Kapitel 25
Ich wachte auf und fühlte mich so wach, wie seit Tagen nicht.
Ich hatte eigentlich nur ein paar Stunden geschlafen, aber dies war ein ruhiger, traumloser Schlaf gewesen und das freute mich so sehr, weil ich wusste, dass ich selber gegen die Träume gekämpft hatte und das ich sie nicht an mich herangelassen hatte.
Und vielleicht, ganz vielleicht hatte mir auch Luis Kette die nötige Kraft geschenkt.
Unbewusst griff ich nach dem Sternenanhänger und hielt ihn fest in meiner Hand.
Luis war gestern so unglaublich lieb zu mir gewesen, hatte mich getröstet und mir beigestanden, und wenn ich ehrlich war, dann fühlte ich mich zu dieser Seite von ihm wirklich hingezogen.
Ich war gestern unendlich müde ins Bett gefallen und sofort in einen tiefen Schlaf gestürzt, sodass gerade noch genug Zeit gewesen war, in eine Jogginghose und ein altes Sweatshirt zu schlüpfen.
Ich war einfach so von der Müdigkeit überwältigt gewesen.
Nun blinzelte ich müde und meine Hand suchte tastend nach meinem Handy, um die Uhrzeit zu erfahren, als ich plötzlich etwas kaltes metallisches spürte.
Die Brosche.
Selbst in diesem halb wachen Zustand spürte ich ihre riesige Macht, die sie umhüllte wie ein seichter Umhang aus Magie.
In dem ganzen durcheinander hatte ich sie völlig vergessen.
Sofort nahm ich die kühle Brosche hoch und legte sie behutsam auf meine zugedeckten Oberschenkel, um mich aufzurappeln und mir verschlafen die Augen zu reiben, bis ich sie richtig öffnen konnte.
Anschließend schnappte ich mir begierig die Brosche, sodass ihre Macht mich vollends ergriff.
Die Luft schien zu vibrieren und die Zeit schien still zu stehen.
Da war nur noch ich und dieser metallisch glänzende Traumfänger. Ich hätte die Brosche so gerne getragen, aber dann würde man denken, dass ich sie gestohlen hatte. Hatte ich das nicht auch?
Sie war es auf jedenfall Wert.
Diese einzugertige Macht zog mich an, lud mich auf und erfüllte mich mit einem fremden Gefühl der Unbesiegbarkeit, genau das, was ich brauchte, was mich abhängig werden ließ.
Bei diesem Gedanken wurde mein Verstand endlich wieder angeschaltet und vorsichtig legte ich die Brosche auf meinen Nachttisch zurück, fasste stattdessen wieder an meinen Hals, an Luis Kette.
Erleichterung breitete sich in mir aus, denn Luis Anhänger war anders, weniger anziehend und überrumpelt, denn an ihm spürte ich lediglich den kühlen, goldenen Anhänger und die gestrige Erinnerung, die damit verbunden war, brachte mich zurück in mein Leben.
Langsam stand ich auf, meine Muskeln schmerzten ein wenig, doch ich hatte gelernt das zu ignorieren Entschlosseb ging ich von der Seite auf meinen Spiegel zu und streckte nur meine Hand nach vorne.
Sie spiegelte sich ganz normal, sodass ich ganz vor den Spiegel trat und tief ausatmete.
Ja, ich weiß.
Meine Angst vor Spiegeln hatte noch immer nicht nachgelassen.
Lächerlich.
Trotzdem konnte ich mich nicht dazu überwinden, diesen Albtraum nur als das anzusehen, was er war, denn dafür war mein zweites Ich zu echt gewesen.
Zuerst kontrollierte ich meine Augen. Sie waren friedlich, haselnussbraun und nicht blutrot. So weit so gut.
Die dunklen Ringe, die sich unter meine Auge stahlen, waren nicht weniger geworden und die Jogginghose half auch nicht gerade zu einem positiven Aussehen bei.
Das konnte ich alles ändern, die kleinen Fehler waren leicht zu beheben und mein Aussehen einfach aufzubessern.
Am Wichtigsten war dieser neue Ausdruck auf meinem Gesicht.
Natürlich war nicht alles wieder gut. Wie sollte es das auch?
Aber alles war ein kleines Stückchen besser, unter anderem Dank Luis.
Er war für mich da, jeden Tag aufs Neue, wie Marc früher.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag in die Magengrube.
