Kapitel 36
Ich saß auf meinem Bett, lehnte mich gegen eine Vielzahl bunter Kissen und ließ entspannt meine Füße über die hölzerne Bettkante baumeln.
Es war dunkel draußen und der Mond ließ sein fahles Licht durch mein Fenster fallen.
Die angenehme Stille der Nacht, die sich wie eine Bettdecke über alles legte und die leisesten Geräusche zum Schweigen brachte, umgab mich fürsorglich.
Wahrscheinlich schliefen die anderen alle schon und konnten diese Ruhe nicht genießen. Das sollte ich eigentlich auch tun, doch irgendwie konnte ich mich heute nicht dazu überreden, mich hinzulegen und den schrecklichen Alpträumen hinzugeben.
Dann blieb ich lieber hier sitzen und starrte gegen die Fotos an meiner Wand.
Vorsichtig stand ich auf und lief ein wenig durch mein Zimmer. An einer Stelle knarrzte immer eine Diele, doch ich vermied sie, um niemanden der anderen Bewohner meines Wohnheimes zu wecken.
Immerhin wohnte ich nicht bei den Fühlern, denn die würden mich sicher durch ihren Schlaf durch hören.
Ob meine Mutter auch immer gehorcht hatte, was ich in meinem Zimmer tat? Sie hätte mich die ganze Zeit überwachen können.
In gewisser Weise konnte ich das jetzt auch, zumindest Menschen, Auserwählte und magische Gegenstände fühlte ich. Was sie genau taten, blieb mir zwar verborgen, aber ich wusste, dass sie da waren.
Ich stieß laut Luft aus.
Gerade befand sich, mal abgesehen von den schlafenden Schülern in ihren Zimmern, niemand auf dem Campus und das beruhigte mich doch sehr.
Schließlich schloss ich die Rolläden und schob die dunkel violetten Vorhänge zu, um das grelle Mondlicht auszusperren. Dann schlüpfte ich aus meinen gemütlichen, ursprünglich weißen und inzwischen leider eher grau braunen Kuschelsocken.
Als letzte Schlafvorbereitung wollte ich noch mein Kopfkissen ausschütteln, als ich plötzlich ein Kratzen an meiner Tür vernahm.
Ich befand mich sofort in Kampfposition und der Dolch von meinem Nachttisch hatte irgendwie in meine Hand gefunden.
Einen Moment starrten ich in die Dunkelheit. Nichts passierte. Sicherheitshalber prüfte ich noch einmal die Umgebung nach Personen und deren möglicherweise dunklen Auren, doch da war nichts, rein gar nichts.
Gerade wollte ich den Dolch weglegen und mich mit der Aussage beruhigen, das meine verrückte Paranoia schon wieder ohne meine Erlaubnis aufgetaucht war, doch dann hörte ich es wieder und es war klar und deutlich.
Es ertönte ein Geräusch, das sich anhörte wie scharfe Krallen, die über Holz rutschen, ein Geräusch, das so fürchterlich klang, wie aus einem guten Horrorfilm und es wurde immer lauter und quietschender, aber das hier war kein Film.
Es war das echte Leben.
Also wie schrecklich konnte das, was hinter meiner Tür stand, schon sein?
Ein Schauder lief mir über den Rücken, als ich an alle möglichen Monster und Erscheinungen dachte, die ich kannte.
Ehrlich gesagt, wollte ich gar nicht wissen, was dort lauerte.
Trotzdem half es nichts, sich jetzt zu verstecken.
Meine Angst hatte mir schon so oft Streiche gespielt. Ich musste sie nur besiegen und dann konnte ich schlafen.
Langsam schlich ich dem beständigen Kratzen entgegen. Ich hatte die Tür schon fast erreicht, als das Geräusch aufhörte, sodass ich in meiner Bewegung innehielt.
Plötzlich zog ein heftiger Wind auf, schlug von außen gegen mein Fenster und durchbrach die Stille erneut, indem er zwischen den raschelnden Bäumen hin und her rauschte. Gleichzeitig verbreitete sich ein ekelhafter Geruch in meinem Zimmer.
