Kapitel 14
Gleich hinter der Tür entdeckten uns ein großer Mann im schwarzen Smoking und schaute achtsam auf uns herunter, obgleich wir Absätze anhatten.
Gegen den wollte ich sicher nie kämpfen, so viel stand fest.
'Hallo, Ladies!' , sagte er mit einer dunklen, rauchigen Stimme und ich nickte dem Mann höflich zu.
Jetzt hatte ich nur eine Chance oder wir flogen auf.
Der Mann streckte eine ebenfalls große Hand aus.
'Die Karten bitte.'
Ich konzentrierte mich kurz auf seine unnachgiebigen, braunen Augen, durchbrach mithilfe eines Überdimensionalen Rambocks seine Schutzmauern und pflanzte möglichst geschickt die Worte 'Ich habe ihre Karten gesehen. Sie können weitergehen.' in seinen Kopf.
Dann hielt ich angespannt die Luft an, bis der Türsteher uns nach gefühlten Stunden lächelnd zunickte.
'Ihr könnt rein, Ladies, gleich geht es los.'
Ein siegessicheres Lächeln zog sich über mein Gesicht und wir traten beide durch den roten Samtvorhang. Viele Leute standen in der Mitte des Raumes, alle in Kleidern oder Smokings in Schwarz, sodass unsere Chancen nicht aufzufallen stiegen. Die meisten unterhielten sich angeregt über irgendetwas, wahrscheinlich den erschreckenden Zustand der Schutzmauer.
'Wie hast du das genau gemacht?', flüsterte Jen neugierig, während sie einem breitschultrigen Mann auswich.
Ich grinste sie an und sagte in Gedanken.
'Meine unglaublich mysteriöse Kraft bewirkt Wunder.'
Jen musste schnaubend ein Lachen unterdrücken, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erwecken, aber diesen Kommentar konnte ich mir einfach nicht verkneifen.
Wir gingen gemeinsam bis zu einer kleinen Bühne und setzten wir uns an einen kleinen, abgelegenen Tisch in einer Ecke.
Von hier konnten wir gut zum Pult auf der kleinen Bühne sehen.
Ich beobachtete die vielen Leute, aber niemand kam mir bekannt vor, sodass ich annahm, dass sie nicht alle für dieses Internat arbeiteten.
'Und jetzt?'
Ich hatte meine Freundin noch nie so nervös erlebt wie heute.
Jedoch klärte sich diese Frage von selbst, als Mrs. Smuttery in einem schicken, schwarzen Hosenanzug, gefolgt vom vollzähligen Rat, eintrat. Die Gespräche verstummten langsam, denn jeder im Raum schaute zur Bühne, wartete auf eine Erklärung.
Gespannt lauschte ich Mrs. Smuttery, als sie nach einem Räuspern begann zu sprechen.
'Hallo.
Ich freue mich sie hier alle begrüßen zu dürfen, weil wir uns heute über eine wichtige Grundlage des Schutzes unterhalten müssen.
Die Sicherheitskuppel.'
Ihre Stimme klang angespannt, flatterte leicht, und im hellen Licht des auf sie gerichteten Scheinwerfers konnte man dunkle Augenringe unter ihren großen, blaugrauen Augen erkennen.
'Die Ausgeschlossenen können die Sicherheitskuppel zerstören. '
Sie kam sofort zum Punkt und die Menge raunte entsetzt.
Ich hatte also rechtgehabt, obgleich ich wirkkich gehofft hatte, falsch zu liegen, denn unsere Schule konnte angegriffen werden, wann immer sie wollten.
Wir waren schutzlos.
'Die Lage ist äußerst zugespitzt und wir vermuten, dass die Ausgeschlossenen ein Ritual benutzt haben, um die Sicherheitskuppel zu sprengen.
Jetzt wollen sie entweder an einen Gegenstand in dieser Schule kommen oder einfach in einer wahllosen Reihenfolge jedes Internat angreifen.
Das können wir zu diesem Zeitpunkt leider noch nicht genau sagen.
Wenn sie ein Ritual ausführen wollen, bräuchten sie einen uns unbekannten Gegenstand, zumal keiner in unserer Nähe in der Datenbank verzeichnet ist. Außer sie nutzen eine andere Ritualeform, auf die wir keinen Zugriff haben.
Wie ihr alle wisst sind schwarze Rituale uns verboten und das ist auch gut so, denn sie bringen nur Unglück und Zerstörung.
Gabe benutzt sie trotzdem, es könnte sich also darum handeln.'
Ein Tuscheln erhob sich in der Menge, schwoll an und verbreitete sich rasch wie ein hartnäckiges Virus, hörte jedoch schlagartig auf, als eine bestimmte, feste Stimme sich zu Wort meldete.
