Kapitel 13
Das Monster schnappte nach mir, als plötzlich ein Schatten in mein Blickfeld huschte und dem Schlangendrachen sein Schwert quer durch das Gesicht schlug, sodass der Schlag eine tiefe Narbe hinterließ und das Schlangenwesen erneut aufkreischte.
Luis.
Er hatte mir das Leben gerettet, in letzter Sekunde.
Luis schlug ein weiteres mal nach dem Monster, welches geschickt zur Seite ausweich.
'Verschwinde' ,zischte er mir zu, aber ich dachte gar nicht dran.
Er konnte nicht allein gegen dieses Monster ankommen und ich brauchte nur eine Waffe.
Ich tat so, als würde ich Luis Rat befolgen, und lief ein Stück weit weg bis zum Eingang des Schulgebäudes, wo ordentlich drapiert leere Ritterrüstungen standen.
Ich fand diese immer sehr einschüchternd, dadurch dass sie große Äxte aus Metall in ihren Händen trugen, doch jetzt könnten gerade diese unglaublich praktisch sein.
Angestrengt zog und zerrte ich an dieser Axt.
Ich musste gegen dieses Ungeheuer kämpfen, Luis wenigstens dabei helfen.
Irgendwo in mir drin war ein Drang, der das von mir abverlangte, einen der mich gerade kontrolloerte und mich vom weglaufen abhielt.
Mit all meiner Stärke zog ich an der Axt und kippte fast unter ihrem Gewicht um.
'Entschuldigung.', murmelte ich zu dem Ritter und lief zurück in Richtung des Schlangendrachens.
Luis kämpfte tapfer, aber das Monster kam immer näher und drängte ihn langsam aber sicher zurück.
Mit der schweren Axt in meiner Hand näherte ich mich dem langen Schwanz, sie musste ihn einfach durchdringen.
Mit einem Ruck ließ ich die Axt auf den Schwanz des Schlangendrachens fallen, sodass das Monster ein drittes Mal aufkreischte.
Es drehte seinen großen Kopf wütend nach mir um, sodass Luis ihm von hinten einen großen Schnitt in den Hals verpasste.
Es war ein Wunder, dass die Schlange noch lebte.
Dann flog ein großes Netzt über mich hinweg und senkte sich auf den Kopf des Wesens.
Dieses zuckte unter den scheinbar stromgeladenen Drähten zusammen und krümmte sich.
Kalvin rannte an mir vorbei und befestigte das Netz an schwarzen Befestigungen am Boden, bevor der Schlangendrache sich befreien konnte.
Als nächstes hob er sein Langschwert hoch über seinen Kopf und jagte es dem Monster an eine bestimmte Stelle oben rechts auf ihrem Kopf.
Der Schlangendrache zuckte noch einmal und fiel schlaf zusammen, leblos.
Endlich.
Alle Schüler standen noch immer mit schreckgeweiteten Augen um das Monster herum, ich wohl auch.
Dieser Angriff war ein riesiger Schock und erst jetzt wurde mir wirklich klar, was da passiert war, was ich gerade getan hatte.
Ich schwankte bedrohlich, als meine Tante hinter mir erschien und mich fest und überschwänglich umarmte.
'Oh, Nia! Ist alles okay?'
Ich nickte nur leicht, war zu mehr nicht fähig.
Um ein Haar wäre ich gestorben, nur weil ich so unüberlegt gehandelt hatte und nur dank Luis hatte ich diesen Kampf überlebt.
Ich sah hinunter auf den toten Schlangendrachen, der zur Sicherheit noch im Stromnetzt gefangen war. Wie war dieses Monster hier hin gekommen?
Eigentlich müssten die magischen Schutzmauern es aufgehalten haben. Ich war noch ganz auf das große Monster und meine Überlegungen fixiert, als Luis und Kalvin zu uns kamen.
Sie redeten ebenfalls über den Schlangendrachen, schienen Beide im Gegensatz zu mir relativ ruhig zu sein. 'Kalvin, wir müssen mit dem Rat sprechen. Machst du den anderen Schülern klar, dass alles in Ordnung ist?' , fragte meine Tante ihn drängend und Kalvin nickte.
Er scheuchte die verängstigten Schüler in ihre Wohnheime, verbreitete mir freundlichen Worten und Gesten ein Gefühl der Sicherheit, was es eigentlich nicht mehr gab.
