Kapitel 15
Ich stellte sorgfältig, da ich mir Jacks aufmerksamen Blicken bewusst war, das erste Buch auf seinen Platz.
Dann sah ich auf das Cover des zweiten Buches.
Ein Sachbuch über Geister.
Geister?
Aber sicher gab es die hier auch, warum auch nicht, doch wo kam das nochmal hin?
Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe, als Jack sich plötzlich zu Wort meldete.
'Nur eine Regalreihe weiter.'
Ich lächelte ihm dankbar zu und machte mich wieder an die Arbeit.
Er folgte mir immernoch schweigend auf Schritt und Tritt, sodass ich mich ein zunehmend unwohl fühlte.
Wollte er mich kontrollieren und schauen, ob ich alles richtig machte? Als hätte Jack mein Unwohlsein bemerkt, fing er an zu sprechen.
'Ich hatte früher, als ich noch ganz neu hier war, mal eine Schülerin zur Hilfe, die ebenfalls so gut arbeitete, wie du.
Sie war nett, hübsch und bei ihr fühlte man sich einfach wohl.
Selten habe ich solche Menschen kennengelernt.
Wir haben uns damals viel unterhalten.'
Ich hatte keine Ahnung worauf er hinaus wollte, nickte aber höflich.
Er musterte mich weiterhin, sodass ich einfach versuchte das ungewisse Schweigen zu brechen.
'Über was habt ihr euch den Unterhalten?'
Jack lachte, was mir noch mehr verwirrte.
'Über alles.'
Ich suchte nach dem Platz für das nächste Buch und bog um die Ecke, hörte ihm aber zu, obgleich mich seine Worte nicht wirklich interessierten.
'Über alles, was wir so gedacht haben und was uns so beschäftigte.'
Ich stellte stumm das nächste Buch an seinen Platz, doch Jack schien noch nicht fertig zu sein.
'Sie war ungefähr in deinem Alter.'
'Wer denn?', fragte ich nun ein klein wenig neugierig, weil er mich die ganze Zeit mit seiner Bekanntschaft verglich, wobei es wahrscheinlich auch seine Intention war, meine Aufmerksamkeit zu erregen.
Es waren nur noch zwei Bücher übrig und ich drehte mich gespannt zu dem alten Bibliothekar um.
'Sie war ungefähr so groß wie du, hatte ein ähnliches Lächeln wie du und sah auch ziemlich genau so aus wie du.'
Langsam dämmerte mir, was er sagen wollte, auf wen er da anspielte und schlagartig verkrampfte sich mein Herz.
'Ihr Name war Christina Miller.'
Mom.
Nur dieser eine Gedanke flog mir durch den Kopf und erklang wie ein Echo in meinem Inneren.
An mehr konnte ich nicht denken, denn ich hatte alles, was zu ihr oder ihrem Tod gehörte tief in meinem inneren eingesperrt, wollte es nie wieder herauslassen.
Nun musste ich es mit aller Kraft zurückhalten, hielt eisern meine Tränen zurück.
Jack musste mir meine Gedanken vom Gesicht abgelesen haben, denn er verzog schuldig das Gesicht.
'Das tut mir schrecklich leid, ich hätte das nicht erwähen dürfen.
Ich musste mich nur gerade an sie erinnern, weil du ihr so ähnlich siehst.'
Der Bibliothekar drehte sich um, wollte gehen und mich alleine lassen, aber komischerweise wollte ich reden, obgleich alle meine Gefühle dagegen sprachen.
'Was wissen sie über meine Mutter, als sie noch klein war?', fragte ich einfach drauf los.
Meine Mutter hatte mir nie viel über ihre Kindheit erzählt, sicher auch weil sie mir ja nicht von den magischen Kräften erzählen konnte, die ihr Leben umgaben und beeinflussten.
Jack schaute mich lächelnd an, schien sich gerne an sie zu Erinnern.
'Nicht viel, aber ein paar Details schon. Willst du sie hören? '
Ich schlukte den Kloß in meinem Hals herunter, legte meine restlichen Bücher auf einen kleinen Tisch zwischen den Regalreihen, an den sich Jack erschöpft ablehnte, und wartete gespannt auf seine Erzählung.