Das musste jemand Bedeutendes sein, wenn so plötzlich alle schwiegen.
'Wir müssen Gabe auffindig machen und umbringen!', rief er.
Jen neben mir schnappte nach Luft aufgrund seiner Direktheit, während ich bezweifelte, dass sein Plan so leicht umzusetzen war.
Manche Leute murmelten zustimmend, doch Mrs. Infusio trat mit einer eisernen, mir unbekannten Stimme vor, die alle Wärme verloren hatte.
'Das würde uns nur den Tod bringen, es wäre ein Selbstmordkomando, denn Gabe ist stärker als ihr denkt.
Zum jetzigen Zeitpunkt können wir ihm, so muss ich leider zugeben, nicht ansatzweise das Wasser reichen.'
Ihr Blick fuhr quer durch die Menge, schien jeden zu analysieren, vielleicht einen Eindringling zu suchen.
An unserem Tisch verweilte sie einen Moment zu lange und starrte mich überrascht an.
Sie hatte mich entdeckt.
Ich betete insgeheim, dass meine Tante uns nicht verraten würde und zum Glück blickte sie gerade einfach weiter über die Leute, als hätte sie nichts gesehen, uns nicht bemerkt.
Mir war klar, dass das eine große Strafpredigt geben würde.
Jen sah mich fragend von der Seite an, schien meine Gedanken nicht lesen zu können, aber meine Anspannung bemerkt zu haben.
'Sie hat uns gesehen.', sprach ich zu ihr in Gedanken, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erreichen.
Meine Freundin verzog das Gesicht und presste die Kiefer sichtlich aufeinander.
Sie war nur für mich mitgekommen.
Ich löste meinen entschuldigenden Blick von ihrem, als Mrs. Smuttery mit ihrer Ansprache fortfuhr.
'Wir müssen ihr Zerbrechungsritual an der Schutzkuppel rückgängig machen, ich denke, da sind wir uns alle einig.
Der Hacken daran ist, dass wir dafür ein schwarzes Ritual benutzen müssten, also eines das uns verboten ist, doch wenn wir nichts tun, dann werden alle Schüler mitleidlos sterben.'
Jen sog tief Luft ein, schien von der ganzen Situation und dem vielen Gerede über Mord und Totschlag überfordert zu sein.
Mrs. Smuttery's Augen leuchteten dunkel durch die Menge, erschreckend ungewiss.
'Wir müssen abstimmen, was wir machen sollen.', sie stoppte kurz,
'Wer ist dafür ein schwarzes Ritual zu benutzen?'
Erst hoben sich nur ein paar zögernde Hände, aber dann wurden es zunehmend mehr und am Ende hatten fast alle ihre Hände gehoben. Mrs. Smuttery nickte mit neutralem Gesichtsausdruck, ließ sich nichts anmerken.
'Ich denke, dass Ergebnis ist klar.
Die Frage die sich nun stellt, wer benutzt das gefährliche Ritual?'
Die versammelten Leute sahen sich gegenseitig an, zeigten auf vereinzelte Personen, denn keiner wollte ein schwarzes Ritual ausführen.
Ein Gruppe Gewählter in unserer Nähe flüsterte Mrs. Smuttery's Namen, als sich plötzlich der große Mann, der eben Gabe Hanwen töten wollte, zu Wort meldete.
'Ich werde es machen, für die Sicherheit der Schüler.'
Ein höfliches Klatschten der Erleichterung ertönte hier und dort, als der Mann mutig vortrat.
Mrs. Smuttery bat ihn auf die Bühne. 'Das weiß ich zu schätzen, Dennis.', sagte sie vertraulich, als würde sie ihn kennen.
Mr. Wieland stand hinter ihr und reichte dem Mann einen alten, vergilbten Umschlag, der einmal weiß gewesen sein musste.
'Das ist das besagte Ritual.
Nutze es weise.', sprach er und sein Stimme schien geheimnisvoll im Raum nachzuklingen.
Ich blinzelte mistrauisch.
Wenn sie das Ritual schon herausgesucht hatten, mussten sie sich ja ziemlich sicher sein, dass man diesen Weg einschlagen wollte... oder Mr. Wieland hatte eine Zukunftsvision gehabt.
Dennis machte den Umschlag vorsichtig auf und nahm einen kleinen, zerknitterten Zettel heraus. Gespannt wartete ich, bis er das Blatt Papier ausgefaltet hatte, wobei er sich unglaublich viel Zeit ließ, sodass ich unruhig begann mit den Zähnen zu knirschen.
Seine Augen huschten flüchtig über die geschriebenen Worte, dann las er sie vor.
'Schwarzes Ritual für die Wiederherstellung eines starken, magischen Zaubers.
Man benötigt die Blüte einer Ambrosis, das Haar eines Einhorns und diese Zauberformel.'
