Kapitel 37
Die Schulglocke leutete schrill und kündigte damit auf eine laute, unangenehme Weise das Ende der Mathestunde an.
Die meisten Schüler waren bereits nach draußen gelaufen, bevor Mr. Wieland uns einen schönen Nachmittag wünschen konnte, was ihm aber gar nichts auszumachen schien, denn er war während des Unterrichtes merkwürdig abgelenkt gewesen.
Ich war mir nicht sicher, ob es einfach mit den Ereignissen der letzten Tagen zu tun hatte, ob er irgendetwas über die Pläne der Ausgeschlossenen wusste, das wir Schüler noch nicht wussten oder ob er vielleicht sogar eine schaurige Vision gehabt hatte.
Leider war Jen auch nicht hier, um beiläufig und ganz unnauffällig in seinen Kopf zu gucken, da es mich sehr interessierte, was ihn so beschäftigte und von seinem allzeit geliebten Matheunterricht ablenkte, denn sonst war er immer so enthusiastisch, wenn er uns etwas beibringen konnte.
Unachtsam packte auch ich meine Hefte und mein Federmäppche in meinen schwarzen Rucksack und warf ihn mir über den Rücken.
Jen und ich wollten uns nach der Schule vor dem Tor der Bibliothek treffen und ich war mir sicher, dass sie dort schon auf mich wartete und sie ließ nicht gerne auf sich warten, war dafür einfach eine zu ungeduldige Person.
Mit großen Schritten verließ ich den Raum und ließ den gedankenversunken durch das Fenster starrenden Mr. Wieland alleine.
Im Gang war es leider sehr voll und viele Gruppen von Schülern verschiedenen Alters und Aussehens tummelten sich vor ihren Schließfächern.
Ich hasste große Mengen an Schülern, da diese meistens die Aufmerksamkeit auf mich lenkte, da ich ja den Ruf der abnormalen, aggressiven Fremden hatte.
Aber selbst wenn ich einen guten Ruf gehabt hätte, wäre die ganze Aufmerksamkeit, der Rummel und die ständige Beobachtung nichts für mich, sondern doch eher für Sally.
Natürlich befand auch sie sich ein paar Meter von mir entfernt auf dem Gang und schien aufgebracht und abwertend über jemanden zu lästern. Seufzend bewegte ich mich auf die Gruppe von aufgestylten Mädchen zu und bereitete mich innerlich darauf vor, sie einfach zu ignorieren.
Ich wollte nur an ihnen vorbei zum Haupttor um schnellstmöglich zu Jen zu kommen, jedoch würde das nicht so einfach werden wie geplant, denn Sally hatte mich bereits entdeckt.
Mit einem Ausdruck des Erfolgs auf dem Gesicht stellte sie sich mir in den Weg und streckte die Hände als Stoppzeichen nach vorne.
Genervt versuchte ich mich an ihre vorbeizuschieben, doch ihre kichernden Freundinnen hatten sich wie eine hohe Mauer rechts und links von ihr auf dem Gang hingestellt.
'Na, bist du in Eile?' ,fragte sie mit einem wie üblich spöttischen Unterton.
'Ja, deswegen muss ich hier auch möglichst schnell durch.', erwiederte ich knapp. Sie schüttelte noch den Kopf, bevor ich zuende gesprochen hatte und fragte mehr oder weniger gespannt: 'Wo musst du denn hin?'
'Kannst du bitte platzmachen, Sally?', antwortete ich möglichst ruhig, ohne darauf einzugehen.
Irgendwie erinnerte sie mich immer an die bösen Mädchen aus den Jugend-Romanen und High School Filmen, die täglich gegen ihre Rivalinen kämpften, um ihr Image aufzubessern, nur dass ich wirklich keine Lust hatte zu streiten oder gar herumzuzicken.
Sie anscheinend schon.
'Nun sag schon. Wohin?', fragte sie erneut und schmollte mit hervorgeschobener Unterlippe, sodass ich hilflos die Hände in die Luft warf.