'Nia, Luis. Ihr kommt noch einmal mit mir.'
Mrs. Infusio behielt die Kontrolle über die Situation, wirkte konzentriert.
Kurz blickte ich mich nach Jen um, die sich verwirrt umschaute, weil ich ihr einen unglaublichen Schrecken eingejagt haben musste, als ich einfach losgelaufen war.
Ich winkte ihr beruhigend zu, da wurde sie schon von Kalvin in ihr Wohnheim zurückgebracht.
Luis und ich folgten meiner Tante in das Schulgebäude, wobei wir einen schnellen Schritt beibehielten, obgleich ich noch außer Atem war.
Vor dem Lehrerzimmer wartete schon Mrs. Smuttery.
Sie war ja für die Sicherheit verantwortlich.
Auch Mr. Wieland wartete auf die Versammlung des Rates und zu meinem Glück gehörte Mr. Owen nicht dazu.
Der Rat bestand also aus vier Mitgliedern.
'Kinder?', fragte Mrs. Smuttery meine Tante mit einem kurzen, aber äußerst abschätzigen Seitenblick auf uns.
'Sie haben viele Leben gerettet und sich alleine gegen das Monster gewehrt.', verteidigte Mrs. Infusio uns, doch auch Mr. Wieland schüttelte den Kopf.
'Wir können sie ja gleich reinholen, aber erst muss der Rat alleine sprechen. Es ist zu ernst.'
Mit Dank konnte ich dann wohl kaum rechnen. Luis neben mir spannte sich an.
Da gingen die vier Lehrer, Kalvin kam auch gerade an und warf uns noch einen entschuldigenden Blick zu, auch schon ins Lehrerzimmer.
Ich rutschte an der Wand herunter und hockte mich auf den Boden direkt vor der Tür.
Luis nahm neben mir platz und sah mich besorgt an, doch als ich seine Stimme hörte, schwang darin auch Wut mit.
'Wie konntest du nur so leichtsinnig sein, Nia? Der Schlangendrache hätte dich getötet. Du kannst nicht einfach einen Helden spielen, wenn du noch nicht mal richtig Kämpfen kannst.'
Ich schob trotzig mein Kinn vor und ignorierte die Beleidigung.
Doch das konnte ich.
'Hat er aber nicht. Ich lebe.'
Er schenkte mir einen wütenden, drohenden Blick als Antwort.
'Danke, dass du mich gerettet hast, übrigens.'
Er hob beide Augenbrauen und knirschte mit den Zähnen, wirkte keinesfalls besänftigt.
'Aber wenn ich nicht da gewesen wäre, könntest du tot sein. Verstehst du etwa nicht wie gefährlich und dumm das war?'
Ich sah entschuldigend zu Boden, denn er hatte Recht, ich hatte nicht nachgedacht.
'Tut mir leid. Ich wollte nur das Richtige tun.', murmelte ich.
Augenblicklich wurde Luis Stimme sanfter.
'Was hast du dir nur dabei gedacht. Ich hatte solche Angst um dich.'
Er hatte Angst um mich?
Eine Welle der Wärme erfüllte mich, kam irgendwo aus meinem Körper und breitete sich rasch aus, einfach nur weil ich wusste, dass auch er mich nicht nur als ein einfache Schülerin betrachtete, dass auch er etwas für mich empfand.
'Ich weiß es selber nicht. Ich wollte einfach nicht, dass noch mehr Schüler sterben.
Ich wollte kämpfen und dieses Monster besiegen.', erklärte ich und schaute wieder zu ihm hoch.
Seine blauen Augen leuchteten eisig und doch wunderschön in diesem Moment.
Luis seufzte nur leise.
Er streckte seine Hand aus und schob mir behutsam eine sich immer verirrende Haarsträhne aus dem Gesicht, sodass mein Herz einen Schlag aussetzte.
Ich konnte wirklich nicht sagen, warum mein Körper so stark auf seine Nähe reagierte.
'Pass auf dich auf, Nia.', flüsterte mit rauer Stimme, als plötzlich die Tür neben mir aufging und den ganzen romantischen Moment zerstörte, was vielleicht auch besser so war.
Kalvin kam heraus.
