Kapitel 23
'Die Prüfung muss von jedem vollwertigem Mitglied der Gewählten bestanden werden.
Die ist also so etwas wie eine Aufnahmeprüfung.
Dabei werden eure Kräfte, euer Wissen und euer Kampfgeschick bewertet und sie verlangen alles von euch ab, bis hin zum letzten Rest eurer psychischen und physischen Kraft, um euch einstufen zu können.
Dies ist jedoch weniger bedeutend als die Tatsache, dass ihr dabei ein echtes Mitglied der Gewählten werdet, wofür ihr auch einen Schwur leisten müsst.'
Ein blonder Junge meldete sich eingeschüchtert, indem er ganz langsam die Hand in die Höhe streckte.
'Ja, Jakob, hast du eine Frage?'
'Nach dieser Einstufung kann man seinen Rang nicht mehr verändern?', fragte er mit lauter, dunkler Stimme. Mrs. Infusio nickte bedacht.
'Ja, das stimmt leider.
Ihr habt nur eine Chance für die Einstufung.
Diese wird aber vom Rat geheim gehalten und ihr müsst euch keine großen Sorgen darüber machen, weil es euer Leben nur indirekt beeinflusst.
Dabei geht es darum, den besonders mächtigen Schülern die Chance zu geben, ihre Kräfte zu erweitern, einen hohen Posten zu bekommen und vielleicht sogar in den Rat aufgenommen zu werden, denn im Rat des Instituts sind nur die Stärksten, die Allerbesten Gewählten.
Sie stimmen über wichtige Fragen und Entscheidungen ab, die uns alle betreffen, und sie halten die Prüfungen ab.'
'Also geht es eigentlich gar nicht um die Ränge?', fragte ein großes Mädchen mit feuerroten Haaren noch einmal nach.
Sie war außerordentlich hübsch und hatte eine hohe Stimme.
Mrs. Infusio schob sich eine verirrte Strähne aus ihrem Dutt und wanderte ein Stück weg von ihrem Pult.
'Nun ja, sagen wir das Wichtigste ist, dass ihr die Prüfung besteht.'
Viele Schüler lächelten erwartungsvoll, aber ich war mir noch nicht sicher, was ich von dieser Prüfung halten sollte.
'Sind schon viele Schüler durchgefallen?', fragte ich also in der Hoffnung, dass dies keine dumme Frage war.
'Glücklicherweise passiert es sehr selten, dass jemand ganz durch die Prüfung fällt.
Es geht mehr um eure Loyalität, die richtigen Absichten und die volle Anstrengung, als darum der odee die Beste zu sein.
Selbst die mit weniger Kraft oder Stärke können einen guten Abschluss machen.'
Das erleichterte mich sehr, zumal ich mich auf meine Magie schon mal nicht verlassen konnte.
Doch vielleicht funktionierte es ja bis zum richtigen Zeitpunkt der Prüfung, denn sie war sicher noch ein paar Jahre hin, sodass ich genug Zeit hatte, alles aufzuholen.
Auch Jen atmete leise die angehaltenr Luft aus, schien sich nicht besonders auf eine solche Prüfung zu freuen.
'Auf dieser Seite im Buch könnt ihr sehen, wie die Sitze im Rat aussehen und wer von ihnen der Stärkste und so auch der Anführer ist.'
Neugierig schaute auf die bunt illustrierte Seite, auf der 4 Stühle, mit je einem Begriff davor abgebildet waren.
Von links nach rechts waren es die Bezeichnungen weise Stimme, stärkster Kämpfer, bester Kraftmeister, liebster Freund.
Meiner Meinung nach ziemlich komische, kindische Namen für einen so besonderen Rat.
Weiterhin besaßen alle Namen unterschiedliche Höhen, indem schwarze Säulen unterschiedlicher Hlhen hinter sie gemalt waren.
Der beste Kraftmeister war nach der Abbildung der Anführer, danach folgte der stärkste Kämpfer, der liebste Freund und schließlich die weise Stimme, welche wahrscheinlich das gelernte Wissen und die Traditionen der Gewählten darstellte.
