Prolog
Ich stand auf dieser riesigen Party und fühlte mich vollkommen verloren.
Ein großer Raum, geschmückt mit goldenen Ballons und Girlanden, der mit so gut wie allen Schülern des Internats gefüllt war, ragte vor mir auf.
Rechts von mir standen Tische, die zu einer langen Reihe aneinander geschoben worden waren und nun von einer weißen Tischdecke und viel zu viel goldenem Konfetti verdeckt waren. Selbst das Besteck und die Ränder der Teller war golden und ich vermutete stark, dass es sich dabei um echtes Blattgold handelte.
Eine große, glitzernde Diskokugel hing von der Decke, ließ glitzernde Punkte über die Wände tanzen und aus mehreren Lautsprechern schallte langsame Musik, zu der jedoch noch niemand tanzen wollte.
Früher hätte mir so eine Feier sicher gefallen, ich hätte unmengen an Fotos gemacht, jede Köstlichkeit des Buffets gekostet und getanzt bis zum nächsten Morgen, aber früher war ich ein normales, sorgendloses Mädchen, früher hatte ich Freunde und früher war ich keine Mörderin.
Nun fühlte ich mich lediglich gefangen zwischen diesen Menschenmassen, die sich gerade überschwänglich mit Umarmungen begrüßten.
Jemand rempelte mich achtlos von der Seite an, riss mich aus meiner Beobachtung und ich zuckte ruckartig zurück, weil die Lebensenergie des älteren Mädchens, das schnurstracks an mir vorbei ging und mich nicht einmal beachtete, durch mich hindurch floss.
Ich hasste dieses Gefühl, denn es erinnerte mich jedes Mal wieder an die schrecklichste Nacht meines Lebens und Gesine Hanwens Tod.
Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit zwanghaft auf die Tür gelenkt, weil ich dieses magische Prickeln in der Luft vernahm.
Ich wusste bereits, bevor er eintrat, dass es Luis war.
Sein Erscheinen nahm mir jedes Mal aufs Neue die Luft, selbst jetzt noch, wo wir schon so lange nicht mehr zusammen waren.
Luis sah umwerfend aus in seinem schlichten, schwarzen Anzug und sein ebenfalls schwarzes Haar war leicht zurückgelegt, sodass man seine strahlend blauen Augen, die mich heute an einen ruhigen See erinnerten, noch besser sehen konnte als sonst.
Als sich unsere Blicke trafen, erstarrte ich, weil die Zeit langsamer verlief, doch nur ich schien das zu bemerken, denn Luis drehte sich sofort wieder weg, ohne mir auch nur irgendeine Reaktion zu schenken.
Ich schluckte hörbar.
Es war ja meine eigene Schuld.
Seit ich mit ihm Schluss gemacht hatte, behandelte er mich wie Luft und es schien, als hätte er einfach keine Gefühle mehr für mich, als hätte er sie von einem auf den anderem Tag einfach ausgeschaltet.
Bei mir klappte das nicht, obgleich ich schon sehr oft versucht hatte, ihn zu vergessen, vergeblich.
Sobald Luis sich einer hübschen, großen Blondine zuwandte und sie mit einer viel zu persönlichen, deutlich besitzergreifenden Handbewegung begrüßte, drehte ich mich um.
Traurig glitt mein Blick über das gut ausgestattete Buffett und blieb an der Bowle hängen.
Unentschlossen, was ich sonst hier tun sollte, ging ich hinüber, goss mir großzügig ein Glas Bowle ein und kippte es in einem Zug runter.
Der starke Wodka brannte auf meiner Zunge und ich fragte mich, ob in diesem rötlichen Zeug noch etwas anderes als Alkohol drin war, aber er half mir, mich ein wenig abzulenken. Dennoch glitt mein Blick immer wieder hilflos zu Luis und seiner neuen Freundin, bis diese ihm einen Kuss auf die Wange gab.
Luis lachte vergnügt, hatte offensichtlich Spaß.
'Na, wie geht's dir, Süße?', fragte Jen fröhlich und ich drehte mich erleichtert zu ihr um.
Die Party schien ihr sichtlich zu gefallen, aber sie war ja auch mit ihrem Freund Justin hierher gekommen. Die Beiden waren wirklich ein süßes Paar.
