Kapitel 1

Als die Schwärze um mich herum verschwand, wünschte ich mir, dass sie zurück käme.
Ich zog an der Dunkelheit. Mein echtes Leben war jetzt so viel schlechter als dieses warme, beschützende schwarz, das mich einhüllte.
Im einen Moment schien mein Leben so perfekt zu laufen und im nächsten fiel alles zusammen wie ein instabiles Kartenhaus und schlug auf dem Boden auf wie eine zersplitternde Vase.
Alles zerschlagen und die Scherben, die mich nun überall stachen, waren nicht aufgekehrt.
Ich wusste nicht wohin. Es gab keinen Ausweg mehr. Keinen Weg aus diesem fatalen Albtraum.

'Nia? Nia Miller?', fragte mich eine unbekannte Stimme.
Ich schreckte hoch und blinzelte.
Ich hatte gerade wirklich keine Lust auf Besuch.
Und schon gar keinen fremden Besuch.

Eine Frau mit dunkelbraunem Haar, das zu einem ordentlichen Dutt zusammengesteckt war, stand vor mir und lächelte mitfühlend, doch ein künstliches mitleidiges Lächeln war das Letzte, was ich jetzt sehen wollte. Ich wollte nur meine Mutter zurück und ihr Mitleidlächeln konnte sie sich sonstwohin stecken.

Die fremde Frau streckte eine Hand nach mir aus. Ich blieb still sitzen und sah sie, so gut es mit meinen verschlafenen, vom vielen Weinen geschwollenen Augen möglich war, herausfordernd an.
Enttäuschung umhüllte ihr schmales Gesicht und sie zog ihre Hand schnell wieder zurück.
Ein unsicheres Räuspern.
'Ich war die Halbschwester deiner Mutter. Also bin ich teoretisch deine Tante. Mein Name ist Sahra Infusio und ich arbeite in einem Internat.'
Na super. Unbekannte Verwandte und ein Internat in das man mich stecken konnte. Das Glück schien es wirklich gut mit mir zu meinen. Nicht.

Sie lächelte nun freundlich, aber ich hatte keine Nerven für eine höfliche Konversation. Was erwartete sie denn von mir? Das ich freiwillig mitkam? Dabei kannte ich sie doch kaum und das Blut dicker als Wasser war hielt ich schon immer für ein Gerücht.

'Und was hat das mit mir zu tun?', zischte ich sie an, bereute es jedoch ein bisschen, da Sahra Infusio zusammenzuckte und schuldbewusst auf den Boden starrte. Sie schob ihre Brille mit zitternden Händen ein Stückchen höher auf der Nase und begann vorsichtig: 'Da deine Eltern ja beide...' Der Rest des Satzes verhallte unausgesprochen im Raum, schien gar von der Luft absorbiert zu werden. 
Doch, selbst wenn es mir insgeheim Leid tat, wusste ich nicht anders mit meiner Trauer umzugehen, als sie in Wut zu verstecken und diese Fremde war nunmal die erstbeste Person in meiner Näher. Außerdem machte es mir nichts aus über meine Eltern zu sprechen, nun ja, es machte mir schon etwas aus, aber mir ging es auch nicht besser, wenn ich die Tatsache das beide gestorben waren ignorierte.

'Tod! Ja, sie sind tod. Gucken sie nicht so mitleidig, ich kann damit umgehen.'
Das war ja mal die größte Lüge überhaupt. Ich konnte kein bisschen damit umgehen. Nicht mal den Tod meines Vaters, der schon vor vielen Jahren geschah und den ich nicht einmal richtig mitbekommen hatte, hatte ich volkommen verarbeitet. Über den Mord an meiner Mord würde ich wohl niemals hinwegkommen.

Trozdem verzog ich das Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust. Sahra Infusio schluckte tief und hörbar. Ihre hellbraunen Augen, die meinen Augen -und den Augen meiner Mutter- gar nicht so unähnlich sahen, blickten traurig zu mir herüber. Sie war durchaus eine hübsche Frau, ähnlich wie meine Mutter. Viel zu ähnlich.

'Ich wollte dich Fragen, ob du vielleicht mit mir im Internat leben willst?', fragte sie vorsichtig. 'Internat?!', schnaubte ich empört. Ich hatte es gewusst.
Sahra Infusio hob beschwichtigend die Hände. 'Du bist etwas ganz besonderes, Nia.' Ha! Das ich nicht lachte. Ganz besonders einsam und am Boden zerstört vielleicht, aber mehr auch nicht. Ich wusste es ja mehr oder weniger zu schätzen, dass sie mich aufheitern wollte, jedoch brauchte sie in dieser Disziplin wohl noch ein wenig Übung.

'Du bist...'
Schon wieder so ein verhängnisvolles Satzende. Was wollte sie sagen? Ein hilfloses Kind? Eine Waise?
Die Fremde schaute sich um, als wollte sie mir ein Geheimnis verraten. Und das tat sie dann auch.  'Du wirst es mir nicht glauben, aber du hast eine magische Kraft, Nia.'

Aber sicher doch.
'Spinnen sie?!', fragte ich unverholen.  Wo war ich da nur hinein geraten?
Entweder diese Frau hielt mich für ein gebrochenes, kleines Mädchen (,was ich zugegebenermaßen auch war), welches man durch überirdisch Geschichten aufheitern musste oder schlicht und einfach für blöd.

Sahra Infusio schüttelte schnell den Kopf und schob noch einmal ihre Brille zurecht. Dann schien sie sich etwas anderes überlegt zu haben, denn sie straffte die Schultern und sah mich mit zusammengepressten Lippen erwartungsvoll an.

