Kapitel 11
Meine Tante schaute mich immer noch besorgt an, als ich durch ihre Tür kam, so langsam fing ich an eine Abneigung gegen diesen Blick zu entwickeln, er prophezeite immer eine schlechte Nachricht.
'Was denn?'
Sie schüttelte nur leicht den Kopf, presste die Kiefer aufeinander.
'Alles okay.'
Das konnte sie jemandem anderen erzählen.
Ich verzog gequält das Gesicht.
Wie konnte sie versuchen wichtige Gedanken und Vermutungen, die ihr anscheinend große Sorgen bereiteten, einfach vor mir verheimlichen?
So naiv war ich nicht und so leicht abzuwimmeln auch nicht.
Mrs. Infusio blickte mich starr und mit gerecktem Kinn an, aber ich würde sicher nicht nachgeben.
'Hat es etwas mit mir zu tun?', war meine erste Frage.
Keine Bewegung von meiner Tante, aber an ihrer verkrampften Haltung konnte ich erkennen, dass ich zumindest nicht ganz falsch lag.
'Na super.', sagte ich ironisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
'Ich habe Zeit.'
Einige Sekunden lieferten wir uns ein Blickduell, wie Kinder die einen Streit ausfochten, niemand wollte wegschauen.
Schließlich warf sie verärgert die Hände in die Luft und seufzte.
'Du bist genauso stur wie deine Mutter.'
Ich sah sie immer noch ununterbrochen an, verkleinerte meine Augen zu Schlitzen.
Wenn ich nicht über alles bescheid wusste, fühlte ich mich machtlos und machtlos bedeutete hilflos, schwach. In meinem Kopf waren zwar schon weit mehr als genug Gedanken, aber eine schreckliche Vorahnung mehr würde auch nichts mehr verändern und selbst wenn, war das alle mal besser als unwissend und ohne Licht durch eine dunkle Welt zu tapsen.
Ein Leben voller Lügen lag hinter mir, nun bestand ich auf die Wahrheit.
Meine Tante lehnte sich erschöpft an ihren Tisch, ich hörte sie tief ausatmen.
'Der Polizeichef Heklot meint, dass die Ausgeschlossenen etwas von deiner Familie haben wollen.
Ich weiß nicht, ob ihr ein Andenken oder einen magischen Gegenstand habt, beziehungsweise ein Artefakt, aber anscheinend suchen sie nach so etwas.
Wenn es wirklich stimmt, werden die Ausgeschlossenen alles tun, um diesen Gegenstand zu bekommen und sie gehen über Leichen.
In anderen Worten, sie werden dich auf jeden Fall umbringen, falls sie dich mit dem Artefakt in Verbindung bringen können.
Hast du vielleicht eine Ahnung, ob deine Familie etwas in der Art besitzt?'
Ich dachte fieberhaft nach, aber an einen geheimen Gegenstand konnte ich mich nicht erinnern, nichts von Bedeutung, nichts besonderes lag in meiner Kindheit verborgen.
'Was für einen Gegenstand zum Beispiel?'
Meine Tante zuckte mit den Schultern.
'Ich weiß es nicht, aber meiner Meinung nach sind die Ausgeschlossenen immer nur auf der Suche nach den Schätzen der Götter.' Einen Schatz?
Nein, das wäre mir doch sicher aufgefallen.
Aber wenn es doch einen irgendwo gab...
Nur wo?
Ich geriet, ohne es wirklich mitzubekommen, immer weiter in diesen Schlamassel herein und irgendwann würde ich nicht mehr herausfinden, wie in einem komplizierten Labyrint wäre ich dann gefangen.
Meine Schläfen schmerzten, sodass ich mir meine Hände an den Kopf legte.
Die Mischung aus solchen Überlegungen und wenig Schlaf schien mir nicht besonders gut zu tun.
'In deinem Haus ist nichts.
Sie haben es gründlich vor der Zwangsversteigerung durchsucht. Wenn du nichts hast...'
Tatsächlich war sie sich nicht sicher, ob ich etwas vor ihr verheimlichte.
