Kapitel 64

Ich hatte nicht gedacht, dass die Zeit so schnell ablaufen würde, hatte nicht wissen können, dass sie mich so rasch einholen würden, hatte nicht glauben wollen, dass die Lage so ernst war und doch stand ich nun hier.
Die Ausgeschlossenen waren von einem Moment auf den anderen da gewesen und hatten uns keine Zeit gelassen, uns richtig vorzubereiten, sodass wir in diesem chaotischen, schrecklichen Kampf weit unterlagen und schon Verluste gemacht hatten, die ich nicht auszusprechen wagte.

Die Dunkelheit der Nacht lag über den Kämpfenden wie eine Decke, die vor der Außenwelt schützte und die markerschütternden Schreie abdämpfte als wären es nur Seufzer.
Gabe Hanwen selbst hatte ich noch nicht gesehen, aber in dieser totbringenden Nacht war ich wirklich beschäftigt genug damit, mich am Leben zu halten.
Kampf folgte auf Kampf, Schmerzensschrei folgte auf Waffenklirren und einzelne Worte gingen unter, nur die Schwerter sprachen kontinuirlich im Einklang, als hätten sie eine eigene Sprache erfunden.
Mir blieb nicht die Zeit, über irgendetwas nachzudenken, einen Plan zu schmieden oder nach jemandem Ausschau zu halten, denn immer wenn ich einen Ausgeschlossenen besiegte, gesellte sich ein neuer an seine Stelle, als gäbe es tausende von ihnen, die sich vor mir in Reihen aufstellten und brav auf ihren Einsatz warteten.
Es waren einfach zu viele Gegner, wir hatten schlichtweg keine Chance, und langsam wurden trotz allem Training der vergangenen Wochen meine Arme müde.
Ich nutzte meine Kraft so gut es ging, aber heute, gerade in dieser verhängnisvollen Nacht - und mir fiel durchaus auf, dass Gabe Hanwen diesen Zeitpunkt bewusst gewählt hatte, um mich an die erste schreckliche Nacht zu erinnern - fühlte ich mich selten schwach und ausgelaugt, hatte weder Fantasie noch Energie noch übermäßige Geschicklichkeit.

Vielleicht lag es daran, dass ich so lange nicht geschlafen hatte, vielleicht lag es daran, dass hier so ein schreckliches Chaos herrschte, in dem jeder auf sich alleine gestellt war, vielleicht hatte aber auch wieder Gabe Hanwen seine Finger im Spiel, denn seit heute Morgen fühlte ich mich, als wären an meinen Fußknöcheln und Handgelenken wie bei einer Gefangenen eiserne, klirrende  Ketten mit schweren Gewichten befestigt, die mich bei jeder Bewegung nach unten ziehen und auf den matschigen, kalten Boden drücken wollten.
Der Kampf war mühsamer denn je, härter denn je und zugleich bedeutsamer denn je  für unsere Zukunft und wie es aussah, würde unsere Welt, so wie wir sie kannten,  untergehen und falls wir überlebten, müssten wir untertauchen.
Aber noch gab ich nicht auf, noch war da ein klitzekleiner Funken Hoffnung, noch kämpften wir für eine bessere, sichere Zukunft.

Genau in dem Moment als ich das dachte, schlug mir ein Gegner mit einem hämischen Grinsen, dass ich wohl immer in Erinnerung behalten würde, meine Waffe aus der Hand. Klappernd fiel sie auf den Steinweg, war viel zu weit entfernt von mir, als dass ich sie hätte ergreifen können.
Mit einer raschen Handbewegung führ eine Ranke aus meinem Arm, um sich meine Waffe zurückzuerobern, aber kurz vor ihrem Ziel zerplatzte die Illusion, war grundlos verschwunden. Ich duckte mich unter dem nächsten Schlag weg, als sich sein fieses, hartherziges Lachen durch meine Gedanken bohrte wie ein emsiger Wurm durch einen frischen, saftigen Apfel, der daraufhin von ihnen heraus verfaulen würde.
Gabe Hanwen hatte Kontrolle über meine Macht.