Urplötzlich nahm sie ein kleines Messer aus der Tasche. Ich zuckte fassungslos zusammen und drängte mich gegen die kaltr Wand hinter mir.
Was hatte diese verrückte vor?
Schnell ritzte Sahra Infusio eine kleine Wunde in ihre Handfläche.
Ich wollte gerade die Krankenschwestern mit Hilfe des Knopfes über meinem weißen, klinischen Bett rufen, um die Frau hier rauszuschleppen, doch sie schlug meine ausgestreckte Hand in einer fließenden und dennoch unachtsamen Bewegung weg. 'Pass jetzt gut auf.',flüsterte sie und strich mit ihrer unverletzten Hand über die Wunde. Ein hellgrüner schimmer leuchtete. Erschrocken sog ich die saubere, hygienisch riechende Luft ein. 'Was machen sie da?'

Sahra Infusio zeigte mir ihre unverletzte Handfläche. Das musste ein Taschenspielertrick sein. Ich glaubte trotzdem nicht an Magie, ich war nicht mehr 5.
'Das ist meine Kraft. Ich kann Heilen. Wenn du mit mir kommst, dann kannst du auch deine Kraft finden.'
Sicherlich.
Das war ja auch voll normal.
Doch auch wenn ich mich weiter von ihr entfernte und sie am besten in eine Irrenansgalt gehört hätte, wollte irgendetwas tief in mir drin ebenfalls eine Kraft haben, etwas Besonderes sein, zu etwas fähig sein, was anderen Menschen half und vor allem nicht mehr allen zu sein und irgendwo dazuzugehören. Ich sprach diese Tatsache meinem traumatischen Erlebnis zu, jedoch konnte ich nicht verleugnen, dass jede Faser meines Körpers angespannt war, dass ich ihre... Magie wahrhaftig in der Luft gespürt hatte und dass ich mich immer anders gefühlt hatte, egal wohin ich ging. Immer anders, immer ein Außenseiter.
Okay, jetzt gehörte ich auch in die Klappsmühle. 

Aber wo sollte ich sonst hin? Wenn hatte ich sonst noch? Ein anderes Internat wäre wohl kaum eine bessere Option.
Nachdenklich beobachtete ich die Frau. Sie war fremd und doch wirkte sie bekannt, weil sie so viel von meiner Mutter wiederspiegelte. Meine Mutter hätte sicher gewollt, dass ich bei ihrer Schwester wohnen würde. Sie wollte mich immer und überall in Sicherheit wissen.

'Es ist ein Angebot.', sagte sie nachdrücklich, 'Ein Angebot deinen verborgenen Teil zu entdecken.
Ich haderte mit mir selbst, fühlte mich innerlich zerrissen.  Natürlich wollte eine Hälfte von mir mit ihr weggehen, ein Zuhause haben, jemanden haben der mir bekannt vor kam. Die andere Hälfte wollte zurück zu meiner Mutter, zurück in mein altes, routinäres Leben mit meinen wenigen Freunden, der langweiligen Schule und den Tagen, die an mir vorbeizogen, ohne dass ich etwas von ihnen mitnehmen konnte.

Nur kurz fragte ich mich, ob ich wohl auch etwas derart unglaubliches wie ihre Kraft konnte. Das Angebot klang schon etwas verlockend, wenigstens ein winzieges bisschen. Und selbst wenn sie totalen Schwachsinn redete oder ich mir das alles hier nur einbildete, waren meine anderen Optionen nicht viel besser. Man würde mich sicher in irgendeinem abgeschotteten Waisenheim abladen, wenn ich nicht in das Ihre ging. Es würde also eigentlich keinen Unterschied machen, wie ich mich entschied.
Außer sie war nett zu mir und nahm mich in ihr Herz auf, gab mir ein Zuhause.
Wollte ich das? 
Außer ich könnte wirklich Magie, ähm, herstellen, so wahnsinnig wie das jetzt auch klang. Dann könnte ich mich von ihr los machen, frei sein, Gutes tun. Ein Sinn.

Vielleicht sollte ich aber auch einfach in einen tiefen Dornröschenschlaf fallen und nie wieder aufwachen.

Sie wurde langsam unruhig, aber niemand konnte von mir verlangen so eine große Entscheidung in wenigen Sekunden zu treffen. Naja, eigentlich sie konnte schon und eigentlich musste ich schon antworten.

'Was bleibt mir anderes übrig? ', fragte ich rethorisch und folgte damit meinem Bauchgefühl, welches mich schon mehr als einml betrogen hatte.
Sahra Infusio nickte mir zufrieden und erleichtert zu. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich vielleicht sogar gezwungen hätte, mit ihr zu gehen. Das passte zu ihrem strengen, unnachgiebigen Blich. Dabei war es ja ein Angebot, hatte sie zumindest gesagt.

Also schlug ich die weiße Decke von meinem Krankenbett weg und stand vorsichtig, fast unsicher auf. Kurz blickte ich mich im weißen, fast leeren Raum um.
Ich hasste Krankenhäuser und ich wollte so schnell wie möglich wieder hier raus.
Der erste Schritt vom Bett weg und ich blieb stehen.
Der erste Schritt als Weise, der erste Schritt, ohne dass meine Mutter auf dieser Welt verweilte, ohne dass sie für mich da war. Verzweiflung erhaschte mich wie eine Flutwelle, als sich dieser Gedanke in meinem Kopf festigte.
Ach komm, reiß dich zusammen, Nia, du musst jetzt stark sein, sie beobachtet dich. Würde ich nicht so viel Wert auf die Meinung von anderen legen und hätte ich nicht viele Bücher von starken Frauen, die sich immer wieder wie ein Stehaufmännchen aufrappelten, immer neue Hoffnung schöpften und nach keinem Schicksalsschlag aufgaben gelesen, hätte ich mich vielleicht erst einmal hingesetzt, aber ich wollte wie sie sein, wollte stark sein.