'Es ging schon besser.', murmelte ich und schnitt eine Grimasse in Luis Richtung.
Mit einem kurzen Blick auf die Umgebung, bemerkte Jen meine Situation und seufzte vielsagend.
Früher hätte sie mich vielleicht umarmt, aber nun hielt sie die Distanz zwischen uns, hatte gemerkt, dass mir Körperkontakt nicht mehr gefiel, seitdem ich von der schrecklichen Nacht zurückgekommen war und wusste dies wie eine wahre Freundin zu beachten.
Sie versuchte Umarmungen und Schulterklopfen so weit wie möglich zu umgehen, Fragen stellte sie auch keine und ich dankte ihr sehr dafür.
Mit einem Spruch versuchte sie mich aufzuheitern. 'Du kannst deine Augen vor Dingen verschließen, die du nicht sehen willst, aber du kannst dein Herz nicht vor Dingen verschließen, die du nicht fühlen willst, Süße.
Es ist egal, ob du zu ihm hinschaust oder nicht. Du weißt trotzdem genau, was er tut.'
Sie hatte Recht. Dabei hatte ich mir doch sein Glück gewünscht.
War es nicht das gewesen, was ich die ganze Zeit wollte und für das ich mein eigenes Glück aufgegeben hatte? Selbst jetzt dachte ich noch an mich selbst und versank im Selbstmitleid, sobald ich ihn mit einer anderen Frau sah. Dabei konnte es doch keine Zukunft mit mir und Luis geben.
'Also Kopf hoch, Süße. Genieß deine Zeit ohne ihn.', forderte Jen mich auf und ich hob zustimmend meine Mundwinkel hoch, was sich äußerst merkwürdig, wenn auch nicht schlecht, anfühlte.
Das Lied war zuende und ich musterte Luis noch einmal gründlich. Das Bild von ihm in einem Smoking wollte ich mir unbedingt einprägen. Er schien meine Blicke nicht zu bemerken, sondern suchte sich einfach eine neue Tanzpartnerin. Eigentlich konnte er alle haben.
Plötzlich packte mich Jen unsanft am Arm und zog mich weg vom Buffet. Ich errichtete bei ihrer Berührung eine schützende zweite Mauer um mich herum und konzentrierte mich darauf, ihre Lebensenergie abzuwehren, bis wir schließlich am Rand des Saales stehen blieben.
'Ich kann mir einfach nicht ansehen, wie du ihm hinterhersiehst, als wäre er der einziege Mann auf Erden.
Du musst über ihn hinwegkommen, Süße.'
Ich schnaubte laut und verdrehte stur die Augen.
'Leichter gesagt als getan, wenn er mir den ganzen Tag vor der Nase herumläuft.'
Natürlich wusste ich, dass das ein äußerst schlechtes Argument war.
'Ich verstehe ja deinen Liebeskummer, auch wenn du mir immer noch nicht erzählt hast wie es um Himmels Willen zu eurer Trennung kam.', Jen schenkte mir einen bösen Blick, der zeigte, dass sie diese Information früher oder später von mir einfordern würde, 'Es gibt noch so viele andere gutaussehende Typen. Und du musst schon zugeben, dass du wirklich nicht die schlechteste Partie hier bist. Es würden sicher viele Typen gerne mit dir tanzen, wenn du nicht immer ganz so abwesend und gruselig dreinschauen würdest.'
'Vielleicht möchte ich aber nicht tanzen.', stellte ich fest und ignorierte dabei gefliessentlich das Wort Gruselig.
Jen schüttelte bedauernd den Kopf, doch im nächsten Moment erlöste mich Justin von dieser Diskussion, indem er zu uns stieß und beruhigend einen Arm um Jens Schulter legte.
'Na, wollt ihr mit uns tanzen?
Der DJ hat einen richtig coolen Beat aufgelegt.' Jen grinste über beide Ohren, als sie die schnellere, tanzbare Musik aus den Lautsprechern schallen hörte und sah mich dann noch einmal fragend an.