'Deine Mutter war ebenfalls Schülerin auf diesem Internat.
Am Anfang war sie voller Tatendrang mehr über ihre geheimen Kräfte und alle magischen Zusammenhänge zu erfahren.
Sie saß fast jeden Tag in dieser Bibliothek und stöberte ihn verschiedensten Gängen, suchte in unterschiedlichen Büchern nach Wissen.
Mit der Zeit wurde sie älter und entschied aus einem mir unerklärlichen Grund, dass dieses Leben nicht halb so gut war, wie ein normales, einfach so.'
Ich blickte Jack fragend an, aber der alte Mann hob nur entschuldigend die Hände.
'Ich weiß auch nicht, woher genau ihr Sinneswandel kam.
So weit ich weiß, war sie vor allem die Kämpfe satt. Sie hasste es zu kämpfen, selbst wenn es für das Gute war. Das war einfach nicht ihre Art, nicht der Weg zu leben, denn sie suchte.
Vielleicht wäre deine Mutter ja noch hiergeblieben, alleine ihrer magischen Abstammung wegen, aber sie lernte einen jungen Mann kennen. Er war ein Schüler von einem anderen Internat, der aus verborgenen Gründen umgezogen und zu uns gekommen ist, was, wie du vielleicht wissen solltest, durchaus nicht üblich ist.
Naja, was soll man sagen, die beiden verliebten sich sofort ineinander, waren ein Herz und eine Seele.
Außerdem war er wohl der gleichen Ansicht wie sie, wollte ein Leben in Frieden und von unseren Problemen in Ruhe gelassen werden.
In dieser Zeit sah ich deine Mutter immer seltener hier, am Ende gar nicht mehr.
Sie hatte ihr Interesse in diese Welt verloren.
Die Beiden zogen zusammen und kehrten der magischen Welt den Rücken zu.'
Und dann kam ich und unser scheinbar sorgloses Leben voller Lügen und Geheimnisse begann, beendete ich seine Erzählung in meinen Gedanken.
Trotz all dem Schrecklichen, was ich bereits hier erlebt hatte, konnte ich die Entscheidungen meiner Mutter nicht nachvollziehen.
Vor allem nachdem mein Vater ermordert worden war, hätte sie doch alamiert sein sollen, sich an Leute wenden sollen, die uns schützen konnten, aber nein, das endgültige Verlassen der magischen Welt schien sie unter keinen Umständen umzukehren zu wollen, selbst wenn das unsere Sicherheit gefährdete.
Stattdessen waren wir jeden Tag der Gefahr entgegengelaufen, ermordet zu werden.
Okay, dass war vielleicht etwas übertrieben, niemand hatte uns verfolgt oder aufgelauert, aber die Gefahr hatte uns immer Umgeben wie Schatten, die man nicht einfach abschütteln konnte und ich verstand durch diese Geschichte nicht besser, wieso sie mir so viele Lügen aufgetischt hatte.
Ich war nun mal nicht normal und meine Eltern auch nicht, das konnte man nicht ändern, wenn man diese Welt einfach ignorierte.
Jack musste das große Fragezeichen auf meinem Gesicht gelesen haben, denn er zuckte nachdenklich mit den Schultern.
'Mehr kann ich dir leider nicht erzählen, doch wenn du mehr Infos möchtest, dann solltest du vielleicht mal deine Tante fragen.
Deine Mutter und sie waren nicht nur Halbschwestern.
Sie waren auch beste Freundinnen.' 'Natürlich.', murmelte ich, denn auf diese Idee hätte ich auch gut selber kommen können, nur irgendwie hatte sich nie der richtige Moment ergeben, um meine Tante danach zu fragen.
Sie wusste sicher noch viel mehr über meine Mutter und ich wollte alles wissen, wollte sie richtig kennenlernen und nicht nur ihr trügerisches Abbild in Erinnerung behalten.
Mit dem festen Vorsatz das Geheimnis um meine Mutter aufzudecken, räumte ich die letzten zwei Bücher weg, verabschiedete mich von Jack und er schloss die Bibliothek hinter mir ab, denn es war schon ziemlich spät.