'Ich weiß nichts von so einem Gegenstand. Ich hätte wirklich gerne mehr Andenken an meine Mutter gehabt, aber sie vermachte mir nichts.'
Ich rieb mir erneut den Kopf, nun stärker.
'Sicher, dass sie meine Mutter nicht einfach so angetroffen und getötet haben, weil sie ein Zeuge war?'
Wunschdenken, die letzte Option.
Meine Tante schüttelte mitleidig den Kopf.
'Sie machen nichts ohne Grund, weil ihr Anführer ihnen strickte Befehle gibt. Dann müssen sie etwas herausfinden, einen bestimmten Teil des Schatzes der Götter suchen oder jemanden umbringen, wie in unserem Fall.'
Irgendetwas lag direkt vor meiner Nase, doch ich konnte es nicht sehen. Es gab da etwas, das ich übersah, weil mir der Zusammenhang fehlte, um es herauszufinden.
Aber was... Was war so offensichtlich?
Meine Tante schob sich unruhig die Brille auf der Nase zurecht.
'Ich schätze wir hatten recht und du bist in Gefahr, aber sie werden dich oder deinen Schatz nicht kriegen.
Wir passen auf dich auf.
Tu das bitte auch, Nia, und gib bitte sofort Bescheid, wenn dir etwas dazu einfällt.'
Ihre Worte bauten mich auf, denn ich wusste, sie war für mich da, egal was kommen mochte.
Ich lächelte und umarmte meine Tante zum zweiten Mal, sie wuchs mir wirklich ans Herz.
'Wie kann ich dir nur für alles danken? ', flüsterte ich.
Sie drückte mich fest an sich.
'Damit, dass du da bist und mich an deine Mutter erinnerst.'
Tränen schimmerten in meinen Augen, doch ich blinzelte sie schnell weg.
Insgeheim fragte ich mich, ob sie jetzt stolz auf mich gewesen wäre.
Zaghaft sprach ich meine Gedanken laut aus und meine Tante hielt mich kurz von sich weg.
Sie musterte mich lächelnd, liebevoll. 'Sie wäre sehr sehr stolz auf dich gewesen.'
***
Wir übten danach nicht mehr viel.
Ich schaffte es immer noch nicht Illusionen zu erschaffen, es schien unmöglich zu sein.
Meine Tante erklärte am Ende, dass sie sich über Blockaden informieren würde, obgleich ich mir nicht sicher war, ob es wirklich an einer Blockade lag oder ob ich nicht einfach nur total unfähig war.
Nach dem Unterricht verließ ich das Schulgebäude.
Die Sonne würde bald untergehen, denn sie stand bereits sehr tief, der Wind war frisch und wehte hektisch die gefallenen Blätter von einer Seite zur anderen.
Eigentlich ein schöner Nachmittag, um spazieren zu gehen.
Unter einer Tanne entdeckte ich Luis, der mit dem Rücken zu mir stand, und dieses Mal nahm ich mir vor ihm klar zu machen, dass ich seine Hilfe und das Training dringend brauchte, das es keinen Weg drumherum gab. Durch meine Illusionen könnte ich mich schließlich wehren und wenn ich sie nicht hatte, war ich ein zu leichtes Opfer.
Mein Herz schlug bei seinem Anblick ein bisschen schneller, doch das versuchte ich zu ignorieren, die Aufregung zu verbergen.
Heute würde ich nicht ohne sein Versprechen gehen.
'Hast du vielleicht Lust auf Training?'
Luis drehte sich um, schnell, achtsam, als hätte er einen Feind erwartet. Erst schaute er mich ein bisschen überrascht an, aber dann verwandelte sich seine Miene sofort wieder in Stein.
'Hab ich dir nicht gesagt, du sollst abhauen und mich endlich in Ruhe lassen?!'
'Ja, hast du. Ich höre aber nicht auf dich. Du hast kein Recht dazu mich herumzukommandieren.'
Luis grinste verwegen, was mich wiederum überraschte, dabei hatte ich die Vermutung, dass das Lächeln nicht für mich bestimmt war.
Trotzig hob ich mein Kinn höher.
'Also?'
'Nein, ich kann nicht mit dir trainieren.', sagte er schlicht, ohne Erklärung.