Eine Antwort war wohl der einziege Weg sie loszuwerden.
Sally schien eine Idee zu haben, denn sie hob erstaunt die Augenbrauen.
'Triffst du dich wieder mit Luis? Ich dachte, er wäre jetzt frei?'
Im kurzen aber heftigen Aufkommen einer tief in mir verankerten, dumpfen Wut knirschte ich mit den Zähne.
Mir war bewusst, dass sie das nur gesagt hatte um mich zu ärgern, doch es kümmerte mich trotzdem und es war mir nicht egal und ich konnte es nicht ignorieren.
Komischerweise wussten ziemlich viele Leute von unserer mysteriösen Trennung und es gab sogar Gerüchte darüber, wer die Beziehung beendet hatte und wie das Ganze abgelaufen war, aber niemand außer Sally sprach mich so direkt darauf an und vertiefte noch einmal meine aufgerissene Wunde.
Ich atmete tief die Luft zwischen uns ein, die zunehmend dünner zu werden schien.
'Nein, ich treffe mich mit Jen.', gab ich kühl wieder.
'Achja... Ich vergaß ja, dass du und Luis getrennt seid.', meinte Sally gelassen. Sicherlich hatte sie das vergessen. Das glaubten ja nicht einmal ihre Freundinnen, die die Situation gespannt, abschätzig grinsend aber etwas unruhig beobachteten.
Vielleicht hatten sie sogar eine Spur Angst vor mir.
'Er war nicht der Richtige. Er ist eher so der heiße, geheimnisvolle Typ. Und du, naja, du bist eher so die bekloppte Streberin, die einfach nicht hierhin passt.', fuhr Sally fort und sah mich von oben herab hochnäsig an.
Ich öffnete den Mund, um eine schlagfertige Antwort zu geben und schloss ihn dann wieder, während meine Wangen leicht erröteten, denn ein wenig hatten mich ihre Worte tatsächlich verunsichert, da sie doch etwas Wahrheit Worten zu enthalten schienen.
Eigentlich war er wirklich nicht mein Typ.
Doch selbst, wenn ich auch endlich einsehen könnte, dass es zwischen uns vorbei war, hatten wir doch eine schöne Zeit miteinander verbracht, oder?
Sally schien aus irgendeinem Grund zu vermuten, dass mir noch etwas an ihm lag und gleichzeitig sich sehr sicher zu sein, dass Luis mit mir Schluss gemacht und mir das Herz gebrochen hatte.
Jen hatte bis vor kurzem die gleiche Vermutung gehabt. Sollten sie sich doch alle täuschen, aber ich wollte nicht als schwaches, zutiefst verletzes Mädchen dastehen, wobei ich das vielleicht, wahrscheinlich, offensichtlich war.
Entschlossen schulterte ich meinen Rucksack, der über meiner rechten Schulter hing neu und lächelte so gütig und zuvorkommend wie ich konnte. 'Ach, das ist nicht so schlimm. Single geht es mir besser, aber ich muss jetzt wirklich los.'
Mit diesen Worten, die mir durch die Verleugnung meiner Gefühle einen kleinen Stich ins Herz versetzten, drückte ich Sally etwas zu hart mit dem Ellebogen zur Seite und folgte weiter dem Gang.
Sie schnaubte laut hinter mir, sobald sie sich wieder aufgerichtet hatte und konnte sich auch ein leises: 'Schön, dann ist er Freiwild.', nicht verkneifen.
Immerhin folgte sie mir nicht mehr.
Mit gesenktem Kopf und ebenso gefallener Laune verließ ich das Schulgebäude und hielt gedanklich daran fest, dass Luis Sally nie als Freundin annehmen würde.
Und Freiwild war er schon gar nicht, er war eher der Jäger, der, der auf der Suche war und der sich nichts gefallen ließ.
Und sie wäre nur eine von vielen Gejagten, nichts Besonderes für ihn.
Und er mochte sie auch nicht, oder?
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