Morgen würde ich auf jeden Fall mit meiner Tante sprechen, nahm ich mir fest vor.
***
'Sie muss noch etwas mehr wissen. Sie ist ihre Halbschwester. ', erklärte ich Jen.
Diese hatte mir ruhig zugehört und nickte jetzt auffordernd.
'Ich würde sie auf jeden Fall fragen. Fragen kostet schließlich nichts.'
Jen ließ ihren Blick scheinbar belanglos über den Platz schweifen, schaute sich dabei suchend um, und ich erinnerte mich an ihr Date gestern.
Das hatte ich ja fast vergessen.
'Und was habt ihr gestern so schönes gemacht?', fragte ich sie also direkt. Meine Freundin lächelte unschuldig, als hätte sie nur auf diese Frage gewartet.
'Nun, er ist ziemlich süß und es war ein schöner Abend.'
Ich lächelte sie kurz an und dann ließ ich meinen Blick wieder über den Platz schweifen.
Ein kleiner Stich der Eifersucht machte sich in mir breit.
Wieso gelang ihr das so gut und wieso hatte sie keine Probleme damit, den Richtigen zu finden, der auch das Gleiche für sie empfand, der zu ihr passte, sie ergänzte, bei dem Liebe auf Gegenseitigkeit beruhte?
Schnell versteckte ich alle meine Gedanken hinter einer undurchdringlichen Maske, damit Jen nichts von meiner Eifersucht bemerkte.
Das machte Luis doch auch immer, er war immer undurchschaubar, emotionslos und ließ sich nichts anmerken, naja fast immer.
So würde niemand meine Gedanken verfolgen können.
'Doch ich.', entschied Jen und grinste belustigt, sodass ich sie entschuldigend und ein wenig peinlich berührt anschaute.
Ich hätte darauf achten müssen, dass sie meine Gedanken verfolgte.
'Sorry, nimm das nicht persönlich, das war wirklich nicht böse gemeint.
Ich fände es echt schön, wenn ihr Paar werdet, die hast das so verdient.' 'Es ist okay.', unterbrach Jen mich, 'Du kannst gar nichts dafür, Süße. Wenn ich dir solche Gedanken verübeln würde, wäre ich eine grauenvolle Freundin.
Und vielleicht wirst du ja auch glücklich und dein Prinz kommt schon bald angeritten.'
Ich schnaubte über ihren Vergleich und stupste sie weg.
'Das kann wohl noch eine Weile dauern.'
Meine Freundin zuckte fröhlich mit den Schultern.
'Ach was, das kommt früher als du denkst, ich habe es auch erst gar nicht bemerkt.'
'Lass uns erst mal hineingehen.
Wir haben gleich Unterricht.', wechselte ich das Thema und zusammen gingen wir ins Schulgebäude.
Es war schon ziemlich voll und die meisten Schüler machten sich zu den Räumen auf, in denen sie jetzt unterrichtet wurden.
Wir schoben uns gemeinsam durch die Menge der anderen Schüler, als mir plötzlich jemand von hinten das Bein wegzog.
Unkontrolliert flog ich nach vorne über und fiel auf die Knie,mitten zwischen die anderen Schüler, die erschrocken weg sprangen, sodass ich mich dem Händen abstürzte.
Meine Tasche fiel auf den Boden und der Inhalt viel teilweise heraus.
Mist, nicht schon wieder.
Am liebsten wäre ich einfach im Boden versunken und nie wieder aufgetaucht.
Verwirrt schaute ich mich nach hinten um und versuchte gleich meine rausgefallenen Mappen einzusammeln.
Einige Schüler kicherten laut, was mir unendlich peinlich war und neben mir fing Elle schallend an zu lachen.
Ich erkannte ihr hochnäsig, künstliches Lachen sofort und Wut durchfuhr meinen Körper.
Genervt blickte ich hoch und entdeckte Sally genau über mir.
'Na, verbeugst du dich vor mir?'
Ich schnaubte laut und stand rasch auf, klopfte mir den Dreck von den Klamotten.