Von wegen er konnte nicht.
Er hatte einfach keinen Bock auf mich.
'Was hast du eigentlich gegen mich?', fuhr ich ihn an, 'Du hast meiner Tante zugesagt und jetzt hast du mich an der Backe, also reiß dich zusammen.'
Er zeigte keine Regung, wandte das in Stein gemeißelte Gesicht ab, was mich nur noch wütender machte.
Mit dem Gedanken, dass ich unbedingt Training brauchte, schleuderte ich ihm die Wahrheit ins Gesicht, ohne lange darüber nachzudenken.
Sollte er doch damit klarkommen, sich schuldig zu fühlen.
Meine Stimme wurde zunehmend lauter, fordernder.
'Ich brauche das Training, du musst mir helfen.
Sie wollen mich umbringen, genau wie meine Eltern, verstehst du das?
Wenn ich mich nicht wehren kann, dann bin ich tod.
Weißt du überhaupt wie das ist mit dieser Angst zu leben, wehrlos zu sein?
Weißt du überhaupt, wie das ist, wenn man jede Nacht Albträume hat und kaum zum Schlafen kommt?'
Ich schluckte hörbar.
Wut war Verzweiflung gewichen und von so etwas persönlichem wie meinen Albträumen wollte ich ihm nicht erzählen.
Es war mir einfach so herausgerutscht und jetzt konnte ich es nicht mehr zurücknehmen, wieder einfangen.
Ich hatte meine Hände zu Fäusten geballt und meine Augen glänzten verräterisch, doch ich hatte es schon oft geschafft meine Tränen zurückzuhalten und blinzelte sie auch dieses mal tapfer weg.
Gerade Luis sollte mich jetzt nicht weinen sehen, alle, nur nicht er, denn wenn er glaubte, dass ich ein Weichei wäre, würde er mich nie trainiere.
Als ich wieder klarer sah, bemerkte ich Sorge, Schuld und ...Angst? in seinem Blick.
Ich war mir nicht ganz sicher, aber Luis wirkte auf jeden Fall mitgenommen, ja sogar emotional, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er ein Eisklotz war.
Sollte er sich doch schuldig fühlen.
Es schien als streckte er die Hand nach mir aus, ließ sie aber dann wieder fallen.
'Wir treffen uns in 10 min. an der Sporthalle.'
Damit verschwand er zur gerade genannten Sporthalle und ich sah ihm verwirrt hinterher.
Ich würde ihn wohl nie verstehen.
In Zehn Minuten fingen wir an.
Diese Angabe realisierte ich erst ein paar Momente später.
Ich musste mir noch Sportkleidung anziehen und mir wenigstens einen Zopf machen.
Schnell joggte ich zu meinem Wohnheim, noch immer außer mir und doch zufrieden, dass ich ihn überzeugen konnte.
***
'Wir trainieren hart, jeden Tag.'
Achja? Vor ein paar Stunden hatte das noch anders geklungen.
Meine Güte, dass würde die Hölle werden, jedem Tag mit ihm in der Sporthalle zu hocken.
'Als erstes zeige ich dir das Kämpfen mit einem klassischen Kurzschwert. Das sollte nicht allzu schwierig sein.' Er suchte mir, ohne lange zu überlegen, ein einfaches Kurzschwert aus dunklem Metall mit einem roten Griff aus und reichte es mir.
Mit dem Kurzschwert hatte ich schon ein bisschen in Kalvin's Unterricht gekämpft.
Ich nahm das Kurzschwert in meine rechte Hand und ging in Angriffsstellung.
Luis schnappte sich ebenfalls eins der Kurzschwerter, beobachtete mich kurz und kam dann zu mir.
'Schon ganz gut, nur du musst deinen Schwerpunkt ein bisschen nach hinten verlagern. Sonst rennst du genau in die Waffe des Gegners rein.' Ich schaute ihn hilfesuchend an, bewegte das Schwert unsicher in meiner Hand hin und her.
Also kam er zu mir und stellte sich hinter mich, wobei ich mir seiner Nähe mehr bewusst war, seinen warmen Atem in meinem Nacken spürte, doch ich musste mich jetzt boll und ganz auf das Training konzentrieren.