Er verzichtete darauf, die Formel laut vorzulesen.
'Das Haar des Einhorns können wir aus den Archiven holen und und die Ambrosis wird auch zu finden sein.', meldete sich Kalvin zu Wort und meine Tante nickte ihm zu. 'Glücklicherweise ist es kein schwieriges Ritual.'
Mrs. Smuttery ging fast schon erleichtert durch die Menge, wobei die Leute aus irgendeinem Grund vor ihr zurück wichen und einen Kreis um sie bildeten.
'Dieses Treffen muss unbedingt geheim gehalten werden.'
Sie senkte ihre Stimme, die jedoch gleichzeitig um einiges härter und drohender wurde.
'Wer uns verrät, wird umgebracht, das war schon immer so und wird auch immer so sein.
Wir vertrauen auf euch alle, enttäuscht dieses Vertrauen nicht.'
Etwas, das wie ein Knurren klang, drang aus ihrer Kehle.
'Vertrauen. Gemeinschaft. Sieg.', murmelten die Leute im Chor und ich kam mir vor, wie beim Eintritt in eine geheime Sekte.
Auch Jen zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.
Nun kam Mrs. Smuttery wieder zurück und ihre Stimme klang gelassen, so als wäre nichts passiert. 'Habt einen schönen Abend.'
Unser Stichwort.
'Ich glaube wir sollten gehen bevor uns noch jemand anspricht.', sagte ich in Gedanken zu Jen, wobei ich meine Kraft an diesem Abend wirklich überaus praktisch fand.
Meine Freundin nickte und wir standen auf, brauchten aber eine Weile, bis wir uns einen Weg durch die Menge gebahnt hatten.
Schließlich kamen wir an der Tür an und verließen unauffällig den Raum.
Die Schwärze der Nacht umhüllte uns, nur ein leichter Nebel zog in Schlieren durch sie hindurch.
'Was war das denn?', flüsterte Jen ungläubig und blickte noch einmal zum Eingang zurück.
'Ich denke, sie versuchen die Schutzhülle zu reparieren.', meinte ich entschieden, obwohl ich genau wusste, dass sie das nicht meinte.
Aufgrund der zunehmenden Kälte gingen wir in Richtung der Wohnheime.
'Es war irgendwie gruselig.'
'Ja, das war es.', sagte ich leise und verstand genau, was sie meinte.
Mich beschlichen Zweifel über meine vorhin noch für so gut befundene Idee, denn es war nicht klug gewesen zu diesem Treffen zu gehen.
'Danke, dass du dabei warst.', sagte ich müde zu Jen.
Sie merkte sofort an meinem Tonfall, dass dieses Treffen nichts gebracht hatte und drückte mich an sich.
'Es ist okay. Du wirst sicher auf anderen Wegen noch viel über das erfahren, was du suchst und so schlimmen Ärger kann dir deine Tante gar nicht geben.', munterte sie mich auf.
Ich dankte ihr sehr dafür.
'Gute Nacht.'
Meine beste Freundin erwiederte meinen Abschiedsgruß und wir trennten uns.
Sobald ich alleine war, schaute ich mich um.
Er war da, mein Verfolger.
Wieso spürte ich immer diesen Blick?
Ich schauderte, achtete aber dann nicht mehr auf dieses Stechen und trat in mein sicheres Wohnheim ein.
Es war nicht weit bis zu meinem Zimmer und dort konnte ich endlich meine Schuhe ausziehen.
Ich schminkte mich rasch ab und zog mir eine gemütliche Jogginghose an, bevor ich mich erschöpft in mein Bett fallen ließ.
Ich würde mehr über den Tod meiner Mutter erfahren und ich würde mehr über die Feinde erfahren.
Alles zu seiner Zeit.
Mein Blick blieb an der weißen Decke über mir hängen und wanderte anschließend zum Fenster.
Von hier aus konnte ich nur einen Teil des schwarzen Himmels sehen.
Entschlossen streckte ich mich und schob mit meiner Hand die Gardinen zur Seite.
'Nacht Mum. Nacht Dad.', flüsterte ich wehmütig in die Sterne.
Hoffentlich ging es ihnen gut, wo auch immer sie jetzt waren.
'Schlaft gut.'
Meine Stimme wurde immer leiser, ich schloss meine Augen und drehte mich auf die Seite.
Dann schlief ich ein.
***
Ein weiterer Albtraum weckte mich und einer war schlimmer wie der nächste.
Ich versuchte vergeblich meinen Puls zu beruhigen, rieb mir müde die Augen und strich mir eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht.
Könnte ich doch nur diese verdammten Albträume wegkriegen. Mit der rechten Hand schaltete ich meinen beständig klingelnden Wecker aus.