'Lass mich doch einfach in Ruhe, Sally!', zischte ich wütend, doch sie schwang nur ihre wasserstoffblonden Haare hoheitsvoll über ihre Schulter und grinste mich höhnisch an.
'Och Nia, das muss dir doch nicht peinlich sein.'
Inzwischen sammelten sich immer mehr Schüler um uns herum und bildeten einen Kreis um uns, was Sally nur noch mehr in ihrer Überlegenheit verstärkte.
Jen konnte ich nicht sehen, weil sie wahrscheinlich irgendwo von der Menge zurückgedrückt wurde.
Also war ich Ufer mich alleine gestellt.
'Ich bin alles, aber garantiert niemals deine Freundin.', stellte ich fest und sah mich nach einer Lücke an, durch die ich fliehen konnte.
Sally legte ihre Hand vor den Mund, den sie in ein perfektes o geformt hatte.
'Tja, du solltest dich aber nicht gegen mich auflehnen, denn ich habe mehr Freunde als du und mehr Einfluss als du.
Also pass auf, was du tust.', drohte sie mir mit einem hinterlistigen Unterton in der Stimme.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten, hätte sie am liebsten gegen irgendeine Wand geschubst, nur damit sie mich einfach in Ruhe ließ. 'Und du denkst, dass du in der Stellung wärst mir zu drohen?', fragte ich absichtlich provokant und kam einen Schritt näher.
Das konnte ich auch.
Sally ließ sich nichts anmerken und hob entschlossen das Kinn, war sich scheinbar sehr bewusst, dass sie noch noch Elle zu ihrer Unterstützung dabei hatte.
'In jedem Falle mehr als du, kleine Nia, und ich glaube, dass musst du noch lernen.'
Gerade wollte ich etwas Hässliches erwiedern, als ich aus dem Augenwinkel bemerkte, wie sich jemand den Weg durch die Menge bahnte und einige Schüler grob zur Seite stieß.
Ein rabenschwarzer Haarschopf lugte zwischen den Köpfen hervor und schon stand Luis sichtlich aufgebracht zwischen mir und Sally.
'Lass sie in Ruhe! ', zischte er ihr mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme zu.
Luis stellte sich schützend vor mich, sodass er Sally die Sicht auf mich versperrte, sodass mich eine Welle der Wärme durchfuhr, weil er für mich einstand.
Diese wollte noch etwas sagen, schloss ihren Mund aber wieder bei Luis bösem Blick und machte dann auf ihrem Absatz kehrt.
Vor Luis schien sie Respekt zu haben. Ihre Freunde folgten ihr und auch die Schülermenge um uns herum, löste schlang Sam auf.
Dabei hörte ich einige über uns tuscheln.
Luis sah mit seinem uundurchschaubaren Blick auf mich herab und ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
'Ich kann auch alleine damit fertig werden.', erklärte ich gedehnt und hob mein Kinn.
Schließlich war ich kein hilfloses, kleines Mädchen mehr.
Luis kniff provozierend die Augen zusammen und ein mir unerklärliches Lächeln huschte über seine Lippen.
'Klar, du schmeißt sie wieder durch die Luft.'
In einem anderen Moment hätte ich mich vielleicht aufgeregt, aber jetzt schien mur nicht der richtige Zeitpunkt dafür, sodass ich seib Lächeln erwiederte.
'Danke'
Er drehte sich nach einem knappen Nicken um und verschwand aus dem Atrium, schien es eilig zu haben, von mir wegzukommen.
Ich presste die Lippen aufeinander und sah ihm hinterher.
Dann schüttelte ich leicht den Kopf und schaute Jen, die gerade neben mir auftauchte und sich mit schmerzlich verzogenem Gesicht die Schulter rieb, an.
Diese grinste verschlagen und zwinkerte mir zu.
'Das war aber schon irgendwie süß. Ich werde ihm das anrechnen.'
Ich stupste meine Freundin grinsend an.
'Ich sag doch er ist nicht nur ein Idiot.', verteidigte ich ihn intuitiv.
'Na, so weit sind wir jetzt auch noch nicht.', meinte Jen mit erhobenem Finger und hakte sich bei mir unter, 'Jetzt müssen wir aber wirklich in den Unterricht.'