Ich wollte ihr kein Klotz am Bein sein und lächelte scheinbar zufrieden. 'Geht ihr ruhig alleine.', meinte ich, bevor Jen das Angebot auch nur ansatzweise abschlagen konnte und sie ließ sich von Justin mitziehen, sodass ich wieder alleine blieb.
Auch die Ferien hatte ich ziemlich einsam verbracht.
Meine Tante war sehr beschäftigt gewesen und hätte ich mich nicht mehrmals mit Marc getroffen, wäre ich wahrscheinlich eingegangen. Marc war wirklich ein super Freund und das wir uns so selten sahen, hatte keine Auswirkung auf den Spaß, den wir zusammen erlebten.
Er war der Einziege dem ich mich wirklich näherte, denn bei ihm konnte ich die Lebensenenergie nicht so stark wahrnehmen, wie bei Gewählten oder Augeschlossenen.
Nach einer Weile des unschlüssigen Wartens, ging ich ein Stück weiter zum Ausgang, an dem ein Spiegel stand. Behutsam näherte ich mich dem altmodischen, goldenen Standspiegel und lugte hinein.
Mein Spiegelbild zeichnete sich ganz normal auf der glänzenden Fläche ab. Ich atmete tief Luft ein und fragte mich willkürlich, ob ich mich jemals trauen könnte ohne Vorgedanken in einen Spiegel zu schauen.
Die Albträume, die mich jede Nacht verfolgten, hatten mich übervorsichtig gemacht, aber ich konnte nichts dagegen tun, denn Gabe Hanwen hatte mich noch immer unter Kontrolle und wenn er mich in die Finger bekam, konnte er sein Ritual vollenden.
Ich legte erschöpft den Kopf schräg, um meine wirbelnden Gedanken hinter Mauer zu schieben.
Wieso konnte ich nicht einfach nur an normale Dinge denken und mir die Sorgen von guter Musik und berauschender Bowle vertreiben lassen?
Es war mir nicht klar wie ich es immer schaffte in meinen endlosen Gedanken zu verschwinden.
Das war wirklich meine Spezialität.
Anstatt weiter an all die schrecklichen Dinge zu denken, die mir gerade so in den Kopf kamen, wendete ich mich meinem Spiegelbild zu und musste wirklich sagen, dass Jen ihren Job als Stylistin ziemlich gut gemacht hatte.
Das dunkelrote Kleid, das sie mir ausgesucht hatte, besaß einen eher hohen Ausschnitt aus Spitze, aber dafür hob der eng geschnittene Stoff meine Taille hervor und ging mir gerade mal bis zum Oberschenkel, wo das Kleid in einem kurzen, weit ausgestelltem Rock mit mehreren Lagen endete.
Der Stoff fühlte sich seidig an und ich hatte mich sofort in dieses Kleid verliebt.
Selbst meine passenden hohen Schuhe waren merkwürdigerweise bequem und mein Make up, das aus einem dunkelroten Lippenstift sowie einem dezenten Augenmakeup aus Brauntönen bestand, welches meine Augen betonte, stimmte mich zufrieden. Die Hochsteckfrisur, aus der locker einzelne, gelockte Strähnen meines hellbraunen Haares herausfielen, rundete das ganze ab. Die Frage, warum ich mich jetzt so aufgetakelt hatte, ließ ich außer acht. Es war schließlich eine Feier und Jen hatte auf schicke Kleidung bestanden, selnst wenn ich gar nicht hier hin wollte.
Langsam ging ich wieder in den Saal, denn alleine dort draußen rumzustehen, würde auch nichts bringen.
Mehrere Leute musterten mich, während ich durch die Menge von tanzender Leuten ging und mich achtsam vor ihren Berührungen drückte. Zum Glück hatte ich inzwischen gelernt, diese Blicke zu ignorieren.
Mit dieser Party hatte das neue Schuljahr begonnen.
Ich setzte keine besonders große Erwartungen in dieses Jahr, eigentlich hoffte ich sogar, dass es schnell vorbeiging.
An Silvester, das ich alleine in meinem Zimmer und mit zugezogenen Vorhängen verbracht hatte, zumal meine Tante auf einer geschäftlichen Reise gewesen war, hatte ich mir nur eine Sache vorgenommen.
Weiterzukämpfen, egal was auf mich zukam.
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