Kapitel 8
Wir verabschiedeten uns mit einer festen Umarmung, die ich Jen wohl nie ausreden könnte.
Geplagt von den langsam verblassenden Kopfschmerzen, konnte ich nämlich wieder ihre fröhliche, gelbe Aura wahrnehmen. Langsam, um Zeit zu schinden, ging ich die letzten Meter den Flur entlang, bog in die zweute Tpr links ein und betrat die Klasse.
Schon stand ich Sally gegenüber.
So viel zur Entspannung.
Sie grinste mich herablassend an.
'Na, wie geht's dir?' 'Super, wenn ich dich so sehe.', grummelte ich und schob mich seitlich an ihr vorbei. Sally sah mir sauer und fast ein wenig enttäuscht hinterher, aber kurz vor dem Unterricht noch einen Streit vom Zaun zu brechen, ergab wirklich keinen Sinn. Ich hatte andere Dinge, auf die ich mich konzentrieren musste.
Mr. Owen trat direkt hinter mir, noch vor Sally, in die Klasse und wünschte uns einen guten Morgen.
Er schien gerade, im Gegenteil zu mir, bester Laune zu sein, denn er grinste wie ein Honigkuchenpferd.
Seine Worte hingegen waren alles andere als lustig.
Sie trafen mich hart wie eine Pistole und zerstörten endgültig meine Hoffnungen auf einen guten Tag.
'Heute sprechen wir über die größte aller Gefahren. Wir sprechen über den Herrscher der Ausgeschlossenen. Gabe Hanwen.'
Ein Schauder lief mir den Rücken hinunter, denn allein dieser Name verunsicherte mich und ließ mich an meine Alpträume denken.
Ich biss mir auf die Lippen, um möglichst keine Reaktionen zu zeigen. Genau dieses Thema war wirklich das Letzte, über das ich etwas wissen wollte und gerade heute konnte ich keine Ausführung uber Gabe Hanwen gebrauchen.
Innerlich flehte ich fast, dass es einen Feueralarm oder einen kleinen Angriff geben würde, damit wir dieses Thema nicht bearbeiten mussten, aber es passierte nichts.
Auf mein Glück konnte ich mich schonmal nicht verlassen.
Mr. Owen rasselte den Steckbrief des schrecklichen Mannes nur so hinunter, als kenne er ihn seit Jahren, was vielleicht auch der Fall war.
'Gabe Hanwen ist Anfang 40, hatte eine Tochter, die Mutter ist unbekannt. Er ist eher klein, besitzt kurzes, schwarzes Haar und dunkelbraune Augen.'
'Es sind schwarze Augen,', verbesserte ich ihn leise und sprach dabei eher mit mir selbst, 'schwarz wie Kieselsteine.'
Er schien nicht einmal Pupillen zu haben, was ihn eher wie ein Tier als einen Menschen aussehen ließ.
Sie waren schwärzer als die tiefste Nacht und kälter wie eine Eiswüste. Wenn er nicht so schrecklich lebendig wäre, könnte man auch meinen, seine Augen gehörten einer Leiche.
Die anderen Schüler starrten mich zum Teil angstvoll und zum Teil neugierig an, aber Mr. Owen ignorierte mich einfach und sprach geflissentlich weiter.
'Er ist auf jeden Fall ein furchteinflößender Mann, zumindest wenn man denjenigen glauben will, die ihn gesehen haben und die wieder lebend zurückkamen, was zugegebenermaßen recht Wenige waren.
Man sollte jederzeit mit einem Angriff rechnen.
Gabe Hanwen hört erst auf zu kämpfen, wenn er sein Ziel erreicht hat und wir arbeiten immer daran seine Ziele herauszufinden.'
Ich wusste, was er wollte, einen Krieg.
'Seine Kraft ist, wie ihr sicher schon wisst das Träumen. Das hört sich vielleicht nicht besonders gefährlich an, aber es ist eine Kraft, die man nicht unterschätzen darf. Sie kann sehr gefährlich genutzt werden.'
Ja, das wusste ich und ich hätte es wirklich lieber nicht gewusst.
Mr. Owen räusperte sich kurz, doch ich konnte nicht aufschauen.