Ich atmete noch einmal tief ein und aus, versuchte das Geschehene zu verarbeiten und ließ mich dann von ihr mitziehen.
Vor ein paar Wochen hätte ich nie gedacht, dass er so etwas für mich tun würde, hätte nie gedacht, dass mich sein Schutz so sehr berührte.
***
Ich war auf dem Weg zum Büro meiner Tante, wurde auf den Treppen wiedermal von vielen Schülern gemustert und versuchte diese mit geringen Erfolg zu ignorieren.
Es wäre einfacher gewesen direkt nach dem Unterricht mit Mrs. Infusio zu sprechen, aber ich wollte nicht gestört werden, denn das hier war eine private Angelegenheit.
Aufgeregt bannte ich mir einen weg zur Tür ihres Büros, jetzt war es so weit.
Ich streckte meine Hand nach der Türklinke aus, hielt aber inne, als ich
von Drinnen laute Stimmen vernahm. Neugierig stoppte ich und rutschte näher an die Tür, um zu horchen.
'Er muss es schaffen.', erklang die Stimme meiner Tante, auf die Mrs. Smutterys Stimme folgte.
'Er wird es schaffen, aber wir brauchen mehr Zeit.
Dieses Ritual benötigt einige Vorbereitungen und dauert lange und wir müssen erst noch die Ambrosis finden.'
Das Gespräch handelte also vom Ritual, das bei der Versammlung zur Sprache gekommen war.
Wahrscheinlich hätte ich verschwinden sollen, nicht lauschen sollen, aber konnte mich nicht von der Tür losreißen und wollte mehr wissen.
Eine kurze Pause entstand, bis meine Tante mit unsicherer Stimme weitersprach.
Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie sich gerade die Brille auf der Nase zurecht rückte.
'Und wenn Dennis es nicht schafft.
Es ist schließlich ein schwarzes Ritual.'
Mrs. Smuttery's Schritte klangen durch die Tür, denn sie ging wohl nervös im Raum auf und ab.
'Auch wenn es nur kurz hält, dann sind wir immer noch eine Weile sicher. Es ist besser als schutzlos herumzuhocken und auf den Tod zu warten.' , sagte sie wütend und ihre Stimme wurde lauter.
'So meine ich das doch gar nicht,ich habe nie gesagt, dass wir warten sollen, aber es gibt ein hohes Risiko, das Dennis dabei umkommt.
Können wir das riskieren?'
Meine Tante schien um ihren Freund besorgt zu sein, wollte sein Leben nicht aufs Spiel setzen, doch Mrs. Smuttery antwortete ihr mit kalter, unnachgiebiger Stimme.
'Wir haben keine andere Wahl!'
Die Spannung im Raum war bis hier draußen spürbar.
'All das für ein paar Momente der Sicherheit.
Wir sollten gut überlegen, ob es richtig ist.', gab meine TANTE zu bedenken, aber Mrs. Smuttery stampfte mit dem Fuß auf.
'Wir haben keine Zeit mehr zu überlegen.
Die Entscheidung wurde bereits getroffen.', erklärte sie und ihre Stimme klang endgültig.
Schnell huschte ich hinter eine Ecke, gerade noch rechtzeitig, bevor Mrs. Smuttery aus der Tür trat.
Sie schien sich kurz umzuschauen und verschwand dann glücklicherweise in die entgegengesetzte Richtung von mir, was mich aufatmen ließ.
Das war knapp gewesen.
Langsam ging ich nun wirklich zu dem Büro meiner Tante und klopfte höflich.
'Herein.', sagte sie mit ermüdeter, geschlagener Stimme.
Ich öffnete die Tür und trat ein. Meine Tante blickte nur kurz hoch, schöpfte keinen Verdacht.
'Hast du kurz Zeit? '
Sie nickte und schob sich vereibzelte Haarsträhnen hinters Ohr.
'Worüber möchtest du reden Nia?' 'Über...'
Ich stockte kurz, hatte nicht erwartet, dass sie mich so direkt fragte.
'Über meine Mutter.'