'Kommt ihr kurz mit rein?'
Ich rappelte mich auf und ging langsam durch die geöffnete Tür, Luis folgte mir.
Er legte eine Hand in meinen Rücken und half mir vorwärts zu gehen, was schwerer war als erwartet, denn sobald wir den Raum betreten hatten, schaute uns der ganze Rat abwartend an. Ich war auf alles gefasst.
Mrs. Smuttery schaute mich unverholen an.
'Hast du etwas mit dem Angriff zu tun?', fragte sie.
Ich zuckte zusammen, damit hatte ich dann doch nicht gerechnet.
Luis stellte sich ein Stück näher neben mich, so als ob er mich beschützen wollte, hielt sich aber sichtlich zurück, nichts zu sagen.
Meine Tante schaute ihre Freundin verärgert an und sprach dann selbst.
'Jana möchte nur fragen, ob du vielleicht weißt, was die Schlange wollte. Sie vermutet, dass sie etwas von dir wollte.'
Kalvin schüttelte den Kopf.
'Das glaube ich nicht. Die Schlange hat alle umgebracht.
Nia ist ihr als Erste entgegengetreten.' Es freute mich sehr, dass er auf meiner Seite stand.
'Genau, der Schlangendrache hat einfach wahllos alle Schüler, die ihm in den Weg kamen, umgebracht.
Ich wollte ihn aufhalten.'
Ich ließ meine Stimme möglichst sicher klingen, konnte aber nicht sagen, ob mir das gelungen war.
'Aber er muss von den Ausgeschlossenen kommen.', stellte Mrs. Smuttery fest.
Luis Stimme ertönte nah neben mir, war fest und bestimmt, so als würde er jeden Tag vor Publikum sprechen.
'Ja, der Schlangendrache wurde abgerichtet und extra für diese Aufgabe bestimmt.
Er hatte Wahnsinn in den Augen.'
Das war also die Erklärung für diesen verrückten Blick.
Kalvin bejahte Luis Worte und sah abwartend zu Mrs. Smuttery.
'Aber was ist mit unserer Sicherheitskuppel?'
Mrs. Smuttery schüttelte den Kopf, wobei ihr langer, blonder Zopf hin und her schwankte.
'Es sollte unmöglich sein, so ein Wesen hindurchzuschaffen.
Das Loch, von dem sie uns erzählt hat, wurde geschlossen.'
Sie zeigte anklagend auf mich, sodass ich mich wie vor einem Gericht fühlte.
Dabei fand ich die Lösung, oder eher das Problem, ziemlich klar.
'Sie haben einen Weg gefunden, die Sicherheitskuppel zu zerstören.'
Der ganze Rat sah mich verwirrt an, als sich plötzlich Mr. Wieland regte. Der Direktor hatte die ganze Zeit still auf seinem Platz gesessen und in die Luft gestarrt und nun schüttelte er sich wild, als müsste er etwas loswerden.
Mir fiel ein, dass Mr. Wieland ein Seher war.
Ob er in die Zukunft gesehen hatte? 'Und?', fragte meine Tante, ebenfalls neugierig geworden.
'Nichts... Ich kann wirklich nichts erkennen.
Alles ist von einem ekelhaften, schwarzen Dampf umgeben.
Die Zukunft ist ein unbeschriebenes Blatt.'
Der Rat wirkte enttäuscht, während ich mich an meinen Traum erinnerte. Ich hatte auch nur Schwärze gesehen, Dunkelheit.
'Wir müssen uns die Sicherheitskuppel ansehen.', erklärte Mrs. Smuttery, 'Es kann doch nicht sein, dass die Ausgeschlossenen sie einfach so zerstören.'
'Ja, das hat jetzt erste Priorität.', erwiederte meine Tante entschlossen, sie standen auf und gingen gemeinsam nach draußen.
Kalvin sah uns erneut entschuldigend an.
'Ihr könnt euch gerne ausruhen gehen. Ihr beide habt gut gekämpft.' Schweigend traten auch Luis und ich durch die Tür, er folgte mir noch bis zu meinem Wohnheim.
Dort blieben wir nebeneinander stehen und ich sah ihn noch einmal direkt an, sah in das eisige Blau seiner Augen.
Er blickte ebenfalls auf mich herunter, legte den Kopf ein wenig schief.