Als ich an mir herunterblickte, schauderte ich kurz. Meine schwarze Jeans war dreckig und blutverschmiert. Ich war wohl nicht wichtig genug gewesen, als dass man mir irgendetwas sauberes zum anziehen gebracht hatte, aber weiße Nachtgewänder gefielen mir nicht besonders und da sah ich noch lieber aus wie nach einer wilden Schlacht.

Ich strich mit meiner Hand über den dunkelroten Fleck. Das Blut war schon getrocknet, aber die Tatsache, dass es von meiner Mutter stammte, bereitete mir Übelkeit. Den Würgereiz unterdrückend, folgte ich Sahra Infusio, die schon in der Tür stand und mich nun besorgt musterte. Ich komm schon klar, wollte ich ihr entgegenschleudern, hielt aber meinen Mund.

'Wir fahren morgen Mittag zu dir, dann kannst du alle deine Sachen abholen...Aber möchtest du dir heute schon mal ein paar Sachen rüberholen?' Ich nickte: 'Ja und... Danke!' Diese Frau war die ganze Zeit ruhig geblieben, egal was ich ihr an den Kopf geworfen hatte. Sie wollte wohl wirklich nur mein Bestes und Geduld htte sie auf jeden Fall. Ein Lächeln huschte über das Gesicht meiner, nun ja, Tante, von der ich nie etwas gewusst hatte.
'Kein Problem!', sagte sie freundlich und ich bekam die Ansicht, dass sie vielleicht doch ganz nett war, neben dieser verrückten, unmöglichen  Sache mit der Magie natürlich.

'Meine Schüler nennen mich Mrs. Infusio, aber privat kannst du mich ruhig Sahra nennen. Keine Sorge, alles wird sich klären.' Sie war also Lehrerin. Ich beschloss es vorerst auch bei Mrs. Infusio zu belassen, zumal wir uns erst ein paar Minuten konnten, doch vielleicht würde sich das ja irgendwann ändern.
Mit diesen Gedanken verließ ich mit möglichst durchgedrückten Schultern hinter Mrs. Infusio das Zimmer.

***

Das ohrenbetäubend laute Dröhnen eines Weckers schallte durch das kleine Zimmer. Verwirrt zwinkerte ich mehrmals, bevor ich mit meiner Hand orientierungslos nach dem Wecker tastete. Nachdem ich ihn endlich ausgemacht hatte, stöhnte ich genervt. Mrs. Infusio hatte mir den Wecker gestern freundlicherweise gegeben, aber sie hatte nicht gesagt, dass er so laut war.Wahrscheinlich hatte ich all die Leute, die nebenan schliefen, ebenfalls geweckt.

Müde reckte ich mich und gähnte ausgiebig. Sobald ich jedoch aufgestanden war, kamen die schrecklichen Erinnerungen an den Tod meiner Mom wieder zurück. Es war alles wirklich pssiert, sonst wäre ich nicht hier, an diesem Ort, alleine. Und sie nicht tod. Ich blinzelte ein paar Tränen weg, die immer wieder einen Weg aus meinen Augen suchten. Nein, es brachte gar nichts jetzt zu weinen, es würde das Ganze nur noch schlimmer machen. Ich musste mich ablenken, leichter gesagt als getan, doch es war ein neuer Anfang.

Ich musste stark sein, sonst würden mich alle als Heulsuse abstempeln. Ich musste einen guten ersten Eindruck machen.
Lustlos öffnete ich meinen großen Kleiderschrank, so einen großen wie in diesem protzigen Internat hatte ich noch nie gehabt.
Innen drin fand ich lediglich ein paar Kleidungsstücke, ansonsten sah er lächerlich leer aus.

Der Grund dafür war, dass ich  Gestern nur meine Tante gebeten hatte, hineinzugehen und mir das Nötigste zu bringen. Ich wollte nicht mehr zurück. Zu viele schöne Erinnerungen waren in diesem Haus verankert, die mir nun, wo ich alleine war, ziemlich grausam vorkamen und mich alle nurnoch an meine Mom erinnerten. Das wollte ich so lange wie möglich vermeiden, aber heute musste ich wohl oder übel meine Sachen abholen.

Entschlossen öffnete ich das Fenster, das neben meinem Bett war und einen schmalen, silbernen Rahmen besaß.
Die Sonne schien schon wieder voller Freude, der Wind wehte ziemlich stark. Ein schönes Wetter für einen weniger schönen Tag, so viel stand fest, denn die strahlende Sonne passte   weder zur herbstlichen Jahreszeit noch zu meiner schlechten Laune.

Wie sollte ich diesen Tag nur überleben? Mit einer Hand schnappte ich mir eine Jeans und ein schlichtes, dunkelblaues Top, denn viel auffallen wollte ich heute nicht.
Im Bad verursachte mir mein Anblick im Spiegel einen Schrecken.
Mein Gesicht war ganz rot vom Weinen und schrecklich dunkle Augenringe zeichneten sich unter meinen Augen ab. Ich wusste nicht, wie lange ich gestern in meinem Bett geweint hatte, aber es mussten viele Stunden gewesen sein.
Doch nun ging es bergauf, beschloss ich. So langsam musste ich doch abgehärtet sein, schließlich hatte ich  schon meinen Vater verloren. Als er gestorben war, hatte ich einfach alles in mich hineingefressen und nie geweint. Natürlich war ich noch ganz klein gewesen, weswegen ich auch nach wenigen Wochen weinend auf dem Schoß meiner Mutter zusammengebrochen war. Jetzt war ich älter und standfester und ich konnte das alleine verarbeiten, ich musste, selbst wenn mich die Angst verfolgte wieder zusammenzubrechen. Dann war niemand da bei dem ich mich ausheulen konnte, niemand da der mich beschützte. Ich schüttelte mich und die negativen Gedanken ab, weil sie unbedingt aus meinem Kopf vertrieben werden mussten. Ich durfte mir jetzt keine Schwächen mehr erlauben.

