Kapitel 5

Hartnäckigen Sonnenstrahlen durchbrachen die dicke, weiße Wolkenschicht, um auf die Erde niederzufallen.
Ihr warmes Licht schmolz an vereinzelten Stellen den dünnen Schnee, hinterließ aber immer ein kristallenes Glitzern dort, wo es hinstrahlte.
Der Geruch von frischem Kuchen, der an die vergangene Weihnachtszeit erinnerte, flog fröhlich durch die Luft und auch die großen Tannen blickten traurig über den Verlust ihres Schmuckes zu Boden.
Das neue Jahr hatte bereits begonnen, aber niemand schien es wirklich annehmen zu wollen, dafür lag ein Krieg mit den Ausgeschlossenen einfach zu nah.
Trotz dessen oder vielleicht auch gerade um sich abzulenken, spielten einige der jüngeren Schüler ausgelassen Fangen auf dem noch schneebedeckten Hof.
Andere lasen ein dickes Buch mit magisch verschörkelter Schrift oder redeten mit ihren Freunden über alles und nichts.
Wenn man die Sonne hinter dem woökenbehangenen Himmel, der an eine Schafherde erinnerte, ganz sehen könnte, stände sie an ihrem höchsten Punkt, denn es war eine angenehme Mittagzeit, in der ich im gemütlichen Tempo zum Schulgebäude zurückging, weil meine Mittagspause gerade geendet hatte.

Nach einer schnellen, aber wohlig warmen Dusche fühlte ich mich gleich viel besser, doch heute war noch Einiges zu tun.
Bevor ich mich heute Abend wohl oder übel an einen Berg von  Hausaufgaben setzten musste, hatte ich noch vor Jack zur Hand zu gehen und ein bisschen in den alten Büchern der Bibliothek zu schnüffeln.
Mein Blick glitt zu dem großen Gebäude, in dem tausende Bücher über alle möglichen Themen, in allen möglichen Farben, mit allen möglichen Titeln, aus allen möglichen Jahrzenten standen. Man konnte sich stundenlang in interessanten Informationen oder sogar mystischen Büchern verlieren.

Leider ging mein Weg aber zuerst noch nicht dorthin.
Ich seufzte laut und bog in das Schulgebäude ein, denn meine Tante hatte mich gebeten jetzt zu ihr zu kommen.
Ich hatte keine Ahnung weshalb sie das wollte, aber ich war schon seit geraumer Zeit nicht mehr in ihrem Büro gewesen, absichtlich.
Früher hatten wir dort immer geübt mit meinen Kräften umzugehen und eigentlich hatte es mir immer Spaß gemacht, mehr über die Illusionen zu erfahren, aber nun erschauderte ich schon, wenn ich nur an das Gefühl einer fremden Lebensenergie in meinem Körper dachte.
Wie ich meine Macht kontrollieren konnte, war die eine Frage, ob ich das letztlich wirklich schaffte, die Andere, und bisher hatte ich noch keine beantworten können.
Dabei wollte ich es so sehr, allein wegen Luis.
Ich würde ihn so gerne zurückbekommen, aber es lagen im Moment einfach zu viel Ungewissheit, zu viele Geheimnisse und zuviel Risiko zwischen uns.

Mal ganz davon abgesehen konnte ich nur hoffen, dass Mrs. Infusio nicht wieder einen nervigen Besucher hatte, der mich mit Fragen belöcherte, die besser unbeantwortet blieben.
Niemand außer mir wusste von den Geschehnissen der schrecklichen Nacht und das war auch gut so.
Leider gab es für mich selbst keinen Weg das Ganze zu vergessen, weil meine Albträume mich jede Nacht aufs Neue damit quälten und meine Erinnerungen blutig frisch hielten. Der letzte Besuch eines Befragers lag zwar schon ein ganzes Stück zurück, aber der Plan der Ausgeschlossenen war undurchschaubar und das niemand über ihre nächsten Schritte bescheid wusste, verursachte bei allen Ratsmitgliedern ein schlechtes Gefühl, das konnte man ihnen deutlich ansehen.

Ich hatte gar micht gemerkt, dass ich bereits die Treppe hinaufgestiegen war und stand nun vor der Tür des Zimmers meiner Tante.
Wie eine Maschibe streckte ich meine Hand aus und klopfte zaghaft gegen das dunkle Holz.
Meine Tante öffnete sofort die Tür, was ungewöhnlich war, zumal sie sonst immer von drinnen rief.
Sobald sie mich erkannte, fing sie an zu lächeln, angestrengt künstlich zu lächeln.
'Hallo Nia, komm doch rein.'

Bevor ich ihrer Aufforderung folgte, sah ich mich im Raum um, doch es war niemand außer uns anwesend, was einen großen Teil der aufgestauten Anspannung von mir nahm.
Der alte Holzschreibtisch stand an seinem Platz wie eh und je, viele Akten lagen abwartend darauf und die Heizung war auf die höchste Stufe angeschaltet, sodass es mollig warm war.
Dem Anschein nach hatte meine Tante gerade gearbeitet, denn neben ihrem Bücherregal lagen einige Mappen und dicke Schmöker auf dem Boden und eigentlich hielt sie dieses Zimmer immer ordentlich und sauber.
Ich atmete tief den penetranten Nelkengeruch ein, der durchs Zimmer wehte und runzelte die Stirn.
Es war merkwürdig diesen Duft einzuatmen, denn ich kannte ihn irgendwoher.
Die Erinnerung an Mr. Janke schwob mir durch den Kopf. Er war vor kurzem hier gewesen.

