Kapitel 41
Klirrende Kälte breitete sich über dem Campus aus.
Es war noch einmal richtig kalt geworden und wenn man Atem ausstießen, konnte man diesen als kleines, weißes Wölkchen in der Luft erkennen.
Die sonst so wärmende Sonne schien in einem grellen, kühlen Licht beständig auf mich herab und leider konnte sie den letzten Albtraum nicht vollständig aus meinen Gedanken vertreiben, zumal er mir immer noch wie der Feind bei einer Verfolgungsjagd im Nacken saß.
Gabe Hanwen hatte mich dieses Mal nicht persönlich beehrt. Stattdessen wusste sein Gefolge mich zu verspotten und herumzuschubsen. Zum Schluss hatten sie dann beschlossen, mich zu steinigen. Glücklicherweise verlor ich nach dem dritten Wurfgeschoss das Bewusstsein und wachte auf.
Ich schüttelte mich bei dem Gedanken daran und war wirklich unglaublich froh, dass diese Methode eines schmerzvollen Todes schon vor einigen Jahrhunderten abgeschafft worden war.
Gleichzeitig fragte ich mich aber auch, wie Gabe Hanwen es schaffte meine Träume so genau zu kontrollieren und jeden seiner Krieger so lebensecht zu gestalten.
Er konnte doch nicht jede Nacht nur mit meinen Träumen beschäftigt sein.
Als Anführer der Ausgeschlossenen wollte er sicher noch andere in ihren Träumen besuchen.
Wenn er direkt mit mir sprach, zumindest nahm ich das an, befand er sich nur in meinem Traum, denn das schien wirklich er selbst zu sein, inklusive seiner vollständigen Kräfte.
In meinen anderen Träumen, selbst wenn sie mit seiner grauenvollen Stimme ausgestattet waren, war er wohl nur der Puppenspieler, der alles kontrollierte.
Seine Kraft musste sehr ausgedehnt sein, wenn er in mehreren Albträumen zur gleichen Zeit Angst und Schrecken verbreiten konnte und das noch mit einer solchen Perfektion, dass ich jedes Mal aufs Neue, um mein Leben kämpfte, vergeblich, denn meine meisten Träume endeten mit dem Tod, was mich immer wieder aus der Bahn brachte.
Gedankenverloren ließ ich meinen Blick über den Platz gleiten. Einige Schüler tummelten sich vor dem Schulgebäude, tauschten Neuigkeiten aus oder machten noch schnell ihre Hausaufgaben auf einer der Bänke. Alleine bei dem Gedanken mich auf das gefrorene Metall zu setzten, wurde mir eisig kalt.
Die von mir gesuchte Person konnte ich nicht entdecken.
Langsam ging ich zum Platz, an dem Jen und ich uns jeden morgen trafen. Die Kaffees in meinen Händen schenkten mir eine angenehme Wärme, denn natürlich hatte ich mein Wort gehalten und heute morgen extra zwei Caramel Macchiatos für meine beste Freundin und mich geholt. Sie würde sich sicher über diesen Wachmacher freuen.
Ich hoffte nur, dass Jen nicht allzu lange brauchte, um hier aufzukreuzen, weil ich dann nämlich zu einem Eisblock erfroren sein würde.
Stumm blieb ich ein paar Minuten stehen und versuchte meine Gedanken nicht mehr um Gabe Hanwen kreisen zu lassen. Irgendwann begann ich herumzuzappeln, damit die Kälte mich nicht vollkommen einnehmen konnte und als ich gerade geneigt war, ihr eine Nachricht zu schicken, dass ich in der Schule wartete, entdeckte ich endlich Jen, die langsam auf mich zugeschlendert kam.
Sie hätte sich ja ruhig ein bisschen beeilen können, zumal langsam meine linke Hand schmerzte, die noch ziemlich üble Brandblasen von meinem Training gestern besaß.