Halb sechs am Morgen, viel zu früh, doch an Einschlafen war jetzt nicht mehr zu denken.
Erschöpft von meinem Traum hob ich meine Beine langsam über die Bettkante und kickte die Klamotten sowie neu bekommenen, hohen Schuhe, die ich gestern nicht mehr weggeräumt hatte, unachtsam mit meinen Füßen weg.
Dann seufzte ich.
Ein neuer Tag.
Unf was für einer das werden würde.
Ein Blick auf mein blinkendes Handy zeigte eine neue Nachricht an.
Verwundert blinzelte ich, denn obgleich ich gestern gar nicht mehr nachgeschaut hatte, bekam ich nur selten eine Nachricht, was sich wohl auf die Anzahl meiner Freunde zurückführen ließ.
Neugierig zog ich das Handy zu mir heran und starrte auf das Display.
Marc hatte mir am Abend geschrieben, nachdem er mich zweimal erfolglos angerufen hatte.
Sofort war ich hellwach, tippte auf die Nachricht, um sie lesen zu können, und versuchte das Rauschen in meinen Ohren zu ignorieren.
Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich Marc vermisst hatte.
Genervt tippte ich noch öfters auf den Display, weil mein Handy mal wieder viel zu lange brauchte.
Dann flüsterte ich die geschriebenen Worte beim Sprechen leise mit, während mich zunehmendes Glück erfüllte.
'Es tut mir leid, Nia.
Ich war ein Idiot.
Ich kann nicht einfach von dir erwarten, dass du mich liebst, so sehr ich es auch will, denn es ist deine Entscheidung.
Ich brauchte ein bisschen Zeit alleine, aber jetzt halte ich diese Funkstille zwischen uns nicht mehr aus.
Haben wir jemals so lange nicht gesprochen?
Bitte ruf mich wenigstens zurück.
Wir müssen darüber reden.'
Shuldbewusst biss ich mir auf die Lippen, weil ich so mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt war, dass ich fast gar nicht an ihn gedacht hatte.
Trotzdem berührten mich seine Worte und sein Verständnis sehr und ich wollte ohn unbedingt hören, sodass ich ohne nachzudenken seine Nummer wählte, ich konnte sie bereits seit Jahren auswendig.
Erst hörte ich nur das traurige Tuten der Leitung, aber dann schallte Marcs raue, verschlafene Stimme durch den Hörer.
'Hallo? Es ist noch nicht einmal sechs Uhr Morgens.'
Das Lächeln wollte sich nicht mehr von meinen Wangen lösen.
'Hi, hab ich dich geweckt? Das tut mir leid', erklärte ich mich stockend, früher war das nie so ungewohnt gewesen.
Ich hörte eine Decke rascheln und augenblicklich klang Marcs Stimme viel wacher: 'Nia? Du...
Es tut mir leid, wirklich.'
'Du musst dich für nichts entschuldigen.', stellte ich fest und lehnte mich gegen die Wand hinter meinem Bett.
Ich hatte ihm längst vergeben, dass er einfach gegangen war und mich im Park alleine gelassen hatte und genau genommen war ich ja an der ganzen Sache Schuld, weil ich ihm falsche Hoffnungen gemacht hatte und weil ich nicht wusste, wo ich hingehörte und zu wem.
Ich wollte das wir Beide glücklich waren, ob das zusammen funktionierte, war eine andere Frage.
Gleichzeitig fühlte sich auch ein kleiner Teil in mir geschmeichelt, dass Marc mehr für mich empfand, obwohl ich mich am liebsten dafür geschlagen hätte.
Schnell verdrängte ich die trüben Gedanken, indem ich das erstbeste sagte, was mir in den Sinn kam, um die Stillepause zu verdrängen.
'Ich dachte ich rufe einfach mal an.'
Ich hörte sein leises Lachen über meine belanglose Aussage, die das Eis zwischen uns gebrochen hatte.
'Ich weiß am Telefon so etwas zu besprechen, ist alles andere als gut, aber Mrs. Infusio wollte mich auf keinen Fall einfach reinlassen und ich habe echt keine Ahnung wieso.'
Ich konnte mir gut vorstellen, dass meine Tante ihn nicht hierhin schicken wollte, schließlich hatten die Monster, Ausgeschlossenen und andere schreckliche Feinde freien Zutritt zu diesem Internat.
'Nia, ich weiß nicht, wie ich darauf kam, dass du die gleichen Gefühle für mich hast. Ich dachte nur...', er stoppte und suchte nach einem neuen Anfang, 'Ich möchte dich nicht ganz verlieren. Ich hoffe einfach, dass du glücklich bist und das reicht mir.'
Ich blinzelte ungewollte Tränen weg, die sich irgendwo in mir versteckt hatten und auf diese Worte warteten.
