Kapitel 30
Es war vorbei.
Sie war tot, hatte kein Leben mehr in sich.
Wie, als hätte ich erst jetzt begriffen, dass sie wirklich sterben musste, als hätte ich jetzt erst wahrgenommen, das wir nicht in einem tragischen Theaterstück waren, fiel mir eine einsame Träne von der Wange. Trauer durchfuhr mich wie eine riesengroße Flutwelle, die rauschend über mir umkippte.
Die höllischen Flammen des Feuers, die sich mir weiterhin näherten, kamen gegen dieses schreckliche nicht annähernd heran.
Noch einmal suchte ich nach Jens Puls, aber er war nicht mehr da.
Sie war weg, irgendwo im Nichts, und ich war alleine.
Entsetzt blickte ich auf ihren leblosen Körper herunter.
'Nein.'
Sie konnte doch nicht für immer fort sein, nicht von jetzt auf gleich.
Ein Schluchzer entfuhr mir und ich schnappte nach Luft, als wäre ich aus den Tiefen des Meeres aufgetaucht und vielleicht war das auch so.
Meine Stimme klang erschöpft und müde, klang weit von meinen Gedanken weg wie ein fernes Echo in den Bergen.
'Nein, nein, nein.'
Im nächsten Moment regte sich irgendetwas tief in mir, etwas das lange Zeit verborgen geblieben war.
Meine Macht durchströmte mich und der grau schwarze Rauch um uns herum färbte sich in ein blasses Blau. Dann entlud sich meine Kraft und strömte pochend in den toten Körper meiner besten Freundin hinein.
Ich wusste nicht, was das noch bringen sollte, aber es kam einfach instinktiv aus mir raus.
Das Blut rauschte in meinen Ohre, verdrängte die anderen Geräusche und ich konnte sehen, dass sich das Feuer ein Stück von uns entfernte, als würde es Angst vor meiner Kraft haben.
Es dauerte nur ein paar Sekunden, doch komischerweise fühlte ich mich in dem glitzerden, blauen Nebel unglaublich wohl.
Nachdem meine wieder versiegt war, atmete ich erschöpft aus, denn ich fühlte mich merkwürdig ausgelaugt. Der energiegeladene Moment von eben war verflogen. Auch das Feuer züngelte langsam zu uns zurück. Glücklicherweise blieb die Luft noch ein paar Sekunden frisch und ermöglichte mir ein paar hektische Atemzüge.
Mein Herz pochte laut, doch nichts hatte sich verändert.
Ich wusste nicht, was ich mit meiner unkontrollierbaren Kraft gemacht hatte oder ob sie an irgendetwas gescheitert war, aber ich war mir sicher, dass ich keine Illusion geschaffen hatte.
Es hatte sich anders angefühlt. Fast so als würde ich jemandem die Kraft aus dem Körper ziehen, nur nicht so gut.
Ersr jetzt, wo ich klarer im Kopf war, bemerkte ich, dass meine Kehle trocken wie ein Kaktus in der Wüste war und neben den zubor ausgeblendeten Schmerzen musste ich gegen eine enorme Müdigkeit ankämpfen. Ich wollte unbedingt schlafen, hier wo Jen es bereits tat, denn die Erschöpfung lag auf mir wie eine dicke, viel zu warme Decke, die mich gewaltsam herunter drücken wollte.
Erst sollte ich aber hier rauskommen und das auf dem schnellst möglichen Weg.
Plötzlich atmete Jen neben mir zischend auf.
Ich riss erschrocken meine Augen auf und traute ihnen doch nicht ganz.
Sie war doch tod gewesen.
Wie konnte sie jetzt leben?
Über ihrem Herz war immer noch eine große Wunde und viel Blut, aber sie lebte.
Oder war das eine Halluzination?
Verwirrt kniff ich mich in den linken Oberarm, um zu prüfen, ob ich nicht in eine Traumwelt abgedriftet war.
'Wo bin ich?', fragte sie und ihre Stimme klang überraschend fest.
Als Jens suchender Blick auf mich fiel, wirkte sie ebenso erstaunt.
'Nia, was, wieso? Ich lebe noch.', stellte sie fest und ich konnte nur stumm über ihre neugewonnene Energie nicken.
Zugleich breitete sich aber ein kleines Lächeln in meinem Gesicht aus und wurde zunehmend breiter.
Unsicher und ganz langsam stand Jen auf. Sie zuckte ganz kurz zusammen, wirkte dann aber relativ standfest und somit kräftiger und gesunder als ich.
'Wow.', nuschelte sie verwirrt von der Situation und schien im grauen Rauch nach einer Erklärung zu suchen.
Ich kam hustend wieder auf die Beine und Jen musste mir tatsächlich aufhelfen.
Sobald ich aber ihre Hände beim Aufstehen berührte und meine nun doch sehr schwache Kraft nach ihr fühlte und leider, ich hatte einfach keine Kontrolle mehr sie zurückzuhalten, auch ein wenig von Jens vielfach vorhandender und sich in diesem Moment vermehrender Energie klaute, bemerkte ich etwas Neues.
Ein kleiner Teil meiner Kraft steckte nun in meiner besten Freundin.
Ich hatte ihr meine Kraft gegeben. Nur deswegen war sie jetzt nicht Tod. Alles sprach dagegen, aber ich hatte sie wirklich wiederbelebt.
Ich konnte dem Anschein nach nicht nur Leben nehmen sondern auch geben.