Er hatte Marc ersetzt, einfach seinen Platz in meinem Leben eingenommen, wenn auch auf eine ziemlich unterschiedliche Weise.
Dabei konnte ich die Erinnerungen, die wir teilten, keinesfalls vergessen, es war einfach das Eine zum Andern gekommen und Marc spielte nicht mehr die größte Rolle.
Nicht nur diese Welt war anders.
Auch ich hatte mich verändert und dem konnte ich nicht entfliehen.
***
Ich schritt gemütlich durch die weite, erleuchtete Aula des Schulgebäudes. Die Blicke, die mich beobachteten, waren wieder da, doch ich drehte mich nicht um.
Heute nicht.
Ich wartete noch auf Jen, war ausnahmsweise ein bisschen zu früh, und in Gedanken spielte ich wieder mit dem Sternenanhänger meiner Kette herum.
'Du hast sie an.', sagte ein rauer Stimme neben mir, ich schaute auf und blickte in Luis leuchtend blaue Augen.
Ich lächelte plötzlich sehr schüchtern.
'Natürlich trage ich sie.', stellte ich fest, wusste nicht, was ich sonst hätte erwiedern sollen.
'Das ist auch gut so.', sagte Luis herausfordernd und hob seine schwarzen Augenbrauen.
'Du machst mir keine Angst.', sagte ich grinsend und unterdrückte den Impuls, ihn spielerisch wegzuschubsen.
Luis lachte leise, schien heute in guter Stimmung zu sein und zuckte unschuldig mit den Schultern.
'Hab ich das versucht?'
Er brach unseren Augenkontakt nicht ab.
'Ja, hast du.', sagte ich und hob mein Kinn. 'Ich bin so ein böser Kerl.', seufzte er laut und sah dabei so verboten gut aus, weil ihm sein schwarzes Haar locker ins Gesicht fiel und ich deutlich sehen konnte, wie sich die Muskeln unter seinem schwarzen Pulli, in dem ich sicher erfroren wäre, bei jeder kleinsten Bewegung in unserem Umfeld, anspannten.
'Nein, du bist alles andere als böse.', murmelte ich und kaute auf meiner Unterlippe.
'Was bin ich dann?', flüsterte er rau und mein Herz stieg in heißen Flammen auf, so sehr ich es unterdrücken wollte.
Er flirtete mit mir, aber für ihn war es sicher nur ein Spiel, ein alltägliches Spiel mit unterschiedlichen Spielpartnerinnen.
Trotzdem konnte ich nicht widerstehen.
'Finde es selbst heraus.', flüsterte ich zurück und konnte mich endlich von ihm lösen.
Seine Blicke folgten mir bei jedem Schritt und mir wurde klar, dass das falsch gewesen war, dass das sein Interesse weckte.
Jen hatte mich davor gewarnt und doch schien ich ungewollt Gefühle für ihn zu entwickeln.
Ich wagte es in einem unbemerkten Moment neugierig meinen Kopf umzudrehen und unsere Blicke trafen sich unerwartet.
Sobald Luis meinen gedrehten Kopf bemerkte, erschien ein verschlagenes Lächeln auf seinem Gesicht, sodass ich mich schnell wieder umdrehte und weiter ging.
Er hatte darauf gewartet und es war wie in diesen bescheuerten, kitschigen Filmen, in denen das Mädchen immer sofort dem erstbesten Kerl verfiel.
Wie konnte ich auch so dumm sein, mich umzudrehen?
Dieser letzte Blick hatte mich verraten, hatte verraten, dass da mehr war oder zumindest, dass da langsam mehr entstand.
Ich atmete tief aus.
Andererseits würde Jen davon sicher nichts erfahren, ihre bösen Vorahnungen würde ich mir ersparen, und einfach nicht mehr daran denken, was Luis Blicke in mir auslösten.
Möglichst viel Abstand zwischen ihn und mich zu bringen, schien erst einmal der beste Plan zu sein.
Eine kalte Brise wehte um mich herum, verfolgte mich und wirbelte einzelne Blätter auf.
Es roch nach Regen.
'Neue Kette?', fragte Jen gut gelaunt wie eh und ja, nachdem sie neben mir aufgetaucht war.
'Ja.', sagte ich leise und leider durchschaute mich Jen sofort.
'Luis hat sie dir geschenkt?', fragte sie schockiert, was mich zu einem Seufzen veranlasste.
Als sie weiter versuchte meine Gedanken zu durchforschen, blitzte ich sie wütend an.