'Du bist mutiger, als ich gedacht habe.', sagte er leise aber bestimmt.
Ich grinste herausfordernd.
'Du bist netter, als ich gedacht habe.'
Der Spott glitzerte in seinen Augen, er schien mit mir spielen zu wollen und mich gleichzeitig auszulachen, nur mit diesem Blick.
'Sei dir da mal nicht so sicher.'
Ich mochte diese Seite an ihm, diese offene, warme Seite.
Tatsächlich entstand mit der Zeit eine Verbindung, eine Freundschaft oder zumindest Vertrauen zwischen uns.
Es schien als wollte Luis noch etwas anderes sagen, weil er seine Kiefer angestrengt aufeinander presste, aber dann nickte er nur und verabschiedete sich von mir.
Dieses Mal sah ich ihm hinterher, während er langsam, die Hände ihn die Hosentaschen gesteckt, den Kiesweg entlang wanderte.
Ich wartete noch ein paar Sekunden, bevor auch ich mich auf den Weg zu meinem Zimmer machte.
Erst jetzt realisierte ich wirklich, was heute passiert war, bemerkte dass dieser Kampf, in den ich mich beinahe lebensmüde gestürzt hatte, ein verhängnisvolles Ende zur Folge hätte, wenn Luis mich nicht im letzten Moment vor dem grauenvollen Monster gerettet hätte.
Es war fast wie in einem Märchen, nur dass wir keine Prinzessin und kein Prinz waren.
Und kein Paar.
***
Die Wolken flogen rasch über den Himmel, ähnelten riesigen Wattebäuschen, fast alle Blätter lagen verstreut auf dem Boden, sodass der Kies nur noch an vereinzelten Stellen zu sehen war, während kahle, trostlose Bäume die Alee säumten.
Der zunehmend kühler gewordene Wind, der bereits den Winter ankündigte, bewegte raschelnd das bunte Laub auf dem Boden, ließ es auf und ab schweben, hoch und runter, immer wieder.
Bei meinen Schritten wurden die herbstlichen Blätter noch mehr aufgewirbelt, befreiten am Rande des Weges einige Grashalme, die emsig um ihr Überleben kämpften, weil die dicke Blätterschicht sich wie eine Decke über ihnen ausgebreitet und ihnen somit das Sonnenlicht genommen hatten.
Ein Stock knackte leise unter meinen Füßen und mein schwarzer Rock wurde leicht durch den Wind hochgeweht, sodass ich ihn schnell wieder hinunter drückte.
Ich zog den Reisverschluss meiner Lederjacke ein wenig höher, um den frostigen Wind abzuwehren, als ich eine hysterische Stimme nach mir rufen hörte.
'Nia! Was machst du nur?'
Jen warf sich mir um den Hals, brach mir fast die Rippen mit ihrer Umarmung.
Ich verstand nicht, worauf sie hinaus wollte, ächzte aber leise wegen ihrer erdrückenden Umarmung, sodass Jen mich los ließ.
'Du kannst doch nicht einfach loslaufen, um dieses brutale Monster zu töten. Das war so leichtsinnig von dir.', wies sie mich zurecht, aber ich schüttelte nur entschieden den Kopf.
'Ich musste es tun.'
Das hatte ich gestern auch schon Luis erklärt und ich war immer noch fest davon überzeugt, dass es sich lohnte, für das Gute zu kämpfen und den Tod der anderen Schüler zu verhindern, selbst wenn ich dafür mein Leben in Gefahr brachte und bei solch einem Angriff konnte ich einfach nicht tatenlos zusehen.
'Nein, musst du nicht.'
Meine Freundin war nicht überzeugt und ich versuchte erst gar nicht, ihr meine Meinung zu erklären, zumal das sowieso nichts bringen würde, sie würde mich nicht verstehen und weiterhin auf ihrer Meinung beharren.
Stattdessen versuchte ich einer Diskussion aus dem Weg zu gehen und sie abzulenken.
'Hast du die Deutschhausaufgaben gemacht? Die waren echt schwierig.'
Meine Freundin verzog durchschaut und schuldig das Gesicht.
'Oh, mist... Hab ich ganz vergessen. Aber du lenkst ab.
Denkst du ich merke das nicht, Süße?' Ja, das dachte ich und es würde auch funktionieren.