Ich versuchte mir die Namen einzuprägen, damit ich sie auch in den nächsten Tagen und Wochen wieder abrufen konnte, denn dieses Thema würde mindestens bei meinem Abschluss sehr wichtig werden.
Meine Tante schritt ruhig von links nach rechts, damit wir Zeit hatten, uns die Bilder anzuschauen, bevor sie mit ihrer Erklärung fortfuhr.
'Es gibt 4 Prüfungen, die nach der Rangfolge, die ihr im Buch seht, bewertet werden.
Stellt euch vor, dass es für alle Prüfungen zusammen 100 Punkte, also 100 Prozent, gibt.
Wenn man danach geht, gehören 40 Prozent zu einer Prüfung, in der ihr eure Kräfte einsetzten müsst, und 30 Prozent zu einer Kampfprüfung. Außerdem gibt es noch eine... nun ja, komplizierte Prüfung, der dann 20 Prozent zugeschrieben werden.
Bei dieser entschlüsseln sie eure Gedanken und dringen in eure tiefsten Absichten ein, damit sie eure Loyalität prüfen können.'
Ein Junge mit Nerd-Brille ließ erschrocken seine Hand hochschnellen und Mrs. Infusio sah in zustimmend an.
'Sie dringen in unsere Gehirne ein und ergründen unsere tiefsten Geheimnisse?', fragte er entsetzt.
Meine Tante schüttelte schnell den Kopf, musste aber ein Lächeln unterdrücken.
'So dramatisch würde ich das jetzt nicht ausdrücken.', stellte sie klar, 'Der Test dient lediglich der Annahme, ob ihr wirklich einer der Gewählten werden könnt oder ob es gewisse Vorzüge gibt, die man den Ausgeschlossenen zuschreibt.
Ihr habt also nichts zu befürchten.' Leichter gesagt als getan.
Ich fürchtete mich ziemlich vor dieser großen Prüfung und vielen anderen aus der Klasse konnte man das gleiche ansehen.
Sogar die meisten saßen mit zusammengebissenen Zähnen und bedrücktem Gesichtsausdruck in ihren Bänken und dachten scheinbar darüber nach, wie es wäre bei dieser einmaligen Prüfung zu versagen. 'Macht euch keine Sorgen, Kinder.', beruhigte Mrs. Infusio die Klasse erneut, 'Das alles dient zu eurem Besten.'
'Jaja, dann können wir es ja auch lassen, weil dann geht es mir am Besten hörte ich Jen neben mir murmeln, sodass meine Tante ihr einen drohenden, fast mörderischen Blick zuwarf.
Ihr schien das Konzept wohl sehr zu gefallen, wenn sie es so verteidigte.
Außerdem', fuhr Mrs. Infusio wieder lächelnd fort, 'müsstet ihr euch doch freuen, dass nur 10 Prozent des Testes aus Wissen besteht.
Ihr müsst relativ wenig des hier Gelernten anwenden.'
Viele Schüler kicherten leise, wareb jetzt etwas mutiger und freuten sich über die wenige Anstrengung, nur der Junge mit der Nerd Brille sah ehrlich enttäuscht aus.
Ich kaute gedankenverloren auf meiner Unterlippe.
Was wäre wenn ich meine Kraft bis dahin nicht nutzen könnte?
Würde ich die Prüfung dann nicht bestehen?
Und war man dann ein Aussetziger oder gar ein Ausgeschlossener?
Das konnte nicht sein, aber ich traute mich nicht, zu fragen.
'Es muss immer zwei weibliche und zwei männliche Mitglieder im Rat geben. Das gilt seit Jahren zur Gleichberechtigung.
Dabei ist es egal, wie die Geschlechter angeordnet sind.
Ein Rat bleibt immer nur für zwei Jahre, aber jedes Mitglied kann beliebig oft wiedergewählt werden und es wird jedes zweite Jahr im Sommer neu gewählt.