Das war meine Privatsphäre, nur meine und sie hatte in diesen Erinnerungen nichts zu suchen.
Bestimmt blockierte ich sie in meinem ganzen Kopf und schmiss ihren Geist in weitem Bogen nach draußen.
Jen stolperte überrascht rückwärts und konnte sich gerade noch an einer Bank festhalten, bevor sie hinfiel.
Ich verzog schuldig das Gesicht, hatte rein instinktiv gehandelt.
'Es tut mir leid. Das wollte ich nicht.' Jen stand langsam wieder auf, schien eher erschöpft von meinem Rauswurf als sauer auf mich.
'Nicht schlimm. Ich hätte nicht einfach so in deinen Gedanken rumwühlen dürfen. Sorry.'
Ich hörte echtes Bedauern in ihrer Stimme darüber, dass sie sich übernommen hatte.
'Egal, vergessen wir es.
Die Kette steht die gut, Süße.', fuhr sie fröhlich fort.
Ich fand es eine gute Idee, das Ganze auf sich beruhen zu lassen, schob meine Tasche ein Stück höher und lächelte Jen an, die sich stirnrunzelnd durch ihr lockigen, rot-braunes Haar fuhr, um es zu entknoten.
'Sollen wir in der Mittagspause ins Kaffee gehen?
Ich muss mir unbedingt mal wieder was online bestellen.
Das ist so gemein, dass wir nicht draußen Shoppen gehen dürfen, selbst wenn das meist nicht zu gut ändert.
Ich leide ja fast unter Entzug.' Jen zwinkerte mir authentisch zu und ich wunderte mich ein weiteres Mal, wie sie von einem Moment auf den Anderen ihre eigene Laune aufbessern konnte, als hätte man eine Lampe angeschaltet.
'Klar.', meinte ich und verdehte die Augen, musste aber auch grinsen.
Jen hatte die unverwechselbarr Gabe Situation zu ihrem besten drehen und den Fokus auf die pisitiven Dinge zu lenken.
Ich konnte mir ein leises Gähnen nicht verkneifen und nickte ergeben.
'Du hast Recht. Ich brauche dringend einen Kaffee.'
'Und einen neuen Concealer.', bemerkte Jen mit weicher Stimme, die wohl Frieden symbolisieren sollte. Ich sah sie gespielt wütend an.
'Musste das sein.'
Natürlich wusste ich, dass sie Recht hatte.
'Ich bezahle ihn dir.', schlug sie vor. 'Wie sollte ich dieses gratis Angebot abschlagen?', antwortete ich schmunzelnd, während Jen mich ruhig und besonnen von der Seite aus musterte.
'Nein, ehrlich.
Du siehst besser aus, Süße.'
'Danke.' Es war wirklich schön, dass sie das, zu mir sagte, vor allem, weil ich wusste, dass Jen mir immer und überall die Wahrheit sagen würde. 'Dann machen wir das. Lass uns aber erst mal in den Unterricht.', schlug ich vor als Nächstes vor und Jen verzog leidend das Gesicht.
Sie hob übertrieben ausschweifend die Hand zum Kopf, als hätte sie Migräne.
'Nur wenn es wirklich wirklich sein muss.'
Ich klopfte ihr beruhigend auf die Schulter und schob sie dann vor mir her.
'Ja, es muss wirklich wirklich sein.'
***
Ich trank in Ruhe einen Schluck meines Milchkaffees, während Jeb auf irgendwelchen Online Shopping Seiten nach Schnäppchen stöberte. 'Wow. Hast du diese Schuhe gesehen? Der Hammer, Süße!'
'Nein, ich habe sie nicht gesehen.', sagte ich lächelnd und hob fragend meine Augenbrauen.
Jen schlug sich kichernd mit der Hand vor der Kopf, drehte ihren Labtop in meine Richtung und deutete mit großen Augen auf ein Paar türkisgrüne High Heels.
Ich sah mir gründlich das Bild auf ihrem Labtop an und musste zugeben, dass die Schuhe wirklich schön waren, aber ich konnte mir beim besten nicht vorstellen, wann sie diese offenen, himmelhohen High Heels anziehen würde.
'Die passen auch perfekt zu meinem Kleid, ich muss sie unbedingt kaufen.', stellte Jen bestimmt fest.
Selbst im Internet konnte sie unglaublich begeistert shoppen.
