Kapitel 45

Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt am Himmel bereits erreicht und trat nun golden glänzend ihren Heimweg an. Ihr strahlendes Licht leuchtete liebevoll über den Campus und durch ihre Wärme schmelzten einige der kleinen Eiszapfen.
Die Tropfen fielen langsam herab und schlugen in den dunklen Boden ein bis schließlich nichts mehr von dem Werk des Winters vorhanden war.
Außer dem fröhlichen Lachen der Kinder, die den Unterricht für heute beendet hatten und dem leisen Seufzen der Bäume, wenn der kalte Wind zwischen den kahlen Ästen umherwehte, gab es keine Geräusche.
Es war ein selten friedlicher Tag und nur eine angespannte Stimme schallte über den Platz. Natürlich war es meine.

'Nein, Marc. Ich habe an dich gedacht... Nein so ist es nicht, ich habe einfach keine Zeit... Doch... Nein...'
Mir war klar gewesen, dass er enttäuscht von mir war. Wir hatten einige Male geschrieben, nachdem wir uns versöhnt hatten und er schien auch langsam aber sicher über mich hinwegzukommen, was dem egoistischen, egozentrischen Teil vom mir merkwürdigerweise einen kleinen Stich ins Herz versetzte, den mein ich jedoch gefließentlich ignorierte.
Er sollte ein schönes Leben haben, unbedingt glücklich sein, und das ohne mich. Durch die Entfernung und meine Probleme hatten wir uns einfach auseinandergelebt und ich hatte noch nicht einmal Zeit mich zur Versöhnung bald mit ihm zu treffen.
Unglücklich kaute ich auf meiner Unterlippe und horchte auf die bekannte, aber doch so fremde Stimme.
'Weißt du, Nia, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst, dann sag es doch einfach. Ich halte das schon aus.'
'Ich will aber, Marc. Ich meine, ich würde wirklich gerne.', gab ich zu, 'Es geht aber im Moment wirklich nicht, das musst du mir glauben. Du musst mir vertrauen, wie früher.'

Eine kurze Pause entstand und ich hörte etwas durch mein Handy rascheln. Er spannte mich auf die Folter, zu Recht.
'Das würde ich gerne, aber es fällt mor schwer, fiel schwerer als es mir fallen sollte. Ich weiß, dass du jetzt andere Aufgaben hast und ich weiß, dass du anders geworden bist, aber ich habe wirklich keine Lust immer der Einzige zu sein, der sich meldet und treffen können wir uns auch nie, weil du keine Zeit hast.
Ich kann dir nicht in den Kopf gucken, Nia, aber mir liegt wirklich etwas daran, dass unsere Freundschaft nicht hier endet und ich glaube halt, dass das mit der Zeit passiert.'
Ich schüttelte den Kopf, erkannte aber den Wahrheotsgehalt dieser Aussage an.
Wir wussten ja kaum noch etwas aus dem Leben des anderen, obgleich wir noch vor ein paar Monaten unzertrennlich gewesen waren.
Dadurch dass ich nicht sofort eine Antwort parat hatte, wurde Marc noch aufgewühlter.
Er schien dieses Thema ein für alle Mal klären zu wollen.
'Und außerdem kann es gar nicht sein, dass du nie auch nur ein paar Stunden Zeit hast.
Eure Klausuren sind doch jetzt erst einmal vorbei, das heißt du bist nicht mit Lernen beschäftigt und so weit ich weiß, dürft ihr den Campus nicht verlassen und du kannst ja auch nicht jeden Tag mit deiner Freundin... ähm, Jennifer, etwas unternehmen.
Wieso hast du also keine Zeit für mich? Ich würde ja sogar zu dir kommen.', ohne zu pausieren, sprach er weiter, aber seine Stimmfarbe veränderte sich und Eifersucht schlich mit ihr mit durch das Handy an meiner Wange,
'Oder hast du schon wieder 'was mit diesem unheimlichen Typen angefangen?'