Ich werde euch die Namen, derjenigen nennen, die dieses Jahr im Rat sind.
Schreibt diese Namen jetzt bitte auf. In unserer Welt gilt es fast als Schande nicht zu wissen, wer regiert.' Gehorsam schlug ich mein Heft auf und meine Tante wartete bis es nach dem Auspacken der Blätter still wurde, bevor sie ruhig weitersprach.
'Dieses Jahr ist die Anführerin des Rates Gabriela Sternschnuppe.
Sie verfügt über die mächtige und äußerst seltene Kraft der Natur. Vielleicht habt ihr schon davon gehört, dass sie beispielsweise Bäume wachsen lassen, Quellen aus dem Boden fließen oder gar Windstöße leiten kann.
Sie nutzt alles, was die Natur um sie herum bietet und kontrolliert es.'
Ein weiteres Mal fragte ich mich, wieso alle außer mir so coole Kräfte hatten, Kräfte mit denen man wirklich etwas machen konnte. Trotzdem schrieb ich Gabriella Sternschnuppe und Kraft und der Natur auf, um beides schließlich mit einem kleinen Pfeil zu verbinden. 'Dann gibt es Erik Hudson, der mit Abstand beste Kämpfer der Gewählten und Xenia Whitecheek, die sozusagen die gute Seele der Gruppe ist.
Sie hat die besondere Macht die tiefsten Absichten eines jeden herauszufinden.
Demnach kann sie erkennen, was eure Motivation zum Leben ist und wofür ihr kämpft.
Das dient aber, wie vorhin schon erwähnt, allein dazu zu wissen, ob ihr gute Absichten habt und zu den Gewählten, statt zu den Ausgeschlossenen gehört.'
Meine Tante wartete bis alle die Namen aufgeschrieben hatten und begann wieder an dem Punkt, an dem sie aufgehört hatte.
'Den Schluss bildet dann John Kimson.
Vor einem halben Jahr war er noch ein hoch angesehener, wenn auch sehr strenger, Lehrer am New Yorker Internat.
Nun hat er den höchsten Punkt seiner Karriere erreicht.'
Jen meldete sich interessiert, was mich verwundert schmunzeln ließ und wurde dann auch drangenommen.
Ich wartete gespannt auf ihre Frage. 'Die Mitglieder des Rates des Instituts für Magie sind also die Stärksten Gewählten überhaupt?'
'Das stimmt nicht ganz.', erklärte meine Tante, 'Da gibt es noch jemanden anderen, nämlich die königlichen Familien.
Sie sind die Höchstgestellten in unserer Welt.'
'Wow. Könige.', formte Jen mit dem Mund und ich nickte begeistert.
Zu gerne würde ich mal jemanden der königlichen Familie treffen.
Ob sie in einem großen, versteckten Schloss lebten?
Ob sie anders waren als wir?
Und dieses Bild aus dem Museum. Der alte Mann spuckte mir noch immer im Kopf rum.
Wie aufs Stichwort schaute Mrs. Infusio fragend durch die Klasse.
'Wenn ihr gut aufgepasst habt, solltet ihr sogar einige königlichen Familien kennen. Na?'
Ich hob langsam meine Hand, ein paar andere aus der Klasse auch.
Mrs. Infusio nickte mir lächelnd zu. 'Die Familie Traumfänger.
Hannibal Traumfänger war der Entdecker der Magie.' , gab ich wieder, was mir so im Kopf hängengeblieben war.
'Genau. Sonst noch welche?'
Sie deutete auf den Jungen mit der Nerd Brille.
'Die Familie Hanwen.
Lorenzia Hanwen war das Gegengewicht von Hannibal Traumfänger.'
'Sehr gut! ', lobte meine Tante ihn, 'Die Beiden waren ihr ganzes Leben lang Feinde, denn er verkörperte das Gute und sie das Schlechte.
Es gibt aber auch noch ein paar andere Königsfamilien. Die Anführerin des Rates Gabriela Sternschnuppe ist zum Beispiel ebenfalls aus einer königlichen Familie.