'Was für ein Kleid?', fragte ich neugierig und stellte meine Tasse ab. Einen kurzen Moment sah meine beste Freundin mich verwirrt an, bevor sie ungläubig den Kopf schüttelte.
'Du weißt nichts von der großen Alfaparty?'
Ich schüttelte langsam den Kopf und runzelte die Stirn.
'Alfaparty?', echote ich wenig interessiert das fremde Wort, weil es sich nach einer wilden Party mit vielen besoffenen Schülern, die alle nicht besonders gut auf mich zu sprechen waren, anhörte, die ich nur ungern besuchen wollte.
Sofort war Jen bei der Sache, plapperte eifrig drauf los.
'Ja, die Alfaparty, die größte Party im Jahr, eine nega Feier mit allem drum und dran.
Gute Musik, ein riesiger Saal, bunte Girlanden, Berge voll Konfetti, nicht zu wenig Alkohol und...
Oh nein, du hast ja noch gar kein Kleid und Schuhe und Schmuck auch nicht.'
Ich wusste, dass sie das ernst meinte und dass sie ehrlich von dieser Tatsache geschockt war.
'Was ist das den überhaupt für eine Party?', fragte ich seufzend, weil ich wusste, dass ich da nicht mehr so leicht raus kam.
'Ach, Süße! ', tadelte mich Jen,
'Das ist das Event des gesamten Jahres. Die ganze Schule ist versammelt, um zu feiern, und alle sehen richtig schick aus.
Es findet Anfang nächsten Jahres statt, wenn alle aus den Weihnachtsferien wiederkommen. Wir begrüßen die Neuen Schüler, verabschieden die Ältesten und feiern die Gründung der Schule, sie wurde nähmlich am dritten Januar, lass mich nicht lügen, 1792 eröffnet.'
Sie grinste verschwörerisch und ich tat ebwnfalls so, als würde ich mich freuen, aber allein die kommenden Ferien, die ich wohl alleine auf dem Internat verbringen würde, waren wirklich keine schöne Vorstellung. Meine Gedanken hingen noch an einer ganz anderen Stelle. Schließlich konnten alle Schüler in den Weihnachtsferien zu ihren Familien Nachhause, nur ich hatte fast keine mehr, musste wohl oder übel mir meiner Tante hier bleiben.
'Du musst dir unbedingt noch ein tolles Kleid kaufen.', plapperte Jen ausgelassen weiter, während ich ihr abgelenkt zunickte und nur mit einem halbem Ohr zuhört.
Das letzte Weihnachtsfest hatte ich noch mit meiner Mutter verbracht. Wir hatten einen großen, mit vielen Kugeln und Lichtern geschmückten Tannenbaum, ein leckeres Weihnachtsessen und viele, in glänzend goldenem Geschenkpapier eingepackte Geschenke.
Marc und seine Familie waren bei uns zu Besuch gewesen und wir hatten viel gelacht, viel Spaß gehabt.
'Und was machst du heute Abend noch so?', versuchte ich das Thema zu wechseln.
Jen schien nichts zu bemerken, denn die dunkelgrünen Sprenkel in ihren braunen Augen leuchteten auf.
'Ich treffe mich mit Justin.'
Sie sah äußerst aufgeregt aber zugleich auch wirklich glücklich aus und ihr Lächeln war noch stärker als sonst.
'Ich hoffe, dass ich ihn auch mal kennenlerne.', sagte ich zu ihr und Jen legte provokant grinsend den Kopf schief.
'Wenn du und Luis zusammen kommen, möchte ich ihn nicht unbedingt kennenlernen.'
Ich seufzte leise und vergrub meinen Kopf in meinen Händen.
'Wir kommen nie zusammen, Jen, versteh das doch. ', murmelte ich frustriert.
Jen sah mich nur mit einem kurzen Seitenblick an und grinste verschmitzt.
'Ach komm, Süße, du siehst echt gut aus, er sieht zugegebenermaßen ganz okay aus. Du bist nett und kannst gut kämpfen, er ist nicht nett und der beste Kämpfer.
Das passt doch super, wie Topf und Deckel. Was will er mehr?'
Ich verdrehte lächelnd die Augen und zuckte mit den Schultern.
'Ich fühle mich sehr geehrt von deinen Worten, aber das sieht er vielleicht nicht so, also falls ich etwas für ihn empfinden würde, meine ich.'
Meine Freundin riss dir Augen auf und hob beschwichtigend ihre Hände.
