Kapitel 63
'Und was schaut ihr beiden mich jetzt so abwartend an?', fragte Kalvin grinsend, 'Mich stört es keinesfalls, wenn wir über die möglichen Pläne der Ausgeschlossenen reden, das weißt du doch, Sahra, sonst würde ich mich nicht immer für mehr Transparenz gegenüber den Schülern einsetzen.
Außerdem glaube ich, Nia kann schweigen wie ein Grab, denn hinter diesen vertrauenserweckenden Augen, die du übrigens auch hast, stecken noch viele, vor uns versteckte Gedanken, Geheimnisse und Pläne, das kann ich dir versichern.
Also lass uns die positive Neugier fördern.'
Fast ein wenig ertappt verzog ich das Gesicht, denn Kalvin kannte mich schon zu gut, erwiederte dann aber sein Lächeln und nickte begierig, um zu hören, worüber ich informiert sein musste, wenn ich mich gegen meinen größten Feind wappnen wollte.
'Was ist genau passiert?', fragte ich direkt, war mir zu diesen Zeitpunkt noch gar nicht bewusst, dass diese beiden Menschen mir eigentlich nichts erzählen sollten, es aber aus einem für mich und vielleicht auch für sie unerklärlichen Grund traten. Es hätte sich dabei genauso gut um unsere recht enge, zumindest gegenüber meiner Tante innig familiäre Beziehung, eine spezielle, magische königliche Aura, die ich ausstrahlte, als auch um meine vertrauenserweckenden Augen, die heimlich in andere Seelen blickten, handeln können.
Dann fing meine Tante einfach an, zu erzählen. 'Die Vermutung, die ich erwähnt habe, ist eher eine dunkle Vorahnung, denn sie ist durch deinen Lehrer Theodor Wieland aufgekommen.'
'Er hatte eine Vision.', stellte ich dumpf fest, fühlte mich als würde man mir den Boden unter den Füßen wegziehen, bis ich hart darauf auftraf, wobei meine Knochen auf eine grauenvolle Weise zerschmettert wurden. Jede seiner Visionen war zur Realität geworden.
Ich verzog zerknirscht das Gesicht, riss mich aber dann zusammen und ließ äußerlich keinen Gedanken durchblicken. Meine Phantasie ging mit mir durch.
Da war immernoch die Hoffnung, dass gerade diese Vision sich nicht erfüllen würde, oder?
Kalvin nickte ruhig, hatte scheinbar über die Vision nachgedacht und fürs Erste mit ihr abgeschlossen.
'Theodor erlebte sie gestern Abend. Er sagte aus einem Gefühl, dass es noch eine Weile bis zum entscheidenden Moment dauern würde, war sich aber äußerst sicher, dass uns ein neuer Kampf auf dem Campus bevorsteht, aud den wir uns vorbereiten müssen. Er erblickte sogar Gabe Hanwen, der in einer Art Wolke über uns schwebte. Scheinbar steht dieses Event schon unaufhaltsam in den Sternen und wartet auf uns.'
Meine Tante schob sich nervös die Brille auf der Nase ein Stück höher, war aber, wie ich in dem Glitzern ihrer warmen, braunen Augen erkennen konnte, bereit für alles, was uns erwartete.
'Also müssen wir mehr Waffen hierher schaffen, unsere Mauern durch Zauber und vor allem Baumaterial verstärken und wahrscheinlich auch einige neue Lehrer anstellen. Auch zusätzlicher Kampfunterricht wäre sinnvoll.
Was denkst du als Schülerin? Braucht ihr mehr Kampfeinheiten?'
Ich persönlich hätte sofort ja gesagt, hätte mich gefreut, mehr lernen zu können und jeden Tag in Kalvins Unterricht kämpfen zu können, aber bei dieser an aalle Schüler gerichteten Frage fühlte ich die Verantwortung für die anderen Schüler fest und schwer auf meinen Schultern.
Also biss ich mir nachdenklich auf die Lippe und versuchte mich, in die anderen Schüler hineinzuversetzen, um zu verstehen, was noch mehr Kampfunterricht in ihnen auslösen würde, obgleich das natürlich trotzdem einer sehr individuellen, subjektiven Antwort bedarf.