Es roch nach Moder und alten Gebeinen wie in einer alten Gruft. Irgendetwas hier lief falsch.
Dann konnte ich ihn spüren.
Das Blut gefroren mir in den Adern und ich wagte nicht, mich umzudrehen.
Wie hatte er es geschafft, dass ich in vorher nicht gespürt hatte?
Und wie war er in mein Zimmer gekommen?
Nun breitete sich seine schwarze Aura wie dunkler Rauch in meinem Zimmer aus und drohte mich zu ersticken. Das Einzige, was ich tun konnte, war stocksteif stehen bleiben, den seine Anwesenheit ließ mich erstarren.
Meine Angst verstärkte sich bis ins Unermessliche.
Er wollte mich umbringen.
Welchen anderen Grund sollte er haben, mich mitten in der Nacht zu besuchen?
'Hast du mich vermisst?', hauchte seine raue, gefährliche Stimme mir ins Ohr, 'Ich hoffe doch, dass du dich freust, wenn ich dir mal einen kleinen Besuch abstatte.'
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, als Hass meine Angst für einen Moment zur Seite drängte. Er stand nah hinter mir, nahe genug.
So schnell ich konnte, wirbelte ich herum und versuchte nach seiner Hand zu packen, um sein Leben bei einer Berührung aus ihm herauszuziehen.
Dieses Mal wollte ich es tatsächlich, egal wie sehr ich mich danach selbst hassen würde.
Hauptsache Gabe Hanwen würde sterben. Sterben für all das Leid, dass er in meine Welt gebracht hatte.
Doch als ich mich umgedreht hatte, war er schon längst an der anderen Ecke des Raumes und ich hatte keine Ahnung, wieso er so schnell war.
'Du denkst nicht ehrlich immernoch, dass du die Macht hast, mich zu besiegen?', fragte er leise und ich sah seine Zähne in der Dunkelheit blitzen, wobei sie eher dem fauchenden Fletschen eines Raubtieres als dem gefährlichen Grinsen eines Menschens glichen.
Im nächsten Moment traten dunkle Schliere aus seinen Händen und stießen mich mit einem lauten Aufprall gegen die Türe hinter mir.
Ich ächzte nach Luft, als die schwarzen Seile sich eng um meinen Köper zogen und mich bei jeder Berührung zu verbrennen schienen. Es waren keine festen, stabilen Seile, aber sie waren aus purer Macht, die durch Gabe Hanwens Leben schwarz pulsierten, und ich konnte die Kraft in ihnen spüren, gegen die ich nicht ankam.
Mutig schleuderte ich ihm eine Kugel meiner hellblauen Energie entgegen, doch er blockte sie mit einer Wand aus seiner Macht.
'Sind wir im Kindergarten oder was?', verspottet er mich und zog seine Schliere, die nun einen rauchig grauen Nebel ausstießen enger um mich. Angestrengt sog ich nach Luft, doch die war von seiner Schwärze verpestet. Das Einzige, was ich noch herausbekam, war eine heisere Frage. 'Was... willst du?'
Meine Stimme klang kratzig und ich fragte mich, ob in diesem Rauch so etwas wie ein Giftstoff steckte.
Könnte er das?
Sein verrücktes Lachen hallte durch mein ganzes Zimmer und schien wie ein Echo aus allen Richtungen wiederzuhallen.
'Von dir möchte ich eigentlich gar nichts.', erklärte er mit einem hinterhältigen Lächeln auf den Lippen und ich ahnte schon, welche Worte als nächstes folgten, 'Außer dass du stirbst. Wir wissen beide, dass du den Tod verdient hast, Mörderin. Warum machst du es uns nicht einfacher und bringst dich selbst um? Alle deine Freunde würden eine Party schmeißen, dass sie so einen Unglücksbringer wie dich nicht mehr am Hals haben. Danach könnte sie endlich wieder ihr altes Leben weiterführen... ohne eine umständliche, schwere Last wie dich. Du würdest uns allen einen Gefallen tun und dabei am ehesten dir selbst.'
