Kapitel 18

Ich hatte mir, seit ich zum ersten mal von einem Fenriswolf gehört hatte, gewünscht ihn zu reiten, den beißenden Wind im Gesicht und unter mir das weiche, graue Fell zu spüren.
Nur kurz konnte ich dieses überschwängliche Gefühl der Freiheit  genießen, denn schon viel zu schnell verlor ich aufgrund meines gestörten Kreislaufes das Bewusstsein, mein Kopf sackte kraftlos auf den Rücken des Wesens und seine warme Aura hüllte mich ein.
Ich bekam so gut wie nichts mehr mit, blinzelte nur ein oder zwei Mal, wenn wir über ein Hindernis sprangen, weil ich dann kräftig durchgeschüttelt wurde, sodass meine schmerzenden Wunden mich vom Träumen fernhielten.

Ich wurde sanft auf den Boden gehoben, stützte mich nach einer Weile des blinden Tastens an einem Baumstumpf ab und öffnete vorsichtig die Augen in der Hoffnung, dass wir jetzt in Sicherheit waren.
Der Fenriswolf hatte seinen Kopf schief gelegt, sodass er aussah wie ein nach einem Leckerli bettelnden Hund. Seine Augen schienen mich und meine Tante zu bewachen.
Ich kämpfte gegen den aufkommenden Schwindel an, der meinen Körper durchfuhr, sobald ich mich aufsetzte.
Ein weites Stück könnte ich nicht mehr gehen, doch das war auch gar nicht nötig, denn wir saßen vor dem Tor unserer Schule und demnach  waren es nur noch wenige Meter, bis wir im Internat und in Sicherheit waren.
Ich schaute den großen Wolf lächelnd an und ließ eine Welle der Dankbarkeit auf ihn zurollen.
'Du hast uns das Leben gerettet.
Ich denke, dass ich dir etwas schuldig bin.'
Der Fenriswolf stieß einen Laut aus, der wie ein zufriedenes Schnurren klang, was mich zum Lächeln brachte. 
Danach neigte er den Kopf und verschwand eilig im Wald, wollte wohl verschwinden, bevor ihn jemand entdeckte.
Ich sah ihm gebannt hinterher, hiefte dann meine Tante hoch, die immer noch in einem halbwachen Zustand war, und humpelte mit ihr zum Tor, um sie dagegen zu stützen.
Wie konnte sie nur so friedlich dösen  und von all den Geschehnissen nichts mitbekommen?
Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf und mein Blick glitt auf den Platz.
Wir mussten nur noch hier rein kommen, doch niemand war zu sehen.

Erschöpft stemmte ich meine Hände gegen die großen Eisenstäbe und rüttelte daran.
Nicht einmal ein kleines Kind hätte ganz hindurchgepasst.
Wäre ich superstark könnte ich vielleicht das Tor öffnen.
Aufgrund eines schnellen Gedankens holte ich mein Handy aus der Hosentasche, welches einen schmalen Riss hatte, von dem mehrere Verzweigungen abgingen.
Hoffnungsvoll drückte ich mehrmals den An-Knopf, doch nichts geschah. Kaputt.
Auch noch das.
Verärgert stopfte ich es zurück in meine Tasche und blickte ein weiteres Mal durch die Gitterstäbe auf den leeren Campus.
'Hilfe!', rief ich, so laut es mir möglich war über den Platz.
Nichts passierte.
'Lasst mich doch rein!', sagte ich laut, verzweifelter, wollte mir nicht eingestehen, dass unsere Rückkehr an diesem rostigen Tor scheiterte.