Deswegen drehte ich den Wasserhahn auf und schüttete mir eiskaltes Wasser ins Gesicht.
'Heute wird ein guter Tag!', sagte ich mit einem optimistischen Lächeln zu meinem erschöpften Spiegelbild. Es gelang mir nicht, meine Laune zu heben, geschweige denn zu glauben, dass dies ein guter Tag werden würde.

***

Mit schnellen Schritten ging ich durch eine kleine Allee auf der immer wieder Wege zu den Wohnheimen abbogen. Das ganze Gelände sah zugegebenermaßen großartig aus.

Überall standen kleine Büsche und alte, riesige Bäume. Bunte Blumen in allen Farben des Regenbogens säumten vereinzelt den Weg und das im ungemütlichen Herbst. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie es hier im Frühling aussah.
In der Mitte der Gebäude war ein großer Platz, der von weißen Steinsäulen umgeben war. Die großen Pfeiler, welche mit kunstvoll eingeritzten Verzierungen beschränkt waren, ragten wie Verbindungen zu den Wolken in die Höhe. Ihre Größe war wirklich unglaublich.
Dahinter ragten drei besonders große Gebäude auf. Sie standen alle nebeneinander, hoben sich von den vergleichsweise kleineren Wohnheimen ab und sahen äußerst imposant aus.
Die Gebäude waren in einem dunkelgrauen Ton gestrichen, wobei die Ränder und Kanten alle mit stuckähnlichen Borden bestückt waren, sodass mich die Gebäude an Rathäuser oder andere bekannte Bauten aus dem Barock erinnerte. Trotzdem wirkten die Gebäude hier nicht besonders alt oder waren zumindest gut in Takt gehalten.
An den Rädern des Platzes standen viele Holzbänke, wovon die meisten von sich laut unterhaltenden Schülern besetzt waren. Es waren so viele Kinder und Jugendliche, dass ich sie nicht auf Anhieb zählen könnte.
Wie nett.
Ich hasste Menschenmengen und die Schule hatte noch nicht mal angefangen.

Ich schaute auf die große Uhr, die in der Mitte des mittleren, großen Gebäudes hang.
10 vor 8.
Ich musste erst um 8 bei Mrs. Infusio sein. Also steuerte ich eine leere Bank an, nämlich die, die am weitesten von den anderen Schülern entfernt war, um mich noch ein wenig hinzusetzen und mich auszuruhen.

Nachdem ich mich auf der weißlackierten, wettervergerbten Bank niedergelassen hatte, schaute ich doch einmal zu den anderen Schüler hinüber. Es war ja nicht so, als dass sie mich nicht interessierten, ich hatte lediglich gerade keine Lust auf Gesellschaft.

Alle saßen fröhlich zusammen und erzählten über den neusten Klatsch, lästerten oder lachten über irgendwelche Insider. Es war nun mal eine ganz normale Schule. Das htte ich zumindest gedacht.
Als nächstes bemerkte ich, wie ein Mädchen mit wasserstoffblondem fast weißem Haar auf mich zu stolzierte. Ja, sie stolzierte, auf dünenn 10cm Absätzen und mit der Würde einer gerade gekrönten Prinzessin.
Sie trug ein auffälliges, gelbes Designerkleid, das ihre sehr dünne, fast magere Statur gut zur Geltung brachte. Auch ihr Gesicht war schmal mit himmelhohen Wangenknochen, eine winziegen Nase und auffallend grünen Augen. Sie sah wirklich aus wie ein Modell. Aber nicht wie ein Mädchen mit dem ich mich gut verstehen würde. Der Stolz, den sie ausstrahlte, versetzte mich ab dem Moment ihres Auftretens in eine unruhige Stimmung.
Um sie herum gingen 2 weitere Mädchen und ein gut aussehender Junge, die sie wie eine Garde oder achtsame Soldaten zu Bewachen schienen. Sie war also eines dieser beliebten Mädchen mit eigenem Gefolge und wahrscheinlich einem ganzen Bunker voll Geld, wenn ich mich nicht vollkommen täuschte.

Die 'Königsgarde' kam genau auf mich zu. Das lief ja super, gleich am ersten Tag solch eine Begegnung, ich hatte echt Glück momentan. Genervt senkte ich den Blick auf den erdigen Boden und versuchte sie zu ignorieren, aber natürlich musste sie vor mir stehen bleiben. Nach einer kurzen Stillepause hob ich mein Kinn. Es half ja doch nichts.

Das aufgetakelte Mädchen, welches wohl mehrere Tonen Schminke auf dem Gesicht trug, sah ärgerlich auf mich herunter.  Ihre Augen blitzten spöttisch, abwertend. Eigentlich hatte ich heute keine Lust auf Streit.
'Und was willst du?'
Meine Stimme klang neutral, doch sie lachte tatsächlich.
Sie lachte schallend, als hätte ich den lustigsten Witz der Welt gemacht und ihre Kumpanenfreunde stimmten wie auf Knopfdruck mit ein. Was für Volltrottel.

Nachdem alle sich beruhigt hatten, fing das Mädchen mit dem hellblonden Haar an, abschätzig zu mir zu sprechen.
'Ich', stellte sie fest, 'bin Sally Xenwit. Du musst wohl neu sein, da du mich nicht kennst. Jeder kennt mich!'