Ich sah in seine kieselsteinschwarzen Augen, die mir kalt und erbarmungslos entgegenblickten.
Es war nicht die Spur einer Emotion in ihnen zu sehen, nur Leere und Schwärze und Dunkelheit und das machte mir Angst.
Besonders seine Unnahbarkeit machte mir Angst. Er hatte keine Schwächen, weil im einfach Nichts etwas bedeutete. Sein einziges Ziel war Schmerz und Angst zu verbreiten und die Herrschaft über alles und jeden an sich zu reißen.
Ja, ich war mir bewusst, dass ich eine Mörderin war und ich wusste auch, dass ich das Leben meiner Liebsten oft in Gefahr gebracht hatte.
Trotzdem würde er sie, egal ob ich lebte oder nicht, alle ausnahmslos töten.
Mein Tod würde nicht das Ende der Last und der Angst und des Schmerzes für sie darstellen. Eigentlich machte mein Leben keinen Unterschied, denn ich hatte keine Kontrolle und nur sein Tod wäre das Ende dieses Kampfes.
Wenn ich nicht mehr lebte waren unsere Chancen ohne einen Ausgeschlossenen königlichen Blutes gleich null, aber wenn ich hart an mir arbeitete, war da noch die winzige Möglichkeit zu gewinnen, und dieses kleine Licht in meinem Inneren war noch nicht erloschen.
Er konnte nicht völlig unbesiegbar sein.
Ich blickte grimmig zu ihm auf.
'Erst wenn ich dich umgebracht habe, du Monster.'
Seine Miene verdunkelte sich für einen Moment, aber Emotionen zeigte er immer noch nicht, nur Schwärze in variierenden Abstufungen.
'Damit komme ich zurecht, wir sind schließlich beide Monster. So wurde es uns in die Wiege gelegt.
Leider muss ich dich enttäuschen.
Du wirst mich nicht töten. Dazu bist du viel zu schwach und wenn du es nicht selbst tust, muss ich dich eben umbringen. Also überlege es dir lieber noch einmal.
Der Mord wird um einiges brutaler und länger sein als ein Selbstmord, das kann ich die versprechen.'
Als er näher trat, versuchte ich mich erneut aus seinem Magiegefängnis zu befreien, doch es gelang mir nicht.
'Irgendwie werde ich dich schon noch loswerden und dann steht mir nichts mehr im Weg.', flüsterte er mit einem drohenden Unterton in der Stimme und stand nun direkt vor mir, sodass ich seinen Atem bereits auf meinem Gesicht spüren konnte, doch er berührte mich in keinster Weise und es gab auch keine Möglichkeit, mich zu befreien.
'Mir wird es auf jeden Fall Spaß machen, auch das kannst du mir glauben.' Mit einer kreisenden Bewegung seiner Hand ließ er eine riesige Welle an schrecklichen Bildern auf mich einfließen und ich sah nichts mehr außer Tod und Verderben.
Am liebsten hätte ich die Augen vor all dem geschlossen, doch es würde nichts helfen. Er hatte die Bilder tief in mich reingeschickt, sie in die Innenseite meiner Lider gebrannt, und das einzig Mögliche, was ich tun konnte, war, alles bereits Gesehene soweit wie möglich in die hinterste Ecke meines Kopfes zu schieben und die Erinnerungen daran zu vergessen, wobei mir das nicht immer vollends gelang.
Er hörte nicht auf, bis ich vor Erschöpfung ohnmächtig wurde und die Schwärze mich auch innerlich einhüllte.
***
Mit einem Schrei wachte ich auf. Mein Atem ging doppelt so schnell wie normalerweise und ich hatte meinen zitternden Körper nicht unter Kontrolle, aber ich war in meinem Bett, in Sicherheit, wenn man das so nenen konnte.
Eigentlich wollte ich weiterschreien, um auch die letzten Bilder aus meinem Gedächtnis zu verdrängen, doch stattdessen bis ich mir einfach auf die Lippe, bis sie anfing zu bluten. Es war ein verdammter Traum gewesen.