'Das hoffe ich auch, dass du von dir aus glücklich wirst.', sagte ich ehrlich, stand auf und ging zum Fenster, um auf den leeren Campus zu blicken.
'Aber wenn du michst brauchst, bin ich immer für dich da. ', setzte er noch hinzu.
'Das hoffe ich doch', murmelte ich grinsend, 'denn ich werde auch immer da sein, wenn du mich brauchst. Verlass dich drauf, diese dicken Mauern eines Internat Gefängnisses werden mich nicht aufhalten.
Die von Steinstatuen umgebenen dicken Gitterstäbe am Tor wirkten zum ersten Mal bedrohlich auf mich, obgleich sie Sicherheit versprachen.
Vielleicht waren das ja die Kehrseite dieses magischen Lebens, die Angst und das Versteckspiel.
Wir redeten noch eine Weile über die verschiedensten Dinge und legten dann auf.
Nun fühlte ich mich wie neu aufgeladen und war für das Gespräch mit meiner Tante gewappnet.
Ich würde Jen aus dieser Angelegenheit heraus halten.
Es war nicht ihre Idee gewesen, sondern meine und somit auch meine Verantwortung und meine Strafe.
***
'Was hast du dir nur dabei gedacht?', fragte meine Tante außer sich.
Sie wanderte aufgebracht von links nach rechts und warf mir immer wenn sie auf dem Absatz kehrtmachte einen bösen Blick zu.
Ich zuckte mit den Schultern, weil ich keine Antwort auf ihre Frage parat hatte.
'Gar nichts.'
Sie atmete einmal tief ein und wieder aus, um sich zu beruhigen und schob ihre Brille zurecht.
'Du kannst nicht einfach eine Sicherheitssitzung besuchen.
Dort werden geheime Sachen besprochen, teilweise Dinge, die du niemals erfahren darfst, es ist nicht umsonst eine geheime Sicherheitssitzung.
Vor allem Jen hätte das Gesprochene nie mitbekommen dürfen, zumal sie noch weniger als du in die Thematik eingeführt worden ist.'
Ich versuchte gar nicht mich zu rechtfertigen, wusste, dass sie Recht hatte, aber Jen sollte heil aus dieser Nummer rauskommen.
'Ich habe sie einfach mitgenommen. Jen kann nichts dafür.'
'Ja, das kann ich mir denken. Trotzdem war das sehr unüberlegt und dumm.
Sie hätte dich von deiner Idee abhalten müssen.'
Ich senkte den Kopf.
Da war sie wohl bei Jen an der falschen Person.
Trotzdem war sie nur wegen mir mitgekommen, weil ich diese naive Idee unbedingt umsetzten wollte.
Auch meine Tante schwieg.
'Aber es ist ja nichts passiert und wir werden dad bestimmt nicht nochmal machen.', schlug ich versöhnend vor, doch Mrs. Infusio legte die Stirn in Falten und sah mich aufmerksam an.
'Wie seid ihr überhaupt hereingekommen?
Niemand außer den Beteiligten wieß von den Treffen, über sie darf nur in eingeweihtem Umfeld gesprochen werden und ihr hattet keine Einladung gestern.'
Ich zuckte erneut die Schultern, ignorierte bestimmt ihre ersten Vermutungen, weil ich den unwissenden Jack sicherlich nicht auch noch verpetzen wollte.
'Ich habe dem Türsteher gesagt, er soll uns hineinlassen.'
Meine Tante wirkte erschrocken.
'Und das hat er einfach gemacht?', 'Ich habe es ihm natürlich in Gedanken gesagt, dass wir Karten hätten, als würde er es selber denken.'
Meine Tante riss die Augen auf.
'Das kannst du?'
Ich nickte ein wenig stolz.
'Das ist gar nicht so schwer, funktioniert eigentlich genau wie Gedankenverschickung und ist um einiges einfacher als Illusionen.'
'Du hast ihn gezwungen etwas zu tun und er hat es nicht einmal gemerkt.', stellte Mrs. Infusio meine Aktion in einem anderen Licht da, doch ich ließ mich nicht beirren, war mir des Ganzen sehr bewusst.
'Ja.'
Meine Tante strich sich ihre aus dem üblichen Dutt gefallenen Haare hinters Ohr.
'Das ist eine außerordentlich tolle, aber auch hinterlistige Gabe und
ich hoffe die nächsten Male nutzt du sie nicht für die Umsetzung solcher Pläne.
Nichtsdestotrotz bin ich stolz, dass du diese Fähigkeit von alleine entdeckt hast, auch wenn ich euren kleinen Ausflug gestern alles andere als gut heiße.'
Ich lächelte, da ich wusste, dass sie sich ehrlich über meinen kleinen Erfolg freute, aber ihre angespannte Miene verriet bereits die folgende Strafe.