Ich zuckte entschuldigend die Schultern.
'Ja, ich bin neu, aber...' , doch sie schnitt mir naserümpfend das Wort ab.
'Nun zu deiner Frage: Das hier ist meine Bank!'
Aha. Ich schaute sie verwirrt an.
Da ich alleine auf der Bank saß, war sie noch halb leer. Demnach sagte ich höflich, obwgleich ich wirklich nicht gerne neben dieser überheblichen  Sally sitzen wollte: 'Hier ist doch noch Platz. Setzt dich.'

Sie schüttelte nur überzogen den Kopf. 'Auf keinen Fall neben einen Außenseiter wie dich! Was denken die Anderen dann von mir.'
So langsam wurde ich echt sauer.
Was hatte ich ihr denn getan?

Aber ich konnte auch anders.
'Steht hier irgendwo dein Name?',fragte ich sie ironischer Weise und zeigte auf die alte Bank.
Sally kniff die Augen zusammen und musterte mich wütend aus ihren giftgrünen Augen, sie schien bei ihren Plänen wohl selten auf Hindernisse zu stoßen und wahrscheinlich wurde ihr sonst jeder Wunsch von den Lippen abgelesen.  
'Nein, es ist meine Bank. Geh runter! ', forderte sie mich auf.

'Hast du sie gekauft?', erwiederte ich seufzend. Ich wollte doch nur kurz hier sitzen. Das war ja wohl erlaubt. Der Junge lachte leise über meine Antwort, sodass Sally ihm einen Klapps auf die Schulter gab. 'Halt die Klappe!', fuhr sie ihn an.
Er schaute hastig entschuldigend zu Boden, aber Sally blickte mich weiterhin vernichtend an. 'Hau ab!  Sonst schlag ich dich mit meiner übermenschlichen Kraft!', grollte sie.

Also stimmte es? Besaßen hier alle Schüler eine Kraft? Aber sie konnte doch nicht übermenschlich stark sein, das gab es doch nur in Filmen.
Sicher war ich mir aber nicht und ich traute ihr vieles zu, sodass ich zähneknirschend nachgeben musste. Gegenüber dem, was meine Tante bereits über Kräfte, Magie und all dieses Zeug gesagt hatte, wollte ich dem Streit doch lieber aus dem Weg gehen.
Mit einem schnellen Blick auf die Uhr, erkannte ich, dass es kurz vor 8 war. 'Nun ich muss jetzt sowieso gehen. War schön euch kennenzulernen.' Damit stand ich auf, nahm meine Tasche und ging zum mittleren Gebäude, in der Hoffnung, dass dies das Richtige war. In meinem Rücken spürte ich Sally's wütende Blicke. Das konnte sie mir doch nicht übel nehmen, oder?

***

Sobald ich das Gebäude betrat, kamen mir viele Schüler entgegen. Zum Glück musterte mich keiner, da alle mit sich selbst beschäftigt waren. Mit einem suchenden Blick schaute ich mich in der großen Halle um.
Wo musste ich jetzt nochmal hin? Diese Schule war aber auch wirklich groß. Hier würde ich mich wohl nie zurecht finden.

Da kam ein Mädchen mit einem unglaublichen Lachen zu mir.
'Du fragst dich, wo du hin musst. Du  bist neu, nicht wahr?'
Auf den ersten Blick wirkten ihr rundes, pausbäckiges Gesicht und die lockigen, rot-braunen Haare sympathisch auf mich. Ihr Grinsen wurde aus irgendeinem Grund immer breiter und ich verspürte tatsächlich den Wunsch sie kennenzulernen. So jemandem war ich noch nie begegnet, zumal ich auch immer angenommen hatte, eher der Einzelgängertyp zu sein, mal abgesehen von der Freundschaft zu Marc vielleicht.

Noch zögerlich lächelte ich auch und versuchte einen guten Eindruck zu machen. Vielleicht konnte sie mir ja helfen mich zurechtzufinden und mir ein paar Fragen beantworten. Angefangen bei ihrem Namen vielleicht.
'Ich heiße Jennifer Croel,aber du kannst mich Jen nennen.', sagte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. 'Oh, ich bin Nia Miller. Ich muss zu Mrs. Infusio, meiner, äh, Tante.'
Keine Ahnung warum ich ihr das erzählte, aber sie wirkte nicht besonders überrascht über diese Tatsache.

'Ach, die ist sicher in ihrem Arbeitszimmer. Komm ich zeige es dir!' Mit schnellen Schritten ging das Mädchen vor mir her, bis zu einer großen, geschwungenen Treppe mit Stufen aus Marmor. Ich schlug meinen weißen, weichen Cardigan enger um mich und schulterte noch einmal nervös meine Tasche. Was mich wohl jetzt wohl erwartete?
Jen drehte sich auf den großen Steintreppen, die wir hinaufgingen, noch einmal um: 'Du packst das schon, Süße!'
Es war ja wirklich nett, dass sie mir Mut machen wollte, aber langsam wurde das wirklich unheimlich. Jen schien immer genau zu wissen, was ich dachte. Heimlich musterte ich sie mit ihren lustig wippenden Locken von hinten, jedoch wurde ich sogleich unterbrochen, weil wir schon an einer hellen Holztür ankamen, die die Aufschrift: "Sahra Infusio" trug. Das musste es sein.

Als ich wieder zu Jen sah, bemerkte ich, wie sie mich unauffällig  beobachtete. Ihre Miene war nun starr und sie blickte konzentriert, dich sobald sie merkte, dass ich ihr dabei zusah, wandte sie den Blick für einen Moment ab. Ihr Mund war, zum ersten Mal seit ich sie eben erblickt hatte, traurig verzogen. Ein mitleidiger Blick verschleierte ihre dunkelgrünen Augen, sodass ich mich besorgt fragte, was sie gerade beschäftigte. Ich fragte lieber nicht nach, weil ich gut verstehen konnte, dass man über manche Sachen einfach nicht gerne sprach, doch Jen sollte mich nur wenige Sekunden später überraschen.