'So sehr ich mehr Kampfunterricht befürworte, dürfen wir nicht zu sehr damit übertreiben, denn in einem Übermaß verbreitet das Angst.', schlug ich möglichst sachlich vor und versuchte neben diesen beiden erfahrenen Gewählten auch wie eine erwachsene Autoritätsperson zu wirken; jemand der schwierige Entscheidungen treffen konnte, was mir nur schemenhaft gelang, 'Meiner Meinung nach sollten wir ein Mittelmaß finden, vielleicht zwei Stunden mehr Training die Woche und wir könnten das als normale Änderung des Lehrplans bezeichnen, falls man da zu einer Notlüge greifen darf.', Kalvin neben mir schmunzelte, doch ich sprach sicher weiter, um alle meine Ideen zu erwähnen, 'Darüber hinaus finde ich die Extraeinheiten sehr sinnvoll, die können wir ruhig öfters einbauen.', auch hier pausierte ich kurz, wusste, dass ich Luis hartem Blick nach unserem letzten Gespräch nicht mehr lange standhalten konnte, fühlte schon jetzt den Schmerz über die falschen Entscheidung, Fehler und das Auseinanderleben in mir hochkommen, unterdrückte ihn aber, musste sein wie eine Maschine, um rational denken zu können.
Nach außen hin lächelte ich ruhig, sanft, bevor ich fortfuhr: 'Vor allem mit mehreren Klassen finde ich das hilfreich.
Wenn Schüler noch mehr Training wollen und da gibt es durchaus einige kampfbereite Gewählte in unserer Schule, könnten wir außerschulisch einen Kurs anbieten, der auf Kämpfe wie diesen vorbereitet.'
Zufriedene Blicke trafen mich, machten mich einen Moment glücklich wie eine Tochter, deren Eltern stolz auf sie waren, obgleich meine echten Eltern bereits unter der Erde lagen.
'Das sind wirklich gute, nachvollziehbare Ideen.
Ich sag ja immer, wir sollten mal die Schüler fragen, anstatt über ihren Köpfen hinweg zu entscheiden.', verkündete Kalvin und blies mit einem schmalen Grinsen die Sorgen, Ängste und in erster Linie die hartnäckige Dunkelheit der Vision aus dem Raum, als gehe es nicht mehr um den Kampf, sondern nur noch darum, den Unterricht zu reformieren. Die Stille war schön, war sanft, war hell und Mrs. Infusio entspannte sich merklich. 'Ja, wir werden mit den anderen darüber sprechen. Danke, Nia.'
Meine Antwort war ein dezentes Nicken, denn meine Sinne griffen schon wieder nach der Dunkelheit, zerrten an ihr, versuchten sie zurückzuziehen, bis ich es ihnen verbieten konnte.
Eigentlich wollte ich wirklich nicht über meinen größten Feind nachdenken, wollte nicht die tickende Zeitbombe anzünden, die die Zeit bis zu seinem Angriff zählte, aber ich hatte zu viel von seiner Stimme und zu viele seiner schrecklichen Bilder von einem möglichen Krieg tief in meinem Kopf gespeichert, als dass ich die Vision ignorieren könnte. Niemand hier konnte das wirklich, wir könnten höchstens in einer Illusion leben, Realität und Traum verkehren, aber was brachte uns das? Der Kampf würde kommen, ob wir wollten oder nicht, und schon jetzt beobachtete er uns wie ein gefräßiges Raubtier sein unwissendes Beutetier aus der Sicherheit eines dichten, dunkelgrünen Gebüsches.
Fliehen war keine Option, dafür war der Überraschungsmoment zu groß. Die Frage war eher, ob wir ein schutzloses Reh in seinen Fängen oder ein weiteres Raubtier mit spitzen Krallen und Zähnen waren, das Kämpfen würde, bis eines der Alfatiere starb.
Ich hatte mich schon lange entschieden, aber wir waren eine Schule, ein Komplex aus jungen Schülern, teils noch Kindern, und sie hatten nicht meine Sorgen, meine Erfahrungen, meine Albträume; sie lebten einfach und würden dieses Leben nie für einen einzigen Kampf aufgeben, der nicht der ihre war.
Und doch hatten sie keine Wahl, würden einfach vom Raubtier umgerissen werden, wenn sie sich nicht ganz sicher waren, was sie hier taten, für was sie kämpften.
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