'Du wirst zehnmal eine Schicht in der Bibliothek übernehmen, die hat im Übrigen auch abends geöffnet, also kannst du gut heute nach deinem Training beginnen.
Jen wird dir dabei helfen.'
'Soll ich das nicht lieber alleine machen?', schlug ich immer noch an meinem ursprünglichen Gedanken festhaltend vor, doch meine Tante schüttelte stur den Kopf.
'Ihr Beide wart dort, ihr Beide arbeitet in der Bibliothek.'
'Ja, das machen wir gerne.', erklärte ich dankbar, weil mir auffiel, wie wenig Ärger das arbeiten in der Bibliothek mit sich brachte.
Diese Zehnmal würden schon nicht so schlimm werden.
Meine Tante schüttelte über meine Antwort lächelnd den Kopf.
'Ich sage Jack, dass er euch heute erwarten kann. '
Eine stille Sorge keimte in mir auf.
'Aber sagen sie Jack, also dem Bibliothekar, was wir... nunja aufgefressen haben?'
Gespannt lauschte ich ihrer Antwort, in der Sorge, dass Jack als meine Informationsquelle auffliegen konnte.
'Nein, natürlich nicht, niemand erfährt, was ihr genau gemacht habt.'
Ich atmete beruhigt aus, was meine Tante ein klein wenig mistrauisch werden ließ, als plötzlich die Schulglocke ertönte.
'Du musst in den Unterricht.'
Ich schulterte meine Tasche, erwiederte einen Abschiedsgruß und trat heraus.
Jen stand mit großen Augen vor der Tür.
'Und?', fragte sie neugierig.
'Wir müssen zehnmal in der Bibliothek helfen, begonnen mit heute Abend.
Sonst ist alles okay.'
Jen verzog enttäuscht den Mund und strich sich eine rotbraune Locke aus dem Gesicht.
Die Strafe schien ihr überhaupt nicht zu gefallen.
'Was ist denn?'
Ich bemerkte sofort, wenn Jen etwas auf dem Herzen lag, obwohl ich nicht diejenige von uns war, die Gedankenlesen konnte.
'Nun...', stammelte Jen unsicher, sodass ich sie aufmunternd anstupste.
'Sag's mir schon.', forderte ich und schlenderte langsam in Richtung der Klassenzimmer.
Jen folgte mir und spielte beim gehen mit dem herzförmigen Anhänger ihres grünen Rucksacks, der mir bisher noch gar nicht aufgefallen war.
'Ich habe eigentlich heute Abend... Also ich habe ein Date mit Justin Fint.', sagte sie schnell und ich musste grinsen.
'Justin Fint? Von dem hast du mir noch gar nichts erzählt.'
Jen hob das Kinn und ein herausfordernden Grinsen durchzuckte ihre Mundwinkel.
'Es gibt auch noch andere süße Jungen, als unseren gutausehenden Lehrer und deinen dunklen Engel Luis.'
Ich verdrehte die Augen, gerissene Anspielungen auf die viele Zeit, die ich mit Luis verbrachte, schienen ihr wirklich Spaß zu machen.
'Hey, nicht ablenken.', brachte ich das Thema auf sie zurück und Jen fing an zu erzählen, was sie sowieso vorgehabt hatte.
'Also das erste Mal habe ich ihn vor ein paar Tagen bemerkt und wir haben uns flüchtig unterhalten, ich habe nicht weiter darüber nachgedacht, wer er ist und so.
Dann hat er mich beruhigt, als das Monster da war, nich sicher zu meinem Wohnheim gebracht, und das war unglaublich lieb von ihm.
Gestern habe ich ihn dann nochmal in der Pause getroffen und er hat direkt gefragt, ob wir uns mal treffen wollen, naja eigentlich hab ich es in seinen Gedanken gelesen und nachgefragt.'
Sie kicherte, während wir die Treppe hinunter stiegen.
'Okay, ich hab verstanden. Du stehst auf ihn und er anscheinend auch auf dich. Das ist doch super, ich freue mich für dich, Jen.', sagte ich ehrlich.
Jens Wangen nahmen eine verräterische Röte an, was ihr nicht ähnlich sah, sie stritt meine Vermutungen aber nicht ab.
'Wenn wir aber eine Schicht in der Bibliothek abarbeiten, muss ich das Date leider absagen.', meinte Jen traurig und sah mich aus ihren lebendigen, grünen Augen flehend an.
Wie konnte ich da nein sagen?
'Nein, du kannst ruhig gehen. Ich mach das alleine heute.'
Ich wollte Jen nicht von ihrem Glück abhalten und es war eigentlich sogar gerecht die Strafarbeit alleine zu machen.
Jen wusste bereits, bevor ich geantwortet hatte, dass ich sie decken würde und sprang nun freudig in die Luft.