Er würde doch jetzt nichts über Gabe Hanwens Kraft erzählen, oder?
Ich musste hier raus, den Raum verlassen, einfach wegrennen.
Um dem Drang zu entfliehen biss ich mir noch härter auf die Lippen, bis sie schließlich bluteten.
Der Schmerz lenkte mich kurz ab, während Mr. Owen wieder anfing über diese grausame Kraft zu reden.
'Er kann einfach so in andere Menschen hineinsehen und ihre schlimmsten Schwächen herausfinden. Diese nutzt er dann in den von ihm geschaffenen Träumen und Albträumen, denn so kann er die Personen kontrollieren, ihnen Nachrichten zeigen oder einfach Angst verbreiten.
Solche Albträume verstärken die Ängste noch und es heißt, das Gabe Hanwen Spaß hat, die Leute Nachts zu peinigen.'
Er konnte noch viel mehr als das.
Er kam auch tagsüber zu mir und bereitete mir Qualen.
Außerdem hatte Gabe Hanwen davon gesprochen, dass er die Leute brach. Er zerstörte ihren Lebensgeist. Das hatte er auch mit mir vor.
Fast dachte ich, Gabe Hanwens Lachen neben mir zu vernehemen.
Er amüsierte sich köstlich.
Eine Welle an Erinnerungen jagte mich und ließ die Klasse mehrere Grad kühler werden.
Meine Kopfschmerzen setzten wieder ein und in meinen Ohren rauschte das Blut, während ich versuchte, die Albträume, mit denen mich Gabe Hanwen nun bombardierte, von mir wegzudrücken.
Vom Unterricht bekam ich nichts mehr mit, denn ich kam nicht mehr aus diesem schrecklichen Chaos heraus.
***
Ich öffnete die dunkle, altbekannte Eichenholztür, die zum Arbeitszimmer meiner Tante führte. Sie wartete bereits auf mich, blickte mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck auf ihren ordentlichen Schreibtisch.
Vor ihr lag ein kalkweißes Blatt, wartete darauf beschrieben zu werden, und sie spielte mit einem auffallend grünen Kulli, war irgendwo in einer anderen Welt gefangen.
Ich schloss die Tür hinter mir, was sie wohl ins hier und jetzt brachte.
'Ach, Nia. Da bist du ja.'
Ich nickte bedacht, bevor ich ihr langsam und vorsichtig antwortete.
'Hey' Ich setzte mich ihr gegenüber, diesen Platz bezeichnete ich fast schon als meinen eigenen, denn Ich ich saß immer auf diesem Stuhl, wenn ich etwas mit meiner Tante zu besprechen hatte.
Nach einer kurzen, unangenehmen Stillepause, brach ich als erste die Stille, wusste aber nicht, was ich sagen sollte.
'Du wolltest mir fragen stellen?'
Mrs. Infusio nickte lächelnd und drückte dreimal auf den Kopf ihres Kullis, bevor sie antwortete, was ein leises Klacken im stillen Raum verursachte.
'Also... Zuerst einmal muss ich wissen, was du schon alles mit deiner Kraft anstellen kannst?'
Ich bewegte meinen Kopf unruhig hin und her, um kurz nachzudenken.
Von meiner Fähigkeit, anderen die Lebensenergie zu rauben und sie somit umzubringen, würde ich ihr ganz sicher nicht erzählen.
Das stand außer Frage.
Nur ob ich die Fähigkeit, meine Kraft auszustrecken, womit ich Menschen, Wesen und Artefakte aufspüren konnte, nennen sollte, wusste ich nicht genau, denn diese Kraft ordnete ich eher meinem königlichen Erbe zu, da sie nicht annähernd etwas mit Illusionen zu tun hatte. Weil Mrs. Infusio nichts von dieser Herkunft erfahren durfte, konnte ich es einfach nicht riskieren, ihr davon zu erzählen.
Demnach fing ich an von den Sachen zu erzählen, die sie schon wusste und die für meine Gabe wohl normal waren.
'Naja, ich kann Gedanken verschicken und Illusionen erschaffen.' Meine Tante nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. Sie hatte led8glich nachprüfen wollen, ob ich alleine Fortschritte gemacht hatte.