Als Jen bei mir ankam, riss sie mir gierig den Kaffee aus der Hand und trank ein paar Schlucke.
Durch ihre Unvorsichtigkeit verbrannte sie sich die Zunge und hechelte hilflos, sodass ich mir ein Grinsen verkneifen musste.
Nachdem sich Jens Zunge wieder genug beruhigt hatte, sah sie mich fröhlich wie eh und je an.
'Danke Süße. Hast du gut geschlafen?' Mit so wundervollen Träumen konnte man doch nur himmlisch schlafen.
Ich verbot mir einen Seufzer und sagte stattdessen: 'Ja, es war den Verhältnissen entsprechend okay.' Meine Antwort musste nicht sehr überzeugend geklungen haben, denn meine beste Freundin musterte mich mit sorgenvoller Miene, bevor sie geschickt das Thema wechselte.
'Du sprichst heute mit deiner Tante, nicht wahr?'
'Ja, vielleicht spreche ich sie einfach schon nach der Geschichtsstunde an.'
Jen nickte und schlürfte vorsichtiger an ihrem Kaffee.
'Mmmh... Ich glaube ein Gespräch zwischen euch war schon lange fällig. Ihr gehört schließlich zu einer Familie.'
Eine fast ausgestorbene Familie waren wir und wenn es nach Gabe Hanwen ging, dann waren wir so gut wie tod. An Jen gewandt murmelte ich: 'Wahrscheinlich hast du recht.'
'Ich habe immer Recht. Meek dir das doch mal.', sagte meine beste Freundin unverblümt und streckte ihren Rücken durch, damit sie neben mir größer wirkte.
Ich schüttelte darüber nur den Kopf und fragte sie unsicher: 'Hast du denn noch genug Zeit für Justin, wenn du deine Zeit jetzt auch noch als Hilfe in meinem Krafttraining totschlagen musst?'
Dann trank ich einen Schluck meines Kaffees, der übrigens köstlich schmeckte, um meine angespannte Wartezeit zu verkürzen.
Jen verdrehte die Augen.
'Klar habe ich das. Keine Sorge, Süße, ich bin super organisiert.
Außerdem mache ich das ja freiwillig.'
Sie deutete mit der Hand auf den Weg vor uns, da wir langsam zu unseren Unterrichtsräumen gehen sollten und wir gingen los.
'Wir gehen regelmäßig ins Kaffee oder spazieren, das zumindest wenn es nicht so kalt ist wie heute und gestern haben wir einen heimlichen Serienabend bei mir gemacht, illegal natürlich.', erklärte sie und kicherte bei der Erinnerung an den gestrigen Abend. Jen war wirklich ein Serienjunkie. Sie liebte es Staffelweise Serien zu gucken und das meistens in einer Nacht. Das Wort Serien'abend' bekam da eine ganz andere Bedeutung.
Jetzt konnte ich mir denken, warum sie so gierig auf den Kaffee gewesen war.
'Für den wenigen Schlaf siehst du echt gut aus.', stellte ich fest, 'Kannst du mir deine Tricks verraten?'
Meine Freundin hob bedeutungsvoll die Augenbrauen und sagte: 'Mein Trick ist Liebe, am besten ganz viel.' Ich verschluckte mich an meinem Kaffee und hustete laut, sodass Jen neben mir lachen musste und als ich mich beruhigt hatte, blickte ich sie leicht vorwurfsvoll an.
'Werde ich auch mal probieren, wenn ich die Chance dazu habe.'
Sie legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter, was mich augenblicklich meinen Körper anspannen ließ.
'Komm, das war nur ein Witz.' Schulterzuckend und damit ihre Hand abschüttelnd betrat ich das Schulgebäude und murmelte: 'Dazu möchte ich ungern weitere Details.'
'Bekommst du auch nicht.', sagte sie und streckte mir die Zunge raus.
'Da bin ich aber froh.'