'Aha Süße, natürlich nur falls du etwas für ihn empfinden würdest.', sie zwinkerte übertrieben, 'Was ist da passiert?'
Ich schüttelte wild den Kopf, vielleicht etwas zu abrupt.
'Nein, da ist nichts.'
'Das sagen sie alle.', murmelte sie leise und trank einen Schluck ihres Kaffees.
Meine Gefühle konnte ich zugegebenermaßen nicht zuordnen, aber darüber zu reden, machte die Situation keinesfalls besser.
'Und was ist mit deiner Kraft?', fragte meine Freundin nun.
'Keine Ahnung.'
Ich konzentrierte mich auf den Holztisch und stellte mir vor, wie ein weißes Häschen aus ihm heraussprang.
Es sollte flauschiges, weiches Fell und eine rote Schleife um den Hals haben.
Ich kniff die Augen zusammen und versuchte immer stärker an den Hasen zu denken, doch nichts passierte, sodass ich mir innerlich weiter emsig seine Existenz einredete.
Fast dachte ich, dass etwas entstehen würde, als mich plötzlich die Bilder überkamen.
Ein Käfig voll Asche und Blut.
Ich versank darin, drohte zu ersticken.
Meine Schreie verklangen, bis ich nicht mehr atmen konnte.
Hier war niemand um mich herum, der Käfig zog sich bloß enger zusammen und nahm mir die Freiheit.
Blut drang mir in die Lungen und ich hustete.
Wie sollte ich nur hier raus kommen? Wie konnte ich das Gefängnis zerstören?
Alles verschwamm vor meinen Augen, bildete einen Strudel aus Asche und Blut.
Ich zwang mich dazu, meine zusammengekniffenen Augen wieder aufzuschlagen und mein ganzer Körper schmerzte von der verdrehten Position, die ich im viel zu kleinen Käfig eingenommen hatte, obgleich ich nicht wirklich in ihm gefangen war.
Ich verkrampfte mich und keuchte leise.
'Süße? Ist dir schlecht? ', fragte Jen mich besorgt, war näher zu mir gerückt.
'Alles okay.', redete ich mir selbst ein und versuchte mich damit zu beruhigen, um mich dann wieder aufzurichten.
'Sieht aber nicht so aus.', flüsterte Jen und klappte mit der linken Hand ihren Labtop zu.
'Komm, wir gehen nach Draußen.'
Ich fragte mich verwirrt, wieso sie flüsterte, als ich bemerkt die Schüler an den umliegenden Tischen uns anstarrten.
Ich stand vorsichtig auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Laden. Jen packte ihren Labtop in ihren olivgrünen Rucksack und folgte mir. Beim Hinausgehen zischte sie einem mit offendem Mund starrenden Mädchen noch irgendeine Beleidigung zu.
Die schwere, dunkle Tür fiel hinter uns zu und ich genoss einen kurzen Moment den leichten Nieselregen.
Die Tropfen waren fast nicht zu spüren, aber jeder einzelne war kalt auf meiner Haut.
'Das war meine Blockade.', seufzte ich, worauf Jen ein wenig schockiert wirkte.
'Sie... tut dir weh?'
'Manchmal.', sagte ich kurz angebunden und wendete mich von ihr ab, um nicht über diese Gefühle reden zu müssen.
'Oh', hauchte Jen nur leise, 'Soll ich vielleicht heute Abend zu dir kommen?'
Eigentlich genau das, was ich wollte, ein gemütlicher Abend, doch ich konnte ihr nicht einfach das Glück mit Justin zerstören.
'Nein, das ist nicht so schlimm, ich komme alleine klar.
Triff dich ruhig mit ihm.', erklärte ich, drehte mich wieder um und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Jen schaute noch nicht ganz überzeugt, sodass ich die Arme vor der Brust verschränkte.
'Ich muss sowieso noch ein paar Hausaufgaben machen.
Das ist wirklich kein Problem.'
Schließlich nickte meine beste Freundin bedacht.
'Okay. Ich muss mich jetzt noch fertig machen.'
Sie zog mich in eine feste Umarmung. 'Bis dann.', erwiederte ich.
Wir trennten uns und ich hatte wirklich noch ein paar Hausaufgaben zu machen und Luis würde mich zum Training erwarten.
Was ich danach machen würde, wusste ich noch nicht so genau. Vielleicht sollte ich mit Marc telefonieren und mir dann gemütlich eingewickelt in viele Decken mit einem Eimer Popcorn irgendeinen Film ansehen.