Er drückte meine Knie ein bisschen mehr nach vorne und fasste mich dann an der Hüfte, um sie ein Stück nach hinten zu ziehen, was mich schlagrtig standhafter werden ließ. Nur kurz zuckte ich bei dieser ungewohnten Berührung zusammen, weil ich nie gedacht hätte, dass Luis mich jemals so sanft berühren würde, so als wäre ich wertvoll.
Luis schien jedoch nichts zu bemerken und drückte mich leicht nach oben, richtete mich auf.
Diese Position war ein bisschen anstrengender, aber ich konnte sie halten, sodass er mir zunickte.
Mit einem großen Schritt stand er ebenfalls in Angriffsposition vor mir. 'Greif mich an.'
'Was?', fragte ich etwas entsetzt, meine Position gab ich jedoch nicht auf.
Er lachte nur, ein leises, dunkles Lachen, gefährlich und doch anziehend.
'Was hast du gedacht, machen wir hier?'
'Erst mal mit einer Puppe üben?', schlug ich vor, doch er schüttelte entschieden den Kopf, schien in der Sporthalle ein komplett anderer Mensch zu sein.
'Glaub mir, du wirst mich nicht treffen. Versuch einfach mich anzugreifen.'
Unsicher trat ich nach vorne, streckte ich meine Waffe aus und zielte auf seinen Bauch, dabei behielt ich Augenkontakt, so wie ich es von Kalvin gelernt hatte.
Mein Angriff war jedoch viel zu zaghaft und Luis wehrte ihn nicht einmal ab.
Er musste lediglich einen Schritt zur Seite machen.
'Tu so als meintest du es ernst.', forderte er mich auf.
Mit etwas mehr Enthusiasmus stieß ich nach ihm, aber nun wich er zur anderen Seite aus.
'Dein Gegner würde sich über diesen Angriff totlachen.
Vielleicht kannst du ihn ja so umbringen.'
Er grinste herausfordernd, aber ich fand seinen Witz ganz und gar nicht witzig, schlug ein weiteres Mal vergeblich nach ihm.
'Das letzte Mal, wo ich jemanden so Kämpfen sah, stand eine vierjährige vor mir.'
So langsam reichten mir seine doofen Sprüche, ich staute die Frust in meinem Körper an und stieß ein drittes mal zu, stärker.
Luis rannte jedoch genau in mich hinein, sodass ich einen Aufschrei unterdrücken musste.
Dann drückte er mich auch schon auf die Matte nieder, ohne dass ich unseren Sturz bemerkt überhaupt bemeekt hatte, und hielt mir sein Schwert an die Kehle.
Keine Position, in der ich gerne länger geblieben wäre.
'Zu langsam.'
Ich stand wieder auf, sobald er das Schwert von meiner Kehle genommen hatte.
Ich konnte einfach nicht gut kämpfen, ich hatte jahrelanges Training verpasst.
Trotzdem würde mir Mühe geben, so lange wie möglich durchhalten.
Er sollte bloß nicht denken, dass ich es nicht wenigstens versuchte.
Also stellte ich mich wieder in Angriffsposotion, so wie er es mir gezeigt hatte.
Meine Versuche trugen leider keinen Erfolg und nach dem gefühlten hundersten Mal lag ich schon wieder auf der Matte und hatte schon wieder Luis Kurzschwert an meiner Kehle. Was sollte das bringen?
'Nochmal.', sagte er gereizt wie die restlichen Male davor,
'Nia, streng dich mal an!'
Ich wusste, dass er mich wütend machen wollte, aber ich war eben niht der Typ von Mensch, der agressiv auf jeden losging.
Luis rieb sich das Kinn, überlegte.
'Stell dir vor ich wäre Sally.', sagte er und ich starrte ihn mit großen Augen an. Was?
Er hatte sicher von dem Vorfall mit Sally gehört, wollte meine Wut auf sie spüren.