Also fuhr ich unbeirrt fort, als hätte meine Freundin gar nichts gesagt.
'Willst du bei mir abschreiben?'
Jen kniff die Augen zusammen und wog kurz ihre beiden Möglichkeiten ab, mich weiter zu löchern, wahrscheinlich ohne Erfolg, oder ihre Hausaufgaben noch schnell bei mir abzuschreiben und ausnahmsweise eine gute Note dafür zu bekommen.
Natürlich gewann letzteres, ich kannte sie inzwischen gut genug, um das bereits im Voraus abschätzen zu können.
'Okay, okay, du hast gewonnen.
Komm wir beeilen uns.'
Eilig gingen wir die Flure entlang, betraten den Unterrichtsraum meiner Tante und setzten uns auf zwei freie Plätze in der zweiten Reihe.
Anschließend packte ich mehrere einzelne Blätter aus und Jen schrieb eifrig das Wichtigste ab.
'Du hast was gut bei mir.', murmelte sie nebenbei, doch dieses Versprechen würde ich nutzen und ich wusste auch schon wie.
Jen schaute mich ahnend und zugleich vorwurfsvoll an.
'Das hätte ich lieber nicht gesagt.', stellte sie fest.
Ich lächelte siegessicher.
'Keine Sorge, so schlimm wird es nicht.'
'Das bezweifle ich stark.'
Sie schrieb weiter meine Hausaufgaben ab, blickte nicht einmal hoch, bevor sie ihre Arbeit nach ein paar weiteren Sätzen beendete, da sie vor dem Unterricht nicht mehr alles, was ich gemacht hatte, schaffen würde.
Trotzdem hatte ich ihre Neugier sichtlich geweckt, denn sie zappelte unruhig mit den Beinen und in ihren Augen glänzten Vorfreude und Aufregung.
'Was hast du vor, Süße? '
'Lies doch meine Gedanken.', forderte ich sie mit hochgezogenen Augebbrauen auf.
Manchmal konnte sie zwar nicht in meine Gedanken hinein, aber wenn ich es zuließ, sollte es funktionieren, obgleich ich einen Versuch wagen wollte.
Dafür schirmte ich unter anderem den Teil, den sie finden wollte mit einer kleinen Mauer ab.
Ich musste auch immer mit so was kämpfen und es war ja nicht besobders schwer, vor allem weil ich nur eine niedrige Mauer erschaffen hatte.
Doch Jen zuckte zusammen und schnappte erschrocken nach Luft.
'Was machst du da?'
Ich sah sie irritiert an.
Sie musste doch schon vielen Leuten mit einer Mauer begegnet sein, jeder hatten eine.
'Das sind gedankliche Mauern.', begann ich zu erklären, aber Jen schüttelte wild den Kopf.
'Nicht die Mauer an sich, natürlich kenne ich Gedankenmauern.
Als ich vor deiner Mauer ankam, hat sie mich einfach wieder aus deinen Gedanken heraus katapultiert.
Ich komm nicht dagegen an.'
'Du übertreibst.', entschied ich, aber meine Freundin schüttelte heftig den Kopf. 'Nein ehrlich, es klappt nicht.'
Einerseits könnte das mit meiner verborgenen Kraft zu tun haben, was ein großer Vorteil für mich wäre.
Andererseits war es doch nur eine winzige Mauer gewesen, die man mit ein wenig Anstrengung leicht hätte zerstören können.
Gerade wollte ich meine Zweifel erwähnen, als meine Tante herein kam.
Sie schien sehr besorgt zu sein, weil sie sich gleich zweimal hintereinander ihre Brille richtete und sich dann nervös die Hände rieb und ich schätzte, dass es etwas mit der Sicherheitskuppel zu tun hatte.
Ich ließ meinen Blick durch die Klsse wandern und bemerkte einen leeren Platz hinter uns.
In unserer Klasse fehlte ein Junge, einer der toten Schüler, die zu Opfer des Schlangendrachens wurden, doch niemand beachtete den leeren Platz. Auch Mrs. Infusio fing einfach mit dem Unterricht an.
Es schien hier ganz normal zu sein, wenn jemand fehlte, weil er eines tragischen Todes gestorben war.
"Nur ein paar Tote" schienen niemandem etwas auszumachen.