'Komm schon.', japste ich, sprach eher zu mir selbst, als plötzlich Kalvin über den Hof schritt.
Ich rüttelte lauter an den Gitterstäben, sodass er überrascht zu mir sah.
'Nia?', fragte er verwirrt und erfasste im nächsten Augenblick die Situation. Schnell rannte er zu uns, zog eilig einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete das quitschende Tor.
Ich stolperte unbeholfen ein paar Schritte ins Innere des Internats.
Wir waren am Leben, in Sicherheit, hatten es geschafft.
'Was ist passiert?', hörte ich Kalvins besorgte Stimme, als er meine Tante entdeckte.
Ich blickte ihn ausdruckslos an und versuchte den Strudel aus schwarzen und weißen Schleiern, der mich in sich hinein zu reißen schien, auszublenden.
'Wir wurden angegriffen.'
Mehr bekam ich von diesem Tag nicht mehr mit, der restliche Abend rauschte an mir vorbei, als hätte er nie stattgefunden.

***

Ich schreckte hoch und mein Blick fuhr suchend herum, versuchte zu verstehen, wo ich war.
Ich lag in einem weißen Krankenbett und der Geruch von Desinfektionsmittel kroch mir in die Nase. Das warme Licht an der Decke leuchtete nur schwach.
Trotzdem musste ich mehrmals blinzeln, bevor ich etwas sehen konnte. Mit einer Hand schirmte ich meine Augen ab, während ich durch den kleinen Raum sah. Im Bett neben mir konnte ich unter der Decke einen dunkelbraunen Haarbüschel hervorlugen sehen und ich war mir ziemlich sicher, dass meine Tante dort lag und schlief. Außerdem entdeckte ich noch einen montierten Wandfernsehen, eine große Pflanze und einen alten Holzstuhl neben mir, die typische Einrichtung in Krankenhäuser, welche ich aus tiefstem Herzen hasste.
Beruhigt schloss ich wieder meine Augen und kuschelte mich in mein warmgelegenes, weißes Kissen.
Es war trotz dem intensiven Waschmittelgeruch bequem.
Ich fühlte innerlich in meinen Körper, um zu schauen, wo ich verletzt war. Neben meiner Kopfwunde, die mir immer noch leichte Kopfschmerzen bereiteten und einer schmerzenden Schnittwunde im Arm besaß ich nur mehrere blaue Flecken und Schrammen.

Ich wollte schon wieder in meine Traumwelt zurücksinken, um möglichst schnell wieder gesund zu werden, als ich hörte, wie sich Schritte näherten und eine Tür aufgemacht wurde.
Ein dezenter Duft nach Zedernholz und Honig schwang mir um die Nase. Die Tür wurden geschlossen und die Schritte erklangen erneut, wobei ich genau wusste, wer den Raum betreten hatte.
Diese Person erkannte ich selbst mit geschlossenen Augen.
Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, versuchte ich möglichst ruhig zu Atmen und ließ meine Augenlieder möglichst ohne zu zittern geschlossen.
Mir wurde sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht geschoben.
Seine Finger waren warm und viel sanfter, als ich es ihm zugetraut hätte.
'Bitte werde schnell wieder gesund.', flüsterte Luis mit leiser Stimme.
Ich konnte seinen kühlen Blick, dee gar nicht zu seinen Worten passte, auf meinem Gesicht spüren.
Hatte er das wirklich gesagt?
Sorgte er sich etwa um mich?
Er strich weiter durch meine Haare, berührte manchmal meine Wange und schien dabei in seinen eigenen Gedanken zu versinken.
Ich atmete tief und gleichmäßig ein und aus, was mich wieder müde werden ließ, bis ich schließlich wieder einschlief und in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
So gut wie in dieser Nacht oder vielleicht auch an diesem Tag, da ich kein Gefühl von Zeit hatte, hatte ich lange nicht mehr geschlafen.