Das hörte sich zumindest nach einem guten Plan an.
***
Die Woche war ohne große Besonderheiten vergangen.
Ich hatte mich immer wieder gefragt, was die Ausgeschlossenen im Schilde führten, aber nichts war passiert.
Ab und zu half ich Jack in der Bibliothek, wobei er mir auch viel über diese Welt beibrachte, denn es gab noch so viel, von dem ich nichts wusste.
Mit meinen Kräften kam ich immer noch nicht voran, doch meine Kampfkunst schien sich Tag für Tag zu verbessern.
Die Albträume waren nicht verschwunden, wie anfangs gehofft.
Ich musste jede Nacht im Traum um mein Leben kämpfen, nach Außen hin ließ ich mir das aber nicht anmerken.
Jeden Morgen saß ich nach meinem Traum eine Zeit lang in meinem Bett und versuchte mich zu beruhigen. Manchmal war es schwerer, manchmal leichter.
Ich rutschte in dieser Zeit immer in einen tranceartigen Zustand, verdankte ihn der Traumfängerbrosche, die ich dann starr in meiner Hand hielt.
Sie schien mich mit Kraft aufzutanken, wenn ich welche brauchte.
Meinen Fenriswolf hatte ich leider nicht mehr gesehen, dabei vermisste ich ihn sehr.
Gleich hatte ich wieder Training mit Luis. Ich versuchte meine Freude, die mich jedes mal übermannte, wenn ich daran dachte, zu unterdrücken.
Es war nur ein Training.
Da hörte ich ein lautes Klacken und verzog leidend das Gesicht.
Sally stöckelte mit ihren hohen Schuhen in meine Richtung und rempelte mich an.
'Geht's noch?', fragte ich sauer und sah sie wütend an.
Sally grinste nur herablassend und reckte ihr Kinn, bevor sie mir zickig antwortete.
'Pass doch auf, wo du hingehst.'
Manchmal wollte ich sie einfach erwürgen.
'Ich möchte ja wirklich nicht auf alten Sachen herumreiten, aber ich wollte nochmal nachfragen... also ich denke doch, dass ich das darf.', flötete sie ein bisschen zu freundlich und begutachtete mich von oben herab, was ihr allein durch d8e Höhe ihrer High Heels gelang und ihr sehr zu gefallen schien.
Ich musterte sie misstrauisch.
Das konnte nichts Gutes bedeuten, aber immenhin war Sally heute mal allein unterwegs und ich musste mir nicht dass unangemessene Lachen ihrer Schatten anhören.
Nach einer kurzen Pause gab sie sich selbst das Recht, weiter zu sprechen. 'Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob du, nun wie soll ich das nett ausdrücken?', druckte sie herum und grinste schelmisch.
Nett, war schon mal die Übertreibung des Jahres.
Ich wartete genervt auf ihre Antwort und überlegte mir schon, mich einfach zwischen ihre und der Bank vor mir vorbei zu quetschen.
'Wie findest du es, eine Macht zu besitzen, mit der du nichts machen kannst? Ich meine, klar kannst du dir etwas vorstellen, aber Puff!', sie drückte mir unsanft auf die Nase, 'Und schon ist die Illusion weg.'
Hätte ich eine Illusion erzeugen können, hätte ich ihr mal eine richtig schreckliche gezeigt, die sie nie wieder vergessen würde, aber nicht einmal das konnte ich.
Wütend drehte ich mich um und ging weiter, ignorierte die einfach, obgleich das, was mich am meisten ärgerte, die Tatsache war, dass ihre Worte im Prinzip stimmten.
Selbst wenn ich meine Macht erhalten würde, was sollte ich dann damit anfangen?
Hinter mir hörte ich Sally Lachen, das laut über den Hof schallte.
Super witzig. Ich schaute stur geradeaus und ging weiter, ohne mich noch einmal umzusehen.
Ich starrte stur geradeaus, als ich lässig wie immer auf der Treppe ein paar Meter vor mir sitzend, Luis entdeckte.
Ich verzog entschuldigend das Gesicht und Luis blickte fragend erst zu mir und dann zu Sally, die gerade gemächlich um die Ecke schlenderte. Ich stemmte beleidigt die Hände in die Hüften.
'Ich weiß auch nicht, was sie gegen mich hat.'
Luis stand rasch auf und legte so den Abstand zwischen uns zurück.