Empört stupste ich Jen an.
'Wieso interessiert es keinen, was mit dem Jungen ist? ', flüsterte ich und passte auf, dass meine Tante nichts von unserem Gespräch bemerkte. 'Wer?', fragte Jen gleichgültig und blickte unauffällig nach hinten.
Ich tat so als würde ich mich an der Nase kratzen, um meinen Mund mit meiner Hand zu verdecken.
'Der, der beim Angriff gestorben ist.'
'Nun, der ist tod.',stellte sie klugerweise fest.
Danke für diese hilfreiche Antwort.
'Aber das interessiert hier keinen.', erklärte ich aufgebracht und sprach dabei ein bisschen zu laut, sodass meine Tante uns einen bösen Blick zuwarf.
Nachdem sie sich wieder abgewand hatte, fing Jen wieder an zu sprechen. 'Nun... Vor einiger Zeit gab es öfters solche Überfälle mit vielen Toten und wir mussten und müssen trotzdem weitermachen.
So ist es nun mal, Süße.'
Unzufrieden mit ihrer Antwort schaute an die Tafel, auf die meine Tante gerade etwas notierte, jedoch konnte ich mich nicht auf die Wörter konzentrieren, war zu erschrocken von dieser Ansicht.
Auch wenn viele Leute hintereinander starben, konnte das Einen doch nicht völlig kalt lassen.
Wir waren Menschen, mehr oder weniger, und wir hatten ein Recht darauf, nicht einfach abgeschlachtet zu werden.
Das Niemand sich für die Toten interessierte, ließ mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken laufen, denn ich wäre auch fast beim Kampf umgekommen.
Jen tätschelte mir beruhigend die Schulter.
'Hier ist alles ein bisschen anders.', murmelte sie leise.
Ja, das hatte ich schon oft gemerkt.
Geschlagen richtete ich meinen Blick auf Mrs. Infusio und hörte ihrer Erzählung zu.
'...ist eine sehr lange Geschichte. Nachdem die Götter sich alle selber vernichtet hatten, vermachte der Gott der Weisheit uns den Gottesjuwel.
Er wollte, dass wir gut darauf achtgaben und ich habe euch ja schon letzte Stunde erzählt, dass die beiden Gruppen verbittert gegeneinander kämpfen, um den Gottesjuwel und andere Artefakte, vor allem aber um Macht und Rache.
Vor ein paar Jahren entdeckte wir, so wie auch die Ausgeschlossenen, Rituale, mit denen man die unterschiedlichste Dinge vollbringen kann.'
Sie ließ ihren Blick kurz über mich schweifen und ich musste an unser Gespräch denken.
Sie suchten nach etwas für ein Ritual, wahrscheinlich genau in diesem Moment und sie gingen dafür über Leichen, taten alles, um das Objekt der Begierde in die Hände zu bekommen.
Ich schluckte nervös, aber Mrs. Infusio fuhr schon wieder fort.
'Um die verschiedenen Arten der Rituale werden wir uns noch in der Zukunft kümmern.
Jetzt gehen wir erst einmal auf die verschiedenen Götter ein.
Schlagt dafür bitte Seite 43 auf.'
***
Ich war in der Bibliothek und schlenderte durch die bis an die Decke reichenden Regale voller Bücher in allen Farben und Größen, voller alter Geschichten und interessanter Informationen über alle möglichen Dinge, voller unglaublicher Reisen und heldenhafter Abenteuer und vielleicht auch hier und dort voll von Emotionen, tief zwischen den verstaubten Buchseiten versteckt.
Ein Raum voller Möglichkeiten, für die die gerne lasen.
Trotzdem sollte es jetzt nur so aussehen, als stöberte ich in den Büchern, denn eigentlich war ich nach meinem Training mit Luis hierhergekommen, um ein paar Informationen zu sammeln, nicht aus den Büchern, und der alte Bibliothekar würde mir sicher helfen.
Er tippte gerade etwas in seinen alten Computer ein, kniff die Augen zusammen beim lesen.
Unauffällig schlenderte ich zu ihm hinüber.
'Hey, Jack!', begrüßte ich ihn freundschaftlich, als ich am Ausleihtresen ankam.
Er blickte blinzelnd von seiner Arbeit hoch.