'Und kannst du mir beschreiben, wie du das machst?'
'Beim Gedankenverschicken durchbreche ich die Mauer meines gegenübers und beim Illusionenerschaffen denke ich an etwas und versuche es dann möglichst echt mit meiner Kraft nachzubilden.'
Mrs. Infusio schrieb eifrig mit und schaute nicht einmal zu mir hoch.
'Und wie lange kannst du eine Illusion halten?'
Ich zzclte ahnungslos mit den Schultern. 'Keine Ahnung, das habe ich noch nie ausprobiert.'
Mrs. Infusio nickte und notierte sich auch das, bevor sie mich wieder ansah und dabei die Augenbrauen hob. 'Fällt dir das schwer?'
Hierbei musste ich auch nicht lügen, denn sie wusste, dass ich eine starke Macht hatte, da ich sonst keine Blockade gehabt hätte.
Trotzdem war meine Antwort vage. 'Ich hab es mir auf jeden Fall schwieriger vorgestellt eine Illusion zu erschaffen, als ich es noch nicht konnte.'
Meine Tante schaute mich unsicher an und wendete ihren Blick auch nicht ab, als sie weitersprach. Nun hatte ich wieder ihre volle Aufmerksamkeit bekommen.
'Deine Blockade... Wie hast du sie überhaupt aufgelöst? Das hast du mir noch gar nicht gesagt.'
Ich schluckte die aufkommende Trauer und die kalte Leere in mir hinunter. Luis, er war es gewesen. Ich war mir fast zu 100 Prozent sicher, dass unser Kuss die Blockade zerstört hatte, denn ab diesem Moment hatte ich mich frei gefühlt. Der Junge, den ich über alles liebte, hatte mich aus dem schrecklichen Gefängnis geholt und mir meine Kraft gegeben, hatte mir gezeigt, wie man frei ist... und dann hatte ich mit ihm Schluss gemacht, um ihn zu schützen.
Konnte es wirklich einfach so vorbei sein?
Jack und Pete kannten sich doch auch ihr Leben lang. Es konnte nicht sein, das ich alles, was wir miteinander hatten, für immer kaputt gemacht hatte, dass es jetzt nicht einmal mehr Freundschaft oder Akzeptanz zwischen uns herrschte.
Einen kurzen Moment gab ich mir noch, bis ich ihr mit betont ruhiger Stimme eine Antwort gab, die verbat weiter nachzuhaken.
'Es war etwas Privates.'
Sie blieb einen Moment still und ich sah Verständnis in ihrer Augen aufblitzen. Ob sie wusste, dass es um Luis ging, oder ob sie mich nur nicht weiter belasten wollte, wusste ich nicht.
Mit strengem, wenn jetzt vielleicht auch eine Spur weicherem und sanfterem Tonfall ging das Verhör weiter.
'Wie hast du Xenia Whitecheek davon abhalten können, in deinen Kopf zu schauen?'
Dieses Mal schwang wirklich Interesse in ihrer Stimme mit.
Ich erinnerte mich für einen Moment an den Tag zurück, an dem ich dem Mitglied des Rates, das in die Köpfe aller Schüler schauen konnte und ihre dunkelsten Geheimnisse, Lügen, Fehler und Schwächen, aber auch Wahrheiten, bewundernswerte Stärken und die Loyalität jedes Gewählten herausfinden konnte, Parole geboten hatte. Sie hatte sich eigentlich nur die Absichten der Schüler angesehen, um herauszufinden, ob sie für den Auftrag loyal genug waren, was ihr beunruhigenderweise im Fall von Hannes nicht gelungen war, doch ich hatte zu viele Geheimnisse, um sie mit ihr zu teilen. Ich hatte ihr verboten, in meinen Kopf einzudringen und sie sofort wieder aus meinen Gedanken herausgeschleudert.
Das hatte wohl nicht nur Xenia selbst beeindruckt, obgleich es wirklich nicht schwer war, wenn man sich ein bisschen mit Gedankenmauern beschäftigte. Und ich beschäftigte mich Tag und Nacht damit.
