Kapitel 49

Eine Weile grübelte ich vor mich hin, schritt unruhig zwischen den nahegelegenen aschgrauen, nachtschwarzen und marmornen Gräbern hin und her.
Als ich das Geräusch eines leise knackenden Astes vernahm, blickte ich wachsam hoch und überblickte mein Umfeld. Weit in der Ferne leichtete das fahle, schwache Licht einer Laterne zwischen den ovalen Gräbern.
Rasch legte ich die vertrockneten Rosen wieder ab und untersuchte die Umgebung nach Feinden.
Da war irgendjemand, das konnte ich spüren, aber ich hatte keine Ahnung wer es war. Ein Ausgeschlossener, ein Gewählter, ein Mensch? Die Person wurde von einer schwammigen, mich verwirrenden Aura umschlossen.

Nervös biss ich mir auf die Unterlippe, denn um diese Uhrzeit konnte niemand mehr zufällig hier sein, zumal die Tore zu waren. Mit der rechten Hand gab ich meinem Fenriswolf das Zeichen, sich hinter einer kleinen Kapelle, die nur wenige Schritte entfernt stand, zu verstecken.
Ich selbst hockte mich für eine bessere Sicht hinter den gegenüberliegenden Grabstein, auf dem eine große, weiße Engelsstatue trohnte.
Schnell schaltete ich noch meine Taschenlampe aus, um nicht entdeckt zu werden, wobei ich öfters blinzeln musste, um meine Augen an die komplette Schwärze zu gewöhnen.
Geduldig wartete ich darauf, dass die schweren Schritte sich näherten.
Ein älterer Mann, der in der rechten Hand eine leuchtende Laterne und in der linken Hand eine weitere weiße Rose hielt.
Er war also derjenige, der meiner Mutter die Rosen brachte. Im Schein seiner Laterne blitzte ein kantiges Gesicht auf, über das sich eine lange, wohl mit der Zeit leicht verblichene Narbe erstreckte.
Das konnte kein Verehrer meiner Mutter sein.

Außerdem war ich mir sicher, dass ich dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte, ich wusste nur nicht wann und wo.
Die dunkle, rauchige Stimme des Fremden schallte über den Friedhof. 'Wieso muss das immer ich tun? Langsam habe ich wirklich keinen Bock mehr, diese dornigen Mistblumen abzuliefern, aber nein, mein Herr will ja unbedingt, dass ich das mache. Selbst zu gehen, traut er sich ja nicht, und jemanden anders zu schicken, ist auch zu gefährlich.
Ach, womit habe ich das nur verdient? So eine unnütze Aufgabe, völlig sinnlos.'
Er schimpfte weiter vor sich hin, murmelte in die Stille der Nacht und schnaufte einige Male wütend.
Nun stellte sich mir die leise Frage, wer dieser Mann war, dem er gehorchte.
Darauf bedacht kein Geräusch zu verursachen, zog ich meinen Dolch aus meinem Schuh.

Sobald der Mann unachtsam und immer noch in sein Grummeln vertieft an mit vorbeilief, sprang ich aus meinem Versteck hervor und nahm ihn in den Schwitzkasten.
Natürlich war ich nicht so stark wie er, aber sofort lag mein scharfer Dolch an seiner Kehle und der spielte mir einiges an Macht zu.
'Halt still.', zischte ich dem Mann zu. Gerührt hätte er sich in seiner misslichen Lage sicherlich nicht, doch ich wollte sichergehen, dass er nichts Unüberlegtes tat.
'Was willst du, kleines Biest?', giftete er mich wütend an, obwohl er sich seinem Nachteil mehr als bewusst zu sein schien, da sein ganzer Körper zum Zerreißen angespannt war.
'Wer bist du?', lautete meine erste Frage an ihn.
Er zuckte mit möglichst wenig Bewegungen seiner Muskeln die Schultern und versuchte sich nach mir umzudrehen, was ich ihm nicht ermöglichte.

'Nun, ich bin ein armer, alter Mann ohne Waffen, der gerade überfallen wird.', versuchte er es mit einem Witz, doch dazu hatte ich gerade keine Lust und meine Antwort würde ich früher oder später noch bekommen.
'Bist du ein Ausgeschlossener?', fragte ich direkter.
Ein dunkles Lachen blieb in seiner Kehle stecken.
'Nein, das bin ich gewiss nicht.'
'Also bist du ein Gewählter.', schloss ich froh über diese Tatsache, doch er verneinte erneut: 'So kann man das auch nicht sagen.'
'Was bist du dann?'
Ein fieses Lächeln, das man aus seinen Worten heraushörte, ohne ihn anzusehen, zog sich über sein Gesicht. 'Du würdest mich wohl einen Aussetzigen nennen.', verkündete er und da wusste ich, dass der alte irgendwie mit meiner Mutter in Verbindung stand, was mich für einen Augenblick aus der Fassung brachte.