Nicht abgetan von diesem Gedanken versuchte ich ein Bild von Sallys Gesicht vor mir aufkommen zu lassen, ihre wasserstoffblonden, perfekt sitzenden Haare, das schmale, perfekte Gesicht mit den hohen Wangenknochen, die giftgrünen Schlangenaugen und das hämische Grinsen ihres rot bemalten Mundes.
'Verhau sie.', meinte Luis mit leiser Stimme und ich konnte das belustigte Lächeln in seinen Worten spüren.
Wenn das Sally wäre, und nebenbei muss ich sagen, sie hätte es wirklich verdient...
Ich ließ all meine Wut über Sally in mir aufkommen und konzentrierte nich gleichzeitig auf die Technik, versuchte beides zu kombinieren. Dann schlug ich mit aller Kraft auf Luis oder eher auf Sally ein.
Dieser wehrte geschickt ab und unsere Schwerter schlugen gegeneinander.
Ich setzte zu einem neuen Schlag an und verfehlte Luis nur knapp.
Dieser schleuderte sein Schwert kraftvoll nach vorne.
Ich wich aus, aber er drehte sich hinter mich und hielt mich mit einer Hand fest an der Taille fest.
Sein Schwert lag wiedermal dicht an meiner Kehle.
Nagürlich hatte ich verloren, auf einen Sieg hatte ich eh nicht gehofft, denn ich merkte, dass jeder seiner Schläge nur halbherzig ausgeführt wurde.
Seine ganze Krafz wollte ich wirklich nicht spüren und seine Qut schon gar nicht.
Luis war so dicht an mir, dass er in mein Ohr flüstern konnte.
Machte er das eigentlich extra?
'Ich würde nur zu gerne mal sehen, wie du Sally wirklich verhaust.'
Seine Hand lag immer noch auf meiner Taille lag, dort kribbelte mein Körper wie wild.
Als hätte er es auch gemerkt, nahm Luis seine Hand weg und trat einen Schritt zur Seite, schaffte wieder Sicherheitsabstand.
'Wir haben einen Fortschritt gemacht.', verkündete er.
Ja, das war wohl mein längster Kampf gewesen und es hatte merkwürdigerweise sogar ein bisschen Spaß gemacht.
'Danke.', sagte ich und blickte ihn lächelnd an, doch Luis zuckte nur wie üblich abweisend die Schultern und machte eine wegwerfende Handbewegung.
Menschen änderten sich nicht einfach.
'Du solltest an deiner Schnelligkeit arbeiten. Damit kannst du viele Vorteile haben. Vor allem, wenn dein Gegner größer ist als du.'
Ich nickte und überlegte bereits wie ich üben konnte, schneller zu werden. 'Wir machen morgen weiter, wenn du dann immer noch willst.'
Er brachte unsere Schwerter wieder in ihre Position an der Wand, ohne mich auch nur von der Seite anzusehen.
Na klar wollte ich.
Wie konnte er etwas anderes denken? Ich war mir ziemlich sicher, dass das hier der einzig richtige Weg zum besseren Kämpfen war und ich wollte besser werden, ich musste.
Als ich wieder aufblickte, war Luis einfach so verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.
Also verließ ich ebenfalls die Sporthalle und löschte hinter mir das Licht.
Ich brauchte unbedingt eine warme Dusche und mein schwarzer Kampfanzug, den ich immer zum Sport anzog, musste wahrscheinlich auch in die Wäsche.
Erst als ich draußen stand, fiel mir auf, dass die Sonne schon fast untergegangen war.
Wir hatten lange trainiert.
***
Am nächsten Morgen wusste ich, was Luis gemeint hatte, denn ich wachte mit höllischem Muskelkater auf.
Nie hatte ich solche schmerzende Muskeln gehabt.
Das Gute war jedoch, dass ich keine Albträume gehabt hatte.
Am Abend hatte ich noch ein paar Hausaufgaben erledigt und war danach todmüde ins Bett gefallen, tief und fest eingeschlafen und erst von meinem Wecker wieder aufgewacht. Mit einem Ächzen streckte ich mich.
Ich hatte Muskelkater an Stellen, von denen ich nicht einmal wusste, dass es dort Muskeln gab.
Behutsam stieg ich aus meinem Bett und ging, wenn man das gehen nennen konnte, zu meinem großen, weißen Kleiderschrank.