Er schaute mich an, als läge ihr Verhalten auf der Hand, das tat es aber ganz und gar nicht.
'Sie ist Eifersüchtig auf dich.', murmelte er und stand dabei so dicht vor mir, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte.
Ich versuchte erfolglos, das Kribbeln der aufsteigenden Schmetterlinge in meinem Bauch zu unterdrücken oder es mir wenigstens nicht anmerken zu lassen.
Wann waren diese Gefühle so stark geworden?
Ich sollte mich wirklich zusammenreißen.
'Auf was denn? Sie hat mehr Freunde, besitzt mehr Geld und ist sowieso hübscher als ich.', sagte ich schlicht und hob die Hände, doch Luis schüttelte mit einem geheimnisvollen Lächeln den Kopf und antwortete erst nach einem kurzen Zögern.
'Nein, ihre Freunde sind alle keine wahren Freunde, keine Freunde die für sie einstehen würden und du bist viel hübscher, Nia.'
Ich erstarrte bei seinen Worten, denn nie hatte er mir ein Kompliment gemacht außer im Kampf.
War das ein Traum?
Aber wo waren dann die Feinde, das ganze Blut und der unheimliche Wald?
Lange hatte ich keinen schönen Traum geträumt.
Vielleicht hatte ich mich auch verhört.
Dann kam er noch näher, richtete seine eisblauen Augen auf mich und sog mich damit förmlich auf, was mich bewegungunfähig werden ließ.
Oh doch, er hatte es gesagt.
Mein Herz pochte so laut, dass man es mehrere Kilometer entfernt auch hören müsste, als ich seinen Atem auf meiner Wange spürte.
'Weißt du, was ich schon immer mal tun wollte?', fragte er mit rauer Stimme.
Ich sagte nichts, versank nur in seinen unglaublich leuchtend blauen Augen.
Dann kam sein Gesicht näher.
Ich schloss die Augen und hielt die Luft an, denn auch meine Gedanken hatten sich automatisch ausgeschaltet und ich war komolett zum Eisblock erstarrt.
Da war überall nur er und ich merkte, dass er die ganze Zeit schon da gewesen war, sich leise schleichend einen Weg in mein Herz gebahnt hatte.
Und nun würde er mich küssen.
Seine Lippen fühlten sich sanft auf meinem Mund an, bewegten sich vorsichtig und sachte, wie ich es von ihm nie erwartet hätte.
Ich genoss jede Sekunde dieses Kusses, als gäbe es nichts besseres im Leben als seinen Atem und das Gefühl seiner Lippen auf meinen.
Seine eine Hand lag sanft auf meiner Wange und mit der anderen hielt er mich sicher an der Taille fest, sonst wäre ich wahrscheinlich umgekippt, denn meine Beine waren nun aufgetaut und wie aus Pudding.
Nun küsste er mich drängender und mein Herz öffnete sich, alle meine Barrieren brachen nur durch ihn.
Ich fühlte mich frei und gleichzeitig geborgen, seltsam sicher in diesen Armen.
Der Kuss dauerte wahrscheinlich nur ein paar Sekunden, aber ich schnappte atemlos nach Luft, sodass Luis lächelte.
'Das war anders als ich gedacht habe.', gab er zu und ließ nicht durchblicken, ob er seine Worte positiv oder negativ meinte, 'Und dir scheint im wahrsten Sinne des Wortes die Luft zu fehlen.'
Ich grinste auf eine völlig neue Art und Weise, wusste nicht woher dieses Lächeln kam.
'Bilde dir bloß nichts darauf ein.'
'Und wenn ich das tuhe?', fragte er provokant und hob die Augenbrauen.
'Idiot', murmelte ich leise und versuchte angestrengt nicht wieder in seinen faszinierenden Augen verloren zu gehen.
Wieso fühlte sich das hier so gut, so richtig an?
Und wieso war ich plötzlich so froh?
War das alles sein Werk und hatte ich mich unbewusst so sehr nach diesem Kuss gesehnt?
Tausend fragen über, dass was wir getan haben und dass was darauf folgen würde, flogen durch meinen Kopf, aber ich konnte sie nicht beantworten, wusste nur, dass ich diesen Kuss nie bereuen würde, selbst wenn er mir mehr bedeutete als Luis.
Trotzdem war da diese Hoffnung, dass er auch etwas für mich empfand, vermischt mit seinem Geruch nach beständigem, starken Holz, süßem Honig und einer verloren geglaubten Heimat.