Es klingelte schrill, die Schule begann. Nachdem der unangenehme Gongton verschwand, sagte Jen kurzerhand: 'Das mit deiner Mom tut mir leid.' Sie schluckte bedrückt, ich riss die Augen weit auf. 'Woher weißt du das?', fragte ich skeptisch.
Jen sah mich an, als läge das auf der Hand. 'Ich habe deine Gedanken gelesen.'
Bevor ich auch nur einen meiner verrückten Gedanken dazu äußern konnte, die sie wahrscheinlich auch selber lesen konnte, wenn ihre Worte den stimmten, drehte sie sich um und rief mir noch zu: 'Ich muss jetzt los. Bis dann, Süße! '
Mit diesen Worten verschwand sie langsam,ohne Eile, obwohl sie sicher schon zu spät war, und ließ mich völlig perplex zurück.
Ich schüttelte den Kopf.
Einfach verrückt hier.

***

Im nächsten Moment klopfte ich zaghaft gegen die Tür und öffnete sie erwartungsvoll. Mrs. Infusio stand ein paar Meter vor mir an einem Tisch, der voller Akten war. Das Zimmer war groß und bunt gefüllte Bücherregale verdeckten alle Wänden. Meine Tante blickte auf, nickte bedacht und kam näher.
'Da bist du ja. Hast du gut geschlafen?'

Ich nickte unsicher: 'Naja, so gut es eben ging.' Mrs. Infusio lächelte mir aufmunternd zu, so als würde sie m8ch genau verstehen.
'Komm setzt dich hierhin.'
Ich folgte ihrer Bitte und setzte mich gerade auf einen breiten, beigen Sessel vor einem der Bücherregale, nachdem ich meine blaue  Tasche neben mir abgestellt hatte.
'Zuerst müssen wir herausfinden, was deine Kraft ist, Nia.', fing Mrs. Infusio freundlich an zu sprechen, obgleich mir das alles ein wenig zu schnell ging mit der Magie und dem Unmöglichen, aber wer fragte schon mich...
'Deine Mutter war eine Fühlerin. Das bedeutet sie hatte besonders scharfe Sinne. Sie konnte besser sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken als jeder Mensch und auch jeder von uns.'
'Meine Mutter?', fragte ich überrascht und blendete den Rest des Satzes volkommen aus. Sie hatte eine Kraft gehabt, davon hatte ich nichts gewusst und sie hatte sie auch nie in meiner Gegenwart genutzt.
'Jetzt im Ernst?'
Sie war auch so eine Verrückte gewesen?
'Ja, sie hat dir nichts gesagt. Das hatte verschiedene Gründe.', Mrs.  Infusio stoppte, als schwebte sie in alten Erinnerungen.
Neugierig musterte ich sie, weil ich die Gründe natürlich erfahren wollte,  aber ihre Miene wurde sofort wieder neutral und sie fuhr fast hastig fort: 'Du könntest deine Kraft aber auch von deinem Vater geerbt haben. Das müssen wir jetzt herausfinden.'
Wir?
Jetzt?

Bisher war sie unruhig an ihrem Tisch stehen geblieben, aber jetzt kam sie näher zu mir, wobei ihre Stimme sanft aber bestimmt war.
'Du musst tief in dich hineingehen. Du musst versuchen dein Innerstes zu finden, das, was dich zusammenhält. In dir drin lebt ein kleiner Funke. Diesen musst du finden und an dich ziehen.'
'Ähm nein, in mir wohnt kein Funke?', stellte ich verlegen fest.
Meine Tante lächelte, aber ihre Stimme nahm schlagartig einen strengen Ton an.
'Du probierst es jetzt und dann sehen wir weiter.'
Das war keine Bitte und folglich tat ich, was sie sagte. Ich forschte tief in mich hinein. Überall durch meine Gedanken und Gefühle forschte ich hindurch. Viele Gedankenfetzen flogen an mir vorbei. Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Gedanken so abrufen könnte, ber sie waren leicht zu erreichen, greifbar.

Einer, auf dem ich mit meinen Eltern am Strand war.
Einer, indem ich Marc, der mich glücklich anlächelte, sehen konnte und ein weiterer, wo ich als kleines Kind mit meiner Mutter fangen spielte. Glück durchflutete mich zusammenhanglos, doch das war alles vorbei. Es war mir entglitten wie die unaufhaltbare Zeit.

Schnell schob ich all die glücklichen Erinnerungen beiseite. Durch den Tod meiner Mutter verband ich sie nun nurnoch mit Schmerz und Verzweiflung.
Trotzdem suchte ich weiter nach meinem Funken, falls ich einen hatte.
Doch, wie sollte es auch anders sein, da war keiner.
Wie irrsinnig war es auch einen Funken in meinem Körper zu suchen?  Mit einem enttäuschten Seufzen machte ich meine Augen auf.
'Es geht nicht. Da ist kein Funke.' , protestierte ich und fühlte mich dumm. Sie machte sich doch nicht etwa über mich lustig?
Mrs. Infusio schüttelte geduldig den Kopf.
'Doch Nia, du kannst das und er ist da. Vertreibe deine Selbstzweifel und vertraue auf dein Gefühl. Du spürst es hier.'
Sie deutete mit der rechten Hand auf ihr Herz und nickte mir aufmunternd zu. 'Nur so findest du deine Kraft.'

Also forschte ich gezwungenermaßen noch einmal weiter. Ich stellte mir einen großen Funken vor und konzentrierte mich auf mein Gefühl, so wie meine Tante es gesagt hatte.
Plötzlich bemerkte ich noch ungläubig ein Kribbeln und ein hellblauer Schein erhellte die Dunkelheit in mir drin. Ich hielt die Luft an. Da war tatsächlich ein Funke, ein blauer, glühender Funke.