Ich brauchte irgendetwas gemütliches zum Anziehen, weil ich mich heute wohl kaum in eine zwängen konnte. Nach kurzer Überlegung griff ich mir eine schwarze Leggins und einen langen, violetten Pulli, den man gut als Kleid tragen konnte aus meinem Schrank.
Vielleicht könnte ich ja sogar ein kleines Schläfchen im Unterricht machen, obwohl das irgendjemand sicher merken würden und ich nicht scharf darauf war, dass mich noch mehr Schüler komisch musterten. Die, die im Unterricht pennt.
Nein danke, das sollte ich lieber vergessen.
Schade eigentlich.
Da fiel mir ein, dass wir ja heute regulären Sportunterricht hatten.
Wie sollte ich das überleben?
Ich stöhnte laut und rang mit dem Gedanken zu schwänzen.
Jen würde sich sicher zu mir gesellen, denn sie hatte Französisch und das war ihr Hassfach, aber wenn ich schwänzen würde, wäre meine Tante sicher sauer und sie schien dabei nicht zu locker zu sein, wie meine Mutter es gewesen war.
Ich war einfach ein zu braves Kind.
Egal, jetzt ging es erstmal zum Unterricht.
Meine Mutter hatte immer gesagt, Muskelkater könne man nur mit Sport bekämpfen.
Wie ich fand, war das die schlechteste Weisheit, die sie mir je gegeben hatte, aber ich würde es schon überstehen.
***
'Ich kann nicht mehr, ehrlich.', keuchte ich.
Den ganzen Tag hatte ich schon durchgehalten, aber jetzt ging es nicht mehr.
Ich war so müde und meine Muskeln schmerzten immer mehr.
Luis sah mich unnachgiebig an. 'Schon?'
Ich blickte flehend von der Matte zu ihm hinauf.
Er hatte mich, wie jedes Mal, besiegt. 'Okay, noch einmal. Dann bist du fertig.'
Ich nickte geschlagen, wusste das er mich bei einem Nein hochzerren würde, was er durchaus schon gemacht hatte.
Mehr würde ich nicht von ihm bekommen.
Also rappelte ich mich mühsam auf, riss in sekundenschnelle mein Kurzschwert nach oben und ließ es auf Luis Kopf niedersausen.
Er blockte und schlug ebenfalls zu, sodass ich seine Waffe nur knapp abblocken konnte.
Ich war noch dabei mich wieder aufzurichten, als er mich auch schon auf die Matte schubste.
Ich hatte das Gefühl, dass er dies leidenschaftlich gerne tat.
Diesmal hielt er mir jedoch nicht das Schwert an den Hals, reichte mir nur seine Hand.
Ich erwiederte diese Geste und ließ mich von ihm hochziehen.
'Danke.'
Dann schob ich mir eine hellbraune Strähne aus dem Gesicht, die aus meinem Zopf gefallen war.
'Ich bin total platt.'
Er nickte gütig, brachte unsere Schwerter weg, schien nicht einmal ein bisschen angestrengt zu sein, wobei man unser Training auch nicht wirklich Kämpfen nennen konnte.
Ich schlug mich ein oder zwei Schläge durch und wurde am Ende doch wieder von ihm auf den Boden gedrückt, besiegt.
Er war aber auch der beste Kämpfer der Schule und ich würde ihn sicher nie besiegen können.
'Du wusstest worauf du dich einlässt.',
Ich schüttelte den Kopf.
'Bei dir? Wohl kaum.'
Dafür bekam ich nur sein leises, geheimnisvolles Lachen zu hören, doch gleich darauf wurde seine Miene wieder ernst.
Er musterte mich von oben bis unten mit seinem viel zu intensiven Blick. 'Und deine Träume?'
Ach ja, ich hatte ihm ja von meinen Albträumen erzählt, nichts worüber er sich wirklich sorgen machte, aber ich fand es nett, dass er trotzdem fragte.
'Letzte Nacht war ich so geschafft, da konnte ich gar nicht mehr träumen, nur noch schlafen.'
'Worüber träumst du den sonst?'