Wir bahnten uns einen Weg durch das Gedränge der Schüler und mit einem Blick auf die Uhr, bemerkte ich, dass wir noch 5 Minuten Zeit hatten. Unentschlossen blieb ich etwas abseits von der Menschenmasse stehen.
'Weißt du eigentlich schon, was du so nach der Schule machen willst?', fragte Jen, die meinem Blick zur Uhr gefolgt war.
Ich trank einen weiteren Schluck von meinem Kaffee, um Überlegungzeit zu gewinnen.
'Da habe ich mir noch nicht so viele Gedanken drüber gemacht. Im Moment habe ich anderes im Kopf und wir haben ja auch noch anderthalb Jahre Zeit. Aber so direkt?
Irgendetwas, womit ich helfen kann gegen die Ausgeschlossenen zu kämpfen, einfach so viele Leute retten wie ich kann.'
Jen sah mich lächelnd von der Seite an. 'Ich bin sicher, das kannst du gut. Mir wäre das ja ein bisschen zu viel Kampf und Action, aber zu dir passt das ziemlich gut, glaube ich.' 'Hoffentlich.', erwiederte ich ehrlich, als eine Gruppe Schüler laut lachend an uns vorbeiging und mich ein Stück zur Seite drängte.
'Und du?', fragte ich nun meine beste Freundin.
Jen blickte zur Seite, als würde sie in eine entfernte Zukunft sehen: 'Ich glaube, es würde mir Spaß machen mit Kindern zu arbeiten. Vielleicht in einer Vorbereitungsschule oder so.' 'Vorbereitungsschule? Ist das ein Kindergarten?', echote ich das unbekannte Wort und versuchte es mit eigenen Erfahrungen zu verbinden.
'Das ist eine Hinführung zur Schule für Gewählte. Bei den Menschen nennt man das Kindergarten, aber wir vermitteln die ganzen Grunderklärungen natürlich ein bisschen magischer. Die Kinder entdecken dort ihre Kräfte zum ersten Mal.'
Gedanklich stellte ich mir vor, wie sie lachend mit den Kindern spielte und voller Elan von unseren magischen Kräften zu ihren kleinen Schützlingen sprach. Automatisch musste ich grinsen.
'Das kann ich mir jetzt gut vorstellen.', und mit einem strengeren Unterton fügte ich hinzu, 'Dafür musst du aber sicher auch deinen Schulabschluss schaffen. Es gibt da so ein Wort, dass heißt ...Lernen.'
Jen nahm genüsslich einen Schluck ihres Caramel Macchiatos und erklärte unbekümmert: 'Ach, die Wissensprüfung zählt nur zehn Prozent und für eine solche Ausbildung braucht man keinen besonders guten Abschluss.'
Ich bedachte sie mit einem möglichst bösen Blick und deutete dann mit meiner freien Hand in Richtung des Traktes, in dem wir jetzt Unterricht hatten.
Überrascht blickte Jen auf meine verletzte Hand. Ihr entging wohl gar nichts.
Schnell zog ich die von Brandblasen gezeichnete Hand zurück und log meiner Ansicht nach ziemlich überzeugend.
'Ich bin beim Kämpfen gestern Abend übel an der Wand vorbeigerutscht. Aber keine Sorge, es tut nicht besonders weh und außerdem ist die Verletzung nur links. Gehen wir?'
Jen schenkte mir einen verstimmten Blick, so wie ich es zuvor bei ihr getan hatte, aber sie schöpfte keinen Verdacht, also ließen wir das ganze auf sich selbst beruhen und machten uns auf den Weg zum Klassenraum. Dabei versuchten wir beide ohne Absprache unsere Kaffees so schnell wie möglich leer zu trinken, weil Mrs. Infusion uns das letzte Mal ermahnt hatte, dass wir ihren Unterricht nicht die ganze Zeit durch unser Schlürfen unterbrechen sollten.
Heute wollte ich sie bloß nicht aufregen und Jen schien das zu verstehen.
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