Ich konzentrierte mich noch genauer auf ihn und kniff die Augen zusammen, auch wenn diese äußerliche Veränderung wahrscheinlich keinen Unterschied machte. Als ich den leuchtenden Funken dann endlich vor mir, genauer gesagt vor meinem inneren Auge hatte, zog ich ihn wie an einem unsichtbaren Seil heran.
Mein Ziehen wurde mit jedem Griff ins Nichts stärker und kraftvoller. Ich spürte immer mehr das Kribbeln in meinem Herzen. Ich wollte ihn nun tatsächlich haben, so stark war dieses Gefühl der Verbundenheit. 

Unbekanntes Verlangen ergriff mich, während der Funke näher und näher kam. Er erhellte mein Blickfeld immer mehr, bis es ganz weiß vor meinen Augen wurde und ich nichts mehr sehen konnte. Aus Schwarz wurde Weiß, aus Trauer wurde Hoffnung, obgleich ich ihren Ursprung nicht kannte.

Ich stand in einem Schneeweißen Raum, dessen Konturen ich nicht  ausmachen konnte. Vor mir war mein Funke, aber er verwandelte sich in...

...eine Frau? Eine schimmernde, leuchtende Frau, deren sanfte Konturen sich durch das Licht abhoben. Zunehmend formte sich die schlanke, hübsche Frau, deren Haut einen blauen Schimmer hatte. Sie kam zu mir. Schritt für Schritt.
War das eine Illusion?
Ein Tagtraum?
Einbildung?

'Da bist du ja endlich Nia. Ich habe so lange auf dich gewartet. ' Ihre sanfte Stimme klang harmonisch und glockenhell.
Okay, sie kannte also meinen Namen, was auch nicht verwunderlich war, wenn sie in mir wohnte. Meine Güte klang das komisch.

Etwas unsicher fragte ich: 'Du bist also mein Funke?' Sie lächelte nur, falls man in ihrem Gesicht ein Lächeln ausmachen konnte.
'Ja das bin ich. Mein Name ist Elysias.' Ich nickte etwas verwirrt. Wieso konnte ich mit ihr sprechen, wenn sie doch nur ein Funke in mir drin, also ein Teil von mir, war.
Elysias fuhr ganz ruhig fort. 'Eigentlich sprechen Funken nicht mit ihren Besitzern, doch ich bin der Ansicht,  dass ich nicht darum herum komme. Also hör mir gut zu.'  Sie machte eine kurze Pause, sodass ich in ihre gleißend, hellblauen Augen blicken konnte. Sie verwirrten mich ein bisschen, da es keine Pupille gab, keinen Halt.
'Du bist etwas ganz besonderes, Nia. Das Erschaffen der Illusionen ist deine Kraft, aber du kannst noch viel mehr als das.' , Elysias lachte ein leises, noch helleres Lachen.
'Du musst das Böse besiegen. Gabe Hanwen muss von dir getötet werden. Nur du bist dazu bestimmt.' 

Eindeutig. Zu. Viele. Informationen.
Jetzt verstand ich gar nichts mehr.
Was sollte ich tun?
Wer war Gabe Hanwen?
Und was verdammt noch mal tat ich hier überhaupt?
Ganz sicher niemanden töten.

Ohne dass ich sie verstand, bauten diese Forderungen einen großen Druck auf meinen Schultern auf.
Ich hatte keine Ahnung, von was sie sprach und wie ich das alles machen sollte. Keine Ahnung, ob ich auch nur im Stande war das Böse zu besiegen, wenn ich nicht mal mit meinen eigenen Problemen klar kam und wenn ich für nichts von all dem bereit war, aber ihre Stimme ließ die Worte wichtig klingen und ich würde sie so schnell nicht vergessen können. 

Dabei war ich gerade erst gestern einfach in diese unglaubliche Welt reingeschleudert worden. Es ging alles viel zu schnell.
Als würde Elysias meinen Druck spüren, legte sie eine ihrer durchscheinend, blauen Hände auf meine Schulter. Sie fühlte sich warm an, lebendig.

'Du schaffst das, denn du bist stärker als du denkst. Vertraue auf dich selbst. Ich bin immer bei dir, Nia. Ich bin in deinem Herzen.'
Langsam drehte sich alles. Dann immer schneller. Ein Strudel in blau und weiß ließ den unendlichen Raum verschwimmen und riss mich mit. Runde für Runde bis ich die Orientierung verlor.
Ich hörte nur noch das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.

Geräuschvoll schnappte ich nach Luft, so als würde ich aus dem Wasser auftauchen. Ein paar Mal musste ich tief ein und ausatmen, weil der bläuliche Dunst noch meine Lungen zu füllen schien.
Erst dann öffnete ich meine Augen und fand mich mich im Lehrerzimmer wieder.
Mrs. Infusio beobachtete mich aus besorgten Augen.
'Nia, bist du okay? Was ist passiert?'

Keine Ahnung.
'Ich...Ich habe mit meinem Funken gesprochen.', stammelte ich noch ganz verwirrt.
'Du hast mit ihm gesprochen? ',fragte meine Tante noch besorgter.
'Sie. Es ist eine Frau.', ergänzte ich zusammenhanglos, aber Mrs. Infusio schob sich nur die Brille auf ihrer Nase ein Stück höher.
'Das ist seltsam...', murmelte sie eher zu sich selbst als zu mir,
'Das hat bisher noch nie jemand erzählt. Bist du sicher, dass sie gesprochen hat?'
Ich nickte langsam. Falls das nicht alles nur Einbildung gewesen war. 'Was hat sie gesagt?'
Ich überlegte kurz, ob ich es Mrs. Infusio wirklich verraten sollte, aber sie war im Moment meine einziege Freundin und demnach versuchte ich mich an alles zu erinnern. 
'Ich kann Illusionen erschaffen.
Und sie erzählte irgendetwas noch mit mir und dem Bösen und ich soll Gabe Hanwen besiegen oder sowas. Wer ist das?'
Nun blickte Mrs. Infusio mich entsetzt an. Ich wusste, dass sie mit diesem Namen etwas anfangen konnte. Es war als hätte ich ihr die Stimme genommen, bis sie sich endlich schüttelte, so als müsste sie den Namen wieder loswerden.