'Hallo Nia, wie geht's dir?'
'Mir geht's ganz gut, aber ich wollte doch auf diese Sicherheitssitzung von Mrs. Smuttery gehen.'
Ich hatte geplant, möglichst schnell zum Punkt zu kommen.
'Ach, du meinst die, die heute stattfindet.'
Heute?!
Na super, dann hatte ich nicht mehr viel Zeit.
Künstlich lächelnd versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen.
'Ja genau, aber ich war ja noch nie auf so einer Veranstaltung.
Ich hatte mich gefragt, ob du mir vielleicht ein paar Tipps geben könntest?'
Jack blickte in die Ferne und erinnerte sich an seine eigenen Erfahrungen.
'Aber sicher! '
Er schien begeistert von dieser Idee zu sein.
So weit so gut.
'Weißt du noch, wie es so ungefähr ablief?'
Jack rieb sich nachdenklich das Kinn. 'Also ich war ehrlich gesagt auch erst zwei mal auf einer Sicherheitssitzung, aber man sollte sich schick anziehen und zuerst schaut sich der Türsteher natürlich die Einladungen an.
Der Saal ist riesig.
Nun, früher waren tatsächlich nur erwachsene anwesend und die Lesung war sehr interessant.
Sie unterhalten sich über die aktuellen Probleme und natürlich die Sicherheit der Schule.
Mrs. Smuttery oder deine Tante wird dir sicher auch einige Bekannte vorstellen, wenn du schon einmal da bist.'
Das glaubte ich eher nicht, aber ich nickte Jack zustimmend zu.
Dieser schaute mich jetzt neugierig aus seinen alten, braunen Augen an. 'Ist es wegen dem Angriff auf die Schule?
Ich habe gehört, dass du und ein Junge darin verwickelt waren.'
Ich überlegte kurz, doch was konnte es schaden, ihn das glauben zu lassen, er hatte sich schließlich selber eine schöne Lüge ausgesucht.
Damit würde er mir eher glauben, dass ich eine Einladung besaß.
'Genau.', stimmte ich also zu und drehte mich dann langsam zu den Bucherregalen um.
'Ich lese jetzt noch ein bisschen, bevor ich mich fertig mache.'
Jack lächelte gutmütig, er war eine gute Informationsquelle für mich, aber so langsam wuchs er mir auch ein bisschen ans Herz.
Noch einmal schaute ich mich um, damit ich sichergehen konnte, dass Jack wieder in seine Computerarbeit vertieft war,bevor ich eilig den Raum verließ.
***
Ich schlüpfte in meine schwarzen, dezent glitzernden, hohen Stiefeletten und machte ein paar Schritte nach vorne, sodass das Klacken meines Absatzes auf dem Holzboden ertönte und den Raum erfüllte.
Früher hatte ich oft solche Schuhe zum Ausgehen getragen, weshalb es für mich nicht besonders schwierig war, darin zu laufen, im Gegenteil, ich fand sie sogar sehr bequem.
Entschlossen stellte ich mich vor meinen Spiegel und begutachtete das Gesamtbild.
Ich trug ein realtiv kurzes, schwarzes Kleid und einen schwarzen, seriös wirkenden Mantel.
Die Klamotten waren aus Jen's Kleiderschrank, der gut eine Tonne Klamotten in sich barg, wobei sie mir gesagt hatte, dass sie diese Fehlkäufe, ganz hinten in ihren Schrank gepackt hatte, weil sie sie ausversehen eine Nummer zu groß gekauft hatte.
Mir passten sie recht gut und deswegen wollte Jen mir alles nach unserem kleinen Auftritt schenken.
Mein Make up sah wirklich professionell aus, meine Gesichtskonturen waren betont, die Augen zum Glück relativ dezent geschminkt, und meine Haare waren zu einem strengen Dutt zusammengesteckt.
Im großen und ganzen sah ich gut zehn Jahre älter aus.
Verstohlen lugte ich durch meine Badezimmertür und entdeckte meine Freundin.
Jen trug sich gerade einen auffälligen, Violettton auf die Lippen auf.
Ich hatte auf klassisches rot gesetzt, doch Jen liebte es ein bisschen Extravagant anzusehen.