'Du bist die beste!', jubelte Jen und zog mich in eine ihrer festen Umarmungen.
'Ich danke die so sehr.'
'Kein Problem.'
Jen zappelte aufgeregt herum, als mir einfiel, dass wir längst im Unterricht sitzen sollten.
Also trennten wir uns und liefen, naja Jen hüpfte fröhlich, zu den Klassenräumen, um wenigstens halbwegs pünktlich zu kommen.
Das würde ein langer Tag werden.
***
Die Schwerter klirrten, als sie aufeinandertrafen und ich schlug erneut zu, aber Luis wehrte einfach ab.
Dann griff er mich in einer schwierigen Kombination an, sein Schwert sauste durch die Luft, schien selbstständig geworden zu sein.
Die ersten zwei Schläge parierte ich konzentriert, der dritte brachte mich aus dem Gleichgewicht und der vierte war bereits siegessicher an meiner Kehle platziert.
Luis nahm sein Kurzschwert rasch weg und sah mich von oben bis unten an.
Er hatte diesen zufriedenen Ausdruck im Gesicht, den er immer beim Kämpfen zur Schau trug, als würde ihm nichts mehr Spaß machen, als verschiedenste Waffen zu nutzen und reihenweise Duelle zu gewinnen, und vielleicht war das ja auch so.
'Du hast talent.', stellte er lächelnd fest, 'Und das sage ich wirklich nicht zu jedem.'
Ich lächelte stolz, selbst wenn ich nicht lange gegen ihn durchhielt und er offensichtlich nicht seine unmenschliche Kraft nutzte, einfach weil ich mir denken konnte, das Luis nicht mit Komplimente um sich warf. 'Danke.'
Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich nurnoch eine halbe Stunde hatte, bevor ich meine Strafarbeit erledigen musste.
'Ich muss um halb in der Bibliothek sein.', erklärte ich Luis enttäuscht, denn eigentlich hatte ich noch gar keine Lust aufzuhören.
'Aufgrund einer Strafe?', fragte Luis belustigt und mit einem provozierenden Unterton in der Stimme, 'Was hast du getan?'
Ich durchquerte die Halle und hängte mein Schwert zurück an die Wand, damit ich Luis beim Spreche nicht ansehen musste.
'Eine Freundin und ich waren... an einem Ort, wo wir besser nicht gewesen wären. ', meinte ich vage und zu meinem Erstaunen nickte Luis verständnisvoll darüber, dass ich nicht mehr sagen wollte.
'Du hast doch sicher auch schon mal eine Strafarbeit aufgebrummt bekommen.', stellte ich fest und hob fragend die Augenbrauen.
Luis grinste verwegen.
'Ja, ich war schon öfters in der Bibliothek und meistens mit Hannes zusammen, aber das ist halb so schlimm dort.', versicherte er mir und befestigte sein Schwert neben mir ebenfalls an der Wand.
'Aber von dir hätte ich das nicht erwartet.'
Ich zuckte die Schultern, sah ihn möglichst gelassen an.
'Tja, in mir lauern wohl einige Geheimnisse.'
Er schaute mich mit dem typischen, emotionslosen Blick aus seinen leuchtend blauen Augen, die mein Herz immer wieder ungewollt einen Schlag aussetzen ließen, einfach weil sie so tief und undurchdringliche waren wie das Meer oder der Himmel bei einem Sturm, stumm von der Seite an.
Ich hatte keine Ahnung, was er dachte und vielleicht wäre es doch ganz praktisch, wie Jen das Gedankenlesen zu beherrschen.
Doch ich war mir sicher, dass sie nie einen Schritt in Luis Gedanken machen würde, nicht mal, wenn ich sie darum bat.
'Ja, du bist unvergleichlich.', sagte Luis schlicht, scheinbar unbedeutend, aber irgendetwas in mir sog diese Worte auf und behielt sie fest bei sich.
Dann wendete er sich ab, hob seine schwarze Tasche vom Boden auf und war bereits auf dem Weg zur Tür.
'Bis morgen', sagte er leise, ohne mich noch einmal anzusehen und war verschwunden, bevor ich seine Worte überhaupt realisierte.
Enttäuschung breitete sich in mir aus, als ich ebenfalls nach meiner Tasche griff und unachtsam meine Wasserflasche hineinwarf.
Ein Schritt nach vorne, war bei ihm gleichzusetzen mit einem Schritt zurück.
Ich würde ihn wohl nie verstehen.
***
'Du musst eine Strafarbeit machen?', fragte Jack mich überrascht blinzelnd.
Ich war mir sicher, dass meine Tante ihn informiert hatte, aber er schien ihr wohl nicht zu glauben.
Warum überraschte das eigentlich alle so, dass ich etwas Verbrochen hatte?