Ich atmete einmal tief ein und aus, um ihm ruhig antworten zu können.
'Nein, Luis ist mein Ex Freud und wir leben weiterhin getrennt.'
Immer musste er auf Luis zurückkommen und mich daran erinnern, wie es zwischen uns stand.
Dabei war ich mir eigentlich sicher, dass er wusste, das nichts bedeutendes mehr mach unserer Trennung passiert war.
'Ich habe trotzdem andere Pflichten. Ich meine Schule, mein extra Krafttraining, Hausaufgaben und muss viel nachholen. Das alles beansprucht viel Zeit und Energie.' Und die musste ich aufgrund meiner mehr oder weniger schlaflosen Nächte sparen.
'Dein Leben besteht aber nicht nur aus Schule, Nia.', fuhr Marc mich direkt an.
'Ja, ich weiß.', gab ich klein bei.
Da gab es noch all diese dunklen Gedanken und Geheimnisse, die ich verstecken musste und vielleicht, ganz vielleicht, fand ich es manchmal auch gut, wenn mein Leben nur aus Schule bestand. Dann konnte ich zumindest meine Probleme und Sorgen für einen Moment vergessen und einfach vor mich hin arbeiten. Nachdenken führte meistens sowieso in die falschen Richtung, brachte mich nur tiefer in das endlose Labyrinth meiner Gedanken.
Wieso also nicht immer beschaftigt sein?

Dennoch, so meldete sich mein schlechtes Gewissen, sollte ich meinen besten Freund, früheren besten Freund, nicht länger auf die Folter spannen.
Ich hatte Zeit, wenn ich das wirklich wollte und vielleicht sollte ich sie einfach mal für ein Treffen mit Marc opfern, wobei ich das im Nachhinein sicher nicht bereuen würde.
'Gut, ich nehme mir einfach Zeit.
Wie wäre es mit ... morgen? Du kannst Nachmittags zu mir kommen und wir gehen ins Kaffee oder so.' Kurz schwieg Marc überrascht, als hätte er nicht erwartet, dass ich so schnell einlenken würde.
'Meine Tante ist sicher auch einverstanden.', versicherte ich ihm. Wie gut, dass ich mich gerade wieder mit ihr vertragen hatte.
'Gut, ich freue mich drauf. ', sagte Marc schließlich und ich meinte ein Lächeln auf seinem Gesicht zu erahnen, ohne dass ich ihn überhaupt sah. Vielleicht kannte ich ihn ja doch noch.
'Ich mich auch.', erwiederte ich leise und freute mich tatsächlich schon jetzt ihn wiederzusehen und dieses mal nicht, weil er ein Teil meines vergangenen Lebens war, sondern einfach weil ich ihn wirklich vermisste.
'Bis morgen.', verabschiedete er sich viel zu schnell und sobald ich mit.
'Ja, bis dann.' geantwortet hatte, hörte ich nur das Tuten der Leitung. Ungeduldig steckte ich mein Handy in meine Tasche.
Manchmal musste man für Glück wohl doch nur ein winzig kleines Hindernis in den eigenen Gedanken überwinden.

***

Mein Training zusammen mit Jack und Jen, das leider zu keinen Erfolgen führte, die schlaflose Nacht gemeinsam mit Gabe Hanwen, der Unterricht am nächsten Tag und sogar das Treffen mit Marc verliefen wie im Flug.
Es war, als würde die Zeit in Lichtgeschwindigkeit an mir vorbei rauschen, ohne dass ich einzelne Momente ergreifen und festalten konnte.
Trotzdem genoss ich die schöne Zeit mit Marc und redete mit ihm einfach mal über ungefährliche Sachen, lachte über spontane Witze und erinnerte mich an die schönen Momente unserer Freundschaft.
Er war der Beste, wenn es darum ging, mich abzulenken, im positiven Sinne natürlich.
Wir hatten viel Spaß, erzählten uns ausführlich alles, was wir im Leben des anderen verpasst hatten und tranken gemütlich unsere Kaffees. Auch ein Stück Kuchen hatte Marc mir mit den Worten 'Natürlich bezahle ich dir.' spendiert.
Und wie sollte ich da ablehnen? Gar nicht.