***

Ich schlug meine Augen erneut auf. Es schien nur eine Sekunde, vielleicht aber auch mehrere Tage vorbei gegangen zu sein.
Neben mir saß jemand auf dem Stuhl, aber es war nicht Luis und ich konnte mir nicht sicher sein, ob er da gewesen war oder ob ich mir seinen Besuch nur eingebildet hatte.
Nun blickte ich in Jens grinsendes Gesicht.
Sie war gut gelaunt wie eh und je.  'Du bist wach.'
Ich rieb mir vorsichtig, um den Verband um meinen Kopf nicht zu verrutschen, die Stirn.
'Wie lange habe ich geschlafen?', murmelte ich leise, denn meine Stimme schien eingerostet zu sein. Jen überlegte kurz, bevor sie mir antwortete.
'Fast vierundzwanzig Stunden, so weit ich weiß.'
'Einen ganzen Tag?', fragte ich überrascht.
Jen kicherte liebevoll spöttisch.
'Ja, du Siebenschläfer.'
Ich veesuchte ihren Arm zu ergreifen, doch sie wich mir auf und plapperte einfach weiter.
'Deine Tante ist auch eben aufgewacht. Du hast sie gerade verpasst.'
'Ich werde sicher noch genug Zeit haben mit ihr über den Vorfall zu reden.', meinte ich entschieden und war vielleicht sogar glücklich, zuallererst Jen anzutreffen.
'Ja. Erstmal kannst du ja damit anfangen, mir alles zu erzählen.', forderte Jen und stützte wartend den Kinn auf ihre Hände.
Ich seufzte leise, gab aber keinen Protest von mir.
'Na, gut. Ich versuche mich an alles zu erinnern.'
Langsam setzte ich mich auf und lehnte meinen Kopf an die Wand, weil er sich so schwer anfühlte.
'Es war so...'

Ich erzählte ihr alle die Geschehnisse, angefangen bei meinem Treffen mit Marc bis hin zum Fenriswolf. An diesem Punkt stoppte Jen mich mit großen Augen.
'Ein... äh... Fenriswolf hat dich gerettet?'
Sie glaubte mir nicht.
'Ja, so war es.', bestätige ich, aber Jen legte den Kopf schief und musterte mich kritisch von oben bis unten, blieb an meiner Kopfwunde hängen, die sie als Erklärung für dieses Erlebnis nahm.
'Entschuldigung, aber bist du sicher das du das nicht geträumt hast, Nia?' 'Nein, ich weiß doch...', begann ich an und wedelte wild mit den Händen.
'Ich sag ja nicht, dass ich dir die Geschichte nicht glaube, aber es klingt halt ziemlich unmöglich.
Ein Fenriswolf würde dich, soweit ich weiß, zerfleischen.', unterbrach sie mich und krazte sich dann am Kopf, 'Und deine Kopfwunde sieht auch ziemlich böse aus.'
'Ich habe ihn gesehen.', beteuerte ich nachdrücklich, konnte sie aber nicht überzeugen.
'Ja, okay, nehmen wir an, dass er da war... Er hat euch zurück zur Schule getragen, oder wie?'
Ich nickte lächelnd, als ich an den kurzen Moment, indem ich bei Bewusstsein auf seinem Rücken geritten hatte, zurück dachte. 
Genau so war es nach meinen Erinnerungen gewesen.
'Aha...', sagte Jen nur, aber ich musste nicht Gedanken lesen können, um zu wissen, dass sie mir das nicht abkaufte. Ich war mir selber nicht ganz sicher, ob er echt dort gewesen war und es gab keine anderen Zeugen.
'Weißt du, ob noch jemand anderes mich besucht hat?', fragte ich beiläufig und sah meine beste Freundin prüfend an.
Sie hob eine Augenbraue.
'Du denkst nicht wirklich an Luis, oder Süße?'
War ich wirklich so leicht dirchschaubar odee hatte sie gerade meine Gedanken gelesen und eine rhetorische Frage gestellt.
Das Schweigen ließ ich als meine Antwort gelten, Jen seufzte und runzelte nachdenklich die Stirn.
'Nun ja, ich glaube nicht, dass dich noch jemand besucht hat.
Natürlich war ich auch nicht die ganze Zeit hier. Ich musste Essen, aufs Klo, nervige Schule, Schlafen wäre auch ganz gut und was der anstrengende Alltag noch so für mich bereit hält.' , sie grinste mich wieder an und ihre lebendigen, braunen Augen leuchteten.