Die Natur Familie ist schon seit langem stetig ein Mitglied im Rat.
Sie sind, nach dem Verschwinden von Richard Traumfänger, eine der einzigen fortlaufenden Königsfamilien der Gewählten, doch auch bei den Ausgeschlossenen gibt es außer den Hanwens nur noch wenige Könige und Königinnen.
Es herrscht eine Ausgeglichenheit. ' 'Aber wenn Richard Traumfänger doch verschwunden ist, gibt es kein Gleichgewicht mehr.', warf jemand schockiert ein und meine Tante wog den Kopf hin und her.
'Manche Munkeln, dass Gabes Tochter Gesine Hanwen nur eine normale Kraft erhalten hat.
Sie beherscht die Schnelligkeit voll und ganz, aber ist somit keine wirkliche Königin mehr.'
'Also neigt es sich dem Ende zu, wobei Gabe Hanwen ist doch noch ein König. Er kann uns...', sagte das Mädchen mit den roten Haaren hysterisch, doch bevor sie aussprechen konnte, fuhr Mrs. Infusio ihr verstimmt ins Wort. 'Darüber wollen wir jetzt gar nicht reden. Niemand weiß, was das Schicksal bereithält und das sollte auch so bleiben. '
Sie schaute mit verlorenem Blick aus dem Fenster und bewegte mit den Fingern die Seiten ihres Buches unruhig hin und her.
Die letzten, braunen Blätter flogen eilig durch den Wind, flohen wie bei eine Jagd, einer Jagd vor dem Tod.
'Und was wäre, wenn die königlichen Gewählten, die noch übrig sind, alle sterben?
Was wäre, wenn Gabe Hanwen alle umbringt?', flüsterte ich Jen besorgt zu. 'Das wird schon nicht passieren.', murmelte sie nachdrücklich, auch wenn ich nicht nachvollziehen konnte, woher sie ihre feste Überzeugung nahm.
Wir beide wussten schließlich, wie es um die Schutzhülle stand.
Mrs. Infusio schien sich wieder gefangen zu haben, denn sie fuhr mit ihrer gewohnt ruhigen Stimme fort.
'Nun wieder zum ursprünglichen Thema.
Nach den Prüfungen müssen sie euch noch ein wenig Blut abnehmen, bevor ihr wieder zum Internat zurück könnt.'
Elle wurde drangenommen und fragte neugierig nach einem Termin.
'Und wann ist diese Prüfung?' 'Voraussichtlich findet sie für euch in ungefähr 2 Jahren statt.
Es könnte aber sein, dass Manche von uns die Prüfung früher bestehen müssen.'
'Wie unfair', fauchte Sally Impulsiv und sobald sie sich der vielen Blicke bewusst war, feilte sie sich in Ruhe weiter die Nägel.
Ich schnaubte verärgert.
'Wie gesagt, sie wollen nur das Beste für euch und manchmal ist eine vorgezogene Prüfung notwendig, damit ihr eine freigewordene Stelle übernehmen könnt, oder im Notfall auch, damit ihr in Sicherheit seid.'
'Muss sie auch nicht dauernd wiederholen. Wir haben es ja kapiert.', grummelte Sally, sodass ich sie wütend anblitzte.
Meine Tante wollte nur, dass wir uns vor der Prüfung keine Sorgen machten, denn zwei Jahre konnten schnell vorübergehen.
Also nahm ich mir vor, dass ich, bevor ich heute abend mit Luis trainierte, in die Bibliothek gehen würde, um mich mehr über meine Macht zu informieren.
Vielleicht konnte ich auch Jack ein bisschen zur Hand gehen, denn der alte Bibliothekar war mir mit der Zeit tatsächlich ans Herz gewachsen.
***
Als die Stunde zu ende war, dauerte es noch lange, bis alle Schüler die Papierkügelchen weggefegt hatten, und Mrs. Infusio hatte ihr Wort gehalte, denn Hausaufgaben hatten wir auch auf.