Nachdem wir zuende gegessen und getrunken hatten, saßen wir noch eine Weile gemütlich im Kaffee. Keiner von uns wollte, dass der Tag zuende ging, dass die gemeinsamen Stunden zuende gingen, zu schön fühlten sie sich an.
Der kleine Laden, dessen gemütliches, gelbes Licht eine gemütliche Atmosphere erschaffte, war bis oben voll.
An allen Tischen saßen Leute und redeten über Dies und Jenes. Keiner wollte sich draußen in die Kälte setzten und hier war einfach der perfekte Ort um einen ungemütlichen Winterabend gemütlich ausklingen zu lassen.
Das Einzige, was mich und dem Anschein nach auch Marc störte, waren die neugierigen Blicke von einigen Schülern.
Ich wusste nicht, ob es einfach die Personen waren, die mich auch sonst immer musterten, ob sich die fremden Schüler einfach fragten, wer der unbekannte Junge neben mir war oder weil sie von meiner und Luis Trennung gehört hatten und sich aus irgendeinem Grund um mein Liebesleben scherten.
Das Luis Freunde gemeinsam an einem etwas weiter entfernten Tisch saßen, verunsicherte mich trotzdem. Glücklicherweise war er selbst heute nicht anwesend. Darauf hatte ich jetzt wirklich keine Lust.
Mit der Zeit ignorierte ich die Blicke jedoch einfach. Darin war ich inzwischen Meisterin und zusätzlich fühlte ich mich neben Marc noch ein wenig selbstsicherer.

Wir hatten gerade über unsere alten Freunde, wobei diese hauptsächlich Marcs Freunde gewesen waren, gesprochen, unsere Kaffees waren leer und ich lehnte mich entspannt gegen das weiche, rote Lederpolster der Bank.
Im Raum roch es nach Apfelkuchen, Kaffee und irgendeinem anderen Gebäck mit Zimt. Um uns herum saßen nur Gewählte. Wir schienen sicher zu sein.
Gerade ging die Kellnerin an uns vorbei und lächelte mir freundlich zu, was wahrscheinlich daher kam, dass Jen und ich hier Stammgäste waren. Plötzlich schlug Marc vor: 'Lass uns noch in den Park gehen. Da ist es ein bisschen ruhiger.'
Ich zögerte.
Der Park war außerhalb das Geländes. Meine Tante hatte mich davor gewarnt, den Campus zu verlassen.
'Draußen gibt es keine Sicherheit, also bleibt lieber hier.', hatte sie mich ermahnt und eigentlich hatte ich auch vorgehabt, mich daran zu halten. 'Nein, wir sollten lieber hier bleiben.'
'Komm schon.', bat Marc, 'nur ganz kurz. Es wird schon nichts passieren.' Ich hadert mit mir selbst, während er mich flehentlich und mit großen, braven Hundeaugen ansah.
Trotzdem konnte ich meine Angst noch nicht überwinden.
'Wieso bleiben wir nicht einfach hier?'

'Ich möchte dir etwas zeigen, das ich letztens entdeckt habe.', meinte Marc geheimnisvoll und lächelte mich schräg an, wobei er das Grübchen an seiner linken Wange zur Schau stellte.
'Was denn?'
Er wusste schon, dass er mich jetzt an der Angel hatte und zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern.
'Du musst es dir schon ansehen.', stellte er klar.
'Das ist unfair.', murmelte ich und machte einen Schmollmund. Er wusste genau, wie neugierig ich war und das ich so ein Angebot nicht ausschlagen konnte.
'Das war der Plan.', stellte er zufrieden fest und hob die Augenbrauen, 'Und? Kommst du mit?'
Ich schaute noch einmal zur Seite in die Gruppen von Gewählten.
Alle schienen entspannt und ausgelassen zu sein und es hatte wohl keiner trübe Gedanken. Wahrscheinlich machte ich mir einfach zu viele Sorgen.
Ein paar Minuten konnte ich sicherlich raus gehen.
Auch wenn ich mich des öfteren Nachts mit meinem Fenriswolf traf, verwirklichte sich keine meiner dunklen Vorahnungen.
Zögerlich schaute ich ihm wieder in seine tiefen und doch so selten klaren, dunkelbraunen Augen, die sich innerlich schon auf den Aufbruch vorbereitet hatten.

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