'Und was ist dir sonst so passiert?', fragte ich sie neugierig, was man an einem Tag so verpasste.
Jen schwenkte mit ihrer Hand durch die Luft, malte irgendein unwillkürliches Muster.
'Eigentlich ziemlich wenig.'
Ich wusste schon, dass sie jetzt losplappern würde und irgendwie hatte ich das auch vermisst. Gemütlich schloss ich die Augen und horchte auf die Stimme meiner Freundin, welche sich fast überschlug.
'Gabriela und Jakob sind zusammen gekommen, anscheinend schon vorgestern, aber das hast du sicher noch nicht mitbekommen.'
Nein und ich hatte auch keine Ahnung, wer das war.
'Die Lehrer labern langweiliges Zeugs, wie immer.
Ich habe gestern sogar eine Schicht in der Bibliothek für uns beide übernommen, als Revanche quasi. Wir sind schon fast fertig mit dem Abarbeiten der Strafarbeit.
Der Hausmeister hat die kaputte Bank erneuert, die Bäume werden immer kahler und ich frier mir schon jetzt den Arsch ab, obwohl es erst Herbst ist.'
Innerhalb eines Tages wurden sie kahler die Temperatur sank drastisch? Das ging aber schnell.
'Ach ja, Sally machte sich darüber lustig, dass du dich in deinen Illusionen verkrochen hast und lieber in deiner Traumwelt namens Bett lebst. Joa, sonst ist eigentlich nichts passiert.'
Ich öffnete meine Augen und lachte leise.
'Na dann ist es ja gut, dass du mich immer auf dem Laufenden hältst.'
Jen sah das als großes Kompliment und schien den ironischen Unterton, der in meiner Stimme mitschwang, gar nicht zu bemerken.
'Gerne doch, Süße.
Du willst dich aber sicher noch etwas ausruhen.'
Ich nickte, obwohl ich gar nicht mehr müde war, mit dem Hintergedanken, dass ich ein wenig Zeit für mich alleine brauchte, um mich zu sammeln.
'Wir heilen schneller als normale Menschen, aber dafür brauchen wir viel Schlaf.', erklärte meine Freundin hilfsbereit und stand langsam auf.  Ich rutschte tiefer in meinem Bett und wickelte mich in meine warme Decke, weil mir irgendwie kalt geworden war.
'Jen?', fragte ich noch, als sie die Tür öffnete, sodass sie sich noch einmal umdrehte.
'Danke, dass du neben mir gewartet hat, als ich geschlafen habe.'
Sie lächelte fürsorglich.
'Kein Problem. Dafür bin ich doch da.
Schlaf gut und träum schön, Süße.'
Sie winkte mir noch und verließ dann den Raum, sodass ich mich wieder aufrappelte und meine Arme zur Seite streckte.
Ich war wirklich froh, sie zu haben.

***

Mein Spiegelbild bewegte seine rechte Hand nach oben, zupfte ein bisschen an seinen Klamotten und senkte dann den Blick.
Ich sah schrecklich aus. Meine Kopfwunde war noch nicht ganz verheilt, sodass sie quer auf meiner Stirn prangte und ich hoffte wirklich, dass sie keine Narbe hinterließ, weil das äußerst unschön aussehen würde.
Auch meine Armwunde war noch verbunden, tat aber schon fast nicht mehr weh, und mehrere kleine, blaue Flecken schmückten meinen Körper.
Innerlich nahm ich mir vor härter zu trainieren, denn ich musste es wirklich ernst nehmen, wenn ich gegen mehrere Gegner hintereinander kämpfen sollte.