Noch einen kurzen Moment standen wir umschlungen aneinander, bevor er sanft die Hände von mir löste und seufzte.
Ich schluckte hörbar und biss mir auf die Lippen, suchte fieberhaft den Fehler.
'Ich habe schlecht geküsst.', vermutete ich und errötete, weil ich meine Gedanken laut ausgesprochen hatte.
Er lachte leise. 'Nein, das bestimmt nicht.'
Seine Stimme klang so vertraut, sein Lachen so bekannt, und eigentlich war das schon eine ganze Weile so gewesen, ich hatte nur nie akzeptieren wollen, dass ich etwas für ihn empfand.
Doch nun, wo das Glück mich so brodelnd durchfloss, schien Luis Bedenken zu haben.
'Wieso seufzt du dann?', fragte ich direkt und Luis fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
Sein Gesicht wurde wieder undurchschaubar, der kurze Moment verloren.
'Ich hätte das nicht machen sollen.' Fassungslos starrte ich ihn an.
Er hatte mich doch einfach so geküsst. Wie konnte man nur im ersten Moment so liebevoll und im zweiten so wenig taktvoll sein?
Wütend schnaubte ich und der schwarze Ärger über seine erneut auftretende Undurchschaubarkeit umhüllte mein Glück wie ein Schleier.
Ich verfiel ihm einfach sofort, sobald er auf mich zukam.
Er könnte alles mit mir machen, ohne dass ich etwas dagegen sagen würde.
Als er mich ansah, verzog Luis sofort das Gesicht, was seine inneren Gefühle aber nicht zu erreichen schien. Dabei wusste ich das sie da waren, ich htte sie gespürt.
'So war das nicht gemeint.'
Klar, er hatte das einfach so zum Spaß gesagt.
Luis fasste meine Hand und wendete seinen intimen Blick kein einziges Mal von ihm ab.
Mein Herz schlug lauter, denn ich konnte meinen Körper in seiner Nähe einfach nicht kontrollieren.
Das musste ich irgendwie ändern.
'Das war wirklich nicht so gemeint. Glaub mir Nia, ich würde dich am liebsten jederzeit wieder küssen.'
Die Ernsthaftigkeit in seinen Augen raubte mir endgültig den Atem.
Sein Mund war nicht weit von meinem Gesicht entfernt und ich spürte wieder dieses abwartende Kribbeln in mir.
Eigentlich wollte ich verführerisch sagen "dann tu es doch", aber stattdessen kamen andere Worte aus mir raus.
'Und was sollte das dann?'
Meine Stimme klang trotzig wie die eines kleinen Kindes.
'Du bist zu gut, zu unschuldig, so geschwächt. Das würde nicht klappen.'
Ich legte verwirrt den Kopf schief.
'Hörst du dir eigentlich selber zu?', fragte ich drohend, war wütender als gedacht, dass er mich als schwach bezeichnet hatte, 'Ich bin nicht schwach und selbst wenn, dann hat das nicht mit uns zu tun.'
Er atmete tief ein und aus, schien seine Worte ehrlich zu meinen und ehrlich ein schlechtes Gewissen zu haben.
'Du verstehst das nicht, ich bin dich nicht Wert.', murmelte er leise.
'Sei nicht lächerlich. Du bist mich mehr als Wert.', hauchte ich besänftigt.
'Willst du das denn?', fragte er direkt.
Ich wusste weder, was genau ich wollte, noch, was er mir anbot, aber es war mir egal, denn seine Berührungen und sein leises Lachen machten mich zu glücklich, als dass ich hätte nein sagen können.
'Ja', gab ich ehrlich zu und legte meine Hand auf seine Brust, 'Ja, ich denke schon.'
Seine Augen glitzerten verführerisch und er küsste mich ein weiteres mal. Ich erwiederte den Druck seiner Lippen, spürte, dass er lächelte, und blendete die Außenwelt aus, weil ich ihn einfach nur spüren wollte.
In einem starken Impuls schlang ich meine Arme um seinen Hals, zog ihn enger an mich und küsste ihn mit voller Leidenschaft.
Entweder ganz oder gar nicht.
Luis erschauderte und presste mich, sofern das möglich war, noch enger an ihn.
Wir verschmolzen in unserem Kuss und die Liebe füllte mich voll und ganz aus.
Das war erst der Anfang unserer äußerst komplizierten Liebesgeschichte.
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