Sobald der ganze Raum sauber aussah und die meisten Schüler hinaus gegangen waren, wollte ich ebenfalls aus der Tür gehen, doch meine Tante hielt mich zurück.
Ach ja, sie wollte noch mit mir sprechen.
Ich seufzte genervt und zuckte kurz mit den Schultern, um Jen zu signalisieren, dass ich nicht wusste, wie lange das jetzt dauerte.
Dann senkte ich den Blick, ging zu Mrs. Infusios Pult und wartete davor. Sally ging abschätzig lächelnd an mir vorbei und ihre Absätze verursachten ein lautes Geräusch auf den Parkettboden, doch ich ignorierte sie. 'Was ist denn los?'
Sie hob äußerst langsam den Kopf und ihre Miene blieb undurchschaubar, als sie mich musterte.
'Du hast immer noch Albträume? ', 'Nein, ach was, ich...', wehrte ich ab, doch Mrs. Infusio hatte mich bereits durchschaut.
Sie hob eine Augenbraue und sah mich anklagend an.
'Manchmal.', meinte ich wiederstrebend, weil ich wusste, dass sie jetzt nicht mehr nachgeben würde.
Meine Tante kam hinter dem Pult hervor und legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter.
'Ich weiß, dass du es im Moment schwer hast, so viel Neues kommt auf dich zu, aber nimm dir das bitte nicht zu sehr zu Herzen.
Ich passe auf dich auf, was auch immer passiert, wir alle tun das und irgendwann wirst du dich an dieses Leben gewöhnen.
Weißt du, die Albträume entstehen nur durch deine Vorstellungen, nur weil du das Erfahrene nicht so schnell verarbeiten kannst und sie werden mit der Zeit verschwinden.
Noch besser, du kannst sie jederzeit beenden, wenn du nur daran glaubst.' Ich zwang mich zu einem starren Lächeln, als hätte ich das nicht schon längst versucht, vergebends versucht. Wie schön wäre es, wenn die Albträume endlich verschwinden würden.
'Ich versuche es.', presste ich hervor und meiner Tante genügte das.
Nun schlug sie einen betont heiteren Ton an.
'Und was willst du jetzt machen?'
Ich behielt weiter mein künstliches Lächeln und das klappte besser, als ich gedacht hatte.
'Ich dachte, ich gehe ein bisschen in die Bibliothek und lese.'
Mrs. Infusio nickte bedacht und ordnete die Blätter auf ihrem Pult.
'Na dann, viel Spaß dabei.
Und Nia,' sie blickte mich noch einmal ernst an, 'Du schaffst das, glaube an dich.'
Ohne ein weiteres Wort verließ ich die Klasse und raste die Treppen hinunter.
***
Ich atmete tief die kalte Luft ein, denn es war merkwürdig stickig gewesen in der Klasse.
In letzter Zeit fühlte ich mich immer so eingeengt, wie als wäre ich in einem undurchdringbaren Glaskasten eingesperrt.
Mein eigener Körper schränkte mich ein, ließ zu wenig Raum für meine Gedanken und Gefühle.
Es war relativ still hier draußen, kein einziger Vogel zwitscherte, die meisten waren wohl längst in den Süden geflogen.
Nur das Geräusch des knirschenden Kieses unter meinen Füßen war zu hören, sobald ich mich bewegte, verschwand, wenn ich schwankend stehen blieb.
Irgendwie kam mir die Stille bedrückend vor, also folgte ich weiter dem Pfad und versuchte so schnell wie möglich zur Bibliothek zu kommen.
Die großen Säulen markierten den Eingang, wirkten so einladend und beschützend.
Ich lächelte bitter bei dem Gedanken daran, dass es in der Bibliothek sicher war, denn sicher war ich nirgends. Nicht mal in meinen Träumen.
Entschlossen stieg ich die Stufen hinauf. Drinnen war es warm.
Es roch nach frischem Kaffee und alten Büchern.
Viele Schüler saßen über ihre Bücher gebeugt an den Tischen und lernten, Andere lasen gemütlich in einem der Sessel.