Früher war ich eigentlich nie verletzt worden, außer vielleicht ein kleiner Schnitt in den Finger oder einer kleinen Wunde nach einem Fahrradunfall, sodass meine insgeheimen Selbstheilungskräfte keine Übung darin hatten, meinen Körper schnell und mit möglichst wenig Energie zu heilen.
Das war wohl auch der Grund,  weswegen meine Tante schneller heilte als ich, mal abgesehen davon dass sie ihre Wunden binnen weniger Sekunden verschwinden lassen konnte.
Ihr Immunsystem war einfach besser, die Frage war nur, wie ich meines trainieren konnte. Mich selbst zu verletzten, fiel schonmal heraus, daß konnte ich nicht.
Ich richtete ungefähr 10 mal mein dunkelblaues Top, doch irgendwie wollte es mir heute nicht stehen und ich fühlte mich weiterhin unwohl. Danach schlüpfte ich in meine schwarze Jeans und kuschelte mich in meinen neuen, warmen Cardigan. Meine Haare machte ich zuerst zu einem Zopf zusammen, doch danach öffnete ich sie wieder und ließ sie mir tief ins Gesicht fallen, um mich vor störenden Blicken zu schützen.

Die Tür ging mit einem leisen Klacken auf und meine Tante schritt unsicher herein.
'Hallo Nia, bist du fertig?'
Ich nickte nur stumm und blickte ein letztes mal in den Spiegel. Jetzt musste ich erstmal zum Rat und erklären, was geschehen war. Meine Tante hatte ihnen schon eine kurze Zusammenfassung der Erlebnisse gegeben, aber sie wollten auch noch meine Meinung einholen.
Nach einem tiefen, beruhigenden Atemzug schlüpfte ich in meine schwarzen Stiefeletten, stand wieder auf und folgte Mrs. Infusio hinaus auf den ebenfalls kahlen, weißen Flur.
Sie drehte sich beim Gehen zu mir und sah mich lächelnd an.
'Ich muss dir nochmal danken, Nia. Du warst so tapfer und nur dir habe ich zu verdanken, dass wir überlebt haben.'
Ich nickte knapp,sagte aber immer noch nichts. Eigentlich war es nicht mein Verdienst. Nur durch den Fenriswolf hatten wir überlebt.
Er hatte uns gerettet. Sicher war ich mir nicht mehr, ob ich dies, insbesondere vor dem Rat, erwähnen sollte. Nicht einmal Jen hatte mir geglaubt. Wahrscheinlich sollte ich das Treffen mit dem Fenriswolf einfach umgehen, zumal mir ja auch nicht klar war, was wirklich passiert war und vielleicht war es nur wieder einmal meine blühende Fantasie in einem Fiebertraum gewesen, die mir dieses Wesen vorgegaukelt hatte.
Außerdem wollte ich nicht den Spott des Rates auf mich ziehen, wenn ich von einem gefährlichen, mystischen Wesen erzählte, dass uns heldenhaft geholfen hatte, obgleich es eigentlich Menschen zerfleischte. Sie würden mich Lügnerin nennen und denken ich hätte Spaß daran gefunden, ihnen eine Geschichte statt der Wahrheit zu erzählen.
Ich würde einfach eine Notlüge vorziehen.
'Du musst leider die Themen, die wir die letzten beiden Tage gemacht haben, nachholen, aber wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich gerne an mich wenden. Lass dir ruhig Zeit. ' 'Ja, klar.', murmelte ich nachgiebig, weil sie bei Schulangelegenheiten immer so streng war.
Bei unserem Weg trafen wir mehrere Schüler und mit der Zeit fing ich an, ihre Blicke zu ignorieren.
Es war inzwischen fast natürlich gemustert zu werden, weil wieder einmal etwas nicht nach Plan gelaufen war.
Nur ein Blick war anders, war warm und kalt zugleich.
Ich würde ihn überall spüren und auch in diesem Moment haftete er auf mir.
Aus dem Augenwinkel konnte ich Luis an einer der alten Säulen lehnen sehen, der geöangweilt seinen Blick über die Schüler gleiten ließ und mich nur vorübergehend zu mustern schien.
War unsere letzte Begegnung nur ein Traum gewesen? Zumindest sah Luis nicht so aus, als würde es ihn etwas angehen, was mit mir war und ob ich verletzt war.
Ich schluckte hörbar, obgleich ich keinen Grubd dafür haben sollte, weil er nie gesagt hatte, dass wir Freunde wären, und schritt weiter den Weg entlang.
'Du bist so still.', stellte meine Tante mit einem fragenden Blick fest.
Sie hatte die Treppe bereits hinter sich und wartete nun, doch ich wusste nicht, was ich auf ihre Aussage antworten sollte.
Also stieg ich einfach die letzten Treppenstufen hinauf und blieb neben ihr an der Tür stehen.