Ich wollte mich in einen Blitz verwandeln, um auf dem Gegner einzuschlagen, aber es gelang mir nicht, denn in meinem Kopf war nur dieses grausame Lachen in endlos Schleife, das mich blockierte.
Nie hatte ich mich so schwach gefühlt, so machtlos und hilflos.

Der nächste Schlag kam genau auf mich zu, würde mich treffen und töten. Dann wäre das Licht aus, das Leben weg, die Dunkelheit vollkommen.
War dann alles einfach vorbei?
Ich rührte mich nicht, hatte keine Chance mehr, ihn rechtzeitig zu berühren, dafür war es bereits zu spät. Gehorsam schloss ich die Augen, gab dem Lachen nach.
Im letzten Moment keuchte mein Gegner plötzlich auf.
Erschrocken riss ich die Augen auf, verstand die Welt, die mich vor dem Tod bewahrt hatte, nicht, war ihr aber unendlich dankbar und wusste, dass ich diese zweite Chance nutzen musste, dass ich weiter kämpfen und so Viele retten musste, wie es mir möglich war.
Niemals hätte ich zu früh aufgeben und mich dem Nichts hingeben dürfen.
Ein großer roter Blutfleck breitete sich über dem Bauch meines Gegners aus. Eine einzige Sekunde später rann sprudelndes Blut aus seinem Mund und er wurde von einee helfenden Hand achtlos zur Seite geschmissen.

Kühle, blaue Augen blitzten mich an, schienen unwirklich, wie in einem schönen Traum, die ich leider nicht mehr hatte, waren aber doch hier auf diesem Schlachtfeld und stellten wieder einmal meinen Helden dar.
Er musste auf mich achtgegeben haben, musste sich gesorgt haben, sonst hätte er mich in diesem blutigen Durcheinander doch nie gefunden.
'Alles okay?', flüsterte er mit rauer Stimme und doch waren seine Worte lauter als die Schreie um uns herum, waren das Einzige, was gerade zählte.
Ich nickte stumm, war zu mehr nicht fähig, obwohl da so viel zwischen uns stand, was es auszusprechen und aufzuklären galt.
Atemlos hoffte ich, dass der Dank in meinen Augen ihm genügte, den er in dieser Sekunde der stillen Übereinkunft zustimmend aufsaugte.
Ein stürmisches blaues Meer durchschwemmt einen kahlen, trostlosen braunen Wald, schenkt Wasser für die Blätter, ruft die strahlende Sonne für den Neubeginn. Denn falls wir das hier beide überlebten, so versprach mir sein ruhiger und doch so selten emotionaler Blick, könnten wir reden und es versuchen, könnten es vielleicht sogar schaffen, wieder zusammenzukommen.

Ein lautes Zischen, gefolgt von einem unheimlichen gurgelnden Geräusch ertönte und ehe ich begriff, was gerade passiert war, rollte mir sein schöner, sonst so anmutig erhobener, blauäugiger Kopf vor die Füße und blieb dort liegen, denn Blick unzufrieden in den von Aschwolken grau gefärbten Himmel gerichtet.
Nein, das konnte doch nicht sein. Tod. Mausetod. Nein. Alle, die ich liebte waren Tod. Nein. Ohne eine Erklärung, ohne einen Grund, einfach so. Nein, nein, nein.
Und doch wusste ich, noch bevor mein verletzter Blick hochschnellte, dass es einen Grund gab, der dieses instabile Gerüst des Todes fortführend zusammenhielt und es wie ein Spinnennetz immer weiter ausdehnen würde, um neue Opfer darin zu fangen.

Vor mir stand Gabe Hanwen und lächelte äußerst zufrieden mit seinem von Luis dunkelrotem Blut tropfenden Messer in der Hand,
während meine Tränen wie ein rauschender Wasserfall unkontrolliert über meine Wangen liefen.
Jetzt gab es nichts mehr zu verlieren, da waren nur noch wir zwei.
Tod oder Leben, das war mir egal.
Mit einem gellenden Schrei warf ich mich auf den Mann, der mir nun endgültig alles genommen hatte und explodierte in der Luft, riss ihn zu Boden und zerstörte das ganze Schlachtfeld.
Dann, endlich, wachte ich nach Luft lechzend auf. 

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