'Über deine Mutter.', wiederholte sie leise, auf jedes Wort bedacht, wobei ihre Stimme traurig und verletzt klang.
'Wieso hat sie die Schule verlassen?', fragte ich mit fester Stimme.
Mrs. Infusio blinzelte verwirrt über meine Direktheit, doch ich war bereit, alles zu erfahren.
'Erzähl mir alles, was du weißt, bitte.', forderte ich, setzte mich in den alten Sessel und wartete.
Sie stand sehr langsam auf und die Zeit schien sich in die Länge zu ziehen wie Kaugummi.
'Ich und deine Mutter waren Halbschwestern und beste Freundinnen.', begann sie und ich nickte wissend, forderte sie so auf weiterzureden.
'Doch mit der Zeit gab es etwas an deiner Mutter, dass ihr mit jedem Tag einen bittereren Ton ins Gesicht zog und das war ihr Hass gegen die Kämpfe, schließlich ihr Hass gegen diese Welt.
Du musst wissen, dass ihre Eltern, also deine Großeltern bei einer Massenerhängung der Ausgeschlossenen gestorben sind.
Sie und viele andere wurden einfach aus Bosheit umgebracht, als Machtdemonstration.
Es war ein schrecklicher Tag und von da an fühlte sie sich schrecklich alleine, denn sie hatte jeden verloren, ich besaß immerhin noch meine Mutter.
Wir boten ihr an, in den Internatsferien mit mir nach Hause zu kommen, aber sie wollte nicht, zog die Einsamkeit vor.
Jeder Kampf kam Linda vor, wie ein weiterer Massenmord, ein unsinniger Prozess, der nur Tod und Zerstörung brachte, egal welche Motive dahinter steckten.
Anfangs sprach sie oft mit mir darüber, sie wusste nicht, wie sie sonst ihre Sorgen loswerden konnte, doch mit der Zeit veränderte sich deine Mutter.
Sie wurde mutiger, selbstbewusster und sturer, vertraute allein sich selbst.'
Mrs. Infusio verzog das Gesicht, als sie gedankenversunken weitererzählte, während ich versuchte mir das ganze Leid meiner Mutter und ihre Handlungen bildlich vorzustellen, um sie zu verstehen.
'Sie hatte keine Lust mehr dieses Leben zu führen.
Weißt du, Linda war immer eine friedensuchende Person, eine harmoniebedürftige Person.
Wir lebten uns auseinander aufgrund von Zeitproblemen und Meinungsverschiedenheiten auseinander, ich weiß im Nachhinein nicht mehr genau, wie das passieren konnte, aber ich werde es immer als meine Schuld ansehen, dass sie gegangen ist, weil ich mich als große Schwester nicht besser um sie gekümmert habe.'
Schuld und Frust verdunkelten die Augen meiner Tante und eine vereinzelte Träne lief ihr über die Wange.
Ich hatte sie noch nie weinen gesehen, sie noch nie so leiden gesehen.
Ich wollte etwas Tröstendes zu ihr sagen, aber mir viel nichts ein und 'Das tut mir leid' hätte nicht gereicht, wäre belanglos für sie gewesen, doch die Stille schien mich innerlich aufzufressen, schrie mich an, etwas zu tun und deswegen versicherte ich ihr einfach aufrichtig, dass sie nichts am Weggehen meiner Mutter oder gar ihren Tod hätte ändern können.
'Ich weiß, dass es nicht deine Schuld ist.'
Meine Tante versuchte es mit einem Lächeln, was ihr misslang, weil es sich in eine schmerzliche Grimasse verwandelte, bevor sie wieder weitererzählte.
'Sie kämpfte sich allein durch ihr Leben und kümmerte sich um alle ihre Probleme nurnoch allein, ließ niemand an sich heran, bis sie deinen Vter traf, denn es kam, wie es kommen musste und natürlich verliebte sich deine Mutter.'
Mrs. Infusio seuftzte, als wäre dies etwas Schlechtes.
'Die beiden verliebten sich auf den ersten Blick und kamen folglich auch schnell zusammen.