Mrs. Infusio öffnete langsam die Holztür und ließ mich vor ihr herein, sodass ich den restlichen Rat unsicher anblickte.
Das Zimmer war nur spärlich eingerichtet.
Die weißen, trostlosen Wände schienen das Licht im Raum zu dämmen und die Gesichter der Mitglieder des Rates wirkten nicht allzu glücklich.
Ich war mir nicht ganz sicher, ob dies etwas mit der Sicherheitskuppel, dem fatalen Vorfall oder meiner bevorstehenden Befragung zu tun hatte.
Der Vorfall schien schon wieder Jahre her zu sein oder vielleicht auch nur eine winzige Sekunde.
Eine Sekunde voll Erinnerungen und guten sowie schlechten Träumen. 'Nia?', hörte ich die Stimme meiner Tante. Ich blickte mich verwirrt um, hatte nicht zugehört.
Dabei konnte ich sehen wie Mrs. Smuttery die Augen verdrehte. 'Kannst du bitte Jana antworten?', fragte meine Tante ruhig.
Ich nickte unschlüssig und schüttelte dann den Kopf.
'Entschuldigung, ich habe nicht gehört, was sie gesagt haben.'
Diese seufzte laut und ich hörte sie etwas wie 'Als hätte ich nichts besseres zu tun.', murmeln, bevor sie etwas freundlicher fort fuhr.
'Ich hatte dich gebeten, kurz zusammenzufassen, was bei eurem Unfall passiert ist.' 
'Zuerst hat uns jemand verfolgt und dann auch angefahren. Wir wollten fliehen, aber uns liefen 3 Ausgeschlossene hinterher, gegen die wir erst einmal kämpfen mussten.'  'Und ihr habt die drei Soldaten alle umgebracht?', unterbrach mich Mr. Wieland mit einer Frage. 
Er fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes blondes Haar, durch das sich vereinzelt graue Strähnen zogen. 'Soldaten?'
Sie sahen nicht aus, als wären sie vom Militär.
Kalvin lächelte mich zuversichtlich  an und erklärte mir die Bezeichnung. 'So werden auch gute Krieger der Ausgeschlossenen genannt. Sie gehören nicht zu den untersten Leuten. Gute Arbeit muss ich sagen.' Ich blinzelte ein paar mal, um nach diesem unerwarteten Lob wieder auf die Frage von Mr. Wieland zu kommen.
'Ja sie sind alle tod.'
Kalvin schien dies auch schon von meiner Tante zu wissen, da er mich sonst sicher nicht gelobt hätte.
Nun schauten sie mich wartend an.

'Zum Schluss sind wir zum Internat zurück und Kalvin hat uns gefunden. '
Dies sollte keine Fragen mehr erlauben, aber natürlich wusste Mrs. Smuttery, dass etwas fehlte.
'Und wie hast du bitte dich und deine Tante bis zum Internat geschleppt?', fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, doch auch dafür hatte ich mir eine vage Antwort überlegt.
'Man kann alles schaffen, wenn man nur daran glaubt.'
Meine Tante lächelte leicht und Mrs. Smuttery schien trotz einer unzufriedenen Grimasse meine Antwort zu billigen.
'Du warst tapfer.', gab sie zu und die Anderen stimmten mit ein, doch das erfreute mich kein bisschen, machte mich nur darauf aufmerksam, dass es noch nicht vorbei war.
Viele Kämpfe und schwere Aufgaben lagen vor mir, erscgwerten es mir dem richtigen Weg zu folgen und meine Zukunft war ungewiss, noch von Schatten verhüllt.
Trotzdem war es mein Ziel nicht aufzugeben, sondern zu kämpfen, für das Gute und das, was mir am Herzen lag. Und vielleicht, ganz vielleicht wird am Ende doch noch alles gut. Irgendwie kriegt doch jeder sein Happy End, oder?