'Gabe Hanwen ist der Anführer der Bösen Armee.'
Böse Armee?
War das hier ein Science Fiction Film?
Oder doch ein sehr verrückter Fantasy Roman?

'Aber wieso...', setzte ich an, jedoch hielt Mrs. Infusio die Hände hoch und schüttelte leicht den Kopf, damit ich schwieg. Wieso war mir unklar.
Dann sagte sie vage: ' Ich muss erst mit dem Rat darüber sprechen. Mittwoch Abend ist eine Versammlung. Aber bis dahin behalte es bitte für dich Nia.'
Es klang sehr wichtig, also stimmte ich zu, obwohl ich dadurch immer noch nicht schlauer war.
'Versprochen.'
Mrs. Infusio nickte schnell und scheuchte mich dann zur Tür, als müsste sie mich jetzt schleunigst loswerden.
'Du hast Unterricht verpasst, aber deine Stunde ist gleich vorbei. Setzte dich auf den Pausenhof oder so. Ach... hast du den Stundenplan,den ich dir gestern gegeben habe, dabei?' Ich nickte und war zu überrascht von ihrem Stimmungsumschwung, als dass ich etwas sagen könnte.
Schon drückte sie mich hinaus und  machte etwas zu ruckartig die Tür hinter mir zu.
Was war den jetzt passiert?
Hatte ich etwas falsches gesagt?

Ich stand noch einen kurzen Moment vor der Tür, bevor ich langsam den Flur entlang ging und die Steintreppe wieder hinunter stieg. Nur wenige Schüler saßen nun auf den Bänken des großen Platzes. Ich ließ mich ebenfalls auf einer Bank nieder, wobei ich nicht darauf achtete, welche Sally's Bank war. Die Frage, wo ich da nun hineingeraten war, blieb ungeklärt.

***

Der restliche Schultag war nurnoch langweilig und nicht halb so interessant und verwirrend wie der Morgen.
Ich saß die ganze Zeit alleine rum und dachte das Geschehene nach, wobei ich dadurch nicht viel vom Unterricht mitbekam. Die Lehrer machten ganz normalen Unterricht und niemand beachtete mich. Hätte ich nicht existiert, hätte das auch keinen gestört.
Ich war einfach nur überflüssig und ich wünschte mir mein altes Leben zurück. Und das mit Elysias...
vielleicht hatte ich auch einfach eine blühende Fantasie, die mir half meine Erlebnisse besser zu verarbeiten, wenn sie mir eine blaue Nebelfrau zeigte. Früher hatte ich das öfters gemacht, mir irgendetwas ausgemalt und in meinen Gedanken gelebt.
Es war mir ja auch nicht zu verübeln, nach dem was mit meiner Mutter passiert war.

Nach diesem trostlosem ersten Schultag, fuhr ich mit Mrs. Infusio zu meinem Haus, damit ich meine Sachen abholen konnte. Dort würde ich an dem Ort stehen, wo meine Mutter umgebracht worden war und ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, ob ich das aushalten konnte. Trotzdem bestand Mrs. Infusio darauf, dass ich meine Sachen abholte, bevor unser Haus zwangsversteigert wurde.
Auch diesen Gedanken hasste ich. Man nahm mir einfach unser Haus weg. Natürlich konnte und wollte ich nicht immer hier sein, aber es war dennoch ein Haus voller schöner Erinnerungen.

Im silbernen VW von Mrs. Infusio war es fast still, nur das Auto brummte. Wir fuhren während die Sonne unterging, sodass die Sonne in einem warmen, rot-orangen Ton leuchtete. Wunderschön.
Draußen bewegte der Wind die schon leicht braun, gelb und rot gefärbten Blätter im heftigen Wind.
Dann zogen Felder vorbei.
Ein paar kleine, fast verdorrte Blumen bohrten sich einen Weg durch den Asphalt am Rand der Straße.
Die goldenen Sonnenstrahlen ergossen sich über die Landschaft.

Schließlich bogen wir in die Stadt ein. Die grauen, dunklen Häuser zogen hinter der Scheibe vorbei. Kleine und große Gebäude verschwommen leicht vor meinen Augen, schwarzer, aschiger Rauch stieg aus den Kaminen und einzelne kahle Bäume standen in den trostlosen Vorgärten.

Mir fiel auf, dass das Internat ganz schön abgelegen lag.
Abgeschottet von der normalen Welt.
'Wir sind bald da.', erklärte mir Mrs. Infusio mit einem Rückblick durch den Spiegel.
Aber ich wusste bereits, wo wir waren.
Gerade fuhren wir am Freibad vorbei, in dem ich gestern mit Marc gewesen war. Zu diesem Moment war alles noch so perfekt gewesen, zu schön um wahr zu sein. Und nun...? Nun war meine Mutter tod und ich eine Einzelgänger auf einem mystischen Internat.
Alles hatte sich geändert und es würde nichts mehr so werden wie zuvor. Meine Zeit als normaler Mensch war abgelaufen.

'Hey, wer ist denn das?', schreckte mich Mrs. Infusio's Stimme aus meinen Gedanken.
Neugierig schaute ich nach vorne, um zu sehen, wer dort stand.

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