Glaube nicht, dass ich mich nicht für die Beiden gefreut habe. Sie waren ein tolles Paar und ich wusste, dass deine Mutter nun jemanden zum reden, doch sie besaßen die Gemeinsamkeit, dass sie die Kämpfe abgrundtief hassten.
Das ist der Knackpunkt der Geschichte und vielleicht auch der Grund, warum die beiden so glücklich miteinander waren, den sie hatten die gleiche Weltanschauung, ja, sie waren sich sehr ähnlich.
Zu zweit fühlten sie sich bestärkt in ihrer Meinung, hörten auf zu kämpfen, selbst wenn es nur der Verteidigung galt, und zogen sich immer weiter aus der magischen Welt zurück.
Ich wollte Linda zeigen, dass diese Welt es wert war in ihr zu Leben.
Ich sagte ihr oft, dass es nicht nur Kämpfe gab und dass sie doch auch schon viel Schönes erlebt hatte, jedoch warf sie mir an den Kopf, was für eine schlechte Freundin ich sei und dass ich ihr, ihr Glück mit Darian ausreden wolle.
Wir stritten uns, so einen großen Streit hatten wir zuvor nie gehabt und vielleicht war ich ja wirklich eine schlechte Freundin.
Kurz darauf verließen Beide die magische Welt, heirateten und bekamen ein Kind.
In all dieser Zeit hatte ich keinen Kontakt mehr mit Linda.'
Eine weitere Träne kullerte über die gerötete Wange meiner Tante, zeigte dass sie selten, wenn nicht sogar nie, über dieses Thema sprach und dass sie es tief in ihrem inneren versteckte.
'Das wars. Ich weiß nicht viel über deinen Vater und auch über dich wusste ich bis zu ihrem Tod nichts. Trotzdem ist es für mich schrecklich, dass ich deine Mutter zum letzten Mal bei unserem Streit gesehen habe, denn so werde ich mich immer zuerst an ihre wütenden Worte erinnern, nie an ihr Lachen, an den Spaß den wir hatten. '
Sie schluckte hörbar und ich konnte sehen, dass darum kämpfte weitere Tränen in ihren Augen zurückzuhalten.
Bedrückt stand ich auf und schloss meine Tante in die Arme.
Ich drückte sie fest und strich ihr über den Rücken, wie meine Mutter es immer bei mir getan hatte, wenn ich traurig war, versuchte stark für sie zu sein, wie meine Mutter es immer getan hatte, wenn mich Sorgen bedrückten und spürte darauf Mrs. Infusios ehrliches Lächeln an meiner Schulter.
'Danke.', murmelte sie leise und ich ieß sie vorsichtig los.
'Aber wieso hat mir meine Mutter nie etwas über die magische Welt erzählt?
Ich hätte selbst entscheiden können, was ich machen will.', stellte ich fest. Meine Tante legte ihren Kopf leicht zur Seite.
'Sie war deine Mutter Nia, sie konnte dich nicht verlieren und sie wollte dich in Sicherheit wissen.
Manchmal machte Liebe blind und deswegen hat sie diese fatalen Entscheidungen für dich getroffen.
Außerdem wollte sie dich wohl von den Kämpfen fernhalten, du solltest nie davon erfahren. '
Ich presste meine Kiefer aufeinander, konnte mir aber eine weitere Kritik nicht verkneifen.
'Ja,das kann sein.
Aber bei mir Zuhause war es doch viel gefährlicher als hier im Internat, oder?'
Mrs Infusio zuckte mit den Schultern, rieb sich die Wangen, um die Tränen wegzuwischen und ließ sich erschöpft auf ihren Schreibtischstuhl fallen, als wäre sie sehr müde.
'Gut möglich, wer weiß, was sie sich dabei genau gedacht hat.
Manchmal verfolgt die Gefahr einen auch.'
Ich erstarrte bei ihren Worten und Mrs. Infusio Blinzelte mehrmals, als hätte sie die letzten Worte nicht laut aussprechen wollen.
Einige Strähnen waren aus ihrem Dutt gefallen und sie schob sie schnell aus ihrem Gesicht, während ich unruhig mit den Zähnen knirschte.
Wieso führte alles immer auf mich, auf meine Familie, zurück?