'Ist gut, lassen wir sie ein bisschen in Ruhe. Wir können auch noch später entscheiden, ob und wie wir ihr Stabilität fördern.', entschied Mrs. Infusio und holte mich, wie so oft, aus meinen verzwirbelten Gedanken heraus. Danach wurde ich rausgelassen und meine Tante gab mir 20 min. bevor ich zu einem letzten Check noch einmal auf die Krankenstation musste.
Ich hatte vor einfach ein bisschen über den Campus zu schlendern und es zu genießen wieder an der frischen Luft zu sein.

***

Ich atmete die kühle, regenfeuchte Luft ein, mein Brustkorb hob und senkte sich langsam, fühlte wie die wiedergewonnene Freiheit mich einnahm.
Gemütlich schritt ich noch ein Stück weiter durch die Alee und kickte kleine Steinchen in das gefrorene Gras neben mir, als ich von hinten hörte, wie sich jemand näherte. Ruckartig drehte ich mich um, denn ich war immer in Alarmbereitschaft, doch glücklicherweise lief mir nur eine über alles erleichterte Jen in die Arme.
'Oh, Süße! Endlich bist du wieder auf den Beinen.'
Ich drückte sie kurz, schob sie dann aber entschlossen weg.
'Ist ja nicht so, als wäre ich schwer verletzt gewesen.'
Jen musterte mich, als wäre ich verrückt geworden.
'War es denn kein Schock für dich? Du bist erst so kurze Zeit hier und ich schon mein ganzes Leben. Trotzdem hast du schon schlimmere Sachen erlebt als ich.
Und ich wäre gestorben vor Schock, das kannst du mir glauben, ich habe mir schon fast in die Hose gemacht, als wir in der Stadt verfolgt wurden.'
Sie sah mich stolz an, versuchte mich mit ihren Worten zum Lachen zu bringen, doch sie prallten einfach an mir ab wie Regentropfen. 
'Ich habe wohl Pech. ', wich ich ihrer Frage aus und wandte mich von ihr ab. Jen setzte noch zu etwas an, aber ich runzelte verwundert die Stirn und kam ihr zuvor.
'Müsstest du nicht eigentlich im Unterricht sein?'
Meine beste Freundin lachte nur.
'Jap, aber ich wollte dich unbedingt noch treffen, weil einige Schüler meinten, dass sie dich heute bereits gesehen haben.', sagte sie entspannt und grinste verschlagen, 'Und in der Klasse tue ich einfach so als hätte ich verschlafen. Es gibt wichtigeres als Schule, Süße.'
Sie war unmöglich und doch hatte sie Recht, was mich zum Lächeln brachte.
'Da könntest du Recht haben.'
'Ich habe immer Recht! ', stellte meine Freundin mit hoch erhobenem Kopf fest, sodass ich belustigt die Augen verdrehte.
'Klar, du Orakel. '
Ich schubste sie mit einem Hüftschwung zur Seite und hörte darauf ihr empörtes Kichern.
'Hey', fuhr Jen mich gespielt wütend an, doch ich schob sie in Richtung des Schulgebäudes.
Selbst wenn ihre Gegenwart mich immer fröhlich stimmte, konnte sie ihre Pflichten nicht vernachlässigen.
'Jetzt wird erst einmal Unterricht gemacht, Madame!', sagte ich lächelnd, worauf Jen patzig 'Ja, Mama', erwiederte und mit einem letzten Winken durch die große Steintür ins Schulgebäude verschwand.
Was sie nur für eine Frohnatur war...
Ich hatte wirklich keine Ahnung, woher sie all diese Energie holte und noch weniger, wie sie es schaffte mich damit anzustecken.
Langsam steckte ich meine eiskalten Hände in die Taschen meiner viel zu dünnen Lederjacke und machte ich mich auf den Weg zur Krankenstation.

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