'Das ist genial, wie du alles hinbekommen hast.', lobte ich sie wirklich beeindruckt und Jen hob das Kinn und warf mir ein wissendes Lächeln zu, sobald sie fertig war.
'Ich weiß, dafür hab ich halt ein Händchen und viel nützlicher als Kämpfen oder Lernen ist es auch.'
Sie grinste verschmitzt ihr typisches Lächeln und stützte die Hände in die Seiten.
'Gehen wir?'
Ich nickte gedankenverloren, hatte ihre simplen Worte nicht wirklich aufgenommen, denn diese Aktion würde den Bach hinunter gehen, wenn ich mein Täuschungsmanöver nicht hinbekam.
Zur Übung konzentrierte ich mich auf Jen.
'Dreh dich zweimal im Kreis.', schickte ich ihr gedanklich zu.
Jen drehte sich zu mir um und blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
'Was?', fragte sie verblüfft, schien mich für verrückt zu halten.
Ich kniff meine Augen zu schlitzen und schickte ihr erneut meine Worte, dieses Mal verkleidet in ihrer Stimme. 'Ich drehe mich zweimal im Kreis.' Überrascht drehte Jen sich im Kreis, mechanisch.
Nach dem zweiten mal blieb sie stehen und sah zu mir herüber.
'Was machst du?'
Ich lächelte siegessicher, der Probelauf war geglückt.
'Du hast das gemacht.', stellte ich fest, doch Jen verdreht die Augen.
'Aber ich... Ich hab nichts getan, eigentlich, bewusst.', stammelte sie,
'Du hast mir das gesagt.'
'Vertrau mir.', erwiederte ich nur und Band meinen Mantel an der Taille zusammen.
Nun seuftzte meine beste Freundin. 'Was ich nur alles mit dir mache, Süße. '
Ich schmunzelte und zog die Augenbrauen ein Stück höher.
'Selbst Schuld.'
Sie hob einsehend die Hände, als müsste sie sich vor mir schützen.
'Okay, solange wir nur nicht von der Schule geschmissen werden, soll es mir egal sein.
Dafür sollten wir das hier benutzen.' Sie zog etwas aus ihrer Tasche und reichte mir eine von zwei Sonnenbrillen.
Ich setzte diese mit gerunzelter Stirn auf.
'Wofür?'
'Na, es soll dich ja niemand an deinen Augen erkennen.', beschloss meine beste Freundin.
Sie hatte an alles gedacht.
'Sag mal machst du das eigentlich öfters?'
Jen stellte sich mir Genugtuung vor den großen Standspiegel.
'Wer weiß', murmelte sie vage, aber ich wusste, dass sie einfach nur scherzte.
Unser Vorhaben war keinesfalls üblich.
***
Wir wanderten die Alee entlang, deren Bäume bereits in der Dunkelheit versteckt lagen, und grinsten uns an, weil wir aussahen wie zwei möchtegern Agenten.
Hoffentlich sah uns keiner der anderen Schüler, wobei diese sich mitten in der Nacht nicht mehr draußen rumtreiben dürften, genau wie wir.
Wir waren uns der Tatsache, dass es äußerst riskant war, sich auf eine Sicherheitssitzung des Internats zu schleichen, bewusst und wenn uns jemand bemerkte, würden wir sicher von der Schule fliegen.
Auch die wenigen Informationen, die wir dort herausfanden, würden sich nicht unbedingt lohnen, doch wir waren bereit, freuten uns schon fast auf dieses für uns verbotene Treffen.
Die Schwärze der Nacht umgab uns, steigerte unsere Aufmerksamkeit, verdeckte aber unsere Identität.
Die Nacht schwieg geheimnisvoll und
ein paar einzelne Sterne leuchteten am Himmel, warfen schwaches, weißes Licht auf den Weg vor uns, bis wir am Gebäude ankamen und Jen uns die Tür öffnete.
Ich trat zuerst ein und hörte sofort die Geräusche, die aus den Räumen über uns kamen.
Es mussten viele Leute anwesend sein und wir mussten nur diesen Geräuschen folgen, um zum Eingang zu gelangen.
Meine Schritte klangen fest auf den dunklen Treppenstufen, entschlossen.
Trotzdem blickte ich mich kurz um. Jen nickte mir ermutigend zu.
Wir würden da jetzt einfach reinspazieren.
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