'Nun, seit du hier bist, haben sich die Tätigkeiten der Ausgeschlossenen gehäuft und bei dem Angriff auf dich und Jen muss wohl oder übel bei einer von euch die Ursache sein.' 'Aber ich dachte, weil wir draußen waren.', versuchte ich eine andere Erklärung vorzubringen und meine Tante schaute mich besorgt aus ihren hellbraunen Augen an, bevor ihr Gesichtsausdruck fest wurde. 'Vielleicht ist es auch das.', sagte sie unsicher,
'Weißt du, ich steigere mich manchmal zu sehr in solche Dinge herein.', sie machte eine wegwerfende Handbewegung,
'Mach dir keine Sorgen. Ich habe nur überreagiert.'
Ich versuchte nicht mehr über ihre Vermutungen nachzudenken, hielt mich daran fest, dass die meisten Sorgen unbegründet waren.
'Trotzdem kann sie nicht verstehen.', murmelte ich leise und lenkte das Thema wieder auf meine Mutter,
'Sie kann doch nicht einfach so tun, als hätte sie das alles hier nicht erlebt.'
Nun sah ich meiner Tante direkt in die Augen.
'Sie wusste doch genau, dass die Magie noch existiert, sie wusste das Menschen sterben und sie wusste, dass sie nichts getan hatte, um zu helfen. Wie kann sie dann gehen?'
Meine Stimme war unbewust lauter geworden, sodass man mich im Nebenraum sicher hören konnte. Meine Tante hingegen antwortete leise, obwohl ihre Worte hart klangen.
'Ja, eigentlich hat sie ihr ganzes Leben nur damit verbracht sich vor all dem zu verstecken.', sie blickte mich mit warmem Blick an, 'Aber bitte nimm ihr das nicht übel. Sie war ein guter Mensch.'
Ich schüttelte entschieden den Kopf: 'Ich nehme ihr das nicht übel, aber ich kann sie einfach nicht verstehen.' Langsam ließ ich meine Hand auf meinen Oberschenkel fallen und atmete tief ein.
'Ich will es anders machen.
Ich will für das kämpfen, was mir wichtig ist.'
Und bei diesen Worten wusste ich, dass sie der Wahrheit entsprachen, wusste, dass ich alles geben würde, um dieses Versprechen einzuhalten.
Meine Tante lächelte wissend, vielleicht zufrieden.
'Ich weiß. Ich habe es sofort gewusst, als ich dich zum ersten mal gesehen habe, du bist anders als sie, und doch es ist schwer immer Mut zu haben, verlange nicht zu viel von dir.'
Ich schaute Mrs. Infusio bei ihren kryptischen Worten leicht verwirrt an.
'Gib einfach auf dich acht und überschätze dich nicht.
Das Leben hier ist härter, als du denkst, glaub mir, Nia...'
Ihre Stimme nahm wieder diesen müden Ton an und ich nickte, um ihr zu zeigen, dass ich ihre Lektion verstanden hatte.
Also stand meine Tante auf und schob die Vorhänge hinter sich zur Seite, um Licht, Hoffnung, herein zulassen und die traurige Dunkelheit zu vertreiben.
Die Sonne war schon fast untergegangen und Ich blinzelte in das gelblich, orange Licht, welches zwischen den anderen Schulgebäuden durchschien.
'Gehe jetzt lieber auf dein Zimmer und versuche dich ein bisschen zu entspannen, das waren viele Informationen.', meinte meine Tante ohne aufzuschauen, richtete den Blick starr in die Sonne und schien die sanften Sonnenstrahlen zu genießen.
Schließlich drehte sie sich noch einmal um.
'Nimm dir das alles nicht zu sehr zu Herzen, ja?'
'Ja.', murmelte ich leise und hob meine Schultasche hoch.
Leichter gesagt, als getan.
'Bis morgen.'
Meine Tante lächelte halbherzig und erwiederte den Gruß.
'Bis Morgen, Nia!'
Dannn verschwand ich aus dem Raum, war mir dem besorgten Blick meiner Tante sehr bewusst.
Bevor ich mich entspannen würde, hatte ich jedoch noch andere Dinge vor.
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