Er schien tatsächlich interessiert zu sein, aber vielleicht war das auch nur Einbildung.
Eigentlich fand ich diese Frage viel zu intim, um sie preiszugeben, sagte aber leise.
'Ich träume vom Tod meiner Mutter und von einem Mann.
Ein Mann, der mich umbringen will. Er ist immer wieder da.
Ich weiß, dass klingt verrückt.'
Betreten schaute ich zu Boden.
'Kannst du dich nicht wehren in deinem Traum? Ich würde einfach abhauen.'
Ich verzog mein Gesicht.
'Du könntest das, ja, aber als einfach würde ich das nicht bezeichnen.
Zum Glück sind es nur Träume, die können mich nicht umbringen.'
Er nickte bedacht.
'Dann bis morgen.', sagte Luis irgendwann und ging einfach hinaus, während ich mich fragte, ob wir schon einmal so ein langes, ernstes und ruhiges Gespräch geführt hatten.
'Bis morgen.'
Um nicht alleine in der riesigen Sporthalle sitzen zu müssen, verließ ich das Gebäude recht schnell nach ihm.
Draußen hatte Nieselregen eingesetzt und ich genoss das sanfte Gefühl des kühlen Regens auf meiner aufgewärmten Haut.
Die leichten Tropfen kühlten meine ausgepowerten Muskeln.
In letzter Zeit hatte ich den Regen wirklich, zu lieben gelernt.
Meiner Meinung nach war er viel angenehmer als die Sonne und ich wusste nicht, warum ich das erst jetzt bemerkte.
In meinem Rücken fühlte ich schon wieder diesen Blick.
Ich drehte mich einmal um mich selbst, aber niemand war hier. Dumme Paranoia.
Dabei konnte keiner mehr durch das Loch schlüpfen, da es zugemacht worden war und die Schutzmauer war auch wieder ganz, was mir ein Gefühl der Sicherheit gab.
Schon war ich an meiem Wohnheim angekommen, denn der Weg zur Sporthalle war nicht lang und mal abgesehen davon wurden mir die Wege auf dem Campus langsam vertraut.
Auf dem Weg zu meinem Zimmer kam ich an einem verstört wirkenden Mädchen mit rabrnschwarzen Haaren und stahlgrauen Augen vorbei.
Sie blickte mich mit großen Augen an und lief weiter den Flur entlang und bevor ich ihr behilflich sein konnte, war sie schon weg.
Ich erinnerte mich daran, dass Jen gesagt hatte, dass ich im Haus der Seher war.
Ob diese Mädchen in die Zukunft geblickt hatte?
Dann konnte die Zukunft nicht gut gewesen sein.
Ich verscheuchte die Begegnung aus meinem Kopf, was ich nur immer verrücktes dachte.
Auch mein Zimmer war mir mit der Zeit bekannt geworden, zu einem Heim geworden.
Es war ein Ort, an dem ich mich zurückziehen und entspannen konnte, an dem ich alleine sein und mich wohl fühlen konnte, an dem ich den Abend ausklingen lassen konnte.
Heute versuchte ich mich so wenig, wie möglich zu Bewegen und das gelang mir auch ganz gut, denn ich schrieb nurnoch ein wenig mit Marc und überflog den Rest des Fenriswolfbuches.
Die letzten Seiten beinhalteten so viele fremde Begriffe, das ich nicht mehr mitkam und daran erkannte ich, dass mir doch nicht alles ganz vertraut war.
Mal abgesehen vom harten Kämpfen, fehlte mir ziemlich viel wissen.
Ein weiteres Mal fragte ich mich, wieso meine Mutter mir nichts über diese Welt gesagt hatte, denn dann wäre ich besser damit klargekommen, hätte alles langsam von ihr lernen und diese Welt in ihren Grundzusammenhängen verstehen können.
Doch wenn ich damit aufgewachsen wäre, wäre mein Leben so anders gewesen.
Ich wäre ein komplett anderer Mensch geworden.
Vielleicht hatte meine Mutter ja doch Beweggründe, weshalb sie mich in der normalen Welt aufwachsen lassen wollte, nur leider konnte ich sie das nicht mehr fragen.
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