Aprupt drehte ich mich zu meiner Tante um.
'Was wollte er hier?', fragte ich feindselig, erwartete schon eine neue Befragung.
'Wen meinst du?', fragte Mrs. Infusio unschuldig und schob sich die Brille auf der Nase ein Stück höher. Allein diese bekannte Geste verriet sie.
'Mr. Janke.', antwortete ich kalt, als wäre das offensichtlich.
Meine Tante entfernte sich mit hängenden Schultern von mir, setzte sich auf ihren Stuhl und rieb sich die Stirn.
'Ich habe ihn weggeschickt und ihm gesagt, dass du nicht mehr weißt, als du ihm bereits gesagt hast.'
Überrascht von dieser schützenden Geste blinzelte ich gegen das schwache, gelbe Licht an.
'Danke. Du hast mir damit sehr geholfen.' Mrs. Infusio nickte bedacht, sah mich jedoch unsicher an.
'Du müsstest dir wirklich keine Vorwürfe machen, wenn du Gesine Hanwen in einem Kampf umgebracht hättest. Sie war ganz sicher kein guter Mensch und du hast getan, was du konntest, um gegen diese Menge an Ausgeschlossenen anzukommen.' Bilder von unserem Kampf schossen in meinen Kopf und ich spürte fast die Stofflichkeit von Gesines Hemd, als ich ihren toten Körper achtlos von meinem herunterschob.
Doch, ich machte mir Vorwürfe, dass ich sie kaltblütig umgebracht hatte. Ich hatte ihr das Leben aus dem Körper gesaugt und nicht aufgehört, bis sie keinen Tropfen Lebensenergie  mehr besaß.
Erst seit diesem Kampf war meine Kraft zu einem Problem geworden.
Er hatte alles verändert, mich verändert. 
Meine Tante oder dieser komische Mr. Janke konnten das nicht beurteilen. Sie waren nicht dabei gewesen.

Nur schwer konnte ich die Bilder der Dunkelheit vertreiben und wieder mit klarem Blick zu meiner Tante schauen.
'Wolltest du mich irgendetwas fragen?', fragte ich kühl und schloss somit das Thema um die schreckliche Nacht ab.
Sie hatte sicher noch einen anderen Grund, da sie mich bereits gestern eingeladen hatte und Mr. Jankes Besuch sie anscheinend überrascht hatte.

Meine Tante seufzte und schob sich das hellbraune Haar hinter die Ohren, sie trug es selten offen und sah so viel jünger aus.
'Es geht um deine Kraft.
Sie ist so selten, dass sogar der Rat niemanden mit dieser Kraft kennt. Wir müssen deinen Unterricht aber trotzdem fortführen, zumal du spätestens bei deiner Prüfung mit ihr vertraut sein musst.'
Ich schluckte hörbar und war mir alles andere als sicher, ob ich lernen wollte, mit meiner Kraft umzugehen.
Natürlich wollte ich sie beherschen können, aber ich hatte ebenfalls Angst vor dem, was in mir schlummerte.
Nur ich selbst wusste von meiner Abstammung und es musste wohl irgendetwas bedeuten, eine Königin zu sein.
In Geschichten träumten die Hauptdarstellerinen immer vom Leben einer Prinzessin oder grob Königin, aber sie machten sich nie Gedanken darüber, dass man alle seine Freunde durch diese Rolle verlieren würde, sein normales Leben aufgeben musste und vor allem, dass ein riesiger Druck auf den Schultern einer adligen Person lastete. Das war nicht das Leben das ich mir wünschte.

'Woran denkst du?', fragte meine Tante nachdenklich und riss mich aus meiner verworrenen Gedankenwelt.
Ich biss mir auf die Lippen, hatte schon wieder nicht zugehört.
Möglichst unschuldig sagte ich einfach das Erste, was mir spontan einfiel, und führte somit unser Gespräch einfach fort.
'Ich würde schon gerne lernen, meine Kräfte zu benutzen.
Also wenn es eine Möglichkeit gäbe...' Meine Tante schien nichts bemerkt zu haben.
'Wir können uns ja einfach morgen treffen und du erzählst mir, was du schon weißt und kannst.
Vielleicht können wir das schon ausbauen. Ich bin fast sicher, dass wir das gemeinsam hinbekommen.'

Sie blickte mich zuversichtlich durch ihre altmodische Hornbrille an und versuchte es mit einem, dieses Mal echten, Lächeln.
'Einverstanden. Ich komme einfach morgen nach der Schule hierhin, oder?'
Mrs. Infusio nickte als Antwort auf meine Frage und bevor sie noch etwas zu meinem Gesundheitszustand fragte, wie sie es sonst gerne tat, lächelte ich ihr halbherzig zu und rauschte eilig aus der Tür.
Vielleicht würde unser Training ja sogar etwas bringen.
Mit kleinen Schritten konnte man auch ans Ziel kommen.

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