Die Andeutung eines Lächeln legte sich auf mein nachdenkliches, trauriges Gesicht. 'Ich habe ihr nicht erlaubt, in meine eigene Mauer einzudringen. Sie arbeitet sicherlich auch mit den Gedankenmauern, die sich vor den Gedanken jedes Menschen befinden und muss diese immer zuerst zerstören. Also habe ich einfach versucht, meine eigene Mauer sofort wieder neu zu bauen, als sie sie zerstört hatte. Der Widerstand hat sie wohl überrascht.'
Meine Tante grinste mich heiter wie die Sonne an einem besonders friedlichen Tag an und ich meinte etwas von ihrer eigenen abenteuerreichen Jugend durch ihre strenge Hülle blitzen zu sehen.
'Mich hat das auch überrascht. ', gab sie zu und notierte ein paar Stichpunkte zu dieser Frage, 'Es war wirklich beeindruckend, dass du das bei einem Ratsmitglied geschafft hast.'
Unruhig drückte sie wieder auf dem Kulli und rückte ihre Brille gerade, hielt mich dabei aber mit einem durchdringenden Blick fest.
'Bist du alles in allem mit deiner Kraft zufrieden?'
Ich stockte für einen Moment, horchte auf die künstliche Stille zwischen uns. Das war keine Frage, die bei meinem Kräftetraining half, sie war eher persönlicher Natur.
War ich zufrieden? Wirklich zufrieden?
Tatsächlich fand ich meine Kraft... man könnte sagen interessant, sie war bunt und wild und aufregend und nahezu grenzenlos kreativ, was es spannend machte, immer neue Seiten an ihr zu entdecken.
Auch meine Königskraft, mir der ich die ganze Umgebung scannen konnte, würde ich nicht missen wollen, da sie mir ein Gefühl der Sicherheit und des Schutzes gab.
Im Gegensatz dazu war die Macht über die Lebensenergie die reinste Qual für mich, denn ohne sie hätte ich nie Gesine Hanwen umgebracht, ich hätte nicht bei jeder Berührung mit jemandem anderen die fremde, bösartig anziehende Macht zu mir überfließen gespürt und vor allem hätte ich nicht die Beziehung zu Luis beendet. Ohne sie wäre alles viel einfacher, das Leben viel unbeschwerter, ich viel sorgenloser und der Umgang mit meinen Freunden, beziehungsweise mit meiner einzig übriggebliebenen Freundin, viel herzlicher.
Mrs. Infusio hob eine Augenbraue und sah mich fragend an, weil ich schon so lange nachdachte. Für sie schien es keine schwere Frage zu sein, doch mich plagte die unangenehme Unentschlossenheit einer gespaltenen Meinung.
'Ja, alles in allem bin ich zufrieden mit meiner Kraft.', meinte ich schließlich leise und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter.
Das war keine direkte Lüge, ich war zufrieden mit dem größten Teil meiner Kraft. Dem Teil, der nicht mein halbes Leben zerstört hatte, weil ich ihn nicht unter Kontrolle hatte, was mir scheinbar immer wieder vorgehalten werden musste.
Meine Tante schien nichts zu merken, denn sie nickte bedacht.
'Gut, danke, dass du so ehrlich geantwortet hast.'
'Klar.', log ich und musste fast bitter Lachen. Doch es ging hier ja auch nur um mein Kräfte Training und an meiner Lebensenergiekraft wollte ich dedinitiv nicht arbeiten. Sie machte mir zu viel Angst, war viel zu gefährlich für die Menschen in meiner Nähe.
Wenn es Gabe Hanwen nicht gäbe, hätte ich mir schon längst geschworen, niemals wieder jemandem die Lebensenergie aus dem Körper zu ziehen.
Nur mein Hass auf diesen Mann siegte noch, denn er hatte mich einfach zu oft verletzt.
Nur bei ihm würde ich willentlich eine Außnahme machen, egal wie schuldig ich mich danach fühlen würde.
Er war der Einzige, der es wirklich verdient hatte, zu sterben, selbst wenn mich das zu einem noch größeren Monster werden ließ, als ich es schon jetzt war.
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