.
***
Luis und ich saßen entspannt auf meinem Bett, von gemütlichen Kissen umgeben, und redeten über belanglose Sachen.
Er konnte gut zuhören, wusste aber auch, wie man peinliche Stillen umging, sodass es ein angenehmer Abend wurde.
Nachdem wir auf das Thema Kämpfen kamen, dass uns beide doch ziemlich interessierte, folgte die Erzählung über meinen Kampf im Sportunterricht.
'Und dann hast du Frederico umgehauen, nicht wahr?', fragte Luis grinsend.
Die Finger seiner rechten Hand waren fest um meine geschlungen und ich wollte ihn nie wieder loslassen, geschweige denn aus dieser Position aufstehen.
Ein angenehmes Prickeln bewegte sich in einer Welle über meinen Körper.
'Das glaubst du?'
Meine Stimme klang ihn seiner Nähe immer ein bisschen höher als sonst. 'Ja, der Meinung bin ich.', meinte Luis überzeugt und musterte mich neugierig von der Seite.
'Und, habe ich Recht?'
'Naja, umgehauen habe ich ihn nicht, aber besiegt schon.', stellte ich lächelnd fest und legte nachdenklich den Kopf schief.
'Ich hatte aber auch einen wirklich guten Lehrer.', betonte ich nach einer Weile und grinste ihn an.
'Das muss ja ein toller Lehrer sein, wenn du so von ihm schwärmst.', antwortete er zufrieden, 'Vielleicht kannst du ihn mir empfehlen.'
Ich verpasste ihm einen Klaps auf die Schulter und strich mir eine hellbraune Haarsträhne hinters Ohr.
'So viel musst du dir jetzt auch nicht darauf einbilden.'
Das Bett drückte sich ein wenig ein, als Luis sich zu mir beugte.
Nur weniger Zentimeter trennten unsere Lippen und das unkontrollierbare Gefühl ihn küssen, überrumpelte mich.
Schon wurde mein Puls schneller.
Er legte seine Stirn auf meine und ich schloss die Augen, ließ mir einen Moment der Entspannung.
Keine Geräusche umflossen meine Sinne, es war still in meinem Zimmer.
Da war nur dieses beständige, zweistimmige Klopfen unserer Herzen.
Ich atmete seinen warmen, holzigeb Duft ein und öffnete dann vorsichtig wieder die Augen.
'Also ich mag diesen Typen ja besiegt haben, aber so toll ist das nun auch wieder nicht. Du könntest ihn selbst ohne Waffe besiegen.', erklärte ich und genoss die Wärme, die von ihm ausging.
Jedes Mal, wenn wir uns so nah waren, überrollte mich dieses unglaubliche Gefühl wie eine Welle aus Licht und Glück.
Dann schien ich unbesiegbar.
Luis atmete schwer und ich wusste, dass er sich zurückhielt, wegen mir, weil ich nichts überstürzen wollte.
Wir waren schließlich erst so kurze Zeit zusammen und ich fühlte mich erst nach Wochen, besser nach Monaten, richtig sicher bei einer Person, weil es mir schwer fiel, vertrauen zu fassen, selbst wenn das für ihn unüblich war.
Er wusste das und akzeptierte es.
Jen hatte sich ja so in ihm getäuscht.
Diese Bad Boy Masche, diese Unnahbarkeit und diese Kälte waren nur eine Maske gewesen, die er aufgesetzt hatte, vielleicht einfach aus Spaß, viel wahrscheinlicher aber zum Schutz.
Dabei passte er überhaupt nicht zu seiner warmen, liebevollen, schützenden Seite, die ich so sehr an mochte, auch nicht zu seiner achtsamen, listigen Seite, die er übernahm, sobald er in eine perfekte Angriffsposition fiel.
Es war nur eine Lüge, obgleich ihren Ursprung irgendwo in seiner Vergangenheit haben mussten, vielleicht bei dem Mord an seinen Eltern, vielleicht bei einer Ex Feundin, die ihn verletzt hatte, vielleicht auch einfach, weil er sich so stärker fühlte.
Sein warmer, wenn auch unergründlicher Blick, lag noch immer auf mir, als er mich fest an sich drückte.
Ich kuschelte mich gemütlich in seinen schwarzen Pulli und hörte ihm zu, wie er mir völlig aus dem Kontext gerissen mit leiser, einschläfernder Erzählerstimme etwas über seinen liebsten Urlaub erzählte.
Er war mit seiner seiner Familie durch ganz Irland gefahren und hatte unglaubliche Orte und viele magische Wesen, die sich dort gerne einquartierten, gesehen.
Leider war das einer der letzten Urlaube gewesen, die sie gemeinsam machen konnten, sodass ich mir insgeheim vornahm in naher Zukunft auch mal mit Luis in den Urlaub zu fahren, was ich ebenfalls lange nicht mehr gemacht hatte.
Vielleicht wenn sich die Situation hier ein bisschen beruhigte, denn sonst würde meine Tante es sicher nie erlauben, nicht einmal in den Ferien.
Seine nächsten Worte bekam ich nur durch einen Schleier der Müdigkeit mit, die mich plötzlich einholte und meine Augenlieder ganz schwer werden ließ.
In seinen Armen schien die Welt so klein und unbedeutend zu sein.
Nur wir zwei waren wichtig.
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