Ich lächelte entschuldigend mein süßes-Mädchen-Lächeln und machte eine wegwerfende Handbewegung, während ich nach einer unauffälligen Erklärung suchte, mit der das Thema aus der Welt geschafft war.
'Leider war ich zur falschen Zeit am falschen Ort, aber egal, ich helfe gerne.'
'Und solltest du nicht mit einer Freundin kommen?', fragte Jack nun verwirrt, schien mir zum Glück kein bisschen zu mistrauen.
'Ach ja... Leider ist meine Freundin schon verplant, aber sagen sie das nicht meiner Tante, sie hat wirklich keine Zeit.
Ich helfe auch doppelt so viel mit.'
Nervös strich ich mir die hellbraunen, glatten Haare hinters Ohr, doch Jack grinste ein gedankenverlorenes Lächeln und schien sich sichtlich zu entspannen.
'Diese Loyalität finde ich gut. Natürlich verrate ich euch nicht.'
Suchend schaute ich mich um.
Es waren wenige Schüler anwesend, was wahrscheinlich an der späten Uhrzeit lag.
'Was kann ich tun?'
Jack deutete, mit seiner linken Hand auf einen Wagen, der mit Büchern beladen oder eher mit Büchern überfüllt war, sodass Einige gedährlich wackelten und fast herunterfielen.
'Du könntest diese Bücher an ihren Platz räumen.'
'Klar.', sagte ich mehr oder weniger motiviert und ging zum Wagen.
Jack folgte mir langsamer.
'Du könntest mir ruhig öfters zur Hand gehen. Ich habe nicht so viele hilfreiche und enthusiastische Schüler hier.'
Ich lächelte ihm freundlich zu.
'Vielleicht werde ich auf dieses Angebot zurückkommen.'
...nach meinen abgearbeiteten zehn Hilfsarbeiten.
Dann schob ich den Karren in die Reihen der Bücherregale und suchte nach den richtigen Plätzen.
Es war harte Arbeit, da ich mich nicht gut auskannte und viel zu oft den falschen Gang wählte, worauf elend langes suchen folgte, aber als ich endlich fertig war, fühlte ich mich gleich viel besser.
Einen Job zu machen und dem alten Mann zu helfen, fühlte sich so normal an und lenkte mich nebenbei von meinen Problemen ab.
Nachdem der leere Bücherwagen wieder an seinem Platz stand, ging ich zurück zum Ausleihetresen.
'Fertig!' , verkündete ich und Jack schaute anerkennend hoch.
'Jetzt schon?'
Ich nickte brav und wartete auf eine nächste Anweisung, dachte daran wie glücklich Jen jetzt wohl war, weil ich füe sie doppelt so hart mitarbeitete.
Der alte Bibliothekar überlegte kurz und sah sich im riesigen gewöbten Raum um.
'Also, wenn es dir nichts ausmacht, dann könntest du die Tische putzen.' Ich schaute hinüber zu den dreckigen Tischen, ja das war nicht mein liebster Job.
'Hier sind Putzeimer und Lappen.', sagte Jack und reichte mir Beides, anscheinend froh darüber, dass er es nicht selbst machen musste.
Ich nickte weniger motiviert als zuvor, nahm die Aufgabe aber an.
Diese paar Tische würden nicht viel Arbeit sein.
Also schrubbte über den ersten Tisch, reflektierte noch einmal Luis Ratschläge und Tipps der letzten Wochen und versuchte mir eine Strategie zu überlegen, wie ich besser sein konnte.
Das Kampftraining lag mir wirklich am Herzen und ich freute mich fast schon jeden Tag auf die Kampfzeit mit Luis.
Schon war ich am nächsten Tisch.
Meine Bewegungen waren schneller, wenn ich an etwas dachte, sodass der Lappen quasi über die Tische flog, wobei ich nicht unordentlich oder gar schlampig ordnete.
Mit meiner zweiten Aufgabe war ich recht schnell fertig, hatte sie hinter mich gebracht und Jen somit fürs nächste Mal erspart und nachdem ich das Putzzeug weggebracht hatte, kam ich wieder zum Ausleihtresen zurück.
Es musste schon recht spät sein.
Jack grinste als er mich sah.
'Meine Lieblingsaushilfe.
Immer noch voller Tatendrang?'
Jaja, so wünschte er sich das.
Ich schaute mich in der leeren Bibliothek um, der letzte Besucher verließ gerade den Raum.
'Was gibt's denn noch zu machen?'
'Du könntest mir nur noch schnell helfen, diese paar Bücher wegzubringen.', meinte Jack und zeigte auf einen kleinen Stapel Bücher.
'Okay.', stimmte ich zu und hob den ganzen Stapel hoch.
Gleich war es geschafft.
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