Ich drehte meinen Kopf nach links und entdeckte an der Theke Jack, der mir den Rücken zugewandt hatte und gerade ein paar Bücher auf den bereits überladenen Bücherwagen stellte.
Er freute sich sicher, wenn ich ihm zur Hand ging.
Voller Tatendrang ging ich auf Jack zu und begrüßte ihn mit einem freundlichen 'Hallo'.
Er drehte sich um und lächelte besonnen.
'Guten Tag, Nia. Wie geht es dir?'
Ich legte meine Tasche schwungvoll hinter den Tresen und überspielte die Müdigkeit, die mich schon den ganzen Tag verfolgte.
'Ganz gut. Kann ich dir bei irgendetwas helfen?'
'Gerne.', sagte Jack mit seiner angenehmen, dunklen Stimme und seine braunen Augen leuchteten, 'Räum doch bitte den Bücherstapel weg, das wäre wirklich nett, und wenn es dir nichts ausmacht, folge ich dir.'
'Klar', sagte ich knapp und schnappte mir den Bücherwagen, erinnerte mich jedoch auch an das letzte Mal, bei dem er mir gefolgt war.
Er hatte über meine Eltern gesprochen.
Um das zu vermeiden plapperte ich einfach drauf los, während ich eifrig die Bücher einsortierte.
'Wir haben heute etwas über den Rat des Instituts für Magie gelernt.
Die Prüfung scheint meiner Meinung nach ziemlich schwierig zu sein, aber wahrscheinlich bin ich auch ein kleines bisschen überrumpelt.
Wissen sie noch, wie ihre Prüfung war?'
Jack lachte leise und rieb sich gedankenverloren das Kinn, während ich ein Buch über Heilkräfte ab seinen ursprünglichen Platz stellte, dass meine Tante sicher schon gelesen hatte.
Über meine Kräfte gab aber kein Buch oder zumindest hatte ich bisher noch keines gefunden und ich war schon mehrmals durch alle Gänge geschlendert und hatte hunderte Bücher eingeräumt.
'An diesen Moment würde ich mich immer erinnern.', sagte der alte Bibliothekar leise, 'Es wirkt wirklich ziemlich beeindruckend, vielleicht auch ein bisschen erschreckend am Anfang.
Ja, ich kann nicht verleugnen, dass ich selbst auch Angst vor meiner Prüfung hatte. Danach jedoch...
da fühlte ich mich unbesiegbar.'
Er schwelgte eine Weile in Erinnerungen und ich ging extra langsam, damit er mir gut folgen konnte.
'Was ist eigentlich ihre Kraft?', fragte ich neugierig, als mir auffiel, dass ich gar nicht wusste, was für eine Kraft er hatte.
'Oh, ich habe die Begabung meine Hand auf ein Buch zu legen und herauszufinden, worum es darin geht, wann das Buch erschienen ist und wo es schon überall war.
Und ich vergesse kein einzieges Detail, von nichts.'
Er hatte also ein fotografisches Gedächtnis und konnte Bücher lesen, ohne sie wirklich zu lesen.
'Du denkst dir, wie passend das für einen Bibliothekar ist, nicht wahr?', fragte Jack gutmütig, als er mich unbewusst lächeln sah, 'Ich gebe zu, dass mich das diesem Beruf näher gebracht hat, aber meiner Meinung nach, hat jeder von uns seine eigene Bestimmung, wobei ich zugeben muss, dass ich mich früher immer für meine Gabe geschämt habe.'
Ich sah ihn vervlüfft an und hielt inne. 'Aber wieso denn? Das ist doch eine wundervolle und einzigartige Gabe.'
Er zuckte nur mit den Schultern.
'Ja, inzwischen weiß ich meine Gabe zu schätzen.
Ich finde schneller Bücher, weil ich einfach nur nach denen mit den richtigen Infos in der ganzen Bibliothek suche.
Da ist wirklich viel Wissen in meinem Kopf. Vielleicht etwas zu viel Wissen.'