Schon wieder war ich darauf reingefallen.
Mit einer ruckartigen Bewegung stieß ich die Bettdecke herunter und stand auf.
Herumheulen machte das ganze Chaos meist nur schlimmer, soviel wusste ich aus Erfahrung, aber das Zittern in meinem Körper, welches die tief in mir verborgene Kälte ausdrücken wollte, blieb auch bei Verdrängungsversuchen noch eine Weile.
Erschöpft strich ich mir durch das verschwitzte Haar und versuchte mich mit Gedanken an schöne Sachen abzulenken, doch seine Visionen und Bilder kehrten immer wieder in meinen Kopf zurück.
So viele waren es noch nie gewesen.
Bei einem Blick an mir herunter, zuckte ich innerlich zusammen. Leichte Blessuren überzogen meine Arme und dem Gefühl nach wahrscheinlich auch meine von meiner karierten Schlafhose überdeckten Beine.
Ich musterte die rötlich, braunen Blessuren, die sich in schmalen Striemen auf meiner Haut abeichneten.
Sie kamen aus meinem Traum.
Es war doch ein Traum gewesen, oder? Voller Schreck sah ich durch mein Zimmer, suchte nach dem leisesten Anzeichen eines Feindes oder zumindest eines von Gabe Hanwen hinterlassenen Gegenstandes, doch alles schien normal.
Ich war so wie jeden morgen in meinem Bett aufgewacht und im Raum schien nichts passiert zu sein, obgleich wir einige Dinge umgeworfen hatten.
Es musste also ein Traum gewesen sein, selbst wenn er sich so echt, so real und so schrecklich anfühlte.
Nur wie konnte Gabe Hanwen mich dann im normalen Leben beeinflussen?
Wie konnte er mir diese Blessuren als Andenken an die letzte Nacht schenken?
Und wie fest war die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit?
Ich fürchtete mich ein wenig vor den Antworten dieser Fragen, weil ich mir nun nicht mehr sicher sein konnte, ob es ihm möglich war, mich in einem Traum zu töten, doch meine Gedanken lenkten mich zumindest ein wenig von den grausamen Bildern ab.
Seine Kraft war unglaublich stark und er wurde zunehmend mächtiger, was mich früher oder später zwang, mit meinem eigenen Training zu beginnen, um mit ihm mithalten zu können.
Wenn ich auch nur den Hauch einer Chance gegen ihn haben wollte, musste ich auch meine Kraft verbessern und sie dafür zuerst einmal überhaupt richtig und ohne Scheu nutzen, was wohl die größere Hürde für mich werden würde.
Das Schlimmste war aber, dass ich mir nicht einmal sicher war, was er alles konnte.
Meine Einschätzung versagte bei ihm einfach kläglich und er zeigte mir immer wieder neue und stärkere Methoden und Arten, wie er seine Macht nutzte.
Er war kein Anfänger so wie ich und er hatte sicher noch einige Tricks auf Lager.
Mit einer Hand wischte ich mir das Blut von der Lippe und mein Blick huschte zur großen, grauen Uhr über meiner Tür.
Ich hatte noch genügend Zeit, bevor die Schule begann. Wahrscheinlich sollte ich erstmal duschen, um die Bilder und die Angst so weit wie möglich abzuwaschen und den Kopf frei zu bekommen.
Außerdem musste ich mir überlegen, wie ich meine Kräfte am besten trainieren konnte.
In meinem jetzigen Zustand würde ich einen Kampf eindeutig verlieren.
Konzentriert schob ich die letzten großen Fetzen dunkler Erinnerungen in den abgelegenen Bereich meiner Gedanken und baute die Mauer um meinen Kopf herum noch ein Stück dicker. Sicher war sicher.
Noch immer schwer atmend uns leicht benebelt taumelnd ging ich ins Bad, während die müde, aber gut ausgeschlafene Sonne langsam aufging und der Tag in seiner gewöhnlichen Alltäglichkeit eintrat.
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