Ruckartig und mit immenser Kraft schob er meine Arme beseite und stellte sich mir gegenüber.
Er musste ein Kämpfer sein.
Mit unverändertem Gesichtsausdruck hielt ich ihm weiterhin meinen Dolch entgegen.
Ich war immernoch in der besseren Position, jedoch schien er das noch nicht einzusehen.
Aschgraue Augen blickten mich kühl an und in diesem Moment erkannte ich den Polizeichef mit der riesigen Narbe, der mich direkt nach dem Tod meiner Mutter verhört hatte.
Ich befand ihn schon damals als unsympathisch und jetzt umso mehr.
'Ach, du bist es. Nia, nicht wahr?', stellte mein Gegenüber fest. Auch er musste mich wiedererkannt haben und es machte mir Angst, dass er meinen Namen kannte.

'Wieso bringst du diese Rosen an das Grab meiner Mutter?', fragte ich, ohne auf ihn einzugehen. Bei diesem Treffen war ich mit dem Fragen an der Reihe.
'Weil das meine Aufgabe ist.', erwiederte der alte Polizeichef, der, wie mir jetzt auffiel, wahrscheinlich nicht einmal bei der Polizei angestellt war.
'Und wer gibt dir diese Aufgabe?', hakte ich ungeduldig nach.
Der Mann presste die Lippen aufeinander. Er wollte nichts sagen, würde ohne eine vernpnftige Drohung wohl schweigen wie ein Grab, aber ich würde mich nicht umsonst auf ihn geworfen haben. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, gab ich meinem Fenriswolf ein Zeichen, sodass dieser sich mit gefletschten Zähnen hinter mir positionierte.
Einen kurzen Moment erstarrte der alte Mann. Seine grauen Augen waren weit und erchrocken aufgerissen. Erst nach einem tiefen Atemzug konnte er sich wieder beruhigen.
'Diese... Diese Tiere suchen sich also immer noch jemanden mit königlichen Blut aus.', meinte er bewusst provokant und hob herausfordernd die buschigen Augenbrauen. Er hatte Nerven wie Stahl.

Ich fasste den Dolch in meiner Hand fester. Er wusste zu viel über mich. Das konnte nicht gut sein.
'Sag es mir!', forderte ich ihn barsch auf, wollte unbedingt auch etwas gegen ihn in der Hand haben.
Unterstützend drang ein tiefes Knurren aus der Kehle meines Fenriswolfes. Er war wirklich eine außerordentlich gutes Druckmittel, doch der Fremde wusste, dass es mich nicht weiterbringen würde, ihn zu töten und er schätzte mich wohl nicht grausam genug ein, ihn zu foltern, was ich ehrlich gesagt auch nicht gekonnt hätte.
Schließlich sagte er mit hörbar angespannter Stimme, aber ohne eine Regung in seinem Gesicht preiszugeben: 'Ich werde es nicht tun. Diese Information ist nicht für dich gedacht.'
Der alte Mann wusste jedoch nicht, dass ich noch ein Ass im Ärmel hatte.

Ein schmales Lächeln verirrte sich auf mein Gesicht und bevor er es realisieren konnte, bewarf ich die Mauer in seinem Kopf mit explosiven, feurigen Bomben.
Dann tauchte ich durch den qualmenden Rauch in seinen Gedanken ein und ignorierte sein verblüfftes Ächzen.
Die gesuchte Information musste irgendwo tief in seinen Erinnerungen stecken.
Ich wollte gerade mit der anstrengenden Suche beginnen, als mir ein bewegtes Bild entgegen flog. Zwei Männer waren darauf zu sehen.
Der alte Polizeichef und ein fremder und mir doch so bekannter Mann mit stechend grüne Augen, kurzem, hellbraunen Haar und einem Lächeln, das sehr dem Meinen glich.
'Schon wieder eine Rose, Richard. Wie oft denn noch?'
'So lange, wie ich es befehle.', hallte eine Stimme, die mir als kleines Kind jeden Abend ruhige Geschichten inklusive Happy End erzählt hatte, zu mir herüber. Sie klang so echt, dass ungewollt ein Zittern durch meinen ganzen Körper ging.
Das konnte doch nicht sein.
Er hätte lange tot sein müssen.

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