Er schüttelte belustigt den Kopf und strich über die Bücher im Regal neben uns.
'Trotzdem fand ich es früher unfair, dass die anderen ihre Gaben zum Kämpfen einsetzten konnten und ich nicht.
Sie hatten so viele Vorteile im Unterricht und ich war nur ein kluger, kleiner Bücherwurm.
Im übrigen hatte ich eine Blockade und konnte erst viel später als die anderen meine Kraft einsetzten.'
Ich riss erstaunt die Augen auf, hätte nie im Leben gedacht, dass Jack auch eine Blockade hatte.
Ich war also doch nicht die Einziege mit diesem Problem in meinem Umfeld.
'Warte, sie hatten eine Blockade?', hakte ich nach und Jack verzog das Gesicht, was bei ihm reichlich merkwürdig aussah.
'Ja, das ist manchmal so.
Die Kräfte lassen sich dann nicht sofort abrufen und meist gibt es etwas, dass sie zurückhält.'
Er wirkte leicht verunsichert von meiner Reaktion, weil ich ungläubig den Kopf geschüttelt hatte.
Ich jedoch wurde zunehmend fröhlicher und schöpfte neue Hoffnung, auch wenn er noch nichts von meinen Plänen wusste.
Es lag direkt vor meiner Nase und er konnte mir sicher helfen.
Wieso hatte ich nicht schon vorher gefragt?
'Es tut mir leid, dass ich so unhöflich bin.', entschuldigte ich mich und fuhr ungeduldig fort, 'Aber können sie mir bitte so viel wie möglich über Blockaden erzählen?'
Das verwirrte Jack vollends, doch er lächelte nur gutherzig.
'Na, wenn es dich so brennend interessiert.
Doch du räumst erst die Bücher für mich weg.'
Etwas Junges, spielerisches Blitzte in seinen weisen, braunen Augen auf. 'Natürlich! ', stimmte ich sofort zu und lief mit dem quitschenden Wagen vor mir los, wobei mir egal war, dass mein ungeduldiges Verhalten kindisch war.
Auf zum Fabelwesen Bücherregal, wo ich zwei Bücher ablegen musste.
Jack fing hinter mir leise an zu lachen.
Vielleicht konnte ich ja jetzt endlich eines dieser vielen Mysterien lösen, die mir die ganze Zeit im Kopf herum spuckten.
Meine Magie konnte ich zwar nicht zum Kämpfen benutzten, aber wenn sie erst einmal befreit war, konnte ich sie immerhin auch entdecken und vielleicht sogar sinnvoll in meinem Alltag nutzen.
Erst dann wäre ich eine richtige Gewählte.
Voller Vorfreude räumte ich die Bücher in nur wenigen Minuten alle an ihren Platz, was sicher noch nie ein Schüler so schnell vor mir geschafft hatte.
***
Kurz darauf saßen Jack und ich auf zwei gegenüberliegenden Sesseln in einer ruhigen, abgeschiedenen Ecke der großen Bibliothek.
Ich rutschte im dunkelroten Sessel unruhig hin und her und sah Jack gespannt an, konnte seine Worte gar nicht mehr abwarten, denn ich erwartete mir von ihnen die perfekte Lösung für das Problem mit meiner Kraft.
Er ließ sich absichtlich Zeit, aber ich wollte ihn nicht direkt drängen, ihn seine Erinnerungen einzutauchen. 'Na gut, dann fange ich mal an.', murmelte Jack schließlich entschlossen.
'Wie du sicher schon weißt, gibt es Blockaden nur bei sehr starken und seltenen Kräften.
Meine Kraft ist äußerst rar.
Bei einer Blockade wird der größte Teil der Kraft in dir abgeschirmt.
Du kannst die Magie spüren, aber nicht nutzen.
Sie ist unter deiner Haut verborgen, in deiner Seele eingeschlossen und kann einfach nicht heraus.
Für Manche, wie es auch für mich zutraf, ist es eine Qual, wenn man daran denkt.
Es fühlt sich an, als fehlte einem etwas.