Eine Münzen hatte immer zwei Seiten. Gut gab es nie ohne Böse und Böse nie ohne gut.
Weiter reichten meine Gedanken nicht mehr, als Jen und ich uns aufeinander abstützten und uns mühsam zwischen den sich ausbreitenden Flammen einen Weg hindurchsuchten.
Nur schwer und nach einigen Stolpern fanden wir heraus, aber ich nahm den Rückweg nicht mehr wahr.
Am Ende der Flammen, blickte uns bereits Mrs. Smuttery entgegen.
Sie kam sofort auf uns zugelaufen und Hamnet, der sie scheinbar informiert hatte, war dicht hinter ihr.
Ich ging noch ein paar Meter weiter und stoppte den langsamen Energiezufluss, der mir meine Energie wieder zurückholte. Natürlich hatte Jen noch immer meine Kraft in sich, da sie ihre bereits ganz verloren hatte und meine nun lebensnotwendig brauchte, aber wenigstens ein bisschen hatte ich mir zurückholen können, sodass ich mir jetzt zutraute wieder auf eigenen Beinen zu stehen, obgleich dieses Nehmen und Geben dadurch reichlich paradox wirkte.
Mrs. Smuttery erreichte uns und nahm mir Jen ab, um die fatal aussehende Wunde über ihrem Herz genauer zu begutachten.
Nachdem sie feststellte, das diese (nurnoch) oberflächlich war, wirkte sie erleichtert und sah mich vielleicht zum ersten Mal wirklich dankbar an.
'Danke, dass du sie gerettet hast. Hamnet meinte, du wärest einfach in die Flammen gerannt. Es war gefährlich, aber du hast es geschafft. Im Kampf sind schließlich schon genug von uns gestorben. '
Sie wirkte einen Moment abgelenkt und ich entdeckte eine relativ tief wirkende Wunde an ihrer Schläfe, die ihr sicher höllische Kopfschmerzen zufügte.
Hoffentlich hatten wir keinen zu großen Verlust.
Nicht weit von uns entfernt bemerkte ich die Feuerwehr, die das Feuer Stück für Stück löschten.
Der Kampf schien bereits vorüber zu sein und das Schlimmste war überstanden.
Trotzdem erschaffte der Anblick der verdorrten und von Ruß geschwärzten Bäume und zum Teil angebrannten Leichen eine dumpfe Erinnerung, die ich noch lange ungewollt immer wieder aufrufen würde, obwohl ich sie eigentlich einfach nur vergessen wollte.
Doch diesen Kampf würde ich sowieso noch lange in Erinnerung behalten, denn ich behielt die schlechten Erinnerungen immer länger als die guten, ob ich wollte oder nicht.
Und auch in meinen Albträumen würde Gabe Hanwen wieder viel Spaß haben, mich damit zu quälen.
'Kommt erst einmal mit auf die Krankenstation.', erklärte Mrs. Smuttery ungewöhnlich freundlich und ich fragte mich langsam, ob es mit ihrer Kopfwunde zusammenhing. Sie stützte Jen und ging vorraus.
Ich wollte ihnen folgen, aber mir wurde kurz schwarz vor Augen und ich wankte und taumelte nur ein paar kleine Schritte nach Hinten.
Nur knapp konnte ich mein Gleichgewicht wieder finden.
Blinzelnd suchte ich einen Punkt, auf den ich blicken konnte, um nicht die Orientierung zu verlieren, und starrte an meiner blutdurchtränkten Kleidung herunter, die alles andere als gut aussahen.
Wieso musste ich auch immer so viel Blut verlieren?
Davon abgesehen fühlte ich mich einfach psychisch so ausgelaugt wie nie.
Ich versuchte mich nur langsam und vorsichtig hinter den anderen herzubewegen, doch ohne Hammer, der mich gerade zum Glück erreichte, hätte ich es wohl nicht geschafft. 'Komm, ich helfe dir.', sagte er mit seiner weichen, dunklen Stimme, die gerade ein wenig einschläfernd auf mich wirkte und legte hilfsbereit meinen Arm über seine Schulter, um mich zu stützen. Ich sah ihn dankbar von der Seite an, denn zu Worten war ich jetzt nicht mehr fähig.
Er schien die Botschaft trotzdem zu verstehen und so machten wir uns in einem gemütlichen Tempo auf den Weg, während über uns die gelb orange leuchtende Sonne unterging.
Sie strahlte mir grell ins Gesicht und ich musste blinzeln. Ein solches Licht war mir aber auf jeden Fall lieber als das rot flackernde Feuer, das jetzt schon fast erloschen war.
Nur die graue Ascheschicht auf der halb geschmolzenen Schneedecke blieb als Warnung zurück.
Für heute war es vorbei, aber Gabe Hanwen würde nicht lange ruhen. Vor allem wenn sein heutiges Ziel Jen nicht gestorben war, wobei ich wahrscheinlich das oberste Hauptziel war, das auch eigentlich von Snake umgebracht werden sollte, aber diesen einen möglichen Fehler in seinem Plan hatte er wohl einkalkuliert und eine zweite Überraschung für mich geschaffen. Ich biss die Zähne aufeinander und behielt den guten Gedanken bei, um nicht hilflos im Meer der schlechten zu versinken.
Es war ein kleiner Sieg, der Gabe Hanwens Plan vereitelt hatte.
Heute hatte ich gewonnen.
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