Ich habe es immer als die Qualen eines undruchdringlichem Feuers empfunden, das einen schneidenen Kreis um mich zog, das immer da war und immer gleich blieb.
Ich weiß nicht, wie du dich fühlst. Zumindest nehme ich an, dass du eine Blockade hast.'
Er lächelte wissend und ich wusste das sich eine Antwort darauf nicht mehr lohnte, weil seine Überlegung ihn bereits zur richtigen Annahme geführt hatte.
Sonst wäre ich auch kaum so aufgeregt gewesen.
Ich versuchte angestrengt das Gefühl, das ich in letzter Zeit, wobei eigentlich schon mein ganzes Leben, immer wieder zurückschob.
Als kleines Kind hatte ich dieses Gefühl immer absichtlich gemieden und mit der Zeit war dieses Meiden zu Ignoranz geworden.
Ich hatte gelernt damit zu leben und es in die hinterste Ecke meines Verstandes gedrängt, weil ich es einfach nicht brauchte.
Trotzdem überkam es mich mit kaltem Schaudern, als ich die Gedanken endlich zuließ.
Es war ein kaltes Gefühl, passte überhaupt nicht zu der Flamme, die Jack beschrieben hatte.
Ich war eingesperrt in mir selbst, in einem engen Gefängnis.
Die Wände bestanden aus hartem, gefühllosen Stein und nur ein kleines Fenster mit metallenen Gitterstäben, die von einer Eisschicht überzogen waren, und durch das ein wenig Luft in den kleinen, wenn auch Raum wehte, war weit über meinem Kopf angebracht.
Ich würde hier nie rauskommen, es war unmöglich.
Verzweifelt ließ ich mich an der Wand heruntersinken und versuchte die eisige Kälte auszublenden, versuchte mir ein wärmendes Licht vorzustellen, aber der Frost und das Gefühl der Angst wollten einfach nicht verschwinden.
Dann kamen die Wände auf mich zu, näher und näher.
Ich schrie innerlich, schlug dagegen, doch ich konnte sie einfach nicht zerstören.
Meine Atemzüge wurden schneller. Die Wände kamen näher.
Das Fenster verschwand.
Schließlich konnte ich gar nicht mehr atmen, saugte nach Luft, aber da war nichts, was meine Lungen füllen konnte und schlgartig wurde schwarz vor Augen, als hätte jemand das Licht ausgeknippst.
Ich schnappte erschrocken und zischend nach Luft, war wieder in dee Realität.
Was war das?
Das Entsetzten in meinem Körper und dieses letzte Gefühl der Atemnot ließen sich nicht eindämmen, also biss ich mir auf die Lippen, um einen kleinen Schrei zu unterdrücken.
Danach schob ich das Gefühl so weit wie möglich von mir weg, schluckte es runter wie den Kloß in meinem Hals, mit dem Unterschied, dass es noch da war, auf mich lauerte. 'Sicher kein gutes Gefühl.', sagte Jack und warf mir einen traurigem, verständnisvollen Blick zu,
'Das können nur Menschen mit einer Blockade, Menschen, die es wirklich gefühlt haben verstehen, selbst wenn es bei jedem ein wenig anders ist.
Versuch es erst einmal auszublenden.' Das Ausblenden war nicht allzu schwer, denn ich hatte es ja bereits mein ganzes Leben unbewusst gemacht.
Die gerade erlebten Gefühle in der kleinen Kammer verfolgten mich aber immer noch, weil ich sie zum ersten Mal richtig zugelassen und in mir aufgenommen hatte.
'Möchtest du immer noch mehr wissen?', fragte Jack mich und ich nickte stur.
Das würde nichts an meinem Vorhaben ändern.
Stattdessen war ich nur noch motivierter gegen die Blockade anzukämpfen, denn ich wusste endlich, dass ich zu 100 Prozent eine Blockade hatte.
Nun wollte ich unbedingt auch noch wissen, was ich dagegen machen konnte und das hier konnte mir helfen, mich aus